Zurück in Bulgarien (003) – “Andere Baustellen”
Australien an der Decke
Nachdem das mit dem TÜV, der Versicherung und der Vignette erledigt ist, kann ich mich meinen anderen Baustellen widmen. Eine davon ist die Lehmdecke bei mir im Flur, von der etwa ein Quadratmeter in der Form von Australien herunter gekommen ist. Die Decke hatte irgendwann mal Wasser abbekommen, aber das ist lange her. Trotzdem war ich mir anfangs nicht sicher, ob Wasser nicht auch die aktuelle Ursache sein könnte, immerhin hat es in meiner viermonatigen Abwesenheit ununterbrochen geregnet in Bulgarien. Nachdem ich mit mehreren Menschen gesprochen habe, komme ich immer mehr zu der Überzeugung, dass die alte Lehmdecke aus Altersgründen herunter gekommen ist, wobei der frühere Wasserschaden eine Rolle gespielt haben mag, aber nicht die Ursache ist und es aktuell auch keinen Wasserschaden gibt. Ich habe noch nie mit Lehm gearbeitet, es soll aber nicht schwer sein, wie ich gestern erfahren habe. Man besorgt sich alten Lehm, was in Bulgarien kein Problem ist, weil jedes zweite Haus verfällt, und von diesen verfallenden Häusern die meisten aus Lehm sind. Diesem alten Lehm gibt man Wasser bei und schon hat man neuen Lehm. Das Problem ist, diesen neuen Lehm an die Decke zu bekommen. Ein Landsmann, der mit einer Bulgarin verheiratet ist, und der in Berlin bei mir um die Ecke wohnt, wenn er nicht so wie jetzt in Bulgarien ist, berichtete mir von einer Truppe Deutscher aus der Eifel, die gerade in Bulgarien unterwegs ist und alte Häuser auf traditionelle Weise repariert. Ganz genau soll es eine Sekte sein, aber das ist mir egal. Die Anonymen Alkoholiker halten viele auch für eine Sekte. Jedenfalls überlege ich jetzt dieses Truppe zu kontaktieren, um zu erfahren, ob sie mir in Sachen alter Lehmdecke weiter helfen kann. Ich hatte hier geschrieben, dass ich davon überzeugt bin, dass Menschen nach Bulgarien kommen werden. Die Vorhut ist schon hier. Ich könnte auch versuchen einen lokalen Maistor zu finden, was aber schwieriger ist, weil alle Maistors, die was können, im Ausland sind. In Bulgarien verblieben sind nur die Bash-Maistors, also die Fake-Maistors, wie beispielsweise Bobby, der Autos repariert. Zu Bobby muss ich, weil mein Auto weiterhin Kühlflüssigkeit verliert. Ich war deswegen schon einmal bei ihm, das war Anfang des Jahres. Bobby meinte damals, er könne nichts finden. Ich solle wieder kommen, wenn ich weiß, wo genau der Wagen Kühlflüssigkeit verliert, dann würde er sich drum kümmern. So könne er nichts machen. Eine solche Herangehensweise ist normal in Bulgarien, mein Zahnarzt hat dieselbe. Immer wenn ich zu ihm gehe, muss ich ihm sagen, was los ist mit meinen Zähnen und was ich denke, dass er machen soll. Mein Zahnarzt ist kein Fake-Zahnarzt, der ist richtig gut. So wie seine Mutter, mit der er sich die kleine Praxis teilt. Die ist auch richtig gut. Nachdem ich ihm gesagt habe, was ich mir denke, sagt er mir seine ehrliche Meinung und berät mich ausführlich, was immer Stunden dauert. Sein Behandlungsplan ist eng auf meine Geldbörse abgestimmt. Mein Zahnarzt will mir also nicht irgendwas verkaufen, was ich nicht unbedingt brauche, wie das in Deutschland der Normalfall ist. Ich habe absolutes Vertrauen zu meinem Zahnarzt, was ich über Bobby nicht unbedingt sagen kann. Gut, auch er will mir nichts verkaufen, was nicht unbedingt nötig ist. Das kann er nicht, weil er aus unserem Dorf ist und weiß, dass der Bürgermeister nicht nur sein Freund ist, sondern auch meiner. In einem Dorf, wo keiner Geld hat, spricht sich schnell herum, wenn einer einem unnötiges Zeug andreht. Typen wie Spahn oder Lauterbach hätten keine Chance hier, einfach weil sie keine Abnehmer für ihre blöden Masken und bescheuerten Impfungen finden würden. Obwohl Bobby ein Bash- also ein Fake-Maistor ist, versteht er mehr von Autos als Spahn und Lauterbach von Krankheiten zusammen. Überhaupt brauche ich ja immer nur neues Kühlwasser aufkippen und hoffen, dass es bald Winter wird. Im Winter ist der Verlust von Kühlwasser kein Problem. Auch im Sommer ist es eigentlich keins. Zur Not läuft man ein Stück. Auch die alte Lehmdecke, die bei mir im Flur herunter gekommen ist, ist an erster Stelle ein optisches Problem. Die Decke ist trocken, sie sieht einfach nur Scheiße aus. Dann schaut man einfach nicht hin. Ist doch ganz einfach, oder? Ich meine, wie viel Scheiße passiert Tag für Tag auf der Welt? Und selbst, wenn die Scheiße um einen herum passiert: Regt man sich immer gleich auf deswegen? Überhaupt gibt es schlimmere Scheiße als ein bisschen alte Lehmdecke, die herunter gekommen ist oder ein Kühlsystem, das Kühlflüssigkeit verliert. Wenn das ganze System den Bach runter geht, stört das ja auch keinen. Ist doch so, oder.
Foto&Text TaxiBerlin