Letzte Nacht war in Bulgarien Vollmond, und vermutlich auch in der Heimat. Manchmal bin ich mir da gar nicht mehr sicher, ob es so ein Land wie Deutschland noch gibt. Einerseits, weil bei meinem letzten Besuch dort der Wahnsinn zur Normalität geworden war. Andererseits, weil in Bulgarien immer anders herum ist. Hier schläft der Mond wenn er voll ist, obwohl es eigentlich ich war, der letzte Nacht wegen Vollmond nicht schlafen konnte. Ich hatte also eher das Vollmond Fieber, von dem Tom Petty sang, dessen gleichnamiges Album ich eine zeitlang oft und gerne im Taxi gehört habe. Bis heute geniale Musik zum Autofahren, nicht nur in Amerika, da natürlich ganz besonders, sondern auch in den Schluchten des Balkans, wo immer mehr Menschen im freien Fall sind. Noch mehr sind es nur noch in der Heimat. Dort ist die Halt- und Orientierungslosigkeit noch größer als in Bulgarien, auch weil die Infantilisierung der übergroßen Mehrheit ein Ausmaß erreicht hat, das man sich bis gestern nicht vorstellen konnte. Das Leben in Deutschland gleicht immer mehr einem Dauerkindergeburtstag, der nicht zu Ende gehen will, so wie in dem Song von Tom Petty. Völlig infantile Erwachsene sind dort gute Menschen, die Mutti, Jesus und ihr gerade den Bach runter gehendes Land lieben, und die vermutlich auch alles machen würden, was man ihnen sagt. Praktisch so wie gerade in Deutschland. Ich selbst bin übrigens der von Tom Petty besungene Bad Boy, der das alles überhaupt nicht mehr vermisst. – “And I’m free!”
PS: Es ist kein Zufall, dass “Free Fallin'” ausgerechnet 1989 aufgenommen wurde.
PPS: Kein Kindergeburtstag – Attentat auf auf den Autor der “Satanischen Verse” Salman Rushdie auf einer Veranstaltung zum Thema “künstlerische Freiheit”.
Gestern war es so weit, da konnte ich meine ersten beiden Tomaten ernten, nachdem ich bereits zuvor drei Gurken geerntet hatte. Ich musste gar nicht viel machen mit meiner Ernte, eigentlich hätte ich sie noch einmal waschen brauchen, weil es sich bei ihnen um “sauberes Zeugs” handelt, wozu der Bulgare einfach nur “чистo” (“tshisto”) sagt. Aber das Deutsche, dieser ständige Putz- und Waschzwang, steckt auch tief in mir drin, obwohl ich nur halber Deutscher bin. Immerhin die Angst vor Mikroorganismen hat sich gelegt in letzter Zeit. Die wollen ja auch nur überleben, die kleinen Kerlchen. Am Ende habe ich nur etwas Salz und Öl rangemacht. – Ich kann sagen, es war der Wahnsinn. Pilze sind ‘n Scheißdreck dagegen. Ich bin gestern den ganzen Tag wie auf ‘ner Wolke gegangen. Das ist keine Übertreibung. Ich habe gehört, dass man heute sieben Orangen essen muss, um auf den Gehalt einer Orange von früher zu kommen. Für Gurken und Tomaten kann ich das absolut bestätigen. – Und ich erlaube mir hinzuzufügen, dass man sich heute darüber hinaus mit sieben Menschen unterhalten muss, um auf den Gehalt von einem von früher zu kommen. In Deutschland dürfte diese Zahl in den letzten zweieinhalb Jahren noch weiter gestiegen sein es, das ist zumindest mein Eindruck.
Foto&Text TaxiBerlin
Gestern habe ich meinem Nachbarn geholfen, was nicht ganz ungefährlich war. Ich musste mit der Leiter hoch steigen bis unters Dach und dort Verkleidungen anbringen. Mein Nachbar hat vor kurzem sein Dach neu machen lassen, aber ohne Verkleidungen. Das ist üblich bei bulgarischen Maistors, dass man ihnen nacharbeiten muss. Die richtigen bulgarischen Meister sind ja in Deutschland. Die hier verbliebenen Maistors werden auch “Basch-Maistors” genannt, was sowas wie “Fake-Maistors” bedeutet. Jedenfalls musste gestern der Gastarbeiter aus Deutschland ran. Eine neue Spezies, die in nächster Zukunft rasch zunehmen wird, wenn immer mehr Deutsche das Leben in der Heimat nicht mehr bezahlen können, wozu der Amerikaner “he can’t make a living” sagt. Keine große Geschichte für den deutschen Gastarbeiter, der bereits vor Ort ist, nur zehn Bretter mit jeweils zwei Schrauben anbringen, aber eben nicht ganz ungefährlich, weil in fünf Meter Höhe. Danach wollten wir kurz zusammensitzen und etwas trinken. Daraus wurde dann richtig Abendbrot essen mit Kartoffelbei zubereiten, Zwiebeln braten, Salat anrichten usw., – das volle Programm. Dass man sich nur hinsetzt und etwas trinkt, das geht beim Bulgaren nicht. Und obwohl ich schon so lange hier bin, vergesse ich das immer, bin ich also nicht nur deutscher Gastarbeiter, sondern steckt in mir auch ein deutscher Barbar. Denn nur etwas zu trinken ohne gleichzeitig etwas zu essen anzubieten, das gibt es nur beim geizigen Deutschen. Der Deutsche ist so geizig, der geizt sogar mit seinen Gefühlen. Beim Deutschen hätte es ein Bier gegeben, wenn überhaupt, und dann wär gut gewesen. Ein Unding beim Bulgaren, das ich dementsprechend auch noch nie erlebt habe hier. Nur etwas zu trinken und nichts dazu zu essen, ist beim Bulgaren völlig undenkbar, ist für ihn barbarisch.
Foto&Text TaxiBerlin
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