Der ehrliche Makler von Bulgaristan (0002)

Für das Objekt 0002 gibt es bereits einen Interessenten aus dem Silicon Valley, der allerdings nur eine Mauer haben möchte. Das ist nicht so ungewöhnlich, dass Mauerstücke selbst über den großen Teich geschippert und dort neu aufgestellt werden. Das letzte Mal geschah dies vor dreißig Jahren regelmäßig mit der Berliner Mauer. Ob es mit diesem Stück Mauer auch klappt, ist noch nicht klar, da die Mauer zu einem anderen großen Bauwerk als die Berliner Mauer gehört, und zwar zu einem ehemaligen Industriegebäude. Industrie gab es schon zu sozialistischen Zeiten nicht viel in Bulgarien. Heute ist das Land sehr am Rande unseres schönen Kontinents praktisch Industriebefreit, weswegen man hier über den „Green Deal“ der Europäischen Union nur lächeln kann. Überhaupt auf die Idee zu kommen, mit der Natur einen Deal abschließen zu wollen ist abwegig, praktisch so, als würde man mit Gott ein Geschäft machen wollen. In dieser Beziehung sind die Bulgaren wie die Indianer, die dem weißen Mann zu erklären versuchten, dass sie ihr Land nicht an ihn verkaufen können, einfach weil es ihnen gar nicht gehört. Bei dem Stück Mauer, dass der weiße Man heute vom Bulgaren kaufen will, ist das anders. Da geht es um die Frage, ob man ein Stück Mauer aus einem alten Industriegebäude herausnehmen kann. Darüber verhandle ich im Moment mit Statikern und dem Eigentümer. Zum Glück gibt es nur einen Eigentümer, ein ehemaliger Mafiot, der zur Wendezeit, die in Bulgarien bis heute „Demokratisierung“ heißt, ganz bewusst mit „Anführungszeichen“, genauso wie der „Green Deal“, so einiges zusammengeklaut hat, und der heute ein angesehener Business-Mann in Bulgarien ist, was die Verhandlungen ungemein erleichtert. Oft haben Immobilien ganz viele Besitzer oder Erben, die sich untereinander nicht riechen können. Verhandlungen sind dann sehr schwer und will man sie erfolgreich abschließen, muss man mehr Psychotherapeut als Makler sein. Interessant ist noch das Detail, was der Interessent aus Amerika mit diesem Stück Mauer aus Bulgarien anstellen möchte. Er will es als abschreckendes Beispiel in seiner Firma im Kalifornischen Silicon Valley aufstellen, und immer wenn jemand so guckt wie die Mauer, also so typisch balkanisch depressiv und negativ, regelrecht barbarisch wenn nicht gar kannibalisch, wird er gefeuert. Eine interessante Idee, wie ich finde, die mit Hilfe von Gesichtserkennung in der Firma des verrückten Amerikaners wirklich funktionieren könnte. Vorausgesetzt, der Bulgare spielt mit. Genau daran arbeite ich gerade. Sollte der Deal zustande kommen, bin ich ein gemachter Mann, denn als ehrlicher Makler von Bulgaristan, wie Bulgarien von seinen türkischen Nachbarn genannt wird, bin ich bei jedem erfolgreichen Vertragsabschluss mit zehn Prozent dabei. Erwähnte ich das eigentlich schon?
Fotos&Text TaxiBerlin

Der ehrliche Makler von Bulgaristan (0001)

Ich beginne die Reihe von Immobilien, die zum Verkauf stehen, mit einem meiner ganz persönlichen Favoriten. Das zweistöckige Backstein-Haus mit zwei Eingängen, einem Balkon und einem kleinen Anbau, der als Lager genutzt werden kann, ist vor der beeindruckenden Kulisse des Balkangebirges und direkt an der Straße gelegen und damit bestens geeignet für ein kleines Geschäft, Kneipe oder Bar. Der wunderschöne dunkelgelbe Putz ist echt, also echt alt und nicht künstlich auf alt gemacht. Die Stromleitungen sind teilweise neu verlegt und müssen nur noch verputzt werden. Am Dach, wo es bereits die Drahthalterung für ein Storchennest gibt, müsste bei Gelegenheit mal was gemacht werden.
Interessenten an der Immobilie melden sich bitte unter Angabe der Objektnummer, damit ich die Anfrage zuordnen kann. Das Beste ist, man macht auch gleich ein Angebot, wie viel einem das Schmuckstück wert ist, damit mein Bürgermeister es an den Eigentümer weiterleiten kann. Der Eigentümer wohnt nicht vor Ort, aber mein Bürgermeister weiß, wo er ihn findet, weil mein Bürgermeister seine Leute kennt und auch sonst alles weiß. Als ehrlicher Makler von Bulgaristan, so heißt Bulgarien auf Türkisch, kümmere ich mich dann um die Verhandlungen zwischen dem Interessenten und dem Eigentümer, da ich auch die Landessprache spreche.
Falls das Objekt 0001 nicht gefällt, das wie gesagt eines meiner persönlichen Favoriten ist, grundsätzlich aber Interesse an einer Immobilie auf dem Balkan besteht, beispielsweise als Alternative zu Berlin, lohnt es sich immer mal wieder hier vorbeizuschauen. Ich stelle regelmäßig neue Objekte auf meiner Seite vor.

Fotos&Text TaxiBerlin

Der ehrliche Makler von Bulgaristan

Greif zu, bevor es jemand anders tut!

Genau in dem Moment, als vor 20 Jahren in New York die Twin Towers einstürzten, bin ich in Berlin vom Fahrrad gestürzt. Ein Auto hatte mich in Kreuzberg vom Rad geholt, ich war drei Monate aus dem Verkehr gezogen und konnte also auch kein Geld verdienen. Da ich bei dem Unfall ohne Schuld war, bekam ich immerhin Schmerzensgeld. Von diesem Geld, Schmerzen haben manchmal auch was Gutes, habe ich mir meine Hütte in den Schluchten des Balkans gekauft. Hütte ist dabei die absolut zutreffende Bezeichnung für das, was seither die Erweiterung meiner Berliner Bohemen Bude ist.
Heute würde für eine solche Hütte in den Schluchten des Balkans ein Fahrradunfall in Berlin nicht mehr reichen. Das liegt daran, dass seither so einige eine neue Bleibe in Bulgarien gesucht haben, vor allem Engländer, aber auch Amerikaner und Deutsche schauen sich hier um, und mit jedem Tag werden es mehr. Denn seit einiger Zeit dürfen auch Ausländer in Bulgarien Immobilien besitzen. Das war vor 20 Jahren noch anders.
Die Nachfrage nach Bohemen Buden in den Schluchten des Balkans hat also enorm zugenommen, das Angebot ist aber eher kleiner geworden. Und das, obwohl es jetzt mehr leerstehende Hütten gibt als damals, denn immer mehr Bulgaren verlassen ihre angestammte Heimat und suchen im Ausland nach Arbeit und Auskommen. Man spricht in dem Zusammenhang in Bulgaristan, wo es für die wenigen Verbliebenen immer mehr ums Überleben als um Leben geht, auch nicht von Emigration sondern von Evakuierung.
Waren es früher nur einzelne Häuser, die leer standen, so sind es heute ganze Dörfer. Auch wenn die Zahl derjenigen, denen Berlin zunehmend auf die Nerven geht, enorm zugenommen hat, dürfte immer noch für jeden von ihnen etwas dabei sein in Bulgarien. Nur, und das ist der Haken, sie stehen nicht zum Verkauf. Das liegt daran, dass der Bulgare an seiner Scholle hängt. Für wen Berlin nur eine „Base“ ist, der kann das natürlich nicht nachvollziehen, aber die bulgarische Seele tickt anders.
Bevor der Bulgare sein Stückchen Erde, auf dem vielleicht noch die Hütte steht, in der er einst geboren wurde, für ’n Appel und ’n Ei verkauft, behält er sie lieber, auch wenn sie verfällt, weil er nichts an ihr machen lässt. So ist die Situation vielerorts in Bulgarien, wo es aber für jedes Ding, und so auch für dieses, eine Lösung gibt. Die Lösung hier lautet: Wenn du Problem hast, das du nicht lösen kannst mit Geld, kannst du nur lösen mit viel Geld.
Dazu muss man wissen, dass viel Geld in Bulgarien nicht automatisch viel Geld in Deutschland bedeutet. Wenn ich, um nur ein Beispiel zu machen, für meine Hütte mit einem Fahrradunfall bezahlt habe, so sind heute, damit der Bulgare sich von seiner Scholle trennt, drei oder vier Fahrradunfälle nötig. Aber hey, die meisten Menschen verdienen ihr Geld nicht mit Fahrradunfällen. Das war jetzt nur ein Beispiel!
Ich schreibe diesen Beitrag auch im Namen meines Bürgermeisters, mit dem zusammen ich als letzter verbliebener Einwohner unser Dorf bewohne. Mein Bürgermeister weiß nicht nur, welche Hütte von wem verlassen wurde und wo er ihn findet, sondern kennt auch die Höhe des Schmerzensgeldes (früher sagte man Abstand dazu), für das der (noch) Eigentümer bereit ist, sich von seiner heimischen Scholle zu trennen. Darüber hinaus meldet mein Bürgermeister dich gerne als neuen Einwohner in unserem Dorf an. Das hat er für mich auch gemacht. Die Anmeldung kostet dich auch nichts, nur Nerven.
Dass das Schmerzensgeld, also der Abstand, für den der Bulgare bereit ist, sich von seiner Bohemen Bude auf dem Balkan zu trennen, heute höher ist als damals, als in New York die Twin Towers eingestürzt sind, und ich in Berlin vom Fahrrad gefallen bin, ist der Lauf der Dinge. Dafür kann ich nichts, auch wenn ich als ehrlicher Balkan-Makler jetzt davon profitiere. Dafür kannst auch du Hauseigentümer werden, was in Berlin, wovon vielleicht auch du die Schnauze voll hast, für dich ein Ding der Unmöglichkeit ist.
Hinzu kommt, sozusagen als Bonus, dass hier niemand auf Abstand achten muss. Ganz einfach, weil nur wir beide, also nur mein Bürgermeister und ich, hier leben. Meinen Bürgermeister habe ich auch noch nie mit Maske gesehen, ich habe sie mir Anfangs nur aus Angst vor dem Berliner Maskenmob aufgesetzt, den es hier aber nicht gibt. Es gibt hier auch keine Polizei und auch kein Ordnungsamt. Mein Bürgermeister ist gleichzeitig Dorf-Sherriff und ich sein Deputy. Last but not least: Du brauchst auch keine Impfung, und so wie es aussieht, wird das auch so bleiben. Vorausgesetzt es kommen nicht zu viele, dass unser Dorf wie Berlin wird. Das wollen wir auf keinen Fall!
Foto&Text TaxiBerlin

Von Menschen, Boxen und Pferdeboxen

 

Mit einem blauen Auge davongekommen

„Living In The Box“ war ein großer Hit der Fine Young Canibals vor gut 30 Jahren, also zu Wendezeiten. Es dauerte nicht lange, da fand ich auf der Straße, meiner Universität, die Antwort auf den Song der Feinen Jungen Kannibalen: „You Must Come Out Of Your Box!“ Bald darauf tauchten plötzlich ausgerechnet auf den Straßen vom Landkreis Schönefeld Schilder auf, auf denen nur ein Wort stand: „Pferdeboxen“. Boxen jetzt schon Pferde, fragte ich mich sogleich. Ich muss dazu sagen, es war damals die Zeit, wo alles möglich war, zumindest in Berlin. In Schönefeld boxten natürlich keine Pferde, sondern es wurden Boxen angeboten, die man für sein Pferd mieten konnte. Neulich hörte ich, dass in Schönefeld Menschen in Boxen müssen. Ob das jetzt die selben oder nur die gleichen Boxen sind, wie man sie damals für sein Pferd mieten konnte, kann ich nicht sagen. Was ich weiß, ist, dass Menschen jetzt bei Großveranstaltungen wie Konzerten in Boxen müssen. Am Wochenende kann es vorkommen, dass Menschen in Berlin auf der Straße geboxt werden, und zwar genau dort, wo neulich noch die selben, möglicherweise auch nur die gleichen Menschen im Rahmen einer Großveranstaltung ausgelassen feiern durften, ganz ohne Boxen und auch ohne geboxt zu werden.
Foto&Text TaxiBerlin

Wer nicht von Sektenführern geführt möchte, muss mörderische Affekte aushalten können

 

Nach der Wahl ist möglicherweise vor der Wahl in Bulgarien. Es kann durchaus passieren, dass hier im Herbst zum dritten Mal gewählt werden muss. Das Balkanland ist derzeit jedenfalls ohne Führung. Im Gegensatz zu Deutschland, das von Sektenführern geführt wird. Das meint zumindest Hanz-Joachim Maaz in obigen Interview, das so klingt, als wäre es in Bulgarien aufgenommen, das die „schlechteste“ Impfquote hat und gleichzeitig kaum noch Corona-Tote, obwohl das Land voll ist von alten Leuten, die bekanntlich besonders gefährdet sind. Doch zurück zum Interview mit Hans-Joachim Maaz, der mir auch schon mal in Berlin im Taxi saß, als ich noch Taxi gefahren bin, und der sagt, dass der, der nicht von Sektenführern geführt werden möchte, mörderische Affekte aushalten können muss. Die kann ich auf jeden Fall bestätigen. An Sektenführer, die es sicherlich gibt, wenngleich gerade nicht in Bulgarien, habe ich andere Ansprüche.

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„Unwissenheit ist Stärke“*

Das Navi – Der neue Volksempfänger

Wir leben in einer Zeit des lebenslangen Lernens, so wurde und wird es uns erzählt, praktisch bis heute. Diese Ära ist dabei zu Ende zu gehen, und das Taxi fährt voran.

Demnächst soll ein jeder sich hinters Taxilenkrad setzen dürfen, auch wenn er nicht eine Straße oder auch nur ein Platz kennt. Sollte er doch einmal danach gefragt werden, wird die Antwort die sein, die es in Amerika zum Running-Gag der gesamten Dienstleistungsbranche geschafft hat: „I don’t know, I’m just working here!“ – Frage also in Zukunft nicht den Taxifahrer nach irgendetwas in der Stadt, sondern sei froh, wenn er das Autofahren beherrscht!

Es wird „gute“ Gründe geben, warum Nichtwissen plötzlich toll sein soll, auch wenn sich diese mir nicht erschließen wollen. Ich habe keine Ahnung, wie man solche Leute heute nennt, früher nannte man sie Ewiggestrige, und ich gehöre definitiv zu ihnen. Das war nicht immer so. Früher glaubte beispielsweise auch ich, dass der Kapitalismus vor allem eines braucht: dumme Konsumenten. Auch wenn ich es nicht beweisen konnte, so erschien es mir doch logisch, zumindest theoretisch. Diese einstige Theorie wird gerade endgültig in die Praxis umgesetzt, wir waren damals nur der Zeit voraus.

In Zukunft kann es passieren, du kommst am Berliner Hauptbahnhof an, steigst dort in ein Taxi, in dem der Taxifahrer, bevor er die Fahrt beginnen kann, in sein Navi das Brandenburger Tor, dein Fahrziel, eingeben muss, auch wenn dieses kaum einen Kilometer entfernt und praktisch in Sichtweite liegt. Vorausgesetzt natürlich, der Fahrer ist des korrekten Schreibens kundig, weswegen die Eingabe wohl bald fernmündlich ala „Alexa“ erfolgen wird oder bereits erfolgt. Dann kann es auch schon losgehen mit deiner Beförderung, alles auf mündliche Anweisung und ganz nach dem bekannten Motto: „Führer befiel, wir folgen dir!“ Als ausgebildeter Führer für Berlin und Potsdam frage ich mich gerade, ob es demnächst auch Stadtführungen von Führern ohne Ausbildung geben wird. Möglich ist alles, der Führer hatte schließlich auch keinen Führerschein.

Sicherlich, Taxifahren ist nicht die Welt, aber immerhin das mobilste und möglicherweise auch das zweitälteste Gewerbe auf dieser. Ich will das Taxifahren aber gar nicht überbewerten. Ärzte ohne Medizinstudium wird es wohl nicht geben – oder? Und vielleicht stimmt der Satz von Maria von Ebner-Eschenbach auch gar nicht, dass derjenige, der nichts weiß, alles glauben muss. Möglicherweise ist alles auch ganz anders. Für mich als Ewiggestriger ist mit dem Wegfall der Ortskundeprüfung für Taxifahrer, dem Ende vom Ende des Taxis, jedenfalls klar, dass ich mich nie wieder hinter das Lenkrad eines Taxis setzen werde. Warum sollte ich mich selbst downgraden oder mich unter meinen Wert verkaufen? Das wäre ja so, als würde der Arzt plötzlich als Putzfrau auf seiner Station arbeiten. Und überhaupt: Taxifahren hat auch Ehre!

Ein klein wenig Hoffnung habe ich noch. Wenn das eingangs zitierte Mantra des ewigen Dazulernens stimmt, dann ist das jetzt möglicherweise nur eine Phase, die sich morgen, vermutlich eher übermorgen, schon wieder ins Gegenteil verkehren kann und Wissen plötzlich wieder wichtig ist. Ich würde das nicht komplett ausschließen wollen, erlaube mir allerdings zu bedenken zu geben, dass die Verblödung vergleichsweise zügig voranschreitet – abwärts geht es bekanntlich immer schneller. Setzt man sie in Relation zu der Zeit, die nötig ist, um sich Wissen anzueignen, tippe ich aus dem Bauch heraus auf 1:5 wenn nicht gar 1:10. Mit anderen Worten ausgedrückt: Um ein Jahr Verblödung wieder gut zu machen, bedarf es fünf, wenn nicht gar 10 Jahre Bildung.

Möglicherweise ist der Point Of  No Return, ab dem die Verblödung gar nicht mehr als Verblödung sondern als Normalität wahrgenommen wird, die dementsprechend auch nicht mehr korrigiert werden muss, aber auch vorher erreicht ist. Die Dummheit des Menschen ist nicht nur unendlich, wie Einstein meinte, sondern es gibt für sie, ganz wie auf unseren Autobahnen (haben die nicht die Nazis erfunden?), auch kein Tempolimit. Vielleicht sind wir über den Point Of No Return auch schon hinaus, immerhin wird uns die fortschreitende Verblödung durchaus erfolgreich als „Modernisierung“ verkauft.

Dann ist sowieso alles egal, dann kann ich auch mein ganz persönliches Lieblings-Endzeitszenario verraten, bei dem, wie sollte es anders sein, das Taxi voran fährt: Ein Mensch von morgen, ich wette einer von diesen Taxifahrern ohne Ortskenntnisse, wird von der Künstlichen Intelligenz, eine Art Super-Navi für alles und jeden, welches irgendwann in der Zukunft das menschliche Denken komplett übernommen hat, mit angenehmer aber bestimmender Führerstimme dazu aufgefordert werden, einen ganz bestimmten Knopf auf seinem mobilen End-Gerät zu drücken, weil dies für die Welt das beste sei. Und was macht der Mensch von morgen? Genau, er drückt diesen ganz bestimmten Knopf, und die Welt wird erlöst sein. Denn die Welt ist besser dran ohne den Menschen, allen voran ohne den von morgen.

*Ministerium für Wahrheit
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Mein erstes Care Paket und mein möglicherweise letzter Beitrag

Meine Wunschadresse

Gestern erreichte mich in den Schluchten des Balkans mein erstes Care Paket aus Österreich. Care Pakete gab es nach dem Krieg auch in Deutschland, damals kamen sie aus Amerika. Die Zeiten ändern sich. Auch einen Krieg hat es hier an sich nicht gegeben. Und trotzdem ist Bulgarien, was seine Bevölkerung angeht, das am schnellsten schrumpfende Land weltweit, ohne dass wie gesagt offiziell ein Krieg erklärt worden wäre oder gar stattgefunden hätte. In meinem Dorf sind nur noch mein Bürgermeister und ich verblieben. Alle anderen haben sich rechtzeitig vor den morgigen Neuwahlen in Sicherheit gebracht. In Bulgarien spricht man in dem Zusammenhang auch nicht von „Emigration“ sondern von „Evakuierung“, also von „sich in Sicherheit bringen“. Viele sind nach Deutschland gegangen. Wenn demnächst Bulgaren neben dir einziehen, dann sind sie möglicherweise aus unserem Dorf. Doch zurück zu mir und meinem ersten Care Paket, das mich wie gesagt gestern erreichte. Pakete kommen also an, obwohl auch bei der Bulgarischen Post kaum noch jemand arbeitet. Mein erstes Care Paket ist aus Wien, das ist die Hauptstadt von Österreich und liegt ziemlich genau zwischen Berlin und hier. Mein Care Paket aus Österreich kam aber nicht nur an, sondern war auch nur eine Woche unterwegs, was eine Spitzenzeit ist. Normalerweise braucht eine simple Postkarte mindestens einen Monat, manchmal auch ein Jahr und manch eine kommt auch nie an. Möglicherweise arbeiten bei der Bulgarischen Post bereits Gastarbeiter aus Deutschland. Das ist durchaus vorstellbar, denn immer mehr Menschen aus „Germanija“, wie Deutschland auf Bulgarisch heißt, suchen ihr Glück in den Schluchten des Balkans. In meinem Fall sind die Schluchten nicht nur verkehrt, sondern regelrecht irreführend, denn „Biloto“ heißt „Auf dem Grat“. Ich wohne also „Auf dem Grat“ des Balkangebirges Nummer 24. Auch der Ort „Spanchevtci“ lässt sich übersetzen, er heißt auf Deutsch „Sich schlafen legen“. Beides, also sowohl die Straße „Auf dem Grat“, als auch der Ort „Sich schlafen legen“ hat sich mein Bürgermeister für mich ausgedacht. Deswegen gebe ich sie hier auch an. Wenn es nur noch wenige Einwohner gibt, wie das in meinem Dorf der Fall ist, in dem nur noch mein Bürgermeister und ich wohnen, kann man sich die Namen selber ausdenken in Bulgarien. Das ist ein Trick, mit dem man die letzten Bulgaren zum hierbleiben verleiten möchte. Manchmal klappt das. In dem Fall von meinem Dorf hat es geklappt. Wie es aussieht, werde hier bleiben, auch damit mein Bürgermeister nicht ganz alleine ist. Wenn mein Bürgermeister Zeit hat, bringt er mir meine Post selbst vorbei. Mein Bürgermeister ist nicht nur Bürgermeister und Barmann, sondern auch Postbote. Mein Care Paket aus Wien habe ich mir in seiner Kneipe abgeholt. Auch wenn außer uns niemand mehr im Dorf wohnt, hat mein Bürgermeister immer viel zu tun. Gerade hat er für mich das Freibad mit Mineralwasser aufgefüllt. Mein erstes Care Paket wiegt zwar nur 0,41 kg, aber Masse ist nicht alles, wenn wie in meinem Fall Edelmetalle drin sind. Selbst Edelmetalle kommen neuerdings an, früher ein Unding, aber was noch wichtiger ist: Auch du kannst mir ein Care Paket schicken, es muss keine Edelmetalle enthalten (auch wenn das natürlich schön wäre), und solltest es auch tun, denn vorher gibt es keinen weiteren Beitrag über Überlebensstrategien für den Balkan und anderswo, die auch für dich sehr bald sehr wichtig sein werden. Von irgendwas muss auch ich leben, genauer: überleben. Alternativ kannst du mir auch Geld auf mein Konto überweisen. Auf Nachfrage teile ich dir gerne meine Bankverbindung mit. Du kannst natürlich auch vorbeikommen und deine Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Du wärst nicht der erste, der diese Möglichkeit als Sprungbrett für seine eigene Evakuierung aus Deutschland nutzt, um wenigstens sich selbst in Sicherheit bringen. Vielleicht musst du auch demnächst ausziehen, einfach weil du deine Wohnung nicht mehr bezahlen kannst. Bei uns im Dorf gibt es jede Menge freien Wohnraum, und nicht vergessen: Ich kenne den Bürgermeister, wir sind Freunde. Was das Arbeiten angeht, da mache dir keine Sorgen. Schon vor dem Abgang vieler Landsleute gab es in Bulgarien „Arbeit für das gesamte chinesische Volk“. Auch wenn ich von Besuchen „Auf dem Grat“ in „Sich schlafen legen“ abzusehen bitte, so ist deine Arbeitskraft hier immer Willkommen. Und auch wenn die Adresse eine Wunschadresse ist (die Möglichkeit gibt es in Bulgarien wirklich, so wie es in Deutschland Wunschkennzeichen fürs Auto gibt), die sich mein Bürgermeister für mich, seinen Freund aus Deutschland, das er sehr mag, ausgedacht hat: Uns gibt es wirklich! Was noch wichtiger ist: Die Post kommt auch an, selbst Edelmetalle, obwohl die Adresse wie gesagt eine Wunschadresse ist. Aber das wichtigste ist: Du hilfst mir jetzt, und ich helfe dir demnächst, wenn du Hilfe brauchst – versprochen!
Foto&Text TaxiBerlin