Zu Weihnachten etwas Besinnliches. In meinem gestrigen Beitrag schrieb ich vom Irrsinn und Irrglauben in Berlin. Nicht jedem ist klar, was ich damit meine. Deswegen hier ein paar aktuelle Beispiele: Obiges Graffito auf der Oberbaumbrücke zwischen Friedrichshain und Kreuzberg fordert dazu auf, wie Erwachsene zu agieren. Aber ist das nicht selbstverständlich für Erwachsene?
Dieses Graffito findest du direkt hinter der Oberbaumbrücke in Kreuzberg. Ich wusste gar nicht, dass Kriegsverbrechen legal sind. Der Schlips gehört Nick Cave, aber das nur nebenbei.
Dieses Graffito in der Skalitzer Straße in Kreuzberg erinnert mich an einen Witz aus DDR-Zeiten: Als Antwort auf das Grafitto “Gott ist tot. Nietzsche” reagierte jemand mit “Nietzsche ist tot. Gott”
Dieses Graffito an der Kirche am Südstern in Kreuzberg verstehe ich als Warnung an all diejenigen, die sich jetzt zu Weihnachten wie alle Jahre wieder unkontrolliert den Wanst und auch die Birne vollschlagen. Denkt immer daran, dass auch euch irgendwann das Patriarchat auffressen wird.
Zugegeben, ein etwas ausgefallener Weihnachtswunsch direkt hinter der Oberbaumbrücke in Kreuzberg. Möge auch er in Erfüllung gehen. Immerhin ist Weihnachten, das Fest der Liebe.
Kam ich früher nach Berlin zurück, habe ich angesichts der vielen jungen Menschen mit ihrem Bier in der Hand immer gerne gesagt: “Endlich normale Leute!”. Insbesondere wenn ich aus Amerika kam, wo das Alkoholtrinken in der Öffentlichkeit verboten ist. Das ist heute ganz anders. Jetzt kehre ich meist mit einem mulmigen Gefühl nach Berlin zurück. Genau genommen ist es ein Grauen, was mich nun wieder für ein Irrsinn in der Bundeshauptstadt erwartet, welcher Irrglaube dort gerade wieder angesagt ist. Ich habe da auch viel vom Bulgaren gelernt, wo vieles anders und manches ganz und gar umgedreht ist. Es hat aber auch mit meiner Abstinenz vom Alkohol und allen anderen Drogen zu tun. Ingeborg Bachmann hat gesagt, dass die Wahrheit dem Menschen zumutbar sei. Ich gehe einen Schritt weiter und sage, dass dem Menschen ein Leben ohne Betäubungsmittel zumutbar ist. Denn viele nehmen Drogen, weil sie die Wahrheit, allen voran ihre Gefühle, nicht aushalten. Gerade habe ich gelernt, dass “aushalten” der unpassende Begriff ist, weil “aushalten” negativ konnotiert ist, was stimmt. Man sagt besser einfach nur “halten” anstelle von “aushalten”. Doch zurück zu “Endlich normale Leute!”, was ich nur noch sage, wenn ich zu einem Meeting der Anonymen Alkoholiker gehe. Am Anfang dachte auch ich, dass die dort alle auf Droge sind, weil die so komisch reden. Erst einmal reden sie nur von sich, und dann auch noch über ihre Gefühle. Politik ist übrigens verpönt, aber das nur nebenbei. Das mit den Gefühlen ist wichtig, weil heute kaum noch jemand über seine Gefühle redet. Das hat ja auch keiner gelernt. Lieber konsumiert man, damit man sie/sich gar nicht erst fühlt. Ein oft gehörter Spruch bei den Meetings, fällt mir gerade ein, ist, dass es eine gute und eine schlechte Nachricht gibt, wenn man mit dem Alkohol aufhört: Die gute: “Die Gefühle kommen wieder!”. Die schlechte: “Die Gefühle kommen wieder!”. Als ich mit dem Alkohol aufhörte, dachte auch ich, dass es damit getan sei. Was für ein Irrtum! Denn die eigentliche Arbeit beginnt erst danach. Nämlich mit seinen Gefühlen klarzukommen. Die Anonymen Alkoholiker sind übrigens keine Sekte, zumindest nicht für mich. Sie erlauben mir sogar ausdrücklich zu trinken, wenn ich das will, wie obige Visitenkarte beweist. Die einzige Bedingung für die Dazugehörigkeit ist der Wunsch mit dem Trinken aufzuhören. Und den haben so einige. Insbesondere jetzt zur Weihnachtszeit wird es vielen wieder klarer werden.
Wer noch ein Weihnachtsgeschenk sucht, dem kann ich das Buch empfehlen, aus dem obige Seite stammt. Auf das Buch gekommen bin ich wegen den Wanderarbeitern, die man dort erntet. So heißt sogar ein ganzes Kapitel: “Wie man Wanderarbeiter erntet”. Gelesen habe ich das Buch im Flieger nach Griechenland, wo ich selbst Erntehelfer war. Den Film, fällt mir gerade ein, habe ich auch in einem Flieger gesehen, allerdings in einem nach Amerika. Der Film, in dem auch Brad Pitt mitspielt, war für fünf Oscars nominiert. Einen hat er sogar bekommen, und zwar den für das beste adaptierte Drehbuch, womit wir wieder beim Buch wären. Es ist ein Sachbuch, das sich aber wie ein Roman, manchmal gar wie ein Krimi liest. Es erklärt, wie man in einer Krise viel Geld verdienen kann. Das Konzept ist einfach: Man wettet darauf, dass es den Bach runter geht. Dann muss man nur noch warten. Man muss aber nicht nur Zeit, sondern auch starke Nerven haben. Denn bis zum Schluss ist unklar, ob an seine Kohle bekommt. Nützliche Idioten bei dem Geschäft sind – wie sollte es anders sein – mal wieder die dummen Deutschen, denn die glauben immer noch an die Regeln und stecken bis zum Schluss Geld in ein untergehendes Schiff. Dieses Detail fand ich interessant. Auch weil ich in der Vergangenheit immer mal wieder von dummen Deutschen geschrieben habe. Um ganz ehrlich zu sein, glaubte ich sogar, sie wären meine Erfindung. Dem ist leider nicht so, denn das Buch ist bereits 2010 erschienen. Erst auf englisch, danach auf deutsch. Thema des Buches ist die Welt-Finanzkrise von 2008, die durch den Zusammenbruch des US-amerikanischen Immobilienmarktes ausgelöst wurde. Der Autor war selber Investmentbanker, bevor er Journalist wurde. Sein Name ist Michael Lewis. Der englische Titel seines Buches ist “The Big Short. Inside the Doomsday Machine”. Auf deutsch heißt es “The Big Short. Wie eine Handvoll Trader die Welt verzockte”. Zuletzt noch ein Zitat aus dem Buch, das ganz aktuell ist, und zwar wenn es um die RKI-Protokolle geht, von denen der Deutschlandfunk ein halbes Jahr nach deren Veröffentlichung immer noch meint, dass es noch nicht klar sei, ob die Papiere zum Skandal taugen. Im Buch glauben die dummen Deutschen in der Finanzkrise bis zum Schluss den Ratingenturen, die Kredite falsch bewerteten. Selbst eineinhalb Jahre nach der Corona-Krise, die Corona-Schutzmaßnahmen sind am 7. April vergangen Jahres ausgelaufen, glauben sie wem jetzt gleich nochmal?
Wir haben Wochen gebraucht, um dieses System zu durchschauen, weil es so bizarr war. … Doch als wir tiefer in diese Materie einstiegen, wurde uns klar: Verdammte Scheiße, das ist der blanke Wahn. Das ist Betrug. Vielleicht lässt sich das nicht vor Gericht beweisen, aber es ist und bleibt Betrug.
Keine Ahnung, ob derjenige, der bei mir um die Ecke diese Kiste und Körbe mit dem Hinweis “Zu Verschenken” auf den Bürgersteig gestellt hat, seine Steuerklärung gemacht oder nicht. Was man sagen kann, ist, dass er es sich vorgenommen hatte. Sicher scheint mir dagegen zu sein, dass er dort, wo er jetzt ist, diesen Hinweis auf die Steuererklärung nicht mehr benötigt. Aber warum?
Die Zeiten sind hart, nicht nur in Berlin. Davon zu reden, dass der Kollege im roten Schlafsack ein Dach über dem Kopf hätte, wäre übertrieben. Aber immerhin einen Balkon-Vorsprung. Auf dem Balkon wurde übrigens heute morgen schon Glühwein getrunken. Ihn dort zu trinken, ist gerade sicherer als auf dem Weihnachtsmarkt. Doch zurück zum Kollegen. Dass er nicht im Taxi seinen Schlafsack ausgerollt hat, liegt daran, dass der Kollege von der Nachtschicht ihn nicht geweckt hat.
Zurück aus Griechenland habe ich mich gefragt, was ich in Berlin will, warum ich zurückgekommen bin. Mir wollte irgendwie nichts einfallen. Nach langem Nachdenken kam ich zu dem Schluss, dass es Gewohnheit war. So wie bei einem alten Paar, das schon lange zusammen wohnt. Da sind die Ehepartner auch nur noch aus Gewohnheit zusammen. Und so ist es auch mit Berlin und mir. Diese Erkenntnis war nicht gerade angenehm. Zum Glück tauchte in dem Moment obige Ankündigung auf. Ein halbes Leben lang habe ich mich auf das letzte Gefecht vorbereitet, auch mittels Liedern, und nun soll es endlich so weit sein. Ein Termin steht auch schon fest, das letzte Gefecht findet am 11. Januar statt. Beim Deutschen muss alles immer seine Ordnung haben, der kauft mit Sicherheit auch einen Fahrschein, wenn er sich zum letzten Gefecht begibt. Ich bin da anders, ich habe mein Deutschland-Ticket bevor ich nach Griechenland gegangen bin gekündigt. Ich denke, dass ich trotzdem zum letzten Gefecht komme. Und wenn nicht, dann ist es nicht das letzte Gefecht.
Es wurde höchste Zeit, dass Berlin nach “Arm, aber sexy” ein neues Motto bekommt. Jetzt, wo ich darüber schreibe, fällt mir auf, dass “Bekloppt, aber geil” gar nicht neu ist. Zumindest für mich als gelernten Ossi, denn im Osten sagten wir “dumm fi… gut”. Aber gut, das war am Ende auch nur geklaut, und zwar von den dümmsten Bauern, die bekanntlich die dicksten Kartoffeln haben.