Neulich in Neukölln

Neulich, genau war es am Montag, war ich in einer Kneipe in Neukölln. In der Kneipe, genau war es der Keller, war ich, weil es dort Montags immer ein Jazz-Konzert gibt. Nach dem Konzert, das unerwartet gut war, musste ich auf Toilette. Die Herren-Toilette heißt in Neukölln nicht mehr Herren-Toilette, sondern “Toilette mit Pissoirs”, also mit Pissbecken. Vor einem solchen stehend wollte ich mich gerade fragen, ob Frauen auch auf Pissoirs gehen und wie. Dazu kam es nicht, weil es direkt vor mir eine rote Wand gab. Meine nächste Frage war, ob die rote Farbe evtl. von einer Monatsblutung stammt. Auch diese Frage konnte nur an- und nicht zu Ende gedacht werden. Denn auf der roten Wand stand etwas in silbernen Lettern auf englisch. Bis heute frage ich mich, was es bedeuten soll, was der Sprayer (die Spayerin?) mir sagen will. Und so geht es mir immer öfter. Ich verstehe die Zeichen der Zeit einfach nicht mehr. Auch die im Vorraum der Toilette mit Pissoirs nicht. Obwohl es dieselben Zeichen sind, nur diesmal schwarz auf ehemals weißen Kacheln. Aber das allerschlimmste ist, dass ich gar nicht mehr zum Nachdenken komme – nicht mal auf Toilette. Das soll wiederum gut sein, habe ich mir sagen lassen, denn das soll voll im Zeitgeist liegen. Bloß nichts mehr hinterfragen. Sondern alles immer brav mitmachen, am besten in der ersten Reihe.

UMSONST & RICHTIG BIO

Bei mir um die Ecke

Umsonst und nicht nur RICHTIG GÜNSTIG ist es auf der Straße. Genau ist es der Bürgersteig, so viel Zeit muss sein, und unter der Brücke, also trocken. Nicht zu vergessen die ständige frische Luft, die zugegeben durch die direkt neben dem Bürgersteig liegende Straße, und zwar von den zahlreich auf ihr fahrenden Fahrzeugen, nicht unbedingt verbessert wird. Aber trotzdem eben RICHTIG BIO, zumindest in Berlin, weil hier gibt es ja keine andere Luft, und draußen ist doch Bio, oder nicht?

“Wiedervereinigung nur so”

Aktuelles Graffiti in Berlin-Neukölln

“Wiedervereinigung nur so” war eines der ersten Wende-Graffiti – auch in Berlin. Das Dresdner “Neustadt-Geflüster” schreibt, dass es dem Betrachter überlassen blieb, ob der Spruch ein Wunsch war oder die Aussage der Realität vorauseilte. Für mich war es kein Wunsch, sondern ganz klar die Realität: der Ossi wurde gef…t. Die Situation heute ist zwar ähnlich, man ist aber weiter. Davon lebt ja der Kapitalismus: von Weiterentwicklungen. Auch Wahrheiten müssen sich ständig weiter entwickeln, will man täglich neue verkaufen. Meine weiter entwickelte Wahrheit (ganz genau sind es meine aktuellen Beobachtungen in Berlin) sieht so aus, dass die meisten hier so gef…t, also so am Arsch sind (ganz wichtig: nicht gelangweilt!!!), dass sie nur noch eines wollen: weiter gef…t.

Das Allerschlimmste, was einem passieren kann

Obwohl ich nur unregelmäßig Bücher auf dem Flohmarkt verkaufe, habe ich dort Stammkunden. Genau ist es ein Stammkunde – genauso wie beim Taxifahren. Gestern begann dieser das Gespräch damit, dass er behauptete, Jan Böhmermann wäre Journalist. Dem widersprach ich, worüber ich mich sogleich ärgerte. Ich ärgerte mich darüber, dass ich nicht einfach nur zugehört habe, was mir mein einziger Stammkunde sagen wollte. Erst einmal sagte er nichts, sondern sah sich meine Bücher an. So gesehen war mein Widerspruch richtig gewesen. Denn darum geht es mir ja, um meine Bücher und deren Verkauf. Noch bevor er das passende Buch gefunden hatte, kam mein Stammkunde plötzlich und unerwartet auf die RKI-Protokolle zu sprechen, und dass man uns wohl mit Corona und der Impfung ganz schön verarscht hätte. Jetzt sagte ich gar nichts, oder fast gar nichts. Meinem Mund entfuhr so etwas wie: “hehem”. Mein Mund blieb dabei geschlossen. Das ist glaube ich ganz wichtig, dass der Mund geschlossen ist. So war mein “hehem” nichts mehr als eine zur Kenntnisnahme. Ich habe gehört, was mein Stammkunde sagte. Das muss man machen. Sonst verliert der andere den Mut, weiter auszuführen. Als nächstes zeigte er mir sein Smartphone (Foto oben). Auch dazu sagte ich nur “hehem”. Was sollte ich auch sagen? Mein Stammkunde wollte natürlich was positiv Unterstützendes hören, aber den Gefallen tat ich ihm nicht. Damit wollte ich ihn aber nicht ärgern, sondern im Gegenteil unterstützen. Denn nur worauf man selber kommt, hat wirklich Bedeutung für einen selbst. Das ist eine Erkenntnis der letzten Jahre. Die andere ist, dass leider nur sehr wenige Menschen neue Erkenntnisse haben, haben wollen. Jetzt verstand ich auch den Gesprächseinstieg mit Jan Böhmermann. Das war nur ein Test, um zu wissen, wo der andere steht. Das ist heute viel schwieriger als früher. Auch weil viele Menschen gar nicht mehr wissen, wo sie stehen, was sie heute wieder glauben sollen. Jedenfalls scheine ich den Test bestanden zu haben, sonst hätte mein Stammkunde nicht die RKI-Protokolle angesprochen. Aber vielleicht war das auch nur ein Test. Viele kennen die RKI-Protokolle nämlich gar nicht. Es kann sogar sein, dass mein Stammkunde ein Spitzel ist. Das sagt mir meine DDR-Vergangenheit. Aber die ist hier definitiv fehl am Platz. Mein Stammkunde ist natürlich kein Spitzel, das möchte ich hier in aller Klarheit aussprechen. Mein Stammkunde ist nur einer von den “viel zu vielen”, wie Nietzsche sie nannte, die einfach nicht mehr wissen, was sie glauben sollen. Ein Mensch ohne Glauben ist aber verloren. Und das ist das Allerschlimmste, was einem passieren kann. Das sage ich auch aus eigener Erfahrung.

Die Straße, meine Universität

Werbung des Berliner Senats in der Berliner U-Bahn

Seit ich vor zehn Tagen in Berlin angekommen bin, bin ich viel mit den Öffentlichen unterwegs. Die Situation dort hat sich seitdem ich das letzte Mal hier war noch einmal verschlimmert. Habe ich in meinem Beitrag “Schnauze voll von Berliner Schnauze” noch von heruntergekommen geschrieben, muss man es heute Verslummung nennen. Angesichts dessen nehme ich mit Überraschung zur Kenntnis, dass laut dem Berliner Senat die vier Berliner Universitäten zu den besten des Landen gehören sollen. Wer’s glaubt, wird selig. Und überhaupt: Eigenlob stinkt. Meine Überraschung wird nochmal größer, als ich realisiere, dass sich der Berliner Senat bei mir bedient hat. Ungefragt, versteht sich. Denn Die Straße ist meine Universität ist von mir, ist mein Spruch. Je länger ich darüber nachdenke, komme ich zu dem Schluss, dass es dem Berliner Senat gar nicht um die Berliner Universitäten geht, und auch nicht um die Straße als Universität. Dem Berliner Senat, davon bin ich nun überzeugt, geht es an erster Stelle darum, dem Berliner die Straße schmackhaft zu machen. Nicht nur denen, die bereits auf ihr leben oder bald auf ihr leben werden. Sondern auch allen anderen, damit diese besser mit den täglich mehr werdenden Bewohnern der Straße klar kommen. Denn so schlimm kann das Leben auf der Berliner Straße nicht sein, wenn sogar der Senat meint, dass die Straße eine Universität ist und darüber hinaus zu den besten des Landes gehört. Wer möchte da noch zu Hause und nicht auf der Straße leben?

Beschränkt, humorlos & verstopft

“Euroshop” in Berlin

Was der “Euroshop” in Berlin ist, ist der “Ein-Lew-Laden” in Bulgarien. Auch dort gibt es kaum noch etwas für einen Lew (50 Cent), genauso wie es im “Euroshop” kaum noch etwas für einen Euro gibt. Immerhin, der Ausgussreiniger ist mit zwei Euro im Angebot. Andernorts kostet er 3,25€. Aber nicht der Preis von nur zwei Euro im Berliner “Euroshop” hat meine Aufmerksamkeit erregt, sondern dass ich bei seinem Anblick an Jerrys Worte über die Deutschen denken musste. Mein englischer Freund Jerry in Bulgarien, der am liebsten Deutscher wäre, hält die Deutschen für “Beschränkt, humorlos & verstopft”. Gegen letzteres könnte so ein Abflussreiniger helfen. Was “beschränkt” und “humorlos” angeht, empfehle ich das InfoRadio und die Berliner Zeitung. Letztere berichtet aktuell darüber, dass unser aller Dr. Christian Drosten nie eine Impfpflicht gefordert hat. Also wer da nicht herzhaft lachen kann, heute heißt das wohl lol, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Aus dem InfoRadio erfahre ich nicht nur, dass der ukrainische Präsidenten-Schausteller nach Berlin kommt, sondern dass er einen Sieges-Plan in der Tasche haben soll. Auch darüber musste ich heute morgen herzhaft lachen. Wollte man das Virus nicht auch besiegen? Im Krieg mit ihm war man, das ist sicher. Von Sieg kann, so weit ich weiß, aber nicht die Rede sein. Das ist bei Präsident Selenski offensichtlich noch nicht angekommen. Aber gut, bei Drosten sieht es kaum anders aus, und der ist kein Schauspieler. Oder ist er vielleicht doch ein Arzt-Darsteller? Man soll von Schauspielern, egal ob sie einen Arzt oder einen Präsidenten spielen, auch nicht zu viel erwarten, genauso wie von Fussballspielern. Sonst würden sie vielleicht noch einen Friedens- und keinen Sieges-Plan in der Tasche haben. Dann wäre vielleicht bald Frieden. Und wie langweilig wäre das erst wieder.

Happy Bulgaria

Auf dem Flughafen in Sofia, im Hintergrund das Vitosha-Gebirge

Heute ist meine Kolumne “Happy Bulgaria” erschienen, und zwar unter der Rubrik “Welt-Tresen”. Beim Begriff “Welt-Tresen” musste ich sogleich an den “Internationalen Frühschoppen” denken. Wer den “Internationalen Frühschoppen” nicht kennt: Das war die Veranstaltung, wo sechs Alkoholiker aus fünf Ländern über die Weltlage sprachen. Meistens haben sie dabei so viel geraucht, so dass man sie nicht sehen konnte. Auf Rückfrage wurde mir versichert, dass das beim “Welt-Tresen” ganz anders sei. Überhaupt würde man heutzutage an einem Tresen nur Schorle trinken. Darüber freue ich mich, und natürlich auch über die heutige Veröffentlichung auf der Seite der Freien Akademie für Medien & Journalismus von Michael Meyen, die im Gegensatz zur Freien Universität in Berlin wirklich frei ist. In meiner ersten Kolumne, in der es um die verschiedenen Weltbilder und Glaubenssätze in Deutschland und Bulgarien geht, konnte ich schreiben, was ich wollte. Beispielsweise, dass in Bulgarien sich so einige die Impfung “gekauft” haben. Am Ende dürften den knapp 80 Prozent Geimpften in Deutschland gerade einmal 25 Prozent Geimpfte im Bulgarien gegenüberstehen, vielleicht sind es auch nur 20 Prozent. So ist es keine Überraschung, dass man in Bulgarien vor allem auf Menschen trifft, die nicht nur der so genannten Impfung misstrauen, sondern der gesamten Corona-Erzählung, und das bereits von Anfang an.

Die Übertreibungen der Deutschen

Soljanka mit Schrippe

Eigentlich wollte ich nur eine Bockwurst essen, oder eine Wiener. Dann habe ich beim Fleischer die Soljanka gesehen und mich sofort in sie verliebt. Als ich dann noch sah, wie voll der Teller gemacht wird, war die Sache geritzt. Immerhin, der Teller Soljanka sollte fünf Euro kosten. Die Bockwurst hätte nur 2,30 € gekostet und die Wiener sogar nur 1,50 €. Hintergrund ist, dass es bestimmte deutsche Geschmäcker nicht gibt in Bulgarien. Dazu gehören der von Bockwurst und Wiener mit Senf, aber auch der von Soljanka, obwohl Soljanka gar nicht deutsch ist, sondern russisch. Das Internet sagt, dass Soljanka ein weit verbreitetes Gericht in Russland, der Ukraine, Weißrussland, den baltischen Staaten und anderen postsowjetischen Staaten sowie anderen Teilen des ehemaligen Ostblocks sei. Für Bulgarien kann ich das nicht bestätigen. Es gibt Suppen in Bulgarien, aber eben andere und keine Soljanka. Die Soljanka beim Fleischer in Pankow war übrigens genauso lecker wie sie aussieht. Ein klein wenig zu süß für meinen Geschmack, aber ich will ich nicht zu kleinlich sein. Überhaupt ist das mit dem Zucker beispielsweise auch in Gewürzgurken eine typisch deutsche Geschichte. Einst ein Ausdruck von Reichtum, setzt der Deutsche Zucker als Geschmacksverstärker ein und übertreibt es mal wieder dabei wie bei so vielem anderen auch.

In Berlin nichts Neues

Am Kottbusser Tor in Kreuzberg

Berlin wird immer mehr zum San Francisco an der Spree. In der bulgarischen Hauptstadt Sofia gibt es weniger Obdachlose als auf den Straßen Berlins. Touristen mit Rollkoffern kommen trotzdem. “Das ist nicht mehr meine Stadt” titelte dazu vor wenigen Tagen die Berliner Zeitung. “Schnauze voll von Berliner Schnauze” hieß es dazu von mir bereits im Juni. Seit einer Woche bin ich jetzt wieder hier, vorher war ich in Bulgarien. Und ich bin wieder viel mit den Öffentlichen unterwegs, was ich nur jedem empfehlen kann, denn man sieht so einiges. Ich stelle auch Veränderungen bei mir selber fest. Ich achte jetzt noch mehr darauf, wer hinter mir läuft und wer in meinem Waggon sitzt oder einsteigt. Im Notfall, und dieser tritt immer öfter ein, steige ich in einen anderen.