Vom Wunsch mit dem Trinken aufzuhören

Offizielle Visitenkarte der Anonymen Alkoholiker

Kam ich früher nach Berlin zurück, habe ich angesichts der vielen jungen Menschen mit ihrem Bier in der Hand immer gerne gesagt: “Endlich normale Leute!”. Insbesondere wenn ich aus Amerika kam, wo das Alkoholtrinken in der Öffentlichkeit verboten ist. Das ist heute ganz anders. Jetzt kehre ich meist mit einem mulmigen Gefühl nach Berlin zurück. Genau genommen ist es ein Grauen, was mich nun wieder für ein Irrsinn in der Bundeshauptstadt erwartet, welcher Irrglaube dort gerade wieder angesagt ist. Ich habe da auch viel vom Bulgaren gelernt, wo vieles anders und manches ganz und gar umgedreht ist. Es hat aber auch mit meiner Abstinenz vom Alkohol und allen anderen Drogen zu tun. Ingeborg Bachmann hat gesagt, dass die Wahrheit dem Menschen zumutbar sei. Ich gehe einen Schritt weiter und sage, dass dem Menschen ein Leben ohne Betäubungsmittel zumutbar ist. Denn viele nehmen Drogen, weil sie die Wahrheit, allen voran ihre Gefühle, nicht aushalten. Gerade habe ich gelernt, dass “aushalten” der unpassende Begriff ist, weil “aushalten” negativ konnotiert ist, was stimmt. Man sagt besser einfach nur “halten” anstelle von “aushalten”. Doch zurück zu “Endlich normale Leute!”, was ich nur noch sage, wenn ich zu einem Meeting der Anonymen Alkoholiker gehe. Am Anfang dachte auch ich, dass die dort alle auf Droge sind, weil die so komisch reden. Erst einmal reden sie nur von sich, und dann auch noch über ihre Gefühle. Politik ist übrigens verpönt, aber das nur nebenbei. Das mit den Gefühlen ist wichtig, weil heute kaum noch jemand über seine Gefühle redet. Das hat ja auch keiner gelernt. Lieber konsumiert man, damit man sie/sich gar nicht erst fühlt. Ein oft gehörter Spruch bei den Meetings, fällt mir gerade ein, ist, dass es eine gute und eine schlechte Nachricht gibt, wenn man mit dem Alkohol aufhört: Die gute: “Die Gefühle kommen wieder!”. Die schlechte: “Die Gefühle kommen wieder!”. Als ich mit dem Alkohol aufhörte, dachte auch ich, dass es damit getan sei. Was für ein Irrtum! Denn die eigentliche Arbeit beginnt erst danach. Nämlich mit seinen Gefühlen klarzukommen. Die Anonymen Alkoholiker sind übrigens keine Sekte, zumindest nicht für mich. Sie erlauben mir sogar ausdrücklich zu trinken, wenn ich das will, wie obige Visitenkarte beweist. Die einzige Bedingung für die Dazugehörigkeit ist der Wunsch mit dem Trinken aufzuhören. Und den haben so einige. Insbesondere jetzt zur Weihnachtszeit wird es vielen wieder klarer werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert