Bericht aus Bulgarien (115)
Ich freue mich sehr, heute den Bericht meines Berliner Freundes veröffentlichen zu können, der mich über Ostern für eine Woche in Bulgarien besucht hat. Seinen Eindrücken möchte ich ein paar erklärende Sätze voranstellen, damit der Leser meines Blogs erfährt, wie es zu dem Bericht kam, und was mein Freund für ein Mensch ist.
Meine ursprüngliche Idee war, ein Interview vor der Kamera mit ihm zu machen, was mein Freund mit dem Hinweis auf seine Familie und seine Arbeit ablehnte. Mein Freund hat sich impfen lassen, das möchte ich an dieser Stelle verraten, aber nicht, weil er an die Impfung glaubt, das tut er nicht, sondern ausschließlich weil er sonst als selbständiger Unternehmer keine Aufträge mehr bekommen würde und er dann seine Familie nicht mehr ernähren könnte. Vor allem deswegen wollte er nicht vor die Kamera.
Mein Freund, der nicht das erste Mal in Bulgarien war, hat bei seinem Aufenthalt wiederholt drauf hingewiesen, dass er aus einer Arbeiterfamilie stammt, und dass das Schreiben nicht sein Ding sei. Er ist aber ein sehr guter Beobachter, und darauf kommt es an. Bei seinem Beitrag habe ich aber nur den ein oder anderen Rechtschreib- bzw. Grammatikfehler korrigieren müssen, ansonsten ist der Text unverändert.
Das größte Problem für meinen Freund ist, dass er kaum noch Menschen in der Heimat findet, mit denen er sich austauschen kann. Viele Freundschaften sind in die Brüche gegangen, wie er mir erzählte, weswegen er auch zu Depressionen neige. Die wenigen Freunde, die er noch hat, sind meist aus dem Osten, also aus der ehemaligen DDR. Mein Freund selbst ist im Westen Deutschlands geboren und groß geworden.
Für meinen Freund ist das mitunter irritierend – für mich nicht. Irritierend ist für mich, dass die allermeisten im Westen des Landes aufgewachsenen Menschen wirklich an alles glauben, was man ihnen erzählt. Das war in der DDR nur auf den ersten Blick so. Die allermeisten Menschen wussten dort ziemlich genau, was richtig und was falsch ist (und was ich heute am meisten vermisse), auch wenn sie dies nicht jedem erzählten.
Mein Freund ist bereit, seine Geschichte zu erzählen. Er möchte aber, wie die meisten Menschen damals in der DDR, dabei unerkannt, also anonym bleiben. Ich kann damit gut leben (es ist ja auch nicht das erste Mal für mich), und ich hoffe meine Leser auch. Aber mögen sie sich ihr eigenes Urteil bilden, hier ist der Bericht meines Freundes:
Was mir zuerst aufgefallen ist, war die Frau, welche ich am Busbahnhof in Sofia getroffen habe, und welche, wie wir später feststellten, im gleichen Flugzeug von Berlin nach Sofia gesessen hatte. Sie sprach mich an, ob sie mir helfen könne, ich stand wohl etwas hilfesuchend vor den kyrillischen Schildern. Wie sich herausstellte, sprach sie exzellent Deutsch, sie arbeitet wie Millionen anderer Bulgaren in Deutschland, um ihre Familie über die Runden zu bringen. Sie fragte mich, warum die Deutschen denn soviel Angst haben und wann es anfing, dass die Deutschen so bequem geworden seien. Mir blieb die Spucke weg, denn in dieser Deutlichkeit habe ich so etwas selten vernommen.
Mir fiel auf, das äußerst wenige Menschen in Bulgarien, weder im Bus noch auf der Straße, Masken trugen, und wie schön es eigentlich ist, das Gesicht der Menschen unverstellt erblicken zu können. Obwohl die Maskenfreiheit auch in Berlin beispielsweise beim Einkaufen abgeschafft ist, hatte ich dort ohne Maske immer noch das Gefühl, gemieden zu werden, und dass die Menschen einen möglichst großen Bogen um mich machten. Ich war überglücklich über die neu zurückgewonnene Freiheit und wollte sie ausleben können. Auch jetzt tragen die meisten Menschen in D immer noch Masken beim Einkaufen. Irgendwie erinnert mich das an „Der Untertan“ von Heinrich Mann. Oder wie es die Frau am Busbahnhof beschrieb: die Angst. Vor was eigentlich …?
Es ist nahezu unmöglich momentan in Berlin einen Disput zu führen, ganz im Gegensatz zu Bulgarien. Die Menschen in Deutschland haben sich bequem eingerichtet in das Gut/Böse Schemata, das für und wieder unterschiedlicher Positionen ist abgeschafft. Selbst das Lauschen anderer Meinungen, das Abwägen, das Eingehen auf Positionen des anderen, was eine angeblich offene Gesellschaft ja auszeichnen sollte, ist weg. Bequem wird dem Narrativ der eingehegten Medien gefolgt und ohne nachzudenken nachgeplappert.
Nach meiner Rückkehr aus Bulgarien erwähnte ich beim Fußballspielen die unglaublichen Worte von Florence Gaub. Die weniger kritischen Geister beließen es bei “so ist das halt heute”, und die Sendung sei ja bekannt für ihren “Affront”. Damit war die Kuh vom Eis. Mit wenigen, „den üblichen Verdächtigen“, war dann doch noch ein Disput nach dem Kicken möglich, eine Erlösung. Und ein Zeichen der Hoffnung.
Doch zurück zum Balkan. Mir viel die Gelassenheit, das Unverbissene, die Freundlichkeit auf. Die allgemeine Stimmung in Sofia war gelöst, aber das mag auch ein wenig der Frühlingsluft geschuldet gewesen sein.
Die Demonstrationen, beispielsweise für die Neutralität Bulgariens und gegen die Corona-Maßnahmen, von denen ich die Fotos meines Freundes gesehen und seine Berichte gelesen habe, scheinen anders abzulaufen. Insbesondere das Vorgehen der Polizei scheint hier ein anderes zu sein als in Deutschland, was ich mir nach meinem Besuch gut vorstellen aber nicht bezeugen kann, denn ich war nicht vor Ort.
Was ich weiß, ist, dass in Deutschland selbst auf ehemalige Politiker, welche sich zumindest ein wenig kritisch äußern, sogleich eingeprügelt wird. Solch ein Artikel hat da schon fast Seltenheitswert.