I do not speak english but I have english books

Genauso wie der vietnamesische Schneider bei mir im Kietz, spreche ich auch kein englisch. Im Gegensatz zu ihm verstehe ich aber englisch, was ich halt verstehen will, und verkaufe auch an English-Speaker, und zwar Bücher. Heute habe ich eine ganze Kiste (von vier) voll von Büchern auf englisch dabei. Alleine deswegen lohnt es sich auf den Flohmarkt Boxhagener Platz (“Boxi”) vorbeizukommen. Das wichtigste habe ich fast schon wieder vergessen: No PayPal – Only Cash!

“Was seid ihr nur für Menschen?”

Am Kottbusser Tor – früher Kreuzberg, heute Friedrichshain-Kreuzberg

Die Stimmung ist aggressiv aufgeladen in der deutschen Hauptstadt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich die Menschen an die Gurgel gehen, so denke ich. “People are crazy and times are strange” aus den Neunzigern klingt dagegen noch harmlos. Die Berliner Zeitung spricht von einer: “Fahrt durch die Hölle”. Auch ich fahre viel mit den Öffentlichen – auch mit der U7. Und ich kann alles bestätigen, was die Autorin in der Berliner Zeitung schreibt. Interessant die Schreie des Mannes in der U-Bahn, die die junge Frau in die Flucht schlugen: „Ich hab Hunger, so ’ne Scheiße, hat hier niemand was zu essen oder Geld, ich hab keine Stimme mehr. Was seid ihr nur für Menschen?

People are crazy and times are strange – I used to care, but things have changed

“Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles.”

Aktuelle Werbung in Berlin – Keine Ahnung, wofür. (Ich verstehe die Zeichen der Zeit nicht mehr.)

Erst legt der Wladimir, Verzeihung Wolodymyr Oleksandrowytsch, Berlin lahm, und jetzt der Joe, Verzeihung Joseph Robinette. Glaubt man der Berliner, will der Joe mit dem Wladimir nichts mehr zu tun haben, dieser ihm möglicherweise mittlerweile zur Last fällt. Sollte das stimmen, könnte das mit dem so genannten “Siegesplan” von dem Wladimir zu tun haben. Normalerweise ist so genannt vor “Siegesplan” in Anführungszeichen doppelt gemoppelt. Ich schreibe es trotzdem, weil heute sogar das öffentlich/rechtliche InfoRadio vom so genannten “Siegesplan” von Wladimir gesprochen hat. Ich kann zu Wladimirs so genanntem “Siegesplan” so viel sagen, dass mir immer, wenn einer vom Siegen spricht, Rilke einfällt: “Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles.”

Neulich in Neukölln

Neulich, genau war es am Montag, war ich in einer Kneipe in Neukölln. In der Kneipe, genau war es der Keller, war ich, weil es dort Montags immer ein Jazz-Konzert gibt. Nach dem Konzert, das unerwartet gut war, musste ich auf Toilette. Die Herren-Toilette heißt in Neukölln nicht mehr Herren-Toilette, sondern “Toilette mit Pissoirs”, also mit Pissbecken. Vor einem solchen stehend wollte ich mich gerade fragen, ob Frauen auch auf Pissoirs gehen und wie. Dazu kam es nicht, weil es direkt vor mir eine rote Wand gab. Meine nächste Frage war, ob die rote Farbe evtl. von einer Monatsblutung stammt. Auch diese Frage konnte nur an- und nicht zu Ende gedacht werden. Denn auf der roten Wand stand etwas in silbernen Lettern auf englisch. Bis heute frage ich mich, was es bedeuten soll, was der Sprayer (die Spayerin?) mir sagen will. Und so geht es mir immer öfter. Ich verstehe die Zeichen der Zeit einfach nicht mehr. Auch die im Vorraum der Toilette mit Pissoirs nicht. Obwohl es dieselben Zeichen sind, nur diesmal schwarz auf ehemals weißen Kacheln. Aber das allerschlimmste ist, dass ich gar nicht mehr zum Nachdenken komme – nicht mal auf Toilette. Das soll wiederum gut sein, habe ich mir sagen lassen, denn das soll voll im Zeitgeist liegen. Bloß nichts mehr hinterfragen. Sondern alles immer brav mitmachen, am besten in der ersten Reihe.

UMSONST & RICHTIG BIO

Bei mir um die Ecke

Umsonst und nicht nur RICHTIG GÜNSTIG ist es auf der Straße. Genau ist es der Bürgersteig, so viel Zeit muss sein, und unter der Brücke, also trocken. Nicht zu vergessen die ständige frische Luft, die zugegeben durch die direkt neben dem Bürgersteig liegende Straße, und zwar von den zahlreich auf ihr fahrenden Fahrzeugen, nicht unbedingt verbessert wird. Aber trotzdem eben RICHTIG BIO, zumindest in Berlin, weil hier gibt es ja keine andere Luft, und draußen ist doch Bio, oder nicht?

“Wiedervereinigung nur so”

Aktuelles Graffiti in Berlin-Neukölln

“Wiedervereinigung nur so” war eines der ersten Wende-Graffiti – auch in Berlin. Das Dresdner “Neustadt-Geflüster” schreibt, dass es dem Betrachter überlassen blieb, ob der Spruch ein Wunsch war oder die Aussage der Realität vorauseilte. Für mich war es kein Wunsch, sondern ganz klar die Realität: der Ossi wurde gef…t. Die Situation heute ist zwar ähnlich, man ist aber weiter. Davon lebt ja der Kapitalismus: von Weiterentwicklungen. Auch Wahrheiten müssen sich ständig weiter entwickeln, will man täglich neue verkaufen. Meine weiter entwickelte Wahrheit (ganz genau sind es meine aktuellen Beobachtungen in Berlin) sieht so aus, dass die meisten hier so gef…t, also so am Arsch sind (ganz wichtig: nicht gelangweilt!!!), dass sie nur noch eines wollen: weiter gef…t.

Das Allerschlimmste, was einem passieren kann

Obwohl ich nur unregelmäßig Bücher auf dem Flohmarkt verkaufe, habe ich dort Stammkunden. Genau ist es ein Stammkunde – genauso wie beim Taxifahren. Gestern begann dieser das Gespräch damit, dass er behauptete, Jan Böhmermann wäre Journalist. Dem widersprach ich, worüber ich mich sogleich ärgerte. Ich ärgerte mich darüber, dass ich nicht einfach nur zugehört habe, was mir mein einziger Stammkunde sagen wollte. Erst einmal sagte er nichts, sondern sah sich meine Bücher an. So gesehen war mein Widerspruch richtig gewesen. Denn darum geht es mir ja, um meine Bücher und deren Verkauf. Noch bevor er das passende Buch gefunden hatte, kam mein Stammkunde plötzlich und unerwartet auf die RKI-Protokolle zu sprechen, und dass man uns wohl mit Corona und der Impfung ganz schön verarscht hätte. Jetzt sagte ich gar nichts, oder fast gar nichts. Meinem Mund entfuhr so etwas wie: “hehem”. Mein Mund blieb dabei geschlossen. Das ist glaube ich ganz wichtig, dass der Mund geschlossen ist. So war mein “hehem” nichts mehr als eine zur Kenntnisnahme. Ich habe gehört, was mein Stammkunde sagte. Das muss man machen. Sonst verliert der andere den Mut, weiter auszuführen. Als nächstes zeigte er mir sein Smartphone (Foto oben). Auch dazu sagte ich nur “hehem”. Was sollte ich auch sagen? Mein Stammkunde wollte natürlich was positiv Unterstützendes hören, aber den Gefallen tat ich ihm nicht. Damit wollte ich ihn aber nicht ärgern, sondern im Gegenteil unterstützen. Denn nur worauf man selber kommt, hat wirklich Bedeutung für einen selbst. Das ist eine Erkenntnis der letzten Jahre. Die andere ist, dass leider nur sehr wenige Menschen neue Erkenntnisse haben, haben wollen. Jetzt verstand ich auch den Gesprächseinstieg mit Jan Böhmermann. Das war nur ein Test, um zu wissen, wo der andere steht. Das ist heute viel schwieriger als früher. Auch weil viele Menschen gar nicht mehr wissen, wo sie stehen, was sie heute wieder glauben sollen. Jedenfalls scheine ich den Test bestanden zu haben, sonst hätte mein Stammkunde nicht die RKI-Protokolle angesprochen. Aber vielleicht war das auch nur ein Test. Viele kennen die RKI-Protokolle nämlich gar nicht. Es kann sogar sein, dass mein Stammkunde ein Spitzel ist. Das sagt mir meine DDR-Vergangenheit. Aber die ist hier definitiv fehl am Platz. Mein Stammkunde ist natürlich kein Spitzel, das möchte ich hier in aller Klarheit aussprechen. Mein Stammkunde ist nur einer von den “viel zu vielen”, wie Nietzsche sie nannte, die einfach nicht mehr wissen, was sie glauben sollen. Ein Mensch ohne Glauben ist aber verloren. Und das ist das Allerschlimmste, was einem passieren kann. Das sage ich auch aus eigener Erfahrung.

Die Straße, meine Universität

Werbung des Berliner Senats in der Berliner U-Bahn

Seit ich vor zehn Tagen in Berlin angekommen bin, bin ich viel mit den Öffentlichen unterwegs. Die Situation dort hat sich seitdem ich das letzte Mal hier war noch einmal verschlimmert. Habe ich in meinem Beitrag “Schnauze voll von Berliner Schnauze” noch von heruntergekommen geschrieben, muss man es heute Verslummung nennen. Angesichts dessen nehme ich mit Überraschung zur Kenntnis, dass laut dem Berliner Senat die vier Berliner Universitäten zu den besten des Landen gehören sollen. Wer’s glaubt, wird selig. Und überhaupt: Eigenlob stinkt. Meine Überraschung wird nochmal größer, als ich realisiere, dass sich der Berliner Senat bei mir bedient hat. Ungefragt, versteht sich. Denn Die Straße ist meine Universität ist von mir, ist mein Spruch. Je länger ich darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass es dem Berliner Senat gar nicht um die Berliner Universitäten geht, und auch nicht um die Straße als Universität. Dem Berliner Senat, davon bin ich nun überzeugt, geht es an erster Stelle darum, dem Berliner die Straße schmackhaft zu machen. Nicht nur denen, die bereits auf ihr leben oder bald auf ihr leben werden. Sondern auch allen anderen, damit diese besser mit den täglich mehr werdenden Bewohnern der Straße klar kommen. Denn so schlimm kann das Leben auf der Berliner Straße nicht sein, wenn sogar der Senat meint, dass die Straße eine Universität ist und darüber hinaus zu den besten des Landes gehört. Wer möchte da noch zu Hause und nicht auf der Straße leben?