Bericht aus einem gebrochenen Land (031)
Das ist kein verlassenes Obdachlosenquartier in irgendeiner Industriebrache am Rande Berlins. Dieses aufgegebene Wohnzimmer unter einer S-Bahn-Brücke befindet sich nur zwei Minuten von meinem entfernt im zentralen Szene-Bezirk Friedrichshain. Die Einschläge kommen näher, nicht nur für mich. Neulich fragte ich eine Kollegin und selbständige Unternehmerin, wie das Taxigeschäft in unserer Stadt laufen würde. Die Antwort: “Wenn mein Mann nicht das Geld verdienen würde, könnte ich die Miete nicht bezahlen, und das schon seit einiger Zeit.” Nicht wenige denken immer noch, dass derjenige, der auf Straße lebt, selbst dran Schuld wäre. Andere meinen sogar, es handele sich dabei um einen selbstgewählten “alternativen” Lebensstil. Das französische Wort “Clochard” klingt ja auch irgendwie romantisch. Der deutsche Begriff “Penner” schon weniger. Tauschen möchte niemand freiwillig, aber immer mehr müssen es. Sieht man von den Super-Reichen ab, deren Gewinne insbesondere in den letzten Jahren exorbitant hoch waren, ginge es nach ihnen, könnte es permanent Krisen, Kriege und Pandemien geben, verzeichnen eigentlich nur noch “Unternehmen” wie die “Tafel” ähnlich hohe Zuwächse. Im vergangenen Jahr sind bis zwei Millionen Menschen auf regelmäßige Unterstützung durch sie angewiesen gewesen. Alleine im Jahr 2023 kamen 50 Prozent mehr “Kundinnen und Kunden” hinzu. Wer nicht weiß, was es bedeutet, zur “Tafel” gehen zu müssen, dem empfehle ich das Buch “Schamland” von Stefan Selke, seines Zeichens Professor für “Gesellschaftlichen Wandel”, das bereits vor zehn Jahren erschien. Nicht nur aus aktuellem Anlass kann ich es wärmstens empfehlen. Denn es ist nicht so, dass es keine Informationen geben würde über prekäre Lebensverhältnisse, immer öfter auch im Wohnzimmer nebenan. Und es solle auch niemand sagen, er hätte mal wieder von nichts gewusst.
Foto&Text TaxiBerlin