Bulgarische Kantinen (Eine Serie)

Es ist im engeren Sinne keine Kantine, wo ich obige Linsensuppe zu mir nahm. Um genau zu sein ist es ein Restaurant, das zu einem Kurhotel gehört, in dem man sogar bedient wird. Ich schreibe trotzdem darüber, weil die Preise des Mittagstisches denen von Kantinen entsprechen. Der Mittagstisch, ein überschaubares Angebot von etwa zehn Speisen (Suppen & Desserts inklusive), richtet sich an erster Stelle an die vorzugsweise weiblichen Mitarbeiter des Landratsamtes, das sich nur einen Steinwurf entfernt befindet. Kurgäste und Polizisten verirren sich auch regelmäßig ins Restaurant, manchmal auch Alte. Man kann sein Essen auch mitnehmen. Am Tisch wird man wie gesagt bedient. Obige Gabel habe also nicht ich dort hingelegt, wo sie liegt, sondern die Kellnerin. “Für alle Fälle!”, hat sie gesagt. Für welchen Fall, hat sie nicht dazu gesagt. Der Fall trat auf jeden Fall nicht ein, die Gabel kam nicht zum Einsatz. Die Linsensuppe an sich war sehr lecker. Als letztes, ist jetzt auch schon wieder vier Wochen her, hatte ich Bohnensuppe im Kurhotelrestaurant, wobei Suppe nicht ganz richtig ist. Die Speisen nennen sich “Jahnija”. Das Wort kommt aus dem türkischen und bedeutet, dass es sich um eine dickflüssige Suppe Richtung Ragout handelt. Die Bohnen-Jahnija, die ebenfalls sehr lecker war, konnte man so essen oder ein Würstchen oder eine Boulette oder beides dazu nehmen. Ich habe mich für die Boulette entschieden – und für eine Gabel. In dem Fall machte sie Sinn. Zum Schluss noch etwas zu den Preisen. Ich erwähne sie, weil sie für den ein oder anderen in der Heimat interessant sein könnten, der sich Deutschland heute oder morgen schon nicht mehr leisten kann. Die Linsensuppe hat 5,80 Lewa (2,90€) gekostet und die Bohnensuppe mit Boulette 7,60 Lewa (3,80€). Beide Gerichte waren vor dem Krieg nur halb so teuer. Mit dem Euro, sollte er Anfang nächsten Jahres eingeführt werden, dürften die Preise weiter steigen. Du machst dich besser bald auf den Weg …

“Mit dem Wissen von damals”

Graffito in Sofia

Wer kennt sie nicht, die Redewendung, dass man nicht alles haben kann. Mein Freund Dietrich pflegte darauf zu sagen: “Man kann alles haben – man hat’s nur nicht.” Daran muss ich denken, wenn Leute bis heute behaupten, dass man in Sachen Corona Dinge, die man heute weiß, damals nicht wissen konnte. Darauf sage ich: “Man hat sie gewusst, sie waren bekannt – man wollte aber von ihnen weder etwas hören noch wissen.” Ich komme drauf, weil es genau zu dem Thema einen aktuellen Beitrag mit dem Titel Corona: Mit dem Wissen von damals gibt.

Meinungsfreiheit tot

Maulwurf tot

Was muss ich denn da schon wieder in der Zeitung lesen? Die Meinungsfreiheit ist tot. Und das nicht irgendwo, sondern in Europa. Zum ersten Mal sind deutsche Staatsbürger betroffen. Man kennt das von früher, dass es keine Deutschen unter den Opfern gibt. Diesmal ist es anders. Wann gibt es die ersten Ausbürgerungen? Immerhin, zum ersten Mal verbietet die EU ihren eigenen Bürgern die Einreise nach Europa. Der Kumpel oben, der alle Viere von sich streckt, ist mir gestern übern Weg gelaufen … wollte ich schon schreiben. Nein, er lag einfach auf meinem Weg zum Mineralbad. Ja, das Leben ist endlich, sowohl von Mensch als auch von Tier, und das der Meinungsfreiheit nun auch. Ein Freund, der mich neulich besuchte, meinte, er habe den Eindruck, dass man in Bulgarien alles sagen kann. Gut, der Freund spricht kein bulgarisch. Aber ich, der ich ein wenig bulgarisch spreche, kann es bestätigen: Man kann in Bulgarien alles sagen. Die Meinungsfreiheit ist hier (noch) nicht tot.

Inneres Wahrheitsministerium

Mein Mineralbad in den Schluchten des Balkans nochmal

Mein inneres Wahrheitsministerium hat sich gemeldet und mir gesagt, dass die Geschichte umgeschrieben werden muss. Also nicht DIE Geschichte, sondern diese Geschichte. Auch wenn der Anfang stimmt, wiederhole ich ihn noch einmal: “Ich habe mein eigenes Mineralbad in den Schluchten des Balkans. Mein Bürgermeister hat es extra für mich anlegen lassen. Zusammen mit Bänken, einem Tisch und einem Grill. Das ist einige Zeit her. Langsam verfällt auch dieser Ort, so wie in Bulgarien alles verfällt. Mein Becken musste ich mir heute bereits mit Fröschen und ihren Nachkommen, den Kaulquappen, teilen. Zurück in meiner Hütte lese ich nun von Heringen, die ihre Eier plötzlich hunderte Kilometer entfernt ablegen. “Fachleute vermuten kollektiven Gedächtnisverlust”, schreibt das ehemalige Nachrichtenmagazin.” Dann kam folgende falsche Schlussfolgerung: “Das Kommende, denke ich sogleich: Heute die Heringe, morgen die Menschen.” Die richtige Schlussfolgerung, also was mein inneres Wahrheitsministerium sagt, lautet so: “Hat es nach dem Menschen nun also die Heringe erwischt.”

Heute die Heringe – morgen die Menschen

Mein Mineralbad in den Schluchten des Balkans

Ich habe mein eigenes Mineralbad in den Schluchten des Balkans. Mein Bürgermeister hat es extra für mich anlegen lassen. Zusammen mit Bänken, einem Tisch und einem Grill. Das ist einige Zeit her. Langsam verfällt auch dieser Ort, so wie in Bulgarien alles verfällt. Mein Becken musste ich mir heute bereits mit Fröschen und ihren Nachkommen, den Kaulquappen, teilen. Zurück in meiner Hütte lese ich nun von Heringen, die ihre Eier plötzlich hunderte Kilometer entfernt ablegen. “Fachleute vermuten kollektiven Gedächtnisverlust”, schreibt das ehemalige Nachrichtenmagazin. Das Kommende, denke ich sogleich: Heute die Heringe, morgen die Menschen.

Gleis 13

Aus meinen Schluchten des Balkans fahre ich jetzt immer mit dem Zug nach Sofia. Bei der Abfahrt sieht es so aus wie auf dem Foto oben. Gut, die Welt ist dort auch nicht in Ordnung, beispielsweise können manche, vor allem Ältere, von denen es in Bulgarien jede Menge gibt, nicht mitfahren. Denn sie kommen gar nicht erst in den Zug, einfach weil der Abstand zwischen Zug und Bahnsteig, soweit man ihn überhaupt als solchen bezeichnen kann, zu groß ist. Immerhin: die Landschaft ist OK. Im Gegensatz zu dem Bild, was sich bei der Ankunft in Sofia bietet. In dem Sinne haben die, die nicht in den Zug gekommen sind, nichts verpasst. Vielleicht liegt das Bild, das sich einem bei der Ankunft in Sofia bietet, auch einfach am Ankunftsgleis, es ist immer das allerletzte: Gleis 13.

Demokratie ohne Volk

Gestern gab es in mehreren Städten Bulgariens Proteste gegen die für nächstes Jahr geplante Euroeinführung, darunter in Sofia, wo obiges Foto entstand. Organisiert wurden sie wie in der Vergangenheit auch von der Partei “Wiedergeburt”. “Wiedergeburt” steht der AfD nahe, ihr Vorsitzender Kostadin Kostadinow hat auch schon auf Veranstaltungen der AfD in Deutschland gesprochen. Der Umgang mit “Wiedergeburt” in Bulgarien ist allerdings ein ganz anderer als der mit der AfD in Deutschland. Die Partei fordert seit langem ein Referendum, also eine Volksbefragung zur Euroeinführung. Am Europatag, dem 9. Mai, hat nun auch der bulgarische Präsident Rumen Radew ein solches Referendum gefordert. Darüber hinaus hat er diesen bemerkenswerten Satz gesagt: Es ist überraschend, dass Menschen, die als die größten Demokraten bezeichnet werden, sich gegen die Demokratie aussprechen. Das wurde auch höchste Zeit, denn der bulgarische Präsident wird im Gegensatz zum deutschen vom Volk gewählt, und die Mehrheit der Bulgaren will den Euro schon lange nicht. Nur, wen interessiert schon das Volk in einer Demokratie? Aber es wird noch verrückter. Wie sich auch wieder auf der gestrigen Demo zeigte, ist ebenso die bulgarische Linke nicht nur gegen den Euro, sondern auch gegen die EU.

Flugblatt einer linken Gruppe in Bulgarien