Leben in Zeiten von Corona – Heute: Nicht alle Latten am Zaun

 

So sieht es aus

Früher fragte man den, der die Tür nicht zubekam, ob er Säcke vor der Tür hätte. Auf dem Balkan habe manche gar keine Türen, sondern nur einen Vorhang oder Teppich. Dann gab es da noch diese überaus erfolgreiche Rockband aus Kalifornien, die sich „Die Türen“ nannten. Und klar, mein Taxi hatte auch Türen, vier an der Zahl waren vorgeschrieben, sonst war es kein Taxi, was vermutlich bis heute gilt. Aber dass alle durch diese eine Tür wollen, wie jetzt bei Corona, obwohl man links und rechts einfach vorbeilaufen kann, weil der Zaun fehlt (vermutlich ist der schon auf dem Balkan), das scheint mir eine von diesen dummen deutschen Ideen zu sein, von denen es viel zu viele gibt. Der Flughafen, den man nicht eröffnen wollte, oder die Mauer, die man nicht bauen wollte, oder jetzt die Impfpflicht, die es nicht geben soll, um nur drei zu nennen. Wagner, zu dem die Schönen und Reichen (Politiker sind dort bestenfalls wohlgelitten) bis neulich nach Bayreuth pilgerten, war es glaube ich, der sagte, dass Deutsch-sein bedeute, etwas um seiner selbst willen zu tun. Und das stimmt wirklich, so ist der Deutsche gestrickt, einfach, aber man kann sich auf ihn verlassen, selbst in seiner Beschränktheit. Bei Freund Nietzsche liest sich das so: „Ein Deutscher ist großer Dinge fähig, aber es ist unwahrscheinlich, dass er sie tut. Denn er gehorcht, wo er kann, wie das einem an sich trägen Geiste wohl tut.“ In Berlin ist so mit das schlimmste, was dir passieren kann, wenn dir einer sagt, dass du nicht alle Latten am Zaun hast. Wenn jetzt, wo es gar keinen Zaun mehr gibt, immer noch alle durch die eine Tür, die übrigens nicht abgeschlossen ist, gehen wollen und das möglichst gleichzeitig, ist, so denke ich, die höchste Stufe von nicht alle Latten am Zaun haben erreicht.     Also sprach TaxiBerlin, kannste glauben.

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Leben in Zeiten von Corona – Heute: Der Gedankenverbrecher

Bethaniendamm 21
früher Kreuzberg / heute Friedrichshain-Kreuzberg

„1984“ von George Orwell verkauft sich gerade wie geschnitten Brot. Seit November habe ich es insgesamt zehnmal (10x) in meinem Bauchladen verkauft. Zuletzt als Hörspiel, das ich mir, bevor ich es verschickt habe, noch einmal angehört habe. Gleich am Anfang wurde dort die Hauptperson, ein gewisser Winston, als Gedankenverbrecher bezeichnet, was sogar gestimmt hat. Selbst die Kinder der Nachbarin haben das sofort durchschaut, also in dem Hörspiel jetzt. Von daher ist es immer besser, seine Gedanken zu kontrollieren, vorausgesetzt dass man es kann. Für mich muss ich sagen, dass ich bis heute nicht verstehe, nicht verstehen will, wie man seine Gedanken kontrollieren kann, weswegen ich in Sachen  eigener Gedankenkontrolle ein Ungläubiger, ein Gedankenverbrecher bin. Was mir festzustehen scheint, ist, dass wenn du deine Gedanken nicht kontrollierst, es jemand anders tun wird. So gesehen mache ich mir als Gedankenverbrecher, der seine Gedanken nicht kontrollieren kann und auch nicht will, keine Sorgen um die Kontrolle meiner Gedanke durch Dritte.      Also sprach TaxiBerlin, kannste glauben.

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Leben in Zeiten von Corona – Heute: Wovon Journalisten einen Orgasmus bekommen und was nach der Impfung kommt

 

In meinem Taxi habe ich mir wirklich alles und jeden angehört, und so auch Itzo Hazarta, den Rapper des Jahres in Bulgarien, einem kleinen Land am Rande unseres schönen Kontinents. Itzo, den ich neulich, also vor Corona, noch im Lido gesehen und gehört habe, beantwortet in obigem Song eine Frage, die ich mir schon seit Ewigkeiten stelle. Es ist die Frage, was Journalisten heute umtreibt, was sie heiß macht, wenn du soll willst. Itzo Hazarta, der einst der bekanntesten Band Bulgariens überhaupt mit dem schönen Namen „Upsurt“ („Absurd“ – das Wort, das das Leben auf dem Balkan und möglicherweise demnächst auch deines perfekt beschreibt, absichtlich verkehrt geschrieben) angehörte und nicht umsonst Rapper des Jahres ist, weiß natürlich die Antwort (1:13) „idva i orgasyma ot hubava saplata“, was auf Deutsch heißt: „sie kriegen einen Orgasmus von ihrem schönen Gehalt“. OK, das ist jetzt nicht wirklich neu. Nur, dass es nicht nur Journalisten auf dem Balkan betrifft, das ist bei dem ein oder anderen noch nicht angekommen. Aber Itzo weiß mehr als nur, wovon Journalisten heutzutage einen Orgasmus bekommen. Itzo weiß auch, was nach der Impfung kommt (2:21): „remonta na remonta na remonta na remonta na remonta …“, was auf Deutsch heißt: „die Impfung nach der Impfung nach der Impfung nach der Impfung nach der Impfung …“ – Facebook bekommt in dem Song „Saradi tebe“ – „Wegen dir“, in dem es darum geht, dass immer jemand anders Schuld am eigenen Unglück haben muss, auch sein Fett weg (2:32), aber das ist in Bulgarien, wo der Auftritt von Itzo Harzarta und seinen Buchlesenden Damen (0:15) im römischen Amphitheater von Plowdiw sowohl im nationalen Fernsehen als auch im bulgarischen Radio übertragen wurde, ein alter Hut, dass Facebook nicht nur dumm macht und die Menschen verblödet, was nun auch hierzulande nicht mehr zu übersehen ist, und darüber hinaus kriminell ist wie Uber, weswegen ich mir solche radikalen Rapper wir Itzo Hazarta aus Bulgarien, dem es ganz wichtig ist, dass seine Landsleute ganz ohne Maske zusammenkommen können (2:10), auch für unser schönes Land wünsche, damit wir auch in Zukunft gut und gerne in ihm leben.   Also sprach TaxiBerlin, kannste glauben.
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Leben in Zeiten von Corona – Heute: Danke, Corona!

 

In der Pandemie in die Zukunft investieren

Heute vor einem Jahr war meine letzte Taxischicht. Seitdem bin ich ein Trockener Taxifahrer, dem man die Fahrgäste genommen hat. Taxifahren war nicht nur irgendein Job für mich, sondern Taxifahren war mein Leben. Das ist keine Übertreibung, das ist die Wahrheit. Dementsprechend groß war die Trauer über das verlorene Leben. Auch weil mir von Anfang klar war, dass es das Ende ist, weil ich mir von Anfang an nicht vorstellen konnte, mich noch einmal ins Taxi zu setzen. Warum ich mir das nicht vorstellen konnte, lag auch mit daran (aber nicht nur), dass ich lange genug im Taxi saß. Am Ende waren es 25 Jahre, ein Vierteljahrhundert, die ich im Taxi verbracht habe. Trauer über diese lange Zeit und über ihr Ende ist ganz normal. Ich erwähne das, weil trauern heute nicht mehr selbstverständlich ist. Die Menschen habe keine Zeit mehr zum Trauern, oder glauben keine Zeit mehr zu haben. Im letzten Jahr wurde einem das Abschied nehmen und damit auch das Trauern nicht gerade leicht gemacht. Manch einer hatte nichts besseres zu tun, als gleich in die Zukunft zu investieren. Es gibt solche Menschen, die ihr Humankapital, oder was sie dafür halten, sofort wieder auf den Markt werfen, werfen müssen. Ich gehöre nicht zu ihnen. Auch ein Jahr nach meiner letzten Schicht weiß ich noch nicht wirklich, was ich machen will, machen werde. Was ich weiß, ist, was ich nicht will, wie zum Beispiel kein Taxi mehr zu fahren, und noch vieles andere. So gesehen hat die Pandemie einiges bei mir bewirkt, im Gegensatz zu vielen anderen. Um ehrlich zu sein, muss ich Corona dankbar sein, für die vielen Perspektiven und Sichtweisen, die mir das Virus eröffnet hat. Wer hätte das gedacht, dass ein klitzekleiner Erreger, vor allem aber Aufreger, solche Resultate zeitigt. Diese und der steinige Weg zu ihnen lassen sich am besten in den Worten Zarathustras von Freund Nietzsche zusammenfassen „Ich bin allein!“ und „Alles ist falsch!“, um mit diesen abzuschließen: „Mit meinen Tränen gehe in deine Vereinsamung, mein Bruder.“          –           Also sprach TaxiBerlin, kannste glauben.

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Leben in Zeiten von Corona – Heute: Die lebenden Toten

Check deine Mails, ob du noch lebst

Wie ich heute morgen bereits schrieb, sind wir als Taxifahrer genauso Systemirrelevant wie die Prostituierten. Das ist deswegen wichtig zu wissen, weil sich aktuell gerade der Fokus von den ehemals Systemrelevanten weg und hin zu den Systemirrelevanten verschiebt. Systemrelevante mag es an sich noch geben, und vielleicht zählst du dich selbst sogar noch zu ihnen, aber Systemrelevante werden immer unwichtiger, also irrelevanter, weil es einfach zu viele von ihnen gibt. Auch da trennt sich gerade die Spreu vom Weizen. Wirklich systemrelevant sind eigentlich nur ganz ganz wenige, am Ende vielleicht nur eine Handvoll. Deswegen muss am anderen Ende, also bei den bereits jetzt Systemirrelevanten, Platz gemacht werden, beispielsweise indem man sie aus dem System kickt. Gut, da sagt man jetzt nicht: Wir kicken dich raus. Nein, das wird wie oben formuliert, und zwar in der Sie-Form: Sie wurden vom System abgemeldet, das ganze per e-mail. Wichtig ist dabei noch, dass es immer aus Sicherheitsgründen geschieht, das ist klar. Der Systemirrelevante ist nicht einfach nur „Der überflüssige Mensch“, weil er nicht konsumiert, nicht konsumieren kann, was an sich schon schlimm genug ist, sondern er ist immer auch ein Sicherheitsrisiko, weil es um Leben und Tod geht, weswegen er ausgeschaltet Verzeihung ausgeschlossen also abgemeldet werden muss.   Also sprach TaxiBerlin, kannste glauben.

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Leben in Zeiten von Corona – Heute: Der Systemirrelevante

 

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Meine letzte Taxischicht war vor ziemlich genau einem Jahr. Das Virus war noch gar nicht so richtig in Berlin angekommen, da machte es sich schon in meinem Taxi breit. Uber hatte dafür den Boden bereitet, das darf bei aller Eile und Hysterie heute nicht vergessen werden. Krisen machen sich am schnellsten im mobilsten Gewerbe, dem Taxi, und im ältesten Gewerbe, der Prostitution, bemerkbar. In gewisser Weise sind Taxifahrer auch Nutten, die jeden an sich ranlassen müssen, denn sie haben, im Gegensatz zur Prostituierten, die Beförderungspflicht. Eine andere Parallele ist, dass weder Nutten noch Taxifahrer Systemrelevant sind. Systemrelevant ist etwas aus der Mode gekommen, heute morgen tauchte es mal wieder im Radio auf. Der Systemrelevante darf aktuell in Berlin seine Kinder früher in die Schule bringen als der Systemirrelevante. Den Systemirrelevanten gab es bis heute nicht. Der Systemirrelevante ist von mir. Ich bin Systemirrelevant, und das ist auch gut und richtig so. Es gibt ein systemirrelevantes Leben, und ich kann es persönlich nur empfehlen. Systemirrelevant lebt es sich leichter. Das heißt aber nicht, dass es Systemirrelevante einfacher oder gar leichter hätten. So ist es nicht. Als Systemirrelevanter steht man nicht nur nicht im Mittelpunkt, sondern man ist praktisch überflüssig oder zumindest unsichtbar. Und trotzdem wurden über den Systemirrelevanten schon Bücher geschrieben, da gab es den Systemirrelevanten noch gar nicht. So etwas passiert immer mal wieder, dass ein Autor über etwas schreibt, das später Wirklichkeit wird. Das heißt aber nicht, dass das, was da einer zuvor schon geschrieben hat, irrelevant wäre. So ist es nicht – im Gegenteil! Du glaubst mir nicht? Dann empfehle ich dir Ilija Trojanows Bestseller „Der überflüssige Mensch“ zu lesen. Du musst das Buch nicht bei mir kaufen, kannst es aber, und damit mich, der für das System irrelevant ist, zumindest relevant für dich machen. Ich würde mich freuen darüber.  Also sprach TaxiBerlin, kannste glauben.

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