Bericht aus Bulgarien (52)

 

Der Bulgare hat gut lachen

In Bulgarien dürfen die Menschen nicht nur demonstrieren, sondern sogar protestieren. In den letzten Tagen protestierten hier unter anderem die Museen und Galerien, aber auch die Feuerwehrmänner und alleinerziehende Mütter. Heute nun hat die Partei “Wiedergeburt” zum zweiten landesweiten Protest um 11 Uhr vor dem Ministerrat in Sofia aufgerufen. In Bulgarien heißen Proteste, auf denen demonstriert wird, noch Demonstrationen und nicht Spaziergänge. Demonstranten werden dort nicht von Ordnungshütern angebrüllt, Abstände einzuhalten. Masken werden kaum getragen, auch nicht von der Polizei. Die Taktik der Berliner Polizei, Menschen einzukesseln, die Räume eng zu machen, dann die Veranstaltung aufzulösen, weil Abstände nicht eingehalten wurden – sie ist in Bulgarien gänzlich unbekannt. Es ist ein typisch deutsches Phänomen. Der Bulgare braucht nur einen Protest ankündigen, dann reagiert die Regierung. So geschehen beim ersten Protest, als man sich am Montag zuvor traf, um danach in die Selbstisolation zu gehen, damit man nicht mit den Protestierenden reden muss. Immerhin wurden Runde Tische vereinbart, aus denen aber nichts geworden ist, auch deswegen der erneute landesweite Protest heute. Wieder haben die Regierenden reagiert, und wieder war es der Montag, als Ministerpräsident Petkow verkündete, dass am 20. März sämtliche Maßnahmen und auch der Grüne Pass fallen werden. Auch wenn das vermutlich wieder ein Trick ist – der Montags-Trick – so reagiert man in Bulgarien bereits bei Ankündigung eines Protestes. Die Regierenden sind also noch nicht so abgehoben wie andernorts, wo die Kommunikation mit den Menschen praktisch eingestellt wurde und man nur noch mit Schlagstock und Tränengas bewaffnete berittene Polizisten auf sie trampeln lässt. Vermutlich liegt es auch einfach daran, dass es hier nichts bringen würde Bankkonten einzufrieren, weil das wenige, was der Bulgare hat, so weit es nicht vor allem Schulden sind, hat er meist bei sich.

PS: In Bulgarien gibt es auch keine Polizisten auf Pferden. – Die einst zahlreichen Pferde wurden in Bulgarien alle schon aufgegessen.

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Bericht aus Bulgarien (51)

“Ich möchte ein normales Leben”

In dem Film “Trainspotting” gab es den “Sick Boy”, der ein oder andere erinnert sich, der gegen “Sick Bill”, der gerade die nächste Pandemie “einpreist”, und zwar in seine Gewinne, ein Waisenknabe war. “Sick Boy” hat nur einem harmlosen Kampfhund in den Arsch geschossen, worauf dieser sein Herrchen anfiel, und da hat er nicht mal selber geschossen. “Sick Bill” hat Milliarden damit gemacht, dass er Milliarden an die Nadel gebracht hat, wobei er nicht selbst zur Spritze greift. Die Opfer dürfen auch nicht aufschreien, geht es nach “Sick Bill”, sondern sollen stillhalten und zwar auf Dauer, denn nach der Impfung ist vor der Impfung. Das hat zumindest den Vorteil, dass jeder immer wieder auf’s Neue entscheiden kann, ob er beim Impfen aussteigt oder nicht. In Bulgarien haben die allermeisten gar nicht erst angefangen mit dem Impfen, oder sie haben sich die Impfung “gekauft” – das geht auch. Das Leben der großen Mehrheit hier ist so geblieben, wie es schon immer war: ohne Impf-Abonnement. Und trotzdem fordern viele ihr altes Leben zurück, und zwar morgen um 11 Uhr vor dem Ministerrat in Sofia.  –  Die Bulgaren trauen sich was.
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Bericht aus Bulgarien (50)

Mein Arbeitsplatz

„Über lange Zeiträume scheinen die Oberen ungefährdet an der Macht zu sein, doch früher oder später kommt der Augenblick, in dem sie entweder ihr Selbstvertrauen verlieren oder die Fähigkeit, wirksam zu regieren, oder beides.“, so Orwell in „1984“. – Der Augenblick ist jetzt. Zeit also, aufzustehen und auf die Straße zu gehen, um den von  Menschen wie „Es geht um Leben und Tod“ Lauterbach verbreiteten „kontrollierten Wahnsinn“ zu beenden. Denn, so Orwell weiter, der vorherrschende Geisteszustand des „kontrollierten Wahnsinns“ soll die Gleichheit der Menschen für immer verhindern. Wäre ich in Berlin, würde ich am heutigen Montag dort spazieren gehen, wo ich einst mit meinem Taxi zu hause war, auf den Straßen und Plätzen der deutschen Hauptstadt, nicht nur um damit die Tradition der Montagsdemonstration fortzusetzen, sondern um die Runden Tische vorzubereiten, die ihnen folgen, und von denen es die ersten bereits in Bulgarien gab, ich hatte an dieser Stelle darüber berichtet. Hier in den Schluchten des Balkans werde ich morgen meinen Arbeitsplatz verlassen, um am Mittwoch in Sofia auf der Straße zu sein. Genauso wie in Berlin, so sind dort auch in der bulgarischen Hauptstadt nahezu ausschließlich ganz normale Menschen und keine „Nazis“, die hier vom Westen als „nationalistisch“, wenn nicht gar „ultranationalistisch“ bezeichnet werden, unterwegs. „Kein Mensch hat das Recht zu gehorchen“ von Hannah Arendt beginnt damit, der Propaganda der Herrschenden und auch der Journalisten, die vielleicht größte Enttäuschung unserer Zeit, nicht mehr zu gehorchen, sondern sich selbst ein Bild zu machen, wofür die Menschen schon ’89 auf die Straße gegangen sind.

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Bericht aus Bulgarien (49)

Sehen so Nazibräute aus?

In meinem Beitrag „Rote Linie in Sofia“ für Multipolar erwähne ich eine Frau, die die regelmäßigen Demonstrationen der Partei „Wiedergeburt“ in der Stadt Montana mitorganisiert, und die man bei mir im Dorf als „stabilna shena“ bezeichnen würde, eine stabile Frau also, die die Dinge anpackt. Am Freitag traf ich sie, ihr Name ist Eva, wieder, wieder rein zufällig und wieder in Montana. Eva begrüßte mich erneut mit der Mitteilung, die bulgarische Regierung stürzen zu wollen, diesmal am kommenden Mittwoch, den 23. Februar um 11 Uhr. Die Chancen, die aktuelle Regierung aus dem Amt zu jagen, die keine Mehrheit in der Bevölkerung hinter sich weiß, stehen diesmal um einiges besser als noch am 12. Januar, und nicht nur des Wetters wegen. Wir haben gerade frühlingshafte Temperaturen in Bulgarien, damals waren sie noch um den Gefrierpunkt. Diesmal geht es auch nicht nur gegen den Grünen Pass, sondern auch gegen die steigenden Preise, insbesondere bei Gas und Strom, aber auch bei Lebensmitteln. Viele Bulgaren können sie nicht mehr bezahlen, einigen Gemeinden im Land wurde deswegen schon der Strom abgestellt. Und bevor man dort im Dunkeln sitzt, kommt man lieber zur Demo nach Sofia. So nicht nur die Theorie von Eva, sondern auch von Ivanka. Beide sind in der Partei „Wiedergeburt“ oder stehen ihr zumindest nahe. Im Selbstverständnis westlicher Medien sind sie damit automatisch „nationalistisch“, wenn nicht gar „ultranationalistisch“, wobei mir der Unterschied nicht so ganz klar ist. Vermutlich ist das eine einfach nur „schlimm“, das andere aber „ganz schlimm“. Wie in meinem Taxi, so kann bei mir auch in Bulgarien ein jeder alles sagen, was aber nichts besonderes hier ist, sondern Alltag. Nach meinem Gespräch mit den beiden kann ich weder das eine noch das andere bestätigen. Weder ist Eva mit ihrer großen Einkaufstasche von der deutschen Supermarktkette „Kaufland“ mit der Aufschrift „Aus Liebe zu Bulgarien“ vor den Sieben-Rila-Seen „nationalistisch“, noch ist Ivanka, sie studiert Mode in Sofia und hat nicht die Absicht, ihre Heimat wie jede/r zweite in ihrem Alter nach dem Studium zu verlassen, „ultranationalistisch“. Ich jedenfalls finde die beiden nicht nur nett, sondern darüber hinaus ihre Argumente gegen den Grünen Pass und eine mögliche Impfpflicht absolut nachvollziehbar. Sie decken sich mit denen, die ein Geimpfter hier neulich mal für die Berliner Zeitung aufgeschrieben hat. Aber am besten macht man sich selbst und vor Ort ein Bild, deswegen sind wir damals ’89 auf die Straße gegangen, um uns die Welt ansehen zu können, und deswegen auch obiges Foto. Ich werde auf jeden Fall am Mittwoch als Augen- und Zeitzeuge und auch als Fotograf in der bulgarischen Hauptstadt sein. Gestern auf der Demo in Montana waren wir schon mal sieben, wobei ich mich da schon mitgezählt habe. Umso gespannter bin ich zu erfahren, wie viele zum nächsten landesweiten Protest am 23. Februar um 11 Uhr diesmal vor dem Ministerrat und nicht vor dem Parlament nach Sofia kommen.

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Bericht aus Bulgarien (48)

Wurzel aus acht?

Gestern war Freitag, und freitags ist immer Basar, wo ich immer einkaufen gehe, so auch gestern. Am Eingang zum Basar stand wieder der Tisch, auf dem eine Sprüh-Flasche mit Desinfektionsmittel steht, die keiner benutzt, genauso wie keiner eine Maske trägt. Am Tisch befestigt waren auch wieder Schilder, die darauf hinweisen, dass rechts der Eingang und links der Ausgang ist vom Basar. Auch in Bulgarien gilt Rechts-Verkehr. Neu war das linke Schild, zumindest war es für mich neu, dass man Abstand halten soll, und zwar genau acht Quadratmeter pro Person! Warum jetzt genau acht Quadratmeter pro Person, das kann ich nicht sagen, weil ich das mit den acht Quadratmetern gestern zum ersten Mal gesehen habe. In der Heimat würde jeder jetzt sogleich die Wurzel aus acht ausrechnen, um zu wissen, wie viel Abstand er auf den Zentimeter genau zu seinem Nächsten einhalten muss. Das würde dann auch kontrolliert werden in Deutschland, und zwar von mindestens zwei mit Zollstock bewaffneten Polizisten pro zu kontrollierende Person. Ordnung muss sein. Nicht so in Bulgarien, wo zwar nichts besser, vieles anders, und das meiste umgedreht ist. Hier denkt niemand daran die Wurzel aus acht ausrechnen. Noch weniger denkt irgendjemand daran, dies auch noch zu zweit mit einem Zollstock kontrollieren zu wollen. So viele Bulgaren gibt es gar nicht. Der Hinweis auf die acht Quadratmeter Distanz pro Person ist dafür aber die Garantie, die ansonsten in Bulgarien unbekannt ist, darauf, dass genau das nicht passieren wird.

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Bericht aus Bulgarien (47)

Im Angebot: „sacharomer“ & „spirtomer“

In Bulgarien gibt es neben dem „elektromer“ (ohne Foto), der in jedem Haus den Stromverbrauch zählt, noch den „sacharomer“ (Foto oben), der den Zuckergehalt misst, und den „spirtomer“ (Foto unten), der den Alkoholgehalt angibt. Darüber hinaus soll auch noch einen „glupomer“ (wieder ohne Foto) existieren, der die Dummheit misst, den ich aber noch nie gesehen habe. Es soll den „glupomer“ aber wirklich geben, das wurde mir mehrfach und von verschiedener Seite glaubhaft versichert. Dass er so schwer zu finden ist, liegt daran, dass er beim Messen regelmäßig kaputt geht. Angeblich, weil bei dem Menschen, bei dem man die Dummheit messen will, diese oft so groß ist, dass der „glupomer“ sogleich auseinander bricht. Vielleicht handelt es sich dabei aber auch um eine beim „glupomer“ vom Hersteller eingebaute Sollbruchstelle. Das ist durchaus denkbar. Jedenfalls herrscht in Sachen „glupomer“ in Bulgarien Bedarf. Keine Ahnung, ob so ein „glupomer“, auf Deutsch dürfte er „Dummheitsmesser“ heißen, schwer herzustellen ist. Was ich weiß, ist, dass er hier auf dem Balkan weggehen würde „wie geschnitten Brot“. Aber möglicherweise ist die Nachfrage in Deutschland auch gerade sehr groß, dass man den „Dummheitsmesser“ besser dort und mit mehr Gewinn verkauft. Sind ja alles arme Schlucker hier. Ich würde, wäre ich jetzt noch mit meinem Taxi auf den Berliner Straßen und Plätzen unterwegs, den „glupomer“ mit Sicherheit in meinem Bauchladen anbieten, in dem sich sonst vor allem Bücher befanden. Der „Dummheitsmesser“ wäre sozusagen das „Alternativangebot“. 

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Bericht aus Bulgarien (46)

Irische Butter aus Deutschland in Bulgarien

Da ich einmal in der Stadt war, bin ich noch bei Lidl rein. Lidl in Bulgarien ist, ich erwähnte das schon mal, viel viel besser als in Deutschland. Um einiges sauberer und auch ordentlicher. Um ehrlich zu sein, ist es auch die Sauberkeit, die mich in diese Läden von deutschen Ketten wie Praktiker, Lidl, DM und sogar Kaufland treibt. Die Welt ist hier wirklich noch in Ordnung, oder scheint es zumindest zu sein, im Gegensatz zum Rest des kleinen und vor allem ärmsten Landes sehr am Rand. Immerhin gab es bei Lidl Irische Butter für 3,99 Lewa (2 Euro) im Angebot. Und ich hatte neulich noch behauptet, es gäbe keine Irische Butter in Bulgarien. Auch wenn nur von der Lidl-Hausmarke Milbona, so doch immerhin deutsche Butter aus Irland. Obgleich der Preis dafür OK war, habe ich kein Stück gekauft. Ich habe zu Hause noch ein kleines Stück deutsche Butter von 125 Gramm, das ich bei mir um die Ecke für 2,99 Lewa (1,50 Euro) gekauft hatte. Die muss erst mal weg. Bei Lidl kam ich auch ohne Grünen Pass rein, obwohl dort regelmäßig viel mehr Leute unterwegs sind als bei Praktiker, und so auch diesmal. Komischerweise ist bisher noch niemand auf die Idee gekommen, einen Supermarkt als Ansteckungs-Hot-Spot zu identifizieren. Aber vielleicht ist es dafür noch nicht zu spät, denn Bill Gates droht aktuell auf seinen „GatesNotes“ mit „My new pandemic book is coming soon“. In Bulgarien ist Bill Gates zwar bekannt, aber vor allem wegen seiner Computer-Viren. Die allermeisten haben hier nur Mitleid mit ihm. Viele fragen sich, wie sehr er gelitten haben muss, um es nötig zu haben, jetzt so den Hans-Wurst zu spielen. Was ich sagen will: Bulgarien ist kein Markt für das neue Buch von Bill. In Deutschland wird es vermutlich bei Kaufland, Lidl oder DM verkauft werden, oder?

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Bericht aus Bulgarien (45)

Russische Tankstelle mit Aussicht auf die Berge des Balkans

In der nächstgrößeren Stadt, sie liegt immerhin gut 30 Kilometer von meinem Dorf entfernt, gibt es nicht nur Praktiker, sondern auch so einige Tankstellen. In meinem Dorf gibt es, das dürfte klar sein, keine. Die nächste Tankstelle ist von mir sechs Kilometer entfernt – immerhin. Sie kann aber nicht die Preise der Tankstellen in der Stadt anbieten, auch das dürfte klar sein. Neuerdings tanke ich dort immer beim Russen. Anfangs wollte ich einfach mal was Neues ausprobieren. Mittlerweile gefällt es mir beim Russen ausgesprochen gut, auch weil er auf dem Weg liegt und gute Preise hat. Ich will jetzt aber nicht anfangen wie früher meine Fahrgäste, die kaum waren sie aus dem Urlaub zurück in Berlin, die Benzinpreise mit mir diskutieren wollten. Denn es ist vor allem die Aussicht auf die Berge, die mich beim Russen Halt machen lässt. Übrigens habe ich meine Hütte vor jetzt gut 20 Jahren auch nur wegen der Aussicht gekauft. Genau war es so, dass ich mich, als ich zum ersten Mal den Boden betrag, der jetzt mir gehört, wie in einer anderen Welt, einer Märchenwelt gefühlt habe. Damals haben mich alle für verrückt erklärt, dass ich so eine blöde und vor allem billige Bude gekauft habe. Das hatte sich schon vor Corona geändert gehabt. Jetzt wollen praktisch alle raus aus der Stadt oder gar raus aus ihrem Land. Den Blick aufs Gebirge gibt es in Bulgarien immer noch, und sogar umsonst, selbst von vielen Tankstellen aus. Nicht nur die Tankstellen vom Russen haben schöne Ausblicke. Mit billigen Buden sieht es dagegen nicht mehr so gut aus. Die meisten, ich erwähnte das bereits mehrfach, verfallen oder sind bereits in sich zusammen gefallen, oftmals weil sie viele Eigentümer haben, die sich nicht einigen können, was mit ihr geschehen soll. Deswegen kann man sie auch nicht kaufen, nicht einmal der Russe.

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Bericht aus Bulgarien (44)

Unterwegs in Bulgarien – On the Road in Bulgaria
Im Hintergrund die schneebedeckten Berge des Balkangebirges

Gestern war ich in der nächstgrößeren Stadt, die gut 30 Kilometer von meinem Dorf entfernt ist, weil ich etwas von Praktiker brauchte. Obwohl ich es mag herumzufahren, unterwegs zu sein, und es mir auch ein wenig fehlt, alleine der Ausblicke wegen, versuche ich es auf ein Minimum zu reduzieren, weil auch gerade wieder der Sprit teurer geworden ist. In dem Fall war es aber notwendig, weil es das, was ich suchte, nur bei Praktiker gibt. Da ich wusste, dass man für Praktiker offiziell einen Grünen Pass braucht, war ich auch auf diesen Fall vorbereitet. Ich wusste genau, was ich wollte, und man hätte es mir auch herausbringen können, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob sie hier in Bulgarien diesen Service überhaupt anbieten. Ich denke eher nicht. Eher lassen sie die Leute rein und selber ihren Kram suchen, auch wenn sie das offiziell nicht dürfen. Genau das wollte ich herausfinden, also bei Praktiker reinzukommen, auch ohne Grünen Pass, als sozialkritisches Experiment sozusagen. Ich dachte mir, dass ein Einkaufswagen meine Chancen dabei erhöhen könnten. Ich nahm dem größten, setzte mir ordentlich Maske und Brille auf und versuchte den Wachmann zu ignorieren. Am Ende nickten wir uns beide kurz zu, ich ihn dabei nur aus den Augenwinkeln ansehend und im Vorbeigehen. Nach fünf Minuten war ich mit dem Gesuchten wieder draußen. Man soll sein Glück nicht herausfordern. Immerhin steht am Eingang geschrieben, dass man einen Grünen Pass braucht. Es ist also immer noch so, wie es bereits letztes Jahr war: NEIN bedeutet auch hier wie traditionell in Bulgarien JA. Falls sich daran irgendetwas ändern sollte, wovon ich nicht ausgehe, gehen wohl bald auch die Bulgaren auf die Straße. Das ist im Moment mein Gefühl. Und auch, dass die Regierung, die in der Bevölkerung keine Mehrheit hinter sich weiß, eher den Grünen Pass rückgängig macht als die Kontrollen zu verschärfen. Auch dieser Fakt sei noch einmal erwähnt: Bei der letzten Wahl Ende letzten Jahres gab es in Bulgarien 60 Prozent Nichtwähler. Es ist also eher an der Zeit, das gesamte System in Frage zu stellen, als fragwürdige Vorschriften durchzusetzen. Das weiß sicher auch die Regierungspartei „Wir setzen den Wandel fort“ – ihre beiden Leader haben schließlich in Harvard studiert.

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Bericht aus Bulgarien (43)

 
„ne glasuvam“ – „Ich wähle nicht“
Symbol der Nichtwähler – immerhin 60 Prozent

In Bulgarien glaubt niemand an die Corona-Geschichte, ich zumindest kenne keinen, der die Geschichte so glaubt, wie sie bei uns geglaubt wird. Mag sein, dass es in Sofia den einen oder anderen Bulgaren gibt und vermutlich auch im Ausland, wo sie gut beraten sind daran zu glauben, insbesondere in Deutschland. Hier auf meinem Dorf sagen sie unisono: „Ach, was die uns da erzählen. Wer soll denn das wieder glauben?“, und zwar instinktiv. Auch mein Bürgermeister, der die neue Regierung in Sofia und insbesondere deren Corona-Politik erst gar nicht ignoriert.

Gestern nun las ich einen sehr interessanten Artikel von Stefan Korinth mit dem Titel „Menschen kontrollieren“ auf Multipolar diesen Satz von Raymond Unger, der in der Heimat gerade sein „Impfbuch“ vorstellt: „Wer glaubt, den Wandel einer freien Gesellschaft zur Totalität aussitzen zu können und dabei sein kleines privates Glück zu bewahren, wird in Kürze in einer bargeldlosen, digitalen Impf- und Klimaschutz-Kontrollwelt aufwachen, die in alle privaten Bereiche vorgedrungen ist.“

Ich komme darauf, weil heute wieder Montag ist und in Deutschland seit einiger Zeit die Tradition der DDR-Montagsdemonstrationen fortgeführt wird, die heute Spaziergänge heißen. Auch sie sind verboten, so wie früher die Montagsdemonstrationen verboten waren. Offiziell weil die Menschen dort keine Masken tragen, obwohl die Ansteckung im Freien praktisch gegen Null geht, und darüber hinaus andernorts die Erkrankung bereits als Grippe eingestuft wurde. Trotzdem glaubt eine Mehrheit in Deutschland immer noch diese offizielle Begründung, hinterfragt sie nicht mehr, und bleibt deswegen lieber zu Hause in ihrem „kleinen privaten Glück“. Angeblich auch weil man müde ist in der Heimat, wie ich gestern in einem Gespräch am Telefon gesagt bekam.

Ich denke nicht, dass die Menschen in der Heimat müde sind, zumindest nicht müder als die Menschen in Bulgarien. Wenn, dann eher satt und betäubt. Vor allem weiß ich aber, dass es sich dabei um ein Phänomen handelt, das es bereits in der DDR gab. Orwell, obwohl er die DDR nicht kannte, offensichtlich gab es das Phänomen schon vorher, nennt es „schützende Dummheit“. „Schützende Dummheit“ ist für Orwell die Fähigkeit, geradezu instinktiv auf der Schwelle eines jeden riskanten Gedankens haltzumachen. Es schließt weiterhin die Gabe ein, einfachste Analogien nicht mehr zu begreifen, logische Fehler einfach zu übersehen und die simpelsten Argumente misszuverstehen und darüber hinaus von jedem Gedankengang, der in eine ketzerische Richtung führen könnte, gelangweilt und abgestoßen zu werden.

Diese „schützende Dummheit“ ist der Grund, warum man heute in der Heimat wieder auf die Straße gehen sollte. Ich würde es zumindest tun, denn gegen die „schützende Dummheit“ ist kein anderes Kraut gewachsen, und man kann sie auch nicht einfach aussitzen. Hier hat Raymond Unger Recht. Obwohl, manchmal überlege ich, ob es in Bulgarien nicht vielleicht doch möglich ist. Immerhin haben die Bulgaren auch die Türken „ausgesessen“. Gut, das hat 500 Jahre gedauert damals, und Deutsche, die nach Bulgarien kommen, haben heute noch mit den Folgen zu kämpfen, denn sie tun sich schwer zu verstehen, dass Ja Nein und Nein Ja bedeutet, womit die Bulgaren damals die Türken verwirrt und am Ende erfolgreich „ausgesessen“ haben sollen, so die Legende.

Das funktioniert aber nur, wenn klar ist, dass Ja Nein, Nein Ja, Schwarz Weiß und Weiß Schwarz ist. Also wenn klar ist, dass das Gegenteil von dem stimmt, was einem erzählt wird. Dabei geht es nicht nur darum, sich diese simple Umdrehung zu merken und anwenden zu können. So einfach ist es nicht, und es würde auch keine 500 Jahre funktionieren. Man muss instinktiv wissen, dass das, was einem erzählt wird, nicht stimmt, nicht stimmen kann. Das ist keine Frage von Klugheit, wie manch einer denken mag, sondern des Instinkts, wegen mir auch des gesunden Menschenverstandes, und der wurde den Menschen in Deutschland weitgehend abtrainiert, weswegen sie dort alles glauben müssen, was ihnen erzählt wird, wobei ihnen die „schützende Dummheit“ hilft. Und gegen die sollte man, wie gesagt, auch heute wieder auf die Straße, auch weil man in Deutschland nichts aussitzen kann wie in Bulgarien.

PS: Auch in Bulgarien ist heute „Valentinstag“, wozu der Bulgare „Ja, Ja“ sagt, was aber „Nein, Nein“ meint. Denn für den Bulgaren ist heute an erster Stelle „Trifon-Saresan“ – der Tag des Weines und des Trinkens allgemein. Die Bulgaren werden heute also auf jeden Fall auf der Straße sein. Landesweit finden Weinverkostungen statt und im Nachbarstädtchen beispielsweise wird der beste Wein mit immerhin 200 Lewa (100 Euro) prämiert. Vor allem wird heute aber noch mehr als sonst schon getrunken. Diese Zeilen sind aber vollkommen nüchtern verfasst, was nicht nur daran liegt, dass es noch früh am Morgen ist. Als trockener Alkoholiker werde ich selbst am „Tag des Trinkens“ die Finger vom Teufel Alkohol lassen. Auch in Sachen Alkohol trinken lässt mich der trinkfreudige Bulgare so sein, wie ich bin – meistens zumindest.

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