Seit gestern habe ich einen Hund, genauer eine Hündin. Mein englischer Freund Jerry hat mir Becky vorbeigebracht, die er in seinem Dorf auf der Straße gefunden hat. Über den Umgang der Bulgaren mit Tieren, allen voran mit ihren Hunden, könnte man Bücher schreiben. Er ist, so viel kann ich verraten, ähnlich miserabel wie der Umgang mit der Natur im Allgemeinen. Doch bleiben wir bei Becky, die noch nicht alt ist, aber für die Hundeschule dann doch nicht jung genug. Mit Hunden ist es wie mit Menschen: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Es gibt Ausnahmen, die aber nur die Regel bestätigen. Jerry fährt heute übrigens nach Sofia, um sich eine Wagner-Oper anzusehen, aber vor allem anzuhören. Seine erste Wagner-Oper hat er mit 13 gesehen, wie ich gestern erfahren habe. Eigentlich auch zu spät, aber offensichtlich noch nicht zu spät. Auf jeden Fall beweist die Sache mit der Wagner-Oper, zu der Jerry extra nach Sofia fährt, in eindrucksvoller Weise, dass mein englischer Freund wirklich am Liebsten Deutscher wäre. Wenn es stimmt, was er sagt, ist Jerry sogar besser als ein Deutscher, denn als Engländer verfügt er über alles, was einen Deutschen ausmacht, darüber hinaus aber auch noch über Humor. Humor muss auch ich haben, wenn ich mit Becky über die Felder laufe. Da Jerrys Hündin wie gesagt zu alt für die Hundeschule ist, gilt für Becky das, was Otto Waalkes einst über seinen Hund sagte: “Mein Hund gehorcht mir aufs Wort. Wenn ich sage: Komm her oder nicht – dann kommt er her oder nicht.”
In Bulgarien muss man außerhalb geschlossener Ortschaften zu jeder Tages- und Nachtzeit mit Licht fahren. Daran erinnert das Schild rechts im Bild am Ortsausgang von Montana. Das Schild ist kein offizielles Verkehrsschild, auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht. Immerhin gibt es ein Ausrufezeichen vor der Aufforderung, das Licht einzuschalten. Darunter der Hinweis, dass Licht Leben rettet – ebenfalls mit Ausrufezeichen. Die Schilder gibt es schon länger. Heute würde man vermutlich mit Licht nicht nur Leben, sondern auch das Klima retten. Wie dem auch sei, am Ende handelt es sich bei dem Schild um Werbung des Halbleiter- und Leuchtmittelherstellers Osram. Das Unternehmen war bis 2013 eine hundertprozentige Tochter der Siemens AG. Das Geschäft mit LED-, Halogen- und Energiesparlampen zur Allgemeinbeleuchtung, das 40 Prozent des Gesamtumsatzes erzielte, wurde 2016 an ein chinesisches Konsortium verkauft. Und das ist ein Problem, oder könnte eins werden. Denn Globalisierung ist nur so lange gut, wie der Chinese – wahlweise auch der Russe – nicht von ihr profitiert. Sobald das passiert, ist Globalisierung ganz schlecht. Mir ist das egal. Mir wird schlecht, wenn ich Schilder am Straßenrand sehe, die vorgeben, sich um mein Leben zu sorgen, mir aber nur etwas verkaufen wollen. Und das völlig unabhängig davon, wer mir da wieder etwas verkaufen will.
Willkommen auf meiner neuen Seite und bei einem weiteren Fundstück meines heutigen Flohmarktbesuchs in Montana. Es ist warm geworden in Bulgarien. Um einen klaren Kopf zu behalten, kühlt man diesen besser ab. Am Besten unter kaltem Wasser oder direkt im Schwarzen Meer. Um dabei keine Zeit für die Kriegsvorbereitung zu verschwenden, empfiehlt sich dieser schwimmende Panzer. In ihm kann man unten die Füße durchstechen, was eine gute Übung ist, um später dem Feind die Gurgel durchzustechen. Böse Zungen in Bulgarien behaupten, dass das mit dem Krieg für die Füße sei. Man könne einen Krieg gegen Russland nicht gewinnen, auch nicht mit Booten wie diesen. Sie seien lediglich ein Himmelfahrtskommando und der sichere Weg in den Tod.
Mein Favorit bei den aufgegebenen Bahnhöfen Bulgariens ist bis heute dieser hier. Der wurde so stilvoll aufgegeben, regelrecht beispielhaft. Einfach nur zu sagen, der letzte möge das Licht ausmachen, ist ganz nett und auch witzig. Aber die Frage, wie und in welchem Zustand man seinen Laden hinterlassen soll, wird damit nicht beantwortet. Und diese Frage wird mit jedem Tag dringlicher, in Deutschland mehr als in Bulgarien. Bulgarien wurde schon vor vielen Jahren dicht gemacht. Nun geht es auch in der Heimat bergab, und das mit stündlich zunehmendem Tempo. Auch dies keine Überraschung, denn wer hoch steigt, fällt in der Regel tief. Mir ist klar, dass die meisten in der Heimat dies bis heute nicht wahrhaben wollen. Ein Blick von außen kann da sehr hilfreich sein. Nicht nur in Bulgarien schüttelt man die Köpfe über Deutschland. Für viele ist es ein Déjà-vu, wiederholt sich gerade etwas. Denn das hatten wir schon mal, dass am Ende keiner von irgendetwas gewusst haben wollte. Im selben Moment aber ein jeder es schon immer gewusst hatte. Das sollte niemanden verwirren, es sind nur die zwei Seiten ein und derselben Medaille. In dem Zusammenhang fällt mir ein, dass ich vor wenigen Tagen einen Beitrag mit dem Titel “Sie wollen den totalen Krieg” gelesen habe, der mit einem Zitat von Albert Einstein endet. Bisher kannte ich nur dieses Gedicht von Bertolt Brecht: “Das große Karthago führte drei Kriege. Es war noch mächtig nach dem ersten, noch bewohnbar nach dem zweiten. Es war nicht mehr auffindbar nach dem dritten.” Das Zitat von Albert Einstein hat dasselbe Thema, nur ein anderes Ende: “Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.” – Hatte ich mir bisher vorgestellt, dass Nachgeborene eines Tages verlassene Bahnhöfe wie obigen ausgraben und sich über die Ordnung wundern, stelle ich mir nun vor, wie Fellbekleidete dort mit Stöcken und Steinen kämpfen und dabei Urlaute ausstoßen.
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Im Busbahnhof im Nachbarstädtchen sieht es so aus, als hätte ein Krieg stattgefunden. Vielleicht hat auch einer stattgefunden, und keiner hat es bemerkt, weil niemand einen Krieg erklärt hat. Auf den Busbahnhof komme ich, weil gleich nebenan das Wahllokal war, das nur unwesentlich anders aussieht als der Busbahnhof. Möglicherweise lag es daran, dass kaum einer wählen gegangen ist. Letzte Hochrechnungen sagen, dass die Wahlbeteiligung einen neuen Tiefststand erreicht hat in Bulgarien. Lag sie bei den letzten Parlamentswahlen noch knapp über 40 Prozent, sind es jetzt kaum 25. Genauso sieht es bei der Europa-Wahl aus, in Bulgaren gab es heute eine sogenannte “2 in 1” Wahl. Bei der letzten Europawahl lag die Wahlbeteiligung in Bulgarien bereits unter 32 Prozent. Drei Viertel haben mit den Füßen abgestimmt, indem sie gar nicht erst wählen gegangen sind. Warum dann überhaupt noch Wahlen? Die Ukraine hat es vorgemacht. Dort hat man die Wahlen kurzerhand ausfallen lassen. Es gibt allerdings auch Stimmen, die sagen, dass Wolodymyr Selenskij gar nicht mehr legitimer Präsident der Ukraine sei.
So langsam müsste nun auch der letzte in der Heimat dahinter gekommen sein, dass die Corona-Geschichte, so wie sie bis heute erzählt wird, nicht stimmt, nicht stimmen kann. Aber was macht der Deutsche? Er hält weiter an dieser Geschichte fest, koste es, was es wolle. Ich denke, es ist dieser Starrsinn, diese Uneinsichtigkeit, die den Deutschen so gefährlich macht. Auch diesmal wird am deutschen Wesen nicht die Welt genesen. Eher gehen Deutschland und die Welt den Bach runter.
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In Bulgarien ist vieles anders und manches genau umgedreht. So gibt es hier beispielsweise keine Ampeln an den Straßen, sondern für den Müll. Dass es keine Ampeln an den Straßen gibt, liegt daran, dass es kaum Straßen gibt in den Schluchten des Balkans. Gäbe es mehr, hätten mit Sicherheit noch mehr das Land verlassen. Dann wäre es heute vermutlich gänzlich entvölkert und Dein Nachbar hieße vielleicht Balkanski oder Tabakoff. Keine Ahnung, ob das jetzt gut oder schlecht wäre. Apropos gut und schlecht: Neulich hörte ich, dass alles immer seine drei Seiten hat (und nicht nur zwei!). Eine gute, eine schlechte – und eine lustige. Die lustige Seite in dem Fall ist, dass in Bulgarien die Ampel entsorgt wurde, oder genauer: sie der Entsorgung dient. Da es viele Farbenblinde gibt in Bulgarien, hat man hier aus gelb kurzerhand blau gemacht. In Japan ist die Ampel blau statt grün, aber das nur nebenbei. Zurück zu Bulgaren, wo man offiziell auch den Müll trennt, der dann aber gemeinsam entsorgt wird, getreu dem Motto, was man von den Deutschen übernommen hat: “Gemeinsam schaffen wir das”. Kein Scheiß! Da kommt einer einmal im Jahr oder so, der nimmt die drei Plastiktüten aus den Eimern und packt sie in eine große Plastiktüte. Manchmal fehlt dann schon eine kleine Plastiktüte, wie hier bei den Grünen. Möglicherweise hat sich ein Klebekind aus Deutschland nach Bulgarien verirrt und die Plastiktüte aus Protest eingesteckt, nachdem es sich nicht mehr auf die Straße kleben darf in der Heimat. Wäre doch lustig, oder? Oder ein Bulgare hat sie genommen, um seine Sachen zu packen. Jedenfalls fehlt eine Plastiktüte und die drei Mülleiner sind leer. Das heißt aber nicht, dass die jährliche Leerung gerade stattgefunden hat. Vielmehr ist es so, dass der Ort aufgegeben und komplett verlassen ist. – Nur die Müll-Ampel ist noch da.
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Das ist mein Gingko-Baum, den ich letztes Jahr so gut wie tot auf der Straße in Montana gefunden habe. Vorher muss er bei irgendwelchen wurzellosen Städtern in der Wohnung gestanden haben, die ihn rausgeschmissen hatten, weil ihm die Stadtluft nicht bekommen war. Ehrlich gesagt war ich mir nicht sicher, ob er nochmal was wird. Er war eigentlich schon “übern Jordan”, total ausgetrocknet und hatte kein einziges Blatt. Getreu dem Motto: Etwas besseres als den Tod findest du überall, habe ich den Kumpel eingeladen. Das war im November, kurz vor meiner Rückkehr nach Berlin. Dass der Gingko sich so gut macht, hätte ich mir nicht träumen lassen. Die Böden sind gut in Bulgarien – keine Frage. Aber es ist nicht nur der Boden. Es ist einfach die Natur. Städte tuen keinem gut – weder Pflanzen noch Tieren. Schau Dich um, wenn Du in der Stadt lebst. Von wieviel gesunden Menschen bist Du umgeben? Findest Du überhaupt einen? Mir ist das in Berlin immer schwerer gefallen. Gut, auf dem Land sind auch nicht alle gesund. Aber es gibt auf jeden Fall weniger Irre, nicht nur prozentual. Und man kann ihnen besser aus dem Weg gehen, den Verrückten und Wahnsinnigen. Auch wenn mein Gingko wegen seiner Immobilität das nicht kann, geht es ihm bei mir besser. In der Stadt war er in seinem Topf auf Rollen zwar Fall mobiler. Aber hat es ihm etwas genutzt?
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