Bericht aus Bulgarien (239) – “Das nächste große Ding nach Corona”

Er hätte es werden können

Ich war mir sicher, dass der Esel das nächste große Ding nach Corona werden wird. Deswegen bin ich nach Bulgarien gekommen. Um unglückseligen, durch Corona geschädigten Menschen Esel-Wanderungen anzubieten, und damit mein Leben hier in den Schluchten des Balkans bestreiten zu können. Nun ist anders gekommen, wie es im Leben immer anders kommt. Für einen Moment sah es so aus, als würde der Affe mit seinen Pocken das nächste große Ding nach Corona werden. Am Ende ist es der Russe mit seinem Putin geworden. Seitdem ich den Menschen kenne, liebe ich die Tiere, sagten wir früher immer. Dabei sind Tiere auch nur Menschen – und umgedreht. Immer mehr Menschen werden zu Tieren, wenn man sie in die Ecke drängt, ihnen ihr liebsten nimmt, beispielsweise ihr bisheriges, sicher geglaubtes Leben. Und da das alle Menschen betrifft, glaube ich nicht länger an den Bösewicht Putin, habe ich nie an ihn geglaubt. Baerbocks “Russland ruinieren” ist für mich genauso bescheuert wie Macrons “Krieg gegen Corona”. Solche Sätze sagen Kriegstreiber, und von ihnen gibt es immer mehr im Westen. Wie das mit seinen Werten vereinbar ist, bleibt sein Geheimnis. Bis zur Auflösung des Rätsels halte ich mich an den Esel, der für seine Gelassenheit und auch für seine Klugheit bekannt ist. Nicht ohne Grund ist der Esel Benjamin das klügste Tier in Orwells “Farm der Tiere”. Irgendwie bin ich auch froh, dass der Esel nicht das nächste große Ding nach Corona geworden ist. Damit hätte sich der Mensch übernommen, das hätte ihn, den Menschen, überfordert. Umgekehrt bin ich mir sicher, dass der Esel den Menschen als ein Wesen seinesgleichen betrachtet, das in höchst gefährlicher Weise den gesunden Tierverstand verloren hat, — als ein wahnwitziges Tier, als ein lachendes Tier, als ein weinendes Tier, als ein unglückseliges Tier.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (238) – “World Gone Wrong”

“Strange things have happened, like never before”, damit beginnt obiger Song “World Gone Wrong” von Bob Dylan aus dem Jahr 1993, der mir sofort einfiel, als ich von dem Attentat auf Salman Rushdie hörte, dem Autor der “Satanischen Verse”. Auf Deutsch ist das Buch von vielen Autoren und Persönlichkeiten herausgegeben, damit kein Einzelner in die Schusslinie gerät, in der Salman Rushdie viele Jahre stand, nachdem sein Roman “Die Satanischen Verse” im September 1988 erstmals erschienen war. Das Buch jetzt gerade hier in Bulgarien in der Hand haltend frage ich mich, ob sich heute noch so viele mutige Menschen finden würden, um etwas zu veröffentlichen, von dem jemand anders will, dass es nicht veröffentlicht wird. Getreu der Orwellschen Definition von Journalismus, an die sich heute in Deutschland kaum ein Journalist hält: “Journalism is printing what someone else does not want printed; everything else is public relations.” Ich bin mir also nicht sicher, dass sich heute genug Menschen finden würden, etwas vergleichbar “Gefährliches” zu veröffentlichen – ich denke eher nicht. Wo ich mir sicher bin, ist, dass das gestrige Attentat auf den Autor Salman Rushdie zuallererst ein Anschlag auf die Freiheit der Kunst war. Nicht umsonst hat sich der Attentäter eine Veranstaltung zum Thema künstlerische Freiheit für seinen Mordanschlag ausgesucht. Und dies ist nun meine Rote Linie. Wer die Freiheit der Kunst angreift, muss meinerseits mit Widerstand rechnen. Dabei ist es mir egal, woran dieser Mensch glaubt, ob an Allah, den lieben Gott, ans Impfen, ans Maskentragen oder auch nur an “The New Normal Reich”, wie der reisgekrönte US-amerikanische Dramatiker, Romanautor und politische Satiriker/Kommentator C. J. Hokins mit Sitz in Berlin es nennt. Hier halte ich mich an Bob Dylans obigem Song “World Gone Wrong”, in dem der Literaturnobelpreisträger seinem eingangs erwähntem “Strange things have happened, like never before” -> “I can’t be good no more, once like I did before, I can’t be good, because the world’s gone wrong” folgen lässt.
Video BobDylan
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (237) – “Vollmond Fieber”

Vollmond in den Schluchten des Balkans

Letzte Nacht war in Bulgarien Vollmond, und vermutlich auch in der Heimat. Manchmal bin ich mir da gar nicht mehr sicher, ob es so ein Land wie Deutschland noch gibt. Einerseits, weil bei meinem letzten Besuch dort der Wahnsinn zur Normalität geworden war. Andererseits, weil in Bulgarien immer anders herum ist. Hier schläft der Mond wenn er voll ist, obwohl es eigentlich ich war, der letzte Nacht wegen Vollmond nicht schlafen konnte. Ich hatte also eher das Vollmond Fieber, von dem Tom Petty sang, dessen gleichnamiges Album ich eine zeitlang oft und gerne im Taxi gehört habe. Bis heute geniale Musik zum Autofahren, nicht nur in Amerika, da natürlich ganz besonders, sondern auch in den Schluchten des Balkans, wo immer mehr Menschen im freien Fall sind. Noch mehr sind es nur noch in der Heimat. Dort ist die Halt- und Orientierungslosigkeit noch größer als in Bulgarien, auch weil die Infantilisierung der übergroßen Mehrheit ein Ausmaß erreicht hat, das man sich bis gestern nicht vorstellen konnte. Das Leben in Deutschland gleicht immer mehr einem Dauerkindergeburtstag, der nicht zu Ende gehen will, so wie in dem Song von Tom Petty. Völlig infantile Erwachsene sind dort gute Menschen, die Mutti, Jesus und ihr gerade den Bach runter gehendes Land lieben, und die vermutlich auch alles machen würden, was man ihnen sagt. Praktisch so wie gerade in Deutschland. Ich selbst bin übrigens der von Tom Petty besungene Bad Boy, der das alles überhaupt nicht mehr vermisst. – “And I’m free!”

PS: Es ist kein Zufall, dass “Free Fallin'” ausgerechnet 1989 aufgenommen wurde.

PPS: Kein Kindergeburtstag – Attentat auf auf den Autor der “Satanischen Verse” Salman Rushdie auf einer Veranstaltung zum Thema “künstlerische Freiheit”.

Video TomPetty
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (236) – “Tränen in den Augen”

Mein Freund, der Tierarzt Konstantin, hat mich eingeladen, ein paar Tage mit ihm in seinem Esel-Asyl in Süd-Bulgarien zu verbringen, und ich habe mich sogleich aufgemacht zu ihm, zusammen mit dem Trio Mandili aus meinem Dorf. Das war vor drei Tagen. Heute sind wir angekommen. Ist ein weiter Weg von meiner Ecke, der ärmsten Region im Nord-Westen des Landes, bis ins Tal der Esel an der Grenze zu Griechenland zwischen zwischen den Rhodopen und dem Pirin-Gebirge. Aber ich war ja nicht alleine. Immer wenn ich mich auf den Weg zu Konstantin mache, dessen Spitzname Kony ist, was Pferd auf bulgarisch heißt, habe ich die drei bezaubern Mädels aus obigem Video im Kopf, die zugegeben nicht aus meinem Dorf sondern aus Georgien sind. Noch mehr als die drei Grazien fasziniert mich nur noch das kleine Esel-Fohlen, das in dem Video zusammen mit seiner Mutter zu sehen ist. Die Berge im Hintergrund sind dagegen fast langweilig, die gibt es hier auch. Aber so ein kleines Esel-Fohlen, das treibt auch Kony, mit dem ich mir gerade zusammen das Video angesehen habe, Tränen in die Augen. Dazu muss man wissen, dass Bulgarien nicht nur ein von Gott und allen guten Geistern verlassenen Land ist, sondern auch von allen zeugungs- und gebärfähigen Eseln und Eselinnen.
Video TrioMandili
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (235) – “Gestern war es so weit”

Das ganze mal sieben – oder noch mehr

Gestern war es so weit, da konnte ich meine ersten beiden Tomaten ernten, nachdem ich bereits zuvor drei Gurken geerntet hatte. Ich musste gar nicht viel machen mit meiner Ernte, eigentlich hätte ich sie noch einmal waschen brauchen, weil es sich bei ihnen um “sauberes Zeugs” handelt, wozu der Bulgare einfach nur “чистo” (“tshisto”) sagt. Aber das Deutsche, dieser ständige Putz- und Waschzwang, steckt auch tief in mir drin, obwohl ich nur halber Deutscher bin. Immerhin die Angst vor Mikroorganismen hat sich gelegt in letzter Zeit. Die wollen ja auch nur überleben, die kleinen Kerlchen. Am Ende habe ich nur etwas Salz und Öl rangemacht. – Ich kann sagen, es war der Wahnsinn. Pilze sind ‘n Scheißdreck dagegen. Ich bin gestern den ganzen Tag wie auf ‘ner Wolke gegangen. Das ist keine Übertreibung. Ich habe gehört, dass man heute sieben Orangen essen muss, um auf den Gehalt einer Orange von früher zu kommen. Für Gurken und Tomaten kann ich das absolut bestätigen. – Und ich erlaube mir hinzuzufügen, dass man sich heute darüber hinaus mit sieben Menschen unterhalten muss, um auf den Gehalt von einem von früher zu kommen. In Deutschland dürfte diese Zahl in den letzten zweieinhalb Jahren noch weiter gestiegen sein es, das ist zumindest mein Eindruck.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (234) – “Von deutschen Barbaren und deutschen Gastarbeitern”

Trinken ohne zu essen – in Bulgarien undenkbar

Gestern habe ich meinem Nachbarn geholfen, was nicht ganz ungefährlich war. Ich musste mit der Leiter hoch steigen bis unters Dach und dort Verkleidungen anbringen. Mein Nachbar hat vor kurzem sein Dach neu machen lassen, aber ohne Verkleidungen. Das ist üblich bei bulgarischen Maistors, dass man ihnen nacharbeiten muss. Die richtigen bulgarischen Meister sind ja in Deutschland. Die hier verbliebenen Maistors werden auch “Basch-Maistors” genannt, was sowas wie “Fake-Maistors” bedeutet. Jedenfalls musste gestern der Gastarbeiter aus Deutschland ran. Eine neue Spezies, die in nächster Zukunft rasch zunehmen wird, wenn immer mehr Deutsche das Leben in der Heimat nicht mehr bezahlen können, wozu der Amerikaner “he can’t make a living” sagt. Keine große Geschichte für den deutschen Gastarbeiter, der bereits vor Ort ist, nur zehn Bretter mit jeweils zwei Schrauben anbringen, aber eben nicht ganz ungefährlich, weil in fünf Meter Höhe. Danach wollten wir kurz zusammensitzen und etwas trinken. Daraus wurde dann richtig Abendbrot essen mit Kartoffelbei zubereiten, Zwiebeln braten, Salat anrichten usw., – das volle Programm. Dass man sich nur hinsetzt und etwas trinkt, das geht beim Bulgaren nicht. Und obwohl ich schon so lange hier bin, vergesse ich das immer, bin ich also nicht nur deutscher Gastarbeiter, sondern steckt in mir auch ein deutscher Barbar. Denn nur etwas zu trinken ohne gleichzeitig etwas zu essen anzubieten, das gibt es nur beim geizigen Deutschen. Der Deutsche ist so geizig, der geizt sogar mit seinen Gefühlen. Beim Deutschen hätte es ein Bier gegeben, wenn überhaupt, und dann wär gut gewesen. Ein Unding beim Bulgaren, das ich dementsprechend auch noch nie erlebt habe hier. Nur etwas zu trinken und nichts dazu zu essen, ist beim Bulgaren völlig undenkbar, ist für ihn barbarisch.

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Bericht aus Bulgarien (233) – “Trotz krummen Gurken geradeaus denken”

Ich habe nicht nur Tomaten in meinem Garten, sondern auch Gurken, aber nur zwei. Tomatenpflanzen habe ich 20. Die ersten Tomaten werden wir diese Woche ernten können. Gurken waren dagegen schon drei reif. Die Gurken oben sind gekauft. Heute auf dem Markt in Varshets, wo das Café “Vegas” ist. Vier Gurken für zusammen 50 Stotinki (25 Cent). Zwei haben wir schon gegessen. Als Tarator. Das ist eine kalte Suppe mit Joghurt, Knoblauch, Dill, etwas Wasser, Salz, Pfeffer und eben Gurken, die man hier im Sommer gegen die Hitze isst. Tarator hat sozusagen Tradition in Bulgarien. Wer hat, tut Eiswürfel in die Suppe und streut geriebene Wallnüsse drüber. Dann ist es perfekt. Etwas Öl darf auch sein. Beim Bulgaren immer Sonnenblumenöl. Bei uns nur Olivenöl. Sonnenblumenöl kommt uns nicht ins Haus. Die Suppe war super, weil die Gurken super sind. Ist Ewigkeiten her, dass ich solche Gurken in der Heimat gesehen habe. Da müssen die Gurken immer gerade sein, obwohl das Gesetz gar nicht mehr gilt. Naja, mit dem geradeaus Denken hat es der Deutsche nicht. Ähnlich wird es wohl mit den Masken kommen. Manch einer wird sie wohl noch tragen, wenn er sich zur letzten Ruhe legt. (Gibt es eigentlich schon Deutsche, die mit Maske ins Bett gehen? Es interessiert mich persönlich! Für mein nächstes Buch.) Soll’n die Leute in der Heimat machen. Hauptsache sie lassen mich in Ruhe, so wie man mich in Bulgarien in Ruhe lässt.

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Bericht aus Bulgarien (232) – “Rosa Höhen Tomaten”

Die ersten von meinen Tomaten färben sich langsam aber sicher rot, genauer rosa, denn es sind Rosa Tomaten. Bulgarien ist bekannt für seine Rosa Tomaten. In Deutschland sind Rosa Tomaten praktisch unbekannt. In Berlin findet man sie mit etwas Glück in Filialen der russischen Supermarktkette “Rossia”. Eine von ihnen befindet sich an der Landsberger Allee stadtauswärts hinter der Storkower Straße. Dort findet man im Normalfall auch original bulgarischen Joghurt und Schafkäse.

Was in der Heimat sonst unter dem Label “original bulgarischer Joghurt und Schafkäse” verkauft wird, hat in aller Regel nichts damit zu tun. Die meisten Tomaten, die in Deutschland verkauft werden, kommen aus Holland und haben Null Geschmack. Auch in Bulgarien habe ich schon Tomaten aus Polen gesehen – so ist es nicht. Doch zurück zu meinen Tomaten, die, was das Reifen angeht, auf sich warten lassen. Da ich auf alles gehört habe, was mir meine Nachbarin Baba Bore, eine erfahrene Tomatenbäuerin, gesagt hat, kann es nicht an mir liegen.

Auch bin ich nicht ganz unerfahren als Tomatenbauer. Bereits im letzten Jahr habe ich Tomaten angebaut, darüber hinaus habe ich als Schüler mehrfach auf der Tomatenplantage in Vockerode an der Elbe gearbeitet. Das war, die Anlage gibt es jetzt glaube ich nicht mehr, genauso wie es das Kraftwerk Vockerode nicht mehr gibt, wenn man auf der Autobahn A9 zwischen Coswig und Dessau über die Elbe fährt. Aus Berlin kommend war es hinter der Elbe auf der linken Seite. Die Brücke ist deswegen bekannt, weil es dort diese große Leuchtreklame “Plaste&Elaste” aus Schkopau gab, die später im Deutschen Historischen Museum in Berlin hing. Zur Brücke hoch geht es leicht bergauf, so wie bei mir. Der Anstieg zu meiner Hütte ist aber etwas steiler. Das ist aber nicht der Grund, dass meine Tomaten später reifen. Es ist die Höhe, die bei gut 600 Metern liegt. Meine Tomaten sind also nicht einfach nur bulgarische Rosa Tomaten, sondern bulgarische Rosa Höhen Tomaten.

Fotos&Text TaxiBerlin