Bulgarien ist, ich habe es mehrfach erwähnt, das Land der Ungeimpften. Manche nennen sie auch Ungespritzte. Gleichzeitig ist Bulgarien das Land der Aufgespritzten, also der aufgespritzten Lippen. 30 Prozent, so wie die offizielle Impfquote, wären sicherlich zu hoch gegriffen. Selbst 20 bis 25 Prozent, die inoffizielle Impfquote in Bulgarien, erscheinen mir zu viel. Sicher ist, dass mehr Frauen als Männer davon betroffen sind. Praktisch habe ich noch keinen Mann mit aufgespritzten Lippen gesehen, weder in Bulgarien, noch in Deutschland. Warum bulgarische Frauen sich öfters die Lippen aufspritzen lassen als deutsche Frauen, darüber kann man trefflich spekulieren.
Schon lange rede und schreibe ich davon, dass das Thema Auswandern in Deutschland am Explodieren ist. In der Heimat selbst ist das noch nicht angekommen, dafür aber in Bulgarien. Ein Beispiel dafür ist obige Werbung in der U-Bahn in Sofia, die den Bulgaren dazu auffordert, doch mal was Neues auszuprobieren, nämlich Deutsch zu lernen. Das Deutsch der Anzeige ist nicht ganz korrekt, aber wie sollte es auch anders sein, wenn jeder dritte Bulgare im Ausland lebt. Vielleicht pflegt bereits eine bulgarische Krankenschwester deine Liebsten oder ein bulgarischer Handwerker gräbt dir gerade ein Loch für deinen Pool für drei Euro die Stunde. Schwarz – versteht sich! Demnächst könnte es andersrum sein, wie beim Bulgaren vieles andersrum ist. Vielleicht gehörst bald auch Du zu denen, die beim Bulgaren an die Tür klopfen, weil Du deinen Job verloren hast, in den Krieg ziehen sollst oder Du dir Deutschland einfach nicht mehr leisten kannst. Der Bulgare kann nicht jeden aufnehmen, dafür ist sein Land zu klein. Auch wenn er dem Deutschen die Aufnahme nicht garantieren kann (wer Garantie will, soll nach Frankreich gehen, so sagt es ein bulgarisches Sprichwort), sind die Deutschen doch Bulgariens Favoriten – daran hat sich nichts geändert. Deutschland und Bulgarien vereint, da geht praktisch nichts drüber. (Vielleicht noch Deutschland und Russland, aber das ist geheim.) Apropos Russe: In Bulgarien ist der Deutsche sicher vor ihm – eine Garantie gibt es aber auch hier nicht. Aber es ist sicherlich nicht die schlechteste Idee, in Bulgarien zu sein, wenn der Russe (mal wieder) gen Berlin zieht oder Putin eine seiner Hyperschallrakete auf den Weg in die Bundeshauptstadt bringt. Da ist man besser in den Schluchten des Balkans aufgehoben als zuhause. Untergehen tut man aber (mal wieder) gemeinsam, also der Deutsche zusammen mit dem Bulgaren. Es wäre dann das dritte Mal in Folge. An der Stelle muss ich an Brecht denken, der nach dem letzten großen Krieg sagte, dass das große Karthago drei Kriege führte. Nach dem ersten war es noch mächtig. Nach dem zweiten war es noch bewohnbar. Nach dem dritten war es nicht mehr auffindbar. Brecht dürfte eher Deutschland und nicht Bulgarien mit dem „großen Karthago“ gemeint habene, denn Deutschland führte den Krieg – nicht Bulgarien. Verloren haben ihn am Ende beide, so viel steht fest. Das Brecht-Zitat kennt man übrigens auch in Bulgarien, denn der Bulgare lernt jetzt – in Vorbereitung auch auf Dich – Deutsch.
„Die ersten 50 Jahre der Kindheit sind die schwersten“ steht auf dem T-Shirt. Es steht dort auf bulgarisch, wird aber von einem Deutschen in Bulgarien getragen. Das ist der Grund, dass ich an meine Landsleute in der Heimat denken musste. Ihre Infantilisierung scheint irgendwie kein Ende zu nehmen. Eher das Gegenteil: sie nimmt jeden Tag mehr an Fahrt auf. Bleibt die Frage, ob sie in voller Fahrt auf dem Boden aufschlagen, ob sie vorher vielleicht noch aufwachen oder erst beim Aufschlag. Ich tippe auf letzteres, allerdings ohne Aufwachgarantie.
Heute wäre ich fast rückfällig geworden. Jetzt nicht, was den Alkohol angeht, sondern das Taxifahren. Gott sei Dank war gerade keine Schicht frei in den Schluchten des Balkans – irgendwo im bulgarischen Nirgendwo.
Bin gerade unterwegs auf der Suche nach deutschen Auswanderern. Es gibt sie, und dass nicht zu knapp. Sie haben Interessantes zu berichten, möchten aber unerkannt bleiben. Ein Phänomen, das auch in der Heimat immer mehr um sich greift. Wer noch eine eigene Meinung hat, möchte nicht erkannt werden, wenn er sie äußert. Was ich sagen kann: Die Landsleute in den Schluchten des Balkans sind topfit, sowohl körperlich als auch im Kopf, obwohl sie oft nicht mehr die Jüngsten sind. Die Jüngeren, also die Mitte 20 bis Mitte 40jährigen, stecken mehrheitlich noch im deutschen Hamsterrad fest. Da keiner vor die Kamera wollte, musste ich auf obiges Foto zurückgreifen, aufgenommen irgendwo im bulgarischen Nirgendwo. Ein Denkmal aus sozialistischen Zeiten mit dem Titel „Der Kampf geht weiter“. Auf ihm ein Storchennest, an dem sich kleinere Vogelnester befinden. Auch wenn der Storch keine Kinder bringt, steht er trotzdem für Fruchtbarkeit – auch bei geistigen Tätigkeiten.
In Bulgarien fahre ich so oft mit der Bahn, dass ich bereits einen eigenen Platz habe, wo mir immer die besten Gedanken kommen. Beispielsweise dieser hier: Donald Trump hat Friedrich Merz als „schwierig“ (difficult) bezeichnet. Die Tagesschau hat daraus „er ist nicht ganz einfach“ gemacht. Vermutlich, damit es netter klingt. Laut Öffentlich/Rechtlich hat der amerikanische Präsident Merz damit ein Kompliment gemacht. Also ich weiß nicht. Ich finde Friedrich Merz alles andere als schwierig. Ich finde ihn ganz einfach. Allerdings nicht so, wie die Menschen in Bulgarien. Die sind einfach, aber nicht dumm. Friedrich Merz ist nur in dem Sinne einfach, dass er einfach zu durchschauen ist, unser „nicht mein Bundeskanzler“ Dr. BlackRock. Generell scheint es mir auch hier wieder alles genau umgedreht zu sein als beim Bulgaren. Zumindest ist das meine Erfahrung. Wenn zum Beispiel ein Deutscher immer wieder betonen muss, und das muss er oft, wie offen er ist, kann man sicher sein, dass er ganz geschlossen ist. Er kann noch so viel gereist sein, sein Weltbild ist meist sehr klein. Reisen verdummt ihn, insbesondere Reisen als Konsum. Was anderes ist es ja am Ende nicht. Darüber hinaus sind meine deutschen Landsleute oft wahnsinnig kompliziert. Einfach, weil sie die einfachsten Zusammenhänge nicht begreifen, nicht begreifen wollen. Kann man deswegen schon von dumm sprechen? Darüber möge sich jeder sein eigenes Urteil bilden. Immerhin reimt es sich: Der Bulgare ist einfach, aber nicht dumm – beim Deutschen ist es andersrum.
Fahrscheine der Staatlichen Bulgarischen Eisenbahn
Wenn ich in Bulgarien mit der Bahn fahren will, gehe ich an den Schalter, mache dort meine Ansage und bekomme daraufhin einen Fahrschein wie oben, den ich in bar bezahle. Bei der Deutschen Bahn ist das anders, zumindest wenn man ein Deutschland-Ticket kaufen möchte und nicht vor Ort ist. Dann braucht man eine App, also ein Smartphone, und darüber hinaus noch einen Computer, um sich anzumelden. Bezahlen geht natürlich nicht in bar, das ist klar. Aber es geht auch keine Überweisung, zumindest in meinem Fall nicht. Da geht nur Kreditkarte. Auf Nachfrage bekomme ich folgende Antwort von der Deutschen Bahn: Ihre Zahlung per SEPA-Lastschriftmandat für die Bestellung in unserem Onlineshop wurde nicht akzeptiert, daher konnte die Bestellung nicht abgeschlossen und kein Ticket ausgestellt werden. Eine Stornierung oder Kündigung Ihrerseits ist nicht erforderlich. Haben Sie weitere Fragen? – Ich denke, nicht. Es ist alles gesagt:
Der Euro (wahlweise auch die Deutsche Bahn) = Der Fahrschein für die Titanic.
Ich schreibe das auch, weil es mich an die Endzeit der DDR erinnert. Dort hat zum Schluss auch nichts mehr funktioniert. Genauso wie heute. Ich sage nur Verspätung, Zugausfälle, einstürzende Brücken etc. … Mit einem Unterschied: Die Leute damals waren elektrisiert. Heute nehme ich meine Landsleute vor allem betäubt wahr.