Bericht aus Bulgarien (402) – „Der Tierkomplex“

Katzen-Wohnblock im Wohnkomplex
Was in Berlin ein Stadtbezirk mit Neubauten ist, beispielsweise Marzahn, ist in Bulgarien ein „Wohnkomplex“ und wird bis heute mit ЖК (JK) abgekürzt. Ausgesprochen heißt ЖК жилиштен комплекс (jilishten komplex). Für mich ist ЖК bis heute ein животен комплекс (jiwoten komplex)*, was „Tierkomplex“ heißt. Früher traf das manchmal sogar zu, dass ein „Wohnkomplex“ eher ein Tierkomplex war, und nicht nur weil Anwohner dort mitunter auch Pferde und Schafe hielten oder nur weideten. Man sieht das gelegentlich auch heute noch, wenngleich nicht in Sofia, wo obige Aufnahme entstand. Dieser hauptstädtische Katzen-Wohnblock ist für die zahlreichen Straßenkatzen gedacht, deren Zahl gerade wieder zunimmt. Weil in Bulgarien immer alles seine Ordnung haben muss, wenngleich eine andere als in Deutschland, kann man den in diesem „Tierkomplex“ wohnenden Katzen nicht nur Futter bringen, sondern sich darüber hinaus auch etwas zu ihnen setzen, und zwar auf den dafür bereitstehenden Hocker links hinter dem Baum.
* Ein Freund und Fachmann der bulgarischen Sprache hat mich gerade darüber in Kenntnis gesetzt, dass „Tierkomplex“ richtig животински комплекс (jiwotinski komplex) heißen muss, und nicht wie von mir geschrieben животен комплекс (jiwoten komplex). Meine ursprüngliche Idee war auch gar nicht „Tierkomplex“, sondern „Lebenskomplex“, also ein Wohnviertel für Menschen, die in ihm leben. Leben heißt aus bulgarisch живот (jiwot), животен комплекс (jiwoten komplex) könnte man also auch als „Lebenskomplex“ verstehen. Meine Erfahrung ist aber, dass es in aller Regel als „Tierkomplex“ sozusagen „falsch“ missverstanden wurde, weil Tier auf bulgarisch животно (jiwotno) heißt, in der Mehrzahl животни (jiwotni), was beides näher dran ist an животен (jiwoten) als живот (jiwot).
Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (401) – „Werde reich mit Kafka in Sofia“

„Mein Traum ist kein Traum, sondern der Weg“

Dass Kafka in Berlin war, das ist bekannt. Ob er sich auch bis nach Sofia vorgewagt hat, darüber liegen mir keine Erkenntnisse vor. Trotzdem musste ich beim Anblick obigen Graffitos am Sonntag im Zentrum von Sofia an Kafka denken, und zwar an seinen Ausspruch: „Neue Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“
Dass ich am Sonntag in Sofia war, hatte den Grund, dass ich zum Geburtstag eingeladen war von einer Bulgarin, die ich auf nahezu allen Protesten in der bulgarischen Hauptstadt wiedergetroffen habe. Das Fachgebiet der jungen Frau, die ich Kirilka nennen möchte, was sich vom Sprach-Schöpfer Kyrill ableitet, sind so genannte Familienaufstellungen. Etwas, was ich immer schon mal machen wollte. Jetzt habe ich einen ersten Einblick gewonnen, wie tief so etwas gehen kann.
Gemeinsam mit Kirilka war ich am gestrigen Montag noch als Freunde eines Kandidaten zu Gast in der Sendung „Wer wird Millionär“, die auf bulgarisch „Werde reich“ heißt, und bei der man immerhin 100.000 Lewa (50.000 Euro) gewinnen kann. Gerne würde ich mehr über diese Show und meinen Freund schreiben, was mir aber bei Strafe verboten ist. Ich habe dafür unterschrieben, auch weil es eine Aufzeichnung war. Die Folge wird erst im Februar ausgestrahlt.
Zurück zu dem Ausspruch von Kafka, dass neue Wege dadurch entstehen, dass man sie geht, an den mich obiges aktuelles Graffito in Sofia erinnert hat. Den Spruch von Kafka habe ich gleich zweimal in dem Buch „Helden für ein Leben“ von Walter Seyffer wiedergefunden, das sich auf ein anderes Buch bezieht, und zwar auf Joseph Campbells Standardwerk „Der Heros in tausend Gestalten“.
Campbells Buch ist deswegen ein Standardwerk, weil alle erfolgreichen Autoren und Regisseure es nicht nur gelesen haben, sondern sich auch von ihm inspirieren ließen. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass man keinen Bestseller schreiben und auch nicht drehen kann, ohne die Kenntnis des Inhaltes von Campbells Buch. Das wird einem jeder, der sich mich mit der Materie auskennt, bestätigen.
Auch wenn Kirilka nicht die Absicht hat, einen Bestseller zu schreiben oder zu drehen, so war sie sich doch sicher, dass Campbells Buch mit der von ihr angebotenen Familienaufstellung korrespondiert, sie, wenn man so will, ergänzt. Auch ich denke so, obwohl ich in Sachen Familienaufstellung noch ein Neuling bin.
Demnächst wird in der Heimat ein weiteres Buch erscheinen, das sich auch auf Campbells Buch bezieht. Es ist von Raymond Unger, der Gast in meiner Radiosendung „Hier spricht TaxiBerlin“ gewesen war, die man hier nachhören kann. Der Titel seines Buches ist „Die Heldenreise des Bürgers – Vom Untertan zum Souverän“. Auch hier dürfte der Ausspruch Kafkas „Neue Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“ gelten, an den mich obiges Graffito in Sofia erinnert hat.
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Bericht aus Bulgarien (400) – „Haltung ist Spaltung“

Es stimmt wirklich: JA meint in Bulgarien NEIN, und ein NEIN ist ein JA. Obiges Video zeigt dies sehr gut und bietet sogar eine Erklärung dafür an. Ob diese richtig ist, das weiß ich nicht. Was ich weiß, ist, dass der Umstand, dass in Bulgarien alles immer umgedreht ist, mir dabei geholfen hat, Dinge, die in Deutschland auf dem Kopf stehe, auf die Füße zu stellen. Beispielsweise das ewige Haltung zeigen, was eigentlich nur Spaltung meint. Oder wenn jemand mit dem Finger auf dich zeigt, dir Hass und Hetze vorwirft, dann kannst du dir in der Heimat sicher sein, dass er selbst ein Hetzer und Hassprediger ist. Bulgarien ist, was Authentizität und Klarheit angeht, eine Frischzellenkur, weswegen ich die Schluchten des Balkans nur jedem ans Herz leben kann, zum Beispiel im neuen Jahr. Denn wenn, wie in Deutschland, alles auf dem Kopf steht, dann bekommt man dies selbst gar nicht mehr mehr, weil man selbst ja auch auf dem Kopf steht. Das ist wie mit unserem Auge, das uns eigentlich ein auf dem Kopf stehendes Bild liefert, was unser Gehirn automatisch umdreht, was wir aber nicht mitbekommen. In diesem Sinne kann man Bulgarien durchaus mit einem Gehirn vergleichen, allerdings eins, was noch selber denkt.
Hier das ganze noch einmal auf bulgarisch
Videos YouTube
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (399) – „Der Routinezerstörer“

Lange war ich auf der Suche nach meiner Routine hier und bin es immer noch. Bulgarien ist ein Routinezerstörer, so wie Thomas Bernhard ein Geschichtenzerstörer war. Das ist die Wahrheit. Man macht besser keine Pläne in den Schluchten des Balkans. Oder man plant das Gegenteil von dem, was man eigentlich machen möchte. So mache ich es jetzt. Will ich ans Meer, plane ich einen Tripp ins Gebirge. Oder will ich nach Griechenland, plane ich, so wie letzten Herbst, im Land zu bleiben. Damit fahre ich sehr gut – im Moment. Bulgaren machen gar keine Pläne, sie lassen alles auf sich zukommen. Bei ihnen werden also keine Pläne zerstört, denn sie haben erst gar keine. Die hohe Kunst der Routinezerstörung, wofür man Nerven aus Stahlseilen braucht. Davon bin ich (noch) weit entfernt. Aber ich bin auf meinem Weg. Gerade arbeite ich an einer Endlosfassung von Brechts „Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens“: Ja, mach nur einen Plan! Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch ’nen zweiten Plan, ’nen dritten Plan, ’nen vierten Plan, ’nen fünften Plan, ’nen sechsten Plan, ’nen siebenten Plan, ’nen achten Plan, ’nen neunten Plan … undsoweiter , sprich ထ unendlich,  undsofort: Geh’n tun sie alle nicht. – Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlecht genug. Doch sein höheres Streben ist ein schöner Zug.

Video YouTube
Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (398) – „Meine Visitenkarte“

Meine neue Visitenkarte ist nun online. Gerade habe ich den Wartungsmodus ausgeschaltet. Ein neuer Freund in der Heimat hat mich nicht nur auf die Idee gebracht, sondern mir auch beim Aufbau meiner Homepage geholfen. Dafür bin ich ihm dankbar, denn es geht im Leben nicht darum, möglichst viele Freunde zu sammeln, schon gar nicht virtuellen, sondern ein paar wenige richtige zu haben. Auch dies eine Erkenntnis der letzten drei Jahre, die ich gerne mit meinen Lesern teilen möchte, deren Meinung über meine neuen Visitenkarte mich interessiert. Auch Hinweise auf Fehler und Verbesserungsvorschläge sind Willkommen – Danke!
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Bericht aus Bulgarien (397) – „Fernstesschämen“

Folge deinem Führer: „Karl befiel, wir folgen dir!“
Grafito in Sofia / Bulgarien
Schämt man sich aus der Ferne, dann ist dies Fernstesschämen. Fernstesschämen ist immer Fremdschämen, denn aus der Ferne kann man sich nur Fremdschämen. Ich kann mich gerad nicht entscheiden, für wenn ich mich aus der Ferne Fremdschämen soll: für den deutschen Gesundheitsminister, oder für meine Landsleute wegen ihrem Gesundheitsminister. Fest steht, dieser ist selbst aus der Ferne nur noch peinlich. Für ihn schäme ich mich aufrichtig. Leid tut er mir nicht. Leid tuen mir meine Landsleute. Aber jedes Volk hat nunmal die Regierenden, die es verdient. Die Bulgaren habe derzeit keine gewählte Regierung, was ich nur empfehlen kann. Denn damit gibt es in Bulgarien auch keinen Karl Lauterbach, den übrigens niemand hier kennt. In Bulgarien hätte man dem Karl schon längst eine Zwangsjacke verpasst. Das wird auch in Deutschland passieren – irgendwann. Wer’s nicht glaubt, dem sei vom Bulgaren gesagt: „Mit Garantie! Du wirst schon sehen!“
Foto&Text TaxiBerlin

Phase Vier: Die Bestrafung der Unschuldigen

Besuch des US-amerikanischen Kriegsministers Lloyd Austin
Sofia, 19. März 2022

Auch wenn die Straße meine Universität war und immer noch ist, so habe ich auch ein paar Unis von innen gesehen, und nicht nur die Mensa. Ausgerechnet von einem Doktor aus Moskau, sein Name ist Manuach Messengießer, habe ich etwas fürs Leben gelernt. Doktor Messengießer, der wie gesagt erst in Moskau lehrte, bevor er nach Berlin kam, hat die vier Phasen der Planung entdeckt. Dazu muss man wissen, dass Doktor Messengießer, bevor er Moskau verließ, dachte, dass nur in einer Planwirtschaft wie in der Sowjetunion ein Plan gemacht wird. Kaum im Westen angekommen, musste Doktor Messengießer jedoch feststellen, dass auch im Westen geplant wird. Aber nicht nur das. Es gibt, das ist das große Verdienst von Doktor Messengießer, dies herausgefunden zu haben, die vier Phasen der Planung, die sowohl im Osten, als auch im Westen gelten. Diese sozusagen systemübergreifenden Phasen der Planung sehen laut Doktor Messengießer so aus: 1. Euphorie (über den Plan) 2. Ernüchterung (weil Plan ist nicht zu schaffen) 3. Suche nach den Schuldigen 4. Bestrafung der Unschuldigen – Doktor Messengießer hat aber nicht nur die vier Phasen, die wie gesagt systemübergreifend sind, erforscht, sondern darüber hinaus herausgefunden, dass wir uns die allermeiste Zeit in Phase Vier befinden. Ich habe Doktor Messengießer, der immer noch in Berlin leben soll, lange nicht gesprochen, weswegen ich seine aktuelle Analyse nicht kenne. Meine Analyse, aufbauend auf den Thesen von Doktor Messengießer, sieht so aus: Der Plan, Russland zu ruinieren, den Krieg zu gewinnen, oder auch nur die Ukrainer diesen Krieg für uns gewinnen zu lassen, wird nicht funktionieren. Das sage nicht nur ich, sondern auch Henry Kissinger, der viele Jahre eine wichtige Rolle in der Aussenpolitik der USA spielte, und zwar als Vertreter einer so genannten harten gewaltbereiten Realpolitik. In Deutschland, wo man die simple Wahrheit eines vom Saulus zum Paulus gewandelten Kissingers (noch) nicht offen aussprechen darf, macht sich seit einiger Zeit doch immerhin eine gewisse Ernüchterung breit. Nicht wenige geschichtsvergessene Ewiggestrige hatten auf einen Blitzkrieg samt Endsieg gehofft. Beides ist nun nicht eingetreten. Ein Winter, wenn er denn irgendwann noch beginnen sollte, voll Hunger und Kälte steht bevor. Die Suche nach den Schuldigen hat bereits begonnen, und auch schon die Bestrafung der Unschuldigen. Die Bestrafung der Unschuldigen, die ihre Arbeit verlieren, zur Tafel gehen müssen oder gar aus ihrer Wohnung fliegen, findet offiziell, beispielsweise in den Medien, natürlich nicht statt. Das ist klar. Die Unschuldigen sind immer selbst an ihrem Elend Schuld. Das ist nicht schön, aber nicht zu ändern. Das Schöne ist, dass es nach jedem gescheiterten Plan einen neuen Plan gibt. Und auf diesen Plan hoffe und warte ich. Vielleicht liege ich da aber auch verkehrt, und der dritte große Krieg bricht vorher aus. Möglicherweise ist er auch schon ausgebrochen, wir haben es nur noch nicht bemerkt. Das kann natürlich auch sein. Wir sollten auch darauf vorbereitet sein, auf diese Variante von Phase Vier.

Foto&Text TaxiBerlin