Bericht aus Bulgarien (44)
Gestern war ich in der nächstgrößeren Stadt, die gut 30 Kilometer von meinem Dorf entfernt ist, weil ich etwas von Praktiker brauchte. Obwohl ich es mag herumzufahren, unterwegs zu sein, und es mir auch ein wenig fehlt, alleine der Ausblicke wegen, versuche ich es auf ein Minimum zu reduzieren, weil auch gerade wieder der Sprit teurer geworden ist. In dem Fall war es aber notwendig, weil es das, was ich suchte, nur bei Praktiker gibt. Da ich wusste, dass man für Praktiker offiziell einen Grünen Pass braucht, war ich auch auf diesen Fall vorbereitet. Ich wusste genau, was ich wollte, und man hätte es mir auch herausbringen können, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob sie hier in Bulgarien diesen Service überhaupt anbieten. Ich denke eher nicht. Eher lassen sie die Leute rein und selber ihren Kram suchen, auch wenn sie das offiziell nicht dürfen. Genau das wollte ich herausfinden, also bei Praktiker reinzukommen, auch ohne Grünen Pass, als sozialkritisches Experiment sozusagen. Ich dachte mir, dass ein Einkaufswagen meine Chancen dabei erhöhen könnten. Ich nahm dem größten, setzte mir ordentlich Maske und Brille auf und versuchte den Wachmann zu ignorieren. Am Ende nickten wir uns beide kurz zu, ich ihn dabei nur aus den Augenwinkeln ansehend und im Vorbeigehen. Nach fünf Minuten war ich mit dem Gesuchten wieder draußen. Man soll sein Glück nicht herausfordern. Immerhin steht am Eingang geschrieben, dass man einen Grünen Pass braucht. Es ist also immer noch so, wie es bereits letztes Jahr war: NEIN bedeutet auch hier wie traditionell in Bulgarien JA. Falls sich daran irgendetwas ändern sollte, wovon ich nicht ausgehe, gehen wohl bald auch die Bulgaren auf die Straße. Das ist im Moment mein Gefühl. Und auch, dass die Regierung, die in der Bevölkerung keine Mehrheit hinter sich weiß, eher den Grünen Pass rückgängig macht als die Kontrollen zu verschärfen. Auch dieser Fakt sei noch einmal erwähnt: Bei der letzten Wahl Ende letzten Jahres gab es in Bulgarien 60 Prozent Nichtwähler. Es ist also eher an der Zeit, das gesamte System in Frage zu stellen, als fragwürdige Vorschriften durchzusetzen. Das weiß sicher auch die Regierungspartei „Wir setzen den Wandel fort“ – ihre beiden Leader haben schließlich in Harvard studiert.
Foto&Text TaxiBerlin