Bevor es zu spät ist

Die bulgarische Rose ist nicht ganz so bekannt wie der bulgarische Schafkäse, das Schwarze Meer und der Schopska Salata. Vom bulgarischen Rosenöl dürfte der ein oder andere schonmal gehört haben. Irgendwo müssen die Rosen stehen, aus denen es gewonnen wird. Eine steht direkt vor meiner Hütte, wo die bulgarische Rose wild wächst. Dahinter übrigens die wilde Sauerkirschen, die demnächst kommen. Doch zurück zum Rosenöl, einem Muss für jeden Bulgarienreisenden. Vor kurzem habe ich die Abrechnung bekommen für das von mir herausgegebene Buch über einen mobilen Rosenölhändler. Mir sind die Tränen gekommen. Jetzt nicht vom Rosenöl, sondern von der Anzahl der verkauften Exemplare. Dabei wurde kurz vor Weihnachten nochmal Werbung dafür gemacht. So kann es nicht weitergehen! Wovon soll ich leben? Vielleicht von Wasser und Brot? Das mache ich doch schon! OK, so schlecht ist das auch wieder nicht. Weder das Wasser, noch das Brot. Und überhaupt ist Wasser und Brot das Kommende. Andererseits erfahre ich von Menschen in der Heimat, dass sie schon wieder in den Urlaub fahren, als gebe es keinen Krieg in der Nachbarschaft. Gut, die meisten fliegen nach Spanien oder Portugal, auch weil sie Bulgarien und Rumänien nicht auseinanderhalten können. Aber selbst da kann man lesen, am Strand oder auch im Flieger. Was will man da auch sonst machen, die anderen nerven ja sowieso nur. Und die Saison fängt gerade erst an. Gleichzeitig wird die Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer. Bei wieviel Sekunden liegt sie derzeit? Oder sind wir schon bei Millisekunden angekommen? Am witzigsten finde ich die, die immer von einer Auszeit faseln, und dann in dieser angeblichen Auszeit der Welt im Minutentakt wissen lassen, was für sinnlose Sachen sie gerade machen. Für die ist mein Buch nichts. Für den Rest, falls es ihn noch gibt, schon. Es geht wie gesagt um einen mobilen Rosenölhändler und dessen Abenteuer auf seinen Reisen quer durch Europa. In Bulgarien kennt den Typen, sein Name ist Ganju Balkanski – besser bekannt ist er als Bai Ganju, jedes Kind. Wer Bulgarien nicht mit Rumänien auseinanderhalten kann, kennt ihn natürlich nicht. Das ist klar. Die Lektüre ist durchaus auch beim Tanz auf dem Vulkan zu empfehlen. Vielleicht ist es das letzte Buch, das du liest, bevor es endgültig den Bach runter geht. So nah an einem Dritten Weltkrieg waren wir seit der Kubakrise nicht mehr. Für immer mehr Menschen wäre es gleichzeitig das erste Buch. Also das einzige, was sie je gelesen haben. Noch ist Zeit zum Zugreifen. Bestelle gleich jetzt und bevor es zu spät ist „Bai Ganju, der Rosenölhändler“!

Eine Berliner Zeitung Ente?

„Wir wollen keinen Euro!“ & „Schützen wir den bulgarischen Lev“ – Nationalistisch?

Meinen Beitrag über die Proteste in Sofia wollte die Berliner nicht haben, da man in der Redaktion bereits an einem Artikel zur aktuellen Situation in Bulgarien arbeite. Heute ist dieser Beitrag erschienen. Ich gehe davon aus, dass es der angekündigte ist. Hier nochmal mein Beitrag. Möge sich jeder sein eigenes Urteil bilden. Eine Sache fällt mir am Beitrag der Berliner Zeitung auf, weswegen ich in Form eines Leserbriefes nachgefragt habe. Die Rede ist von den „nationalistischen Slogans“, die erst als Bildunterschift und später nochmal im Text zu finden sind . Die Autorin der Berliner Zeitung schreibt in ihrem Beitrag: „Die Demonstranten riefen demnach nationalistische Slogans und …“ Worauf bezieht sich nun „demnach“? Ich gehe davon aus, dass es sich auf einen verlinkten Artikel von „Novinite“ bezieht, obwohl „Novinite“ erst danach namentlich erwähnt wird. Demnach (hier ist „demnach“ richtig) rief die Menge wiederholt Parolen wie „Rücktritt“, „Mafia“, „Nein zum Euro“ und „Mörder“. Nur, was davon ist ein nationalistischer Slogan? Wie bereits erwähnt war ich am Samstag in Sofia, wo ich Plakate mit Aufschriften wie „Referendum = Freedom“, „Brussels! Are You Blind?“ und „Wir wollen keinen Euro!“ gesehen und diese Slogans gehört habe: „Rücktritt!“, „Referendum!“ und „Wir wollen den Lev!“. Auch hier die Frage: Welcher davon ist nationalistisch? Zu meiner Frage habe ich mir erlaubt in meinem Leserbrief zwei Sachverhalte zu erwähnen, die in dem Artikel der Berliner leider nicht zu finden sind – wohl aber in meinem – und die mir wichtig erscheinen. Zum Einen, dass eine Meinungsumfrage Anfang des Jahres ergab, dass 57,1 Prozent der Bulgaren gegen die Einführung des Euros in Bulgarien sind und nur 39 Prozent dafür. Mit anderen Worten: Die Mehrheit der Bevölkerung ist dagegen, weswegen sich jetzt auch der Präsident zu Wort gemeldet und die Demokratie in Form eines Referendums angemahnt hat. Zum Anderen die Information, die sich zwar bei „Novinite“ findet, aber nicht in der Berliner Zeitung, und zwar, dass bei dem heutigen Protest bis zu 100.000 Menschen auf den Straßen von Sofia gewesen sein sollen, was für Bulgarien eine sehr große Teilnehmerzahl ist.

Alles nur gefälscht

Haifisch Europa

Lange habe ich nicht verstanden, warum so viele Leute ständig Bulgarien mit Rumänien verwechseln. Jetzt scheint es eine Erklärung zu geben. Nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen neulich in Rumänien nun der gefälschte Bericht, dass Bulgarien angeblich die Kriterien der Eurozone erfüllt. Alle Bulgaren, egal ob sie für oder gegen den Euro sind, wissen, dass Bulgarien die Kriterien für die Eurozone nicht erfüllt. Das sage nicht ich, ich bin ja nur halber Bulgare, sondern Ivelin Mihaylov, Vorsitzender der Partei „Velichy“. Also nicht so ein schräger rechter Vogel von der utranationalistischen und prorussischen Partei „Wiedergeburt“. Aber es wird noch besser: Ivelin Mihaylov sagt das nicht irgendwem, sondern dem Bulgarischen Nationalradio (BNR). Und die veröffentlichen das auch noch prompt, das muss man sich mal vorstellen! Sind die denn des Wahnsinns? Die haben offensichtlich vorher nicht in Brüssel angerufen, mit welchen Adjektiven die EU den Herrn bereits belegt hat. Ich vermute, unsere Ursula wird demnächst wieder auf X von „unerhörten Szenen in Sofia“ schreiben.

Tip für heute: An einer neuen Version von „Alles nur geklaut“ mit dem Titel „Alles nur gefälscht“ arbeiten.

Hurra, der T€uro kommt!

Wie ich bereits schrieb, sind bei Lidl Bulgaria die Preise neuerdings auch in T€uro angegeben. Ab 1. Juli soll man bereits mit ihm bezahlen können. Keine Ahnung, ob das stimmt. Was stimmt, ist, dass ich schon Kommentare von in Bulgarien lebenden dummen Deutschen gelesen habe, die sich darüber freuen. Worüber sie sich freuen, ist mir nicht ganz klar geworden. Ich vermute, weil sie dann ihr Geld nicht mehr umtauschen müssen. Es kann nie bequem genug sein. Vielleicht sollte das Recht auf Bequemlichkeit ins Grundgesetz geschrieben werden. In Amerika ist das – glaube ich – so. Aber zum eigentlichen Thema: dem Brot. Ich habe viele verschiedene probiert und bin bei diesem Brot von Lidl gelandet. Angeblich Handgemacht. Wer’s glaubt. Es ist kein richtiges Weißbrot. Zumindest ist es innen nicht richtig weiß. Warum es nicht richtig weiß ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Jedenfalls schmeckt es. Zwar nicht so, wie das Brot früher in Bulgarien geschmeckt hat, aber doch besser als jedes andere Weißbrot in Bulgarien. Vom Graubrot nicht zu reden. Das gibt es praktisch nicht. Zumindest in dem Sinne, dass es kein Sauerteig-Brot ist. Es ist eher gefärbtes Weißbrot. Vielleicht hat Lidl an dieses Brot auch etwas graue Farbe ran gemacht. Neulich bei Kaufland meinte eine Frau, dass in der Milch weiße Farbe drin sei. Das ist natürlich eine Verschwörungstheorie. Vermutlich eine von der Hafermilch-Lobby in die Welt gesetzte. Hafermilch gibt es übrigens auch in Bulgarien. Dass sie jemand kauft, habe ich allerdings noch nicht gesehen. Das Brot von Lidl geht dagegen gut weg, obwohl mit 2,99 Lewa nicht gerade billig – und dank T€uro bald noch teurer.

„Freiheit ist Sklaverei“ und „Zwang ist Demokratie“

Obige Aufnahme entstand am Samstag in der Rakowskistraße in Sofia. Nicht nur in Sofia, auch in anderen Städten Bulgariens gab es Proteste gegen die „zwangsweise Einführung des Euro ohne Referendum und ohne Zustimmung des bulgarischen Volkes“. Die Formulierung stammt nicht von mir, sondern vom Bulgarischen Nationalradio (BNR). Über den Protest in Sofia habe ich diesen Beitrag verfasst, der gerade bei der „Freien Akademie für Medien und Journalismus“ erschienen ist. In meinem heutigen Blogbeitrag soll es um die Rakowskistraße gehen. Ich kenne die Straßen von Sofia nicht so gut, wie ich die Straßen Berlins gekannt habe. Die Rakowskistraße, benannt nach dem Revolutionär, Schriftsteller und Aufklärer der Bulgarischen Nationalen Wiedergeburt Georgi Rakowski, von dem der Ausspruch stammt: „Vaters Haus sollst du nie vergessen, alte Bräuche sollst du nie verachten“, macht da eine Ausnahme. In der Rakowskistraße wohnte einst meine Oma, vielleicht 300 Meter weiter unten in Blickrichtung. Als Kind bin ich oft diese leichte Steigung hochgelaufen vorbei am übergroßen Denkmal von Alexander Stamboliski, dem Vorsitzenden des Bauernvolksbundes und Abgeordneten der Nationalversammlung. Während Rakowski im rumänischen Exil an Tuberkulose starb, wurde Stamboliski in der Heimat ermordet. Bevor er erschossen wurde, wurde er gefoltert. Seiner Leiche schnitt man die Hände ab, was ich als Kind, das sein Viertel erkundete, noch nicht wusste. Jetzt weiß ich es und muss daran denken, wenn ich so wie letzten Samstag die Rakowskistraße hochlaufe, diesmal als Protestberichterstatter.

Angeführt wurde der Demonstrationszug, es war der größte, den ich je in der bulgarischen Hauptstadt gesehen habe, wie bei Demonstrationen üblich von Polizisten in Schutzkleidung. Diese gab es auch am anderen Ende der Rakowskistraße, an dem sich der Glaspalast der Europäischen Kommission befindet. Dort trugen die Polizisten zusätzlich Schilde, offensichtlich um sich vor mit Fahnen bewaffneten Mädchen auf Mutters Arm zu schützen.

Dabei haben sie doch nur die Demokratie geschützt, also die von den anderen, weswegen sie in der Heimat auch „unsere“ Demokratie genannt wird. Am Samstag in Sofia ging es auch darum, zu verhindern, dass wieder mit roter Farbe gefüllte Eier auf das Gebäude geworfen werden oder gar Scheiben des Glaspalastes zu Bruch gehen. Es muss gute Farbe gewesen sein, vermutlich war sie aus dem Westen, denn an einigen Stellen ist sie bis heute zu sehen, obwohl der Protest, auf dem die Eier geworfen wurden, bereits mehr als drei Monate zurück liegt.

Wie man sieht, befindet sich der Glaspalast der EU an einer Ecke. Nur einen Steinwurf entfernt, praktisch gegenüber, befindet sich der Supermarkt Lidl, in dem seit Neuestem die Preise auch in Euro angegeben sind. Mit anderen Worten: Die Deutschen sind Vorreiter bei der „zwangsweisen Einführung des Euro ohne Referendum und ohne Zustimmung des bulgarischen Volkes“. Mit Zwang kennt er sich aus, der Deutsche. An seinem Wesen soll mal wieder die Welt genesen. Man kennt das. Auch wenn niemand an den EU-Glaspalast herangekommen ist, war der deutsche Lidl geöffnet. „Business As Usual“ sagt der Amerikaner dazu. Ob man es noch sagen darf, seitdem Trump Präsident ist, da bin ich mir gerade nicht sicher. „Da rollt der Rubel“ geht glaube ich nicht mehr.

„Die Suche geht weiter – nach vorn.“

Heute ist Montag, und ich war wieder auf dem Flohmarkt in Montana. Letzten Montag war ich zwar auch in Montana, aber nicht auf dem Flohmarkt. Der fiel aus wegen Regen. Auch für meinen Freund aus der Heimat, der mich letzte Woche in den Schluchten des Balkans besucht hatte. Er hat meinen letzten Beitrag gelesen, und als ich ihm von meinem heutigen Flohmarktbesuch erzählte, fiel ihm sogleich ein, dass er mal irgendwo gelesen hatte, dass wöchentliche Routine antidepressiv wirkt, was ich bestätigen kann. Womit wir beim Flohmarkt und meinen Fundstücken wären: Zwei CDs von Rosenstolz. Die Sängerin ist kürzlich verstorben. Sie war in meinem Alter und wohnte bei mir um die Ecke im Friedrichshain. Wenn heute Menschen sterben, deren Zeit eigentlich noch nicht gekommen ist, frage ich mich sogleich: Haben sie sich impfen lassen? So weit ich es verstanden habe, war das bei AnNa R., der Sängerin von Rosenstolz, der Fall. Ich erinnere mich noch daran, dass gesagt wurde, dass jeder bald jemanden kennen würde, der an Corona gestorben sei. Ich persönlich kenne keinen. Ich kenne aber auch keinen, der an der Impfung gestorben ist, zumindest nicht persönlich. Aber ich kenne sowieso nur wenige, die sich haben impfen lassen. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass man eher jemand kennt, der an der Impfung gestorben ist als an Corona. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass bei vielen, die angeblich an Corona gestorben sind, die Todesursache eine ganz andere war. In Griechenland beispielsweise starb fast jeder zweite „Corona-Tote“ nicht an Covid. Doch zurück zu meinen heutigen Flohmarkt-Fundstücken, den beiden Rosenstolz-CDs. Ich hatte sie schon mehrfach gesehen. Eine Verkäufer hat mehrere Kisten mit deutschsprachigen CDs, die sich nicht verkaufen. Ich habe den Eindruck, dass nur ich CDs aus diesen Kisten kaufe. Da ich kein Rosenstolz-Fan bin, habe ich sie bisher links liegen lassen. Dass ich heute zugeschlagen habe, hat mit den Titeln der beiden CDs zu tun. Die eine heißt „Wir sind am Leben“. Für AnNa R. trifft dieser Satz heute nicht mehr zu. Hätte sie vielleicht noch am Leben sein können? Die Frage ist müßig, ich weiß. Hatte sie eventuell ein Vorgefühl, dass es irgendwann demnächst vorbei sein könnte? Die CD ist von 2011, also noch nicht soo alt. Etwas älter, von 2008, ist „Die Suche geht weiter“. Gerade höre ich das zweite Lied „Gib mir Sonne“. Dort singt AnNa R.: „Nur was weh tut, ist auch gut“. Ich muss an Mikes Kommentar zu meinem letzten Beitrag denken, der schrieb: „Lernen durch Schmerz“, und dass er Dank seiner Frau noch am Leben ist. Seinen Kommentar hatte ich gelesen, da hatte ich die CDs schon gekauft. Jetzt, wo ich darüber schreibe, fällt mir auf, dass wir dasselbe Thema haben: AnNa R., Mike und ich. Gerade bin ich beim letzten Lied „Die Suche geht weiter“ angekommen, wo AnNa R. dies singt: „Wir rannten wie Gejagte …“, was mich an die Jagd auf Ungeimpfte und Menschen ohne Maske in D denken lässt – Opfer des deutschen Corona-Wahns. – AnNa R.s letzte Worte sind: „Die Suche geht weiter – nach vorn.“

Mein Nervenkostüm

Schon lange überlege ich, mal über mein Nervenkostüm zu schreiben. Nun scheint mir der richtige Zeitpunkt gekommen zu sein. Es werden jetzt sieben Jahre, dass ich keinen Alkohol mehr trinke. Seit ich in Bulgarien bin, gehe ich offen mit meiner Sucht um. Ich tue das nicht, um mich wichtig zu machen. Es gehört einfach zu meinem Motto: „Werde, der du bist!“, das ich bei Nietzsche gefunden habe. Dazu gehört auch, zu seinen Fehlern und Schwächen zu stehen. Auch um andere dazu zu ermutigen. Am Ende muss jeder für sich entscheiden, wie er mit seinen Fehlern und Schwächen umgeht. Dies gehört zu den Dingen, auf die ich keinen Einfluss habe. Das zu verstehen, dazu hat mir das Gelassenheitsgebet der Anonymen Alkoholiker geholfen. Ich war bereits mehr als zwei Jahre „trocken“, wie man unter Alkoholikern sagt, bevor ich das erste AA-Meeting (Treffen der Anonymen Alkoholiker) besucht habe. Ich gehörte zu denen, die dachten, dass ich einfach nur aufhören muss mit dem Trinken und dann alles gut wird. Das Gegenteil war der Fall, die Probleme fingen dann erst so richtig an. Bei den Freunden von den Anonymen Alkoholikern durfte ich lernen, dass es eine gute und eine schlechte Nachricht gibt, wenn man mit dem Alkohol aufhört. Die gute lautet: „Die Gefühle kommen wieder!“, und die schlechte: „Die Gefühle kommen wieder!“. Genau damit, mit meinen Gefühlen, hatte ich die letzten sieben Jahre zu tun. Und dabei hatte ich „Der Gefühlsstau“ von Hans-Joachim Maaz gelesen. Ich dachte, ich wüsste alles. Ich wusste nichts, und gefühlt habe ich gleich gar nichts. Die ersten zwei Jahre meiner Abstinenz habe ich versucht, es irgendwie auszuhalten, alles mit mir alleine abzumachen. Am Ende hat meine Partnerin vieles abbekommen, völlig zu unrecht natürlich, das weiß ich jetzt. Alleine deswegen kann ich es nicht empfehlen. Jetzt werden es wie gesagt sieben Jahre, dass ich weg bin vom Alkohol. In dem Buch „Nüchtern“ von Daniel Schreiber, das beste Buch, das ich zum Thema „Mit dem Trinken aufhören“ gelesen habe, steht, dass es fünf Jahre braucht, bis man wieder man selber wird. Damals war ich gerade zwei Jahre trocken und dachte: „Verdammte Scheiße!“. Aber auch nach fünf Jahren war ich immer noch nicht ich selbst. Jetzt, nach sieben Jahren, bekomme ich so langsam eine Vorstellung davon, was es heißt, wieder man selbst zu sein. Auf meinem Weg begleitet haben mich meine Frau, Freunde, Bekannte, die Anonymen Alkoholiker und auch Bulgarien, das Land meines Vaters, das mich mehr und mehr zur Ruhe kommen ließ. Ich bin jetzt an dem Punkt, und deswegen überhaupt dieser Beitrag, dass ich nicht nur zu meiner Sucht, sondern auch zu meinen Depressionen stehen kann. Lange habe ich gar nicht gewusst, was ich habe. Mit der Zeit setzte sich die Erkenntnis bei mir durch, dass es Depressionen sind. Jetzt bin ich so weit, dass ich mich offen dazu bekennen kann. Ich weiß, viele haben Depressionen. Aber wer spricht schon darüber, und noch dazu offen? Wie ich an diesen Punkt gekommen bin, kann ich gar nicht genau sagen. Was den Alkohol angeht, weiß ich es: „Einfach nicht mehr trinken und zu den Meetings gehen!“ Ich nehme keine Medikamente gegen die Depressionen, und ich will auch keine nehmen. Manchmal, wenn ich Kopfschmerzen habe, nehme ich Aspirin. Das einzige, was ich überhaupt nehme. Es gab Zeiten, da musste ich mich zum Atmen zwingen, damit ich es nicht vergesse. Daran muss ich denken, wenn ich meinen englischen Freund Jerry frage, wie es ihm geht, und er mir antwortet: „Still breathing!“ Die schlimmsten Zeiten sind zum Glück vorbei, worüber ich sehr froh bin. Was ich auf jeden Fall sagen kann, ist, dass ich erst richtig am Arsch sein musste, um wieder auf die Beine zu kommen. Ich sage das auch, weil ich den Eindruck habe, dass es vielen so geht, insbesondere in der Heimat. Manchmal denke ich, dass es dem gesamten Land, also Deutschland, so geht. Wenn ich mich über meine Heimat lustig mache, dann ist das nicht nur zu Recht, wie ich finde, es ist immer auch ein tiefer Schmerz damit verbunden. Werden meine Landsleute auch wieder auf die Beinen kommen? Das mag sich dramatisch anhören, aber genau das fühle ich. So viel zu meinem Nervenkostüm. Ich hoffe, ich habe nicht zu viel versprochen. Eine Sache fällt mir noch ein, die ich meinen Lesern aus den Schluchten mit auf den Weg geben möchten, und was ich auch bei AA lernen durfte: „Jedes Ding hat nicht seine zwei, sondern seine drei Seiten: Eine gute, eine schlechte … und eine witzige.“ Mein Freund Jerry sagt immer: „We are lucky!“ – Und er hat verdammt nochmal Recht!