Bericht aus Bulgarien (162)
Gestern war ich nicht nur auf der Buchmesse, sondern auch am letzten noch existierenden Buchstand der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Der letzte verbliebene Buchstand befindet sich in einem kleinen Park vor dem Hotel Rila. Letzter verbliebener Buchstand deswegen, weil er der einzige Buchstand ist, der vom großen Buchbasar auf dem Slaweikow Platz übrig geblieben ist. Den Buchbasar hat man vor Jahren platt gemacht, wobei platt gemacht es nicht ganz genau beschreibt. Platt gemacht hat man den Slaweikow Platz, sprich tot saniert. Und nachdem man den Slaweikow Platz tot saniert hat, hat der Buchbasar einfach nicht wieder aufgemacht. Das ist nur folgerichtig, denn auf etwas totem wachsen weder Grass noch Bücher. Ein Freund von mir, ein Bücher-Narr wie ich, der einen Stand auf dem Slaweikow Platz hatte, ist bald darauf gestorben. Auch das nur folgerichtig, so denke ich. Einer hat überlebt, ist umgezogen, um die Ecke, vor’s Hotel Rila. Bei ihm fand ich gestern obiges Buch. Und da habe ich mich sogleich gefragt, ob es denn überhaupt noch Muttersprache heißt? Oder vielleicht schon Elternteil Eins Sprache, oder vielleicht Zwei? – Auf der Buchmesse war ich auch. Ihre Stände wurden am Abend abgebaut, sie gibt es also auch nicht mehr. Die Buchmesse selbst war vor dem Nationalen Kulturplast und vergleichsweise langweilig. Die Buchmesse war aus verschiedenen Gründen langweilig. Erst einmal musste man sich durch Tonnen von Müll durcharbeiten, bis man mal ein Buch gefunden hatte, was irgendwie interessant war, und das obwohl praktisch alle Bücher neu waren. Es gibt eben auch neuen Müll, selbst in Bulgarien. Dann wollten alle nur übers Verkaufen reden und niemand über Bücher. Praktisch so, als wäre man in einem irgendeinem Ort für blöde Touristen am Schwarzen Meer. Dort soll man auch ständig ein Armband, einen Ring oder ein T-Shirt kaufen. Die sind zwar auch neu, aber eben auch Müll. Und übers Meer will dort ja auch keiner reden. Etwas Positives gibt es dann aber doch zu berichten. Eine Sprachverhunzung wie in Deutschland gibt es in Bulgarien nicht. Der Bulgare mag einen unbewussten Todeswunsch haben, er drückt sich unter anderem in seinem Fahrverhalten aus, aber keinen Selbsthass. Beim Bulgaren heißt Muttersprache auch heute noch Muttersprache und irgendwelche Sternchen oder auch nur ein Binnen I sucht man hier vergeblich, selbst in neuen Büchern.
Foto&Text TaxiBerlin