Bericht aus Bulgarien (104)

Auf dem Protest am Mittwoch, den 6. April, in Sofia wurde kein Alkohol getrunken so wie neulich noch auf dem für den Frieden in der Ukraine, wo praktisch jeder zweite ein alkoholisches Getränk in der Hand hielt. Auf dem Protest für die Neutralität Bulgariens im Ukraine-Krieg am Mittwoch in der bulgarischen Hauptstadt Sofia bei schönstem Sonnenschein und Temperaturen um die 20 Grad hatten einige von den männlichen und weiblichen Demonstranten und Protestanten eine Flasche Wasser dabei. Das war’s. Protest und Alkohol passen meiner Meinung nach nicht zusammen. Ich zumindest kann einen Protest, auf dem Alkohol getrunken wird, nicht (mehr) ernst nehmen. Einfach weil es keine Ästhetik hat, sich voll laufen lassen ist immer unästhetisch, und auf die Ästhetik kommt es bekanntlich an beim Widerstand. Besonders bei den Bildern.

Was mussten meine Augen für schlimme Bilder von Protestierenden in der Heimat sehen. Hysterisch kreischende Frauen auf dem Berliner Rosa-Luxemburg-Platz. Warum damals keiner und auch keine der zahlreichen Feministen und Feministinnen in unserem Land aufgestanden ist dagegen, das ist mir bis heute ein Rätsel. Auch was der taz-Tagesspiegel-Fotograf sich dabei gedacht hat. Vermutlich nichts. Sie taten mir weh, seine Bilder. Ganz ohne Text, der von einem so genannten Journalisten im Home-Office geschrieben war. Der tat auch weh, aber nicht so sehr wie die Bilder. Alleine, wenn ich daran zurück denke, wird mir schlecht, bekomme ich körperliche Schmerzen. Meine Bilder sind Widergutmachung, aber auch Notwehr. Deswegen sind sie gut – manche zumindest. Denn sie zeigen nicht nur „Die Ästhetik des Widerstands“, sondern auch den Sex, das Geschlecht, in dem Fall das weibliche, des Widerstands – dem „Ursprung der Welt“.

 Fotos&Text TaxiBerlin

Berlin aus Bulgarien (103)

Pünktlich um 12 Uhr ist unsere Fahrgemeinschaft aus Montana in der bulgarischen Hauptstadt Sofia eingeritten. Dass wir trotz Karutza, so heißt der klassische Pferdewagen auf den bulgarischen Dörfern, mit dem heute fast nur noch Zigeuner im Land unterwegs sind, pünktlich waren, lag an unserem Fahrer. Der hatte nicht nur einen Bleifuß, sondern auch ein Radar-Warngerät, damit wir keinen Ärger mit der Polizei bekommen. Die hat sich wieder um die Busse gekümmert, die aus allen Teilen des Landes zum Protest nach Sofia fuhren. Die Organisatorin aus Montana wurde einen Tag zuvor von den  lokalen Sherriffs angerufen, weil diese wissen wollten, von wo genau der Bus losfährt, woraufhin sie den Sherriffs antworte, dass die Leute allesamt mit ihren Privatfahrzeugen in die Hauptstadt kommen. Für uns hat das zumindest gestimmt. Am Ende waren es fast 50 Busse aus allen Teilen des Landes, die es nach Sofia geschafft haben. Für die Neutralität Bulgariens sind dort gestern 6.000 Menschen auf die Straße gegangen, womit der gestrige Protest bei schönstem Sonnenschein auch der bisher größte war. Maskenträger gab es keine, weder bei der Polizei, noch bei den Protestieren, und Abstände spielten auch wieder keine Rolle. Der Protest verlief absolut friedlich, niemand wurde verhaftet und keiner verletzt. Immerhin gab es diesmal einen Wasserwerfer, der aber nicht zum Einsatz kann, sondern in einer Seitenstraße der bulgarischen Hauptstadt Sofia gut bewacht von den Ordnungshütern friedlich vor sich hin rostete.

PS: Ich werde heute, wo im Irrenhaus Berlin, wenn ich richtig informiert bin, über die Impfpflicht für über 50-jährige entschieden wird, in den Schluchten des Balkans einen Baum pflanzen. Aber keinen Apfelbaum – den habe ich schon, sondern eine Esskastanie.
Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (102)

Heute ist der Nationale Protest für die Neutralität Bulgariens. Um über ihn berichten zu können, werde mit einer Fahrgemeinschaft in die bulgarische Hauptstadt Sofia gelangen. Zu der Forderung nach Neutralität passt dieser Artikel über „Die militärische Lage in der Ukraine“ von Jacques Baud, auf den mich gestern ein Freund in der Heimat aufmerksam gemacht. Jacques Baud ist Schweizer, über deren Neutralität ich dieser Stelle geschrieben habe. Jacques Baud, der auch ehemaliger Militär und Geheimdienstler ist, leitet seinen Artikel mit der Feststellung ein, dass es ihm nicht darum geht, den Krieg zu rechtfertigen, sondern zu verstehen, was zu ihm geführt hat. Praktisch das, was ich Jahrelang in meinem Taxi praktiziert habe, in dem man zwar nicht telefonieren, dafür aber alles sagen durfte – sogar die Wahrheit. Für mich war immer wichtig zu erfahren, warum tickt jemand so, wie er eben tickt.
Es gibt drei Dinge, die für mich besonders wichtig sind in dem insgesamt absolut lesenswerten Artikel von Jacques Baud. Der Schweizer erwähnt die Abschaffung des Kivalov-Kolesnichenko-Gesetzes von 2012, das Russisch zur Amtssprache machte, am 23. Februar 2014, und meint dazu: „Das ist in etwa so, als ob die Putschisten beschlossen hätten, dass Französisch und Italienisch in der Schweiz keine Amtssprachen mehr sein sollten.“ Ein interessanter Vergleich, wie ich finde.
Dann erwähnt Jacques Baud, dass der amerikanische Präsident Biden bereits am 17. Februar ankündigte, dass Russland in den nächsten Tagen die Ukraine angreifen werde. „Wie konnte er das wissen?“ – Eine interessante Frage. Des Rätsels Lösung könnte sein, dass seit dem 16. Februar der Artilleriebeschuss der Bevölkerung im Donbass dramatisch zugenommen hatte. Dies sollen auch die täglichen Berichte der OSZE-Beobachter bestätigt haben. Nur, warum reagierten dann weder die westlichen Medien, noch die Europäische Union, die NATO oder westliche Regierung darauf?
Diesen Punkt halte ich besonders wichtig, weil er mich an Afghanistan erinnert. Dort habe man die Sowjetunion in eine Falle gelockt, wie US-amerikanische Geheimdienstler später freimütig zugaben. Hat der Westen nun den Russen in eine ähnliche Falle gelockt? In diesem Zusammenhang erwähnt der Autor den 24. März 2021, an dem der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskij ein Dekret zur Rückeroberung der Krim erlassen haben und daraufhin seine Streitkräfte in den Süden des Landes verlegt haben soll. Ich hatte zuvor noch nie von einem solchen Dekret gehört.
Jacques Baud erwähnt am Ende noch das Entbindungskrankenhaus in Mariupol, das von der rechte Asow-Miliz eingenommen wurde, die die Menschen vertrieben und einen Schießstand in dem Krankenhaus eingerichtet haben soll. Mich hat das, genauso wie den Autor, sogleich an den ersten Golfkrieg erinnert. Auch ich frage mich, ob da gerade das Szenario von der Entbindungsstation in Kuwait-City nachgespielt wird. Inszeniert hat es damals die Firma „Hill & Knowlton“ für 10,7 Millionen Dollar, um den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen davon zu überzeugen, im Rahmen der Operation Desert Shield/Storm im Irak zu intervenieren.
So viel Geld ist mit Ukraine-Flaggen und KGB-Shirts nicht zu machen, schon gar nicht in Bulgarien. Mit ihnen dürfte nur ein Trinkgeld zu verdienen sein. Ein Grund möglicherweise, dass sie (noch) so friedlich nebeneinander am Souvenirgeschäft direkt neben dem Sheraton-Hotel, dem ehemaligen Hotel „Balkan“ und erstem Haus am Platz in Sofia zu finden sind. Wieder einmal ist alles anders in Bulgarien.
PS: Ich bitte alle Faktenchecker unter meinen Lesern, die Angaben von Jacques Baud zu überprüfen, da ich gerade in der bulgarischen Hauptstadt und ohne Internet bin, um auf den Straßen Sofias den Nationalen Protest für die Neutralität Bulgariens zu beobachten. Vielen Dank im Voraus!
Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (101)

Das ist das Haus links von mir. Über das hinter mir hatte ich hier geschrieben. Das Haus rechts von mir ist schon zusammen gefallen. Wenn nichts dazwischenkommt, wird das mit dem obigen Haus auch irgendwann passieren. Auf dem Dach fehlt bereits der ein oder andere Ziegel, einige Balken dürften bereits morsch sein, und das Mauerwerk hat auch schon einen Wasserschaden. Der Nachbar kann nichts dafür, dass sein Haus verkommt. Ihm fehlen einfach nur die Mittel, etwas dagegen zu tun. Er selbst lebt unten im Dorf. Ich versuche den Blick auf sein Haus zu vermeiden. Im Moment gelingt mir das ganz gut, denn davor blühen gerade die Osterglocken und rechts von ihm ein Baum. Der Baum trägt irgendwann Früchte, die Junk genannt werden, und die man nur zum Schnapsbrennen verwenden kann. Der Bulgare lässt nichts verkommen. Bei ihm gibt es kein Junk-Food, dafür Junk-Früchte. Auch hier ist mal wieder alles umgedreht. Genauso wie bei den Osterglocken. Die sind nicht etwa gepflanzt, sondern ganz wild gewachsen. So wie der Bulgare.
Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (100)

Über meinen Blick auf die Berge des Balkans habe ich schon oft geschrieben und auch Bilder veröffentlich. Demnächst wird nun dieses Haus auf der anderen Straßenseite, praktisch gegenüber, zusammenfallen, was ich zum Anlass nehme, darüber zu berichten. Rechts von mir das Haus ist schon vor vielen Jahren in sich zusammen zu fallen, und bei dem links fehlen immer mehr Ziegel auf dem Dach, so dass es nur eine Frage der Zeit ist, dass Wasser eindringt und das Holz morsch werden lässt. Auch wenn es in Bulgarien viele Häuser gibt, die in sich zusammenfallen oder auch schon in sich zusammenfallen sind, war ich erst bei einem dabei. Genau genommen war es ein Stall und kein Haus, von der Größe und von der Konstruktion her hätte es aber auch ein Haus gewesen sein können. Ich bin gerade zufällig an ihm vorbeigegangen, als er in sich zusammenfiel, der Stall. Es war also auch ein bisschen Glück dabei. Wenn Holz unter schwerer Last zerbricht, ergibt das einen besonderen Ton. Aufgenommen und aneinandergereiht könnte es die Erkennungsmelodie für Bulgarien ergeben. Ich will die Lage nicht in zu düsteren Farben malen, ganz im Gegenteil. Aber wenn man permanent von Tod und Verfall umgeben ist, dann macht das was mit einem, davon bin ich überzeugt. Man bekommt ein Gefühl dafür, dass nichts für die Ewigkeit gemacht ist und alles einmal ein Ende hat, wobei Gefühl nicht das richtige Wort. Es ist eher eine Gewissheit.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (99)

Geimpft gegen Krieg

Am kommenden Mittwoch gibt es um 12 Uhr in der bulgarischen Hauptstadt zwischen dem Parlament und dem Denkmal „Zar Befreier“ einen weiteren nationalen Protest, diesmal für die Neutralität Bulgariens und gegen die amtierende Regierung unter Kiril Petkow, die nicht nur keine Mehrheit im Land hat, sondern die sich darüber hinaus aktuell nicht sicher ist, ob sie sich nun durch die Nato in einen Krieg gegen Russland hineinziehen lassen soll oder nicht. Ich werde mittels Fahrgemeinschaft nach Sofia kommen, das habe ich heute geklärt, und ich freue mich schon darauf.

Aber was muss ich gerade wieder in der Süddeutschen über Bulgarien lesen: „Eine klare Haltung zum Krieg in der Ukraine fällt dem Land schwer.“ – In der Heimat muss man offenbar immer noch Haltung zeigen, so wie man dort immer noch Maske trägt, obwohl man es gar nicht mehr braucht. Die Folgsamkeit des Deutschen ist durchaus beeindruckend. Da auch in mir ein Deutscher steckt, komme ich manchmal durcheinander, denn in Bulgarien ist immer alles umgedreht. Also was ist jetzt eine klare Haltung? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Und ist Neutralität überhaupt eine Haltung? Immerhin ist die Schweiz neutral. Offensichtlich geht das. Aber ist Neutralität auch die richtige Haltung? Ich bin mir nicht sicher. Neutral zu sein soll auf jeden Fall Russenfreundlich sein in diesen Tagen, besonders wenn es blöde Bulgaren betrifft. Nur, dann müsste die Schweiz heute Russenfreundlich und im letzten großen Krieg sogar Nazifreundlich gewesen sein. Aber ist das wirklich so?

Sicher scheint mir zu sein, dass der Krieg in der Ukraine kein Bündnisfall ist, denn die Ukraine ist kein Nato-Mitglied. Militärische Neutralität ist in dem Fall nicht nur das Gebot der Stunde, sondern logische Konsequenz. Kriegstreiber gibt es nicht nur in Moskau, sondern auch in Washington. Völkerrechtswidrige Angriffskriege haben auch amerikanische Präsidenten und die Nato geführt. Die Bombardierung des Nachbarlandes Serbien in den Neunzigern war ein solcher Krieg. Die Chinesische Botschaft in Belgrad bekam dabei einen Treffer ab, es gab Menschenleben zu beklagen. Ich kann mich an diesen Krieg gut erinnern, denn man musste damals über Rumänien fahren. Noch Jahre später ist man als Deutscher besser nicht durch Serbien gefahren. Einmal habe ich es doch getan. Auf den Straßen Belgrads sah ich sie, ausgemergelte bettelnde Kriegsinvaliden auf ihren Krücken. Sie klopften auch an unsere Fenster. Das hat gereicht. Auch jetzt ist die serbische Grenze nicht weit. Keine zwanzig Kilometer.

Der Ukrainische Präsident versucht nun schon seit Wochen und mit allen Mitteln eine globale Drohkulisse, die Bedrohung Europas durch den Russen, womöglich der ganzen Welt durch Putin persönlich, aufzubauen. Das ist sein gutes Recht. Und jeder, der sich jetzt vom Russen bedroht fühlt, möge in den Krieg ziehen. Ich persönlich halte es mit in den Krieg ziehen, wie ich es mit der Impfung halte. Jeder, der gerne an der Nadel hängt, soll sich impfen lassen. Ich habe nichts dagegen. Im Gegenteil, ich bin für eine freie Impfentscheidung und alles andere als ein Impfgegner. Gegen Krieg beispielweise bin ich geimpft worden. In Serbien. Ansonsten bin ich clean und möchte es auch bleiben.

In den Krieg werde ich also nicht ziehen. Aber ich werde auch niemanden aufhalten in den Krieg zu ziehen. Das geht auch gar nicht. Ich empfehle aber jedem, der in den Krieg ziehen möchte, vorher die Lektüre von „Ich dachte, ich muss jetzt sterben“ in der Berliner. Der Artikel ist, so denke ich, eine gute Vorbereitung auf den Krieg. Und möglicherweise ist der Krieg auch schon in der Heimat angekommen.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (98)

Um kurz vor 18 Uhr habe ich gestern meinen Bürgermeister angerufen und ihn gefragt, wann ich mit Strom rechnen kann, woraufhin er „gleich“ gesagt hat. Kurz vor 19 Uhr hatte ich dann wieder Strom, ich war also keine 24 Stunden ohne Energieversorgung, was ich absolut in Ordnung finde. Die Verlässlichkeit meines bulgarischen Bürgermeisters gefällt mir gut, sie macht mir aber auch ein klein wenig Angst, denn sie ist so typisch Deutsch, was ich gar nicht mehr gewöhnt bin. Und dabei kann mein Bürgermeister die Deutschen nicht leiden. Verstehe mir einer den Bulgaren.

Sagte früher ein Bulgare „gleich“ zu einem, konnte man sicher sein, dass man nie wieder etwas von ihm hören oder gar sehen wird. Da hat sich einiges getan in Sachen Pünktlichkeit beim Bulgarien. Das kann man auf jeden Fall festhalten.

Gar nicht zu vergleichen mit dem Amerikaner, bei dem es nach einem lumpigen Sturm gleich mal einen ganzen Monat keinen Strom gibt. Gut, das war Ende letzten Jahres ein Schneesturm in Kalifornien. Das ist ein Unterschied. Aber der gestern in Bulgarien war auch nicht ohne. Bis zu 25 Meter in der Sekunde war der Sturm schnell hier. Das sind vier Sekunden für 100 Meter. Das wäre neuer Weltrekord, sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen, aber so schnell ist selbst der Bulgare nicht.

Später am Tag, ich hatte noch keinen Strom, störte der Anruf meines Berliner Bekannten meinen Mittagsschlaf. Seitdem er seinen Flug für nächsten Samstag nach Sofia gebucht hat, ist seine Depression wie weggeblasen. Heute hatte er allerdings einen Rückfall, da musste er in zwei Supermärkte in Berlin, wo er der einzige ohne Maske war. Obwohl das ab heute selbst in Deutschland wieder erlaubt ist, trägt der deutsche Michel weiterhin seine Gesichtswindel. Das hat ihn doch sehr mitgenommen, meinen Berliner Bekannten, was ich gut verstehen kann.

Ich war heute auch im Supermarkt, wo es nur einen Maskenträger gab. Also genau das umgedrehte Bild von Berlin. In Bulgarien ist wirklich vieles anders, und das meiste umgedreht. Vorher war ich an der OMV-Tanke, aber nicht wegen Sprit, sondern wegen Internet, das gibt es dort umsonst. Bei mir im Dorf gab’s keins wegen dem Stromausfall. Auf den Ösi ist, was das Internet angeht, verlass – im Gegensatz zur Impfpflicht. Auf dem Basar war heute auch eher tote Hose, vermutlich wegen dem Sturm. Immerhin keine Maskierten, nicht einen einzigen. Sind ja alle in Deutschland.

Nach meinem Mittagsschlaf, ich hatte immer noch keinen Strom, rief mich eine amerikanische Freundin aus Frankreich an, die eigentlich in Berlin lebt und neulich noch in Bulgarien war, weswegen sie alle drei Länder direkt vergleichen kann. Nirgendwo wäre die Angst größer als in Deutschland, sagt sie. Die German Angst, es gibt sie wirklich. (Auch als Buch, von Sabine Bode.)

Nachdem ich meinen Bürgermeister angerufen hatte und bevor der Strom wieder kam, bin ich in mein wildes Mineralbad im Wald gegangen. Am Vortag, nur wenige Stunden vor dem Sturm, habe ich die Kröte und den Salamander auf meinem Weg dorthin fotografiert. Beide waren wohl gerade dabei sich in Sicherheit zu bringen. Tiere spüren instinktiv, wenn ein Ungemach droht – im Gegensatz zum Menschen.

Bulgarien ist ein gutes Pflaster, nicht nur um Achtsamkeit zu lernen, sondern auch um seinen Instinkt wiederzubeleben. Keine Ahnung, ob das jetzt Instinkt oder einfach nur Gesundheitswahn oder gar Geiz ist, aber eine innere Stimme sagt mir, dass ich ab sofort jeden Tag ein Bad in meinem wilden Mineralbad im Wald nehmen und meinen Boiler auslassen soll. Das wenige Geschirr, das ich brauche, kann ich auch kalt abwaschen.

Mein Bekannter in Berlin, der mich über Ostern für eine Woche besuchen kommt, ist wegen seiner Bulgarien-Reise so guter Dinge, dass er versprochen hat „bedrucktes Papier“ fürs Benzin mitzubringen, worüber ich gar nicht fertig werde. Also über das „bedruckte Papier“. – Ist das neu in Deutschland? Sagt man das jetzt so? Oder ist das der Vorfreude meines depressiven Freundes geschuldet? Ist er vielleicht schon manisch? Also manisch-depressiv. Immerhin, würde ich dann sagen, denn eine Manie kommt selten allein. Eine Depression schon.

Nach meinem Mittagsschlaf und vor dem Mineralbad rief mich mein bester bulgarischer Freund aus Sofia an, dessen bester deutscher Freund ich bin, um mich über den Protest für die Neutralität Bulgariens zu informieren, von dem ich bereits wusste. Er hat gerade dieses äußerst interessante Interview mit der nicht nur gutaussehenden, sondern auch investigativen bulgarischen Journalistin Диляна Гайтанджиева gemacht. Glenn Greenwald, er hat die Snowden Sache gemacht, hatte auch schon darüber geschrieben. Die USA unterhalten, besser unterhielten, Bio-Labs in der Ukraine. Im Gegensatz zu Sadam Hussein im Irak. Der hatte nie welche gehabt, obwohl das der offizielle Kriegsgrund war und bis heute ist. Beim ersten Golfkrieg waren es noch Babys gewesen, die irakische Soldaten aus Inkubatoren genommen und auf die Erde geworfen haben sollen. Auch das eine ausgedachte Geschichte.
Kurz vorm Schlafengehen kam noch diese SMS von Facebook rein: „Use 416 378 to verify your Instagram account.“ – Vielleicht kann jemand etwas damit anfangen. Ich bin weder bei dem einen noch bei dem anderen Verein.
PS: Zwischen Basar und Mittagsschlaf habe ich „Vernichten“, den neuen Roman von Michel Houellebecq ausgelesen, eine Mischung aus Franzens „Korrekturen“ und Rosamunde Pilcher. Der beste Satz ist der letzte: „Ich bin glücklicherweise gerade zu einer positiven Erkenntnis gelangt; für mich ist es Zeit aufzuhören.“
PPS: 03:35 Uhr eine zweite Nachricht von Facebook, die ich erst jetzt lese, weil ich mein Handy Nachts ausschalte. Die Code lautet diesmal: 173 089 – interessant, oder?

Fotos&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (97)

Eigentlich wollte ich heute darüber schreiben, dass ich gestern anbaden war, genau genommen war es schon vorgestern. Aber nun muss ich berichten, dass ich seit gestern keinen Strom habe, weil es einen schweren Sturm gibt auf meinem Berg, und ich auch zumindest zeitweise nicht mehr raus kann, will ich nicht Gefahr laufen, einfach weggeblasen zu werden. Verwandte von mir in Amerika, genauer gesagt in Kalifornien, waren über Weihnachten und Neujahr bis in den Januar hinein für einen Monat ohne Strom. Ich hoffe nicht, dass es hier auch so lange dauert. Bulgarien ist schließlich ein zivilisiertes Land, und außerdem kenne ich den Bürgermeister. Anbei veröffentliche ich zwei Fotos. Das eine zeigt das Becken eines wilden Mineralbades bei mir im Wald, wo ich wie gesagt vorgestern anbaden war. Auf dem anderen sind meine Berge zu sehen, allerdings unscharf, weil ich wegen dem Sturm die Kamera nicht ruhig halten konnte. Der Akku meines Notebooks zeigt noch 7 Prozent, ich muss Schluss machen. Immerhin kalt duschen werde ich nicht müssen, obwohl mein Boiler auch Strom braucht. Ich muss es nur irgendwie in den Wald schaffen, das Mineralwasser im wilden Mineralbad ist warm.
PS: Kein Aprilscherz!
PPS: Erfahre gerade von meiner Kontaktperson in Montana, dass es nächsten Mittwoch den nächsten landesweiten Protest in der bulgarischen Hauptstadt Sofia geben wird, diesmal wieder gegen die amtierende Regierung unter Kiril Petkow, die im Land keine Mehrheit hinter sich weiß. Wie auch, bei 60 Prozent Nichtwähler.
Fotos&Text TaxiBerlin