Leben in Zeiten von Corona – Heute: Von “Karton bitte stehen lassen” zu “Free Shit”

Conrad-Blenkle-Straße
früher Prenzlauer Berg / heute Pankow

Dass ich kein Taxi mehr fahre, heißt nicht, dass ich weg bin von der Straße. So ist es nicht. Ganz im Gegenteil, ich treibe mich jetzt noch mehr auf der Straße herum als zuvor, als ich noch kein Trockener Taxifahrer war. Das liegt daran, dass auch ich von irgendetwas leben muss. Ich habe versucht, von der Liebe, der Sonne und der Lust zu leben, aber das reicht mir nicht. Deswegen schaue ich weiterhin da vorbei, wo ich mich auskenne. Das ist bei mir die Straße, wo bekanntlich das Geld liegt. Früher habe ich mit meinem Taxi leere Flaschen auf zwei Beinen eingesammelt, seit einem Jahr vorzugsweise Bücher, die ich in meinem Bauchladen, den ich gerade geschlossen habe, verkaufe. Ich habe auch schon eine nagelneue Kaffeemaschine, zwei Objektive und eine alte Sofort-Bild-Kamera auf der Straße gefunden, die ich im Internet verkauft habe. Das meiste Zeugs von der Straße bin ich aber gar nicht losgeworden, so dass es sich bei mir stapelte und ich kaum noch treten konnte in meiner Bude. Zum Glück gibt es bei mir nebenan einen Verschenkladen, wo ich die Sachen hinbringen kann. Dort finde ich auch manchmal Sachen zum Weiterverkaufen, es ist also ein Geben und ein Nehmen. Mit den Dingen, die man auf der Straße findet, ist es nun so, dass sie seit einiger Zeit weniger werden. Der Straßen-Sammler ist ja auch kein Systemrelevanter Beruf. Ein Achtungszeichen war für mich obiger Karton, den ich erreichte, als er schon leer war. Dass jemand darum bittet, seinen Karton stehen zu lassen, sah ich zum ersten Mal. Offensichtlich geht es den Gebenden auch langsam an den Kragen. Als ich nun gestern den Karton unten mit der Aufschrift “Free Shit” sah, da war mir klar, wohin die Reise geht. Gefühlt wußte ich das natürlich schon vorher. Aber es ist immer sehr hilfreich für mich, wenn es auch mal jemand formuliert. Höchste Zeit meine Zelte im Sodom und Gomorra Berlin abzubrechen. Deswegen habe ich auch meinen Bauchladen dicht gemacht. Das Arbeitsamt findet meine Arbeitssuche auf dem Balkan nicht nur super, sondern unterstützt sie auch aktiv. Ein Idiot Kunde weniger. Dass es auf dem Balkan noch weniger Arbeit gibt als hier in Berlin, das weiß man auf dem Amt natürlich nicht. Das wäre auch zu viel verlangt. Ich persönlich wäre schon froh, wenn man mir sagen könnte, wo genau ich mich auf dem Balkan melden soll, damit weiter Kohle auf’s Konto kommt. Von irgendwas muss ich schließlich meine Miete bezahlen, nachdem das Geld nicht mehr auf der Straße liegt. Ansonsten wird dort bald mein “Holy Shit” für dich stehen. Den Karton dann bitte auch stehen lassen – Danke! Also sprach TaxiBerlin, kannste glauben.

Gryphiusstraße
früher Friedrichshain / heute Friedrichshain-Kreuzberg

Fotos&Text TaxiBerlin

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