Bericht aus Bulgarien (222) – “Von New-York-Times-Fake-News zur Wikipedia-Ente”

Demonstranten vor dem bulgarischen Parlament
11. Mai 2022, Sofia / Bulgarien

Hier habe ich darüber berichtet, dass die altehrwürdige New York Times Fake News verbreitet, wenn sie schreibt, dass die Partei Wiedergeburt, die mit 13 Abgeordneten im bulgarischen Parlament sitzt, regelmäßig Proteste zur Unterstützung der russischen Invasion veranstalten würde. Ich kann es nur noch einmal wiederholen, dass auf diesen Demonstrationen, auf denen ich allesamt zugegen war, zu keiner Zeit die russische Invasion unterstützt wurde, sondern dass die Forderungen der Demonstranten waren und bis heute sind: für Frieden und Neutralität Bulgariens und gegen jede militärische Unterstützung der Ukraine.

Eine ähnliche Fehlinformation findet sich bei Wikipedia, sie betrifft die Parlamentswahlen im November vergangenen Jahres in Bulgarien. Die Wahlbeteiligung lag damals bei gerade einmal 40 Prozent. 60 Prozent der Bulgaren, also die Mehrheit, sind Nichtwähler. Erklärt wird dies beim Online-Lexikon so: “Die Wahl fiel mitten in den vorläufigen Höhepunkt der COVID-19-Pandemie in Bulgarien. Mit bis zu 330 Tode in der Wahlwoche hatte das Land am 8. November 2021, einer der höchste COVID-19-Todesrate pro Kopf in Europa. Beobachter erwarteten daher eine historisch niedrige Wahlbeteiligung.” Der letzte Satz wurde offenbar in weiser Voraussicht geschrieben.

Bis heute haben sich nur 30 Prozent der Bulgaren gegen Corona impfen lassen. Dieser bis heute gültige Höchst-Stand war praktisch schon Ende vergangenen Jahres erreicht, in dem es ingesamt vier Wahlen gab, und ist bis heute unverändert. Die geringe Wahlbeteiligung, es ging nur noch eine Minderheit von 40 Prozent zur Wahl, mit Corona oder der Angst vor Corona zu erklären, ist eine Falschinformation. Vielmehr sind die Bulgaren wahlmüde, aber nicht nur das. Das Vertrauen in das demokratische System ist in Bulgarien, wo die Wende bis heute “Demokratisierung” ganz bewusst mit Anführungszeichen genannt wird, noch nie besonders ausgeprägt gewesen.

Daran hat auch die angeblich “pro westliche” Regierung, also eine, die nach der Pfeife der USA tanzt, nichts geändert, eher im Gegenteil. Denn nichts anderes bedeutet “pro westlich”, und das durchschauen die Menschen hier. Genauso wie sie durchschauen, dass es bei der Corona-Impfung weniger um Gesundheit, sondern vor allem ums Geschäft geht. Sie mögen einfach sein, die Bulgaren, aber eben nicht dumm. Und wenn man ihnen ihr Wahlverhalten mit ihrer angeblichen Angst vor Corona erklärt, dann werden sie vermeintlich zustimmend nicken dazu, was aber in Bulgarien NEIN bedeutet.

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Bericht aus Bulgarien (221) – “Uber ist geil!!!”

Völlig verblödetes Taxi mit Uber-Werbung
(aufgenommen im Juni in Berlin)

Erfahre gerade aus der für ihre herausragende Lobbyarbeit bekannten Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), dass das Unternehmen Uber, welches in Bulgarien seit vielen Jahren zu Recht verboten ist, Verlust macht und dennoch zufrieden ist. Frage mich nicht, wie das geht – ich weiß es nicht. Was mir dagegen klar zu sein scheint, ist, wie diese Nachricht bei dummen Deutschen in der Heimat ankommt: “Ey, geil! Die machen minus und freuen sich noch! Dann können Inflation und steigende Preise auch mir nichts anhaben! Was die Typen können, das kann ich auch!” – Oder so ähnlich. Anfangs dachte ich noch, dass es sich dabei um das handeln würde, was Nietzsche mit “Umwertung aller Werte” meinte. Jetzt, wo ich darüber schreibe, komme ich immer mehr zu dem Schluss, dass es einfach nur Verblödung ist. Du glaubst mir nicht? Dann lass dir vom Bulgaren sagen: “Du wirst schon sehen!”

PS: Über Uber, dessen Namen sich vom deutschen Wort “Über” ableitet, aber keinen “Über-Menschen”, sondern ein “Über-Taxi” meint, was es nicht ist, es ist eher ein “Unter-Taxi”, hat Nietzsche, ohne das Unternehmen zu kennen, folgendes geschrieben: Aus der Erfahrung. – Mancher weiß nicht, wie reich er ist, bis er erfährt, was für reiche Menschen an ihm noch zu Dieben werden.”

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Bericht aus Bulgarien (220) – “Montagsdemos”

In Berlin

Die Tradition der Montagsdemo, die heute Montagsspaziergang heißen, gibt es in Bulgarien nicht. Dafür darf ein Protest in Bulgarien Protest heißen und nicht Spaziergang, damit er stattfinden darf. Die Tradition der Montagsdemonstration kommt aus der DDR, und sie geht auf die frühen Achtziger zurück, als man in Leipzig begann Friedensgebete an diesem Wochentag zu organisieren. Im Westen bekannt geworden ist dieser Begriff im Herbst 1989, als die Montagsdemos die Wende einläuteten. Übrigens ist damals niemand auf die Straße gegangen, um sich mit der BRD zu vereinigen, schon gar nicht wieder-zu-vereinigen, so dass man davon ausgehen kann, dass die friedlichen Montagsspaziergänge, beispielsweise auch der in der Lutherstadt Wittenberg, auch diesmal zu einem ganz anderen Ergebnis führen werden, genauso wie damals in der DDR. Was das genau sein wird, das kann heute noch niemand sagen. Eine Möglichkeit ist, und die ist durchaus wahrscheinlich, dass radikale Kräfte den Ton angeben werden, nachdem man Jahre versucht hat und bis heute versucht, friedliche Demonstranten in die rechte Ecke zu drängen. So gesehen ist es auch eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Ich würde es so formulieren: Wer friedliche Demonstranten ignoriert, totschweigt und gar kriminalisiert, muss sich zwangsläufig irgendwann mit Radikalen herumschlagen. Schuld daran haben aber auch diesmal nur die, die bis heute den Dialog verweigern.

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Bericht aus Bulgarien (219) – “Mut der Verzeiflung”

Verfallender Busbahnhof in Varshets
Im Hintergrund das Balkangebirge

Das ist der Busbahnhof von Varshets, einem nicht ganz unbekannten Kurort in der ärmsten Region Bulgariens, im Nordwesten, wo sich auch auch das Café “Vegas” befindet, in dem ich mich immer mit meinem englischen Freund Jerry treffe. Das Gebäude, das einmal sehr schön gewesen sein muss, immerhin hat es einen langen Balkon, auf dem früher Fahrgäste nach ihrem Bus Ausschau gehalten haben, verfällt langsam aber sicher. Der Balkon wäre in Deutschland einsturzgefährdet. Viele Fensterscheiben sind schon kaputt, erste Fenster bereits zugemauert. Das Betreten der oberen Etage ist offiziell verboten, was aber nichts heißt in Bulgarien. Im Erdgeschoss befindet sich noch ein Fahrplan, ab und an halten auch noch Busse am Busbahnhof, aber man sollte sich nicht darauf verlassen. Sie halten auch nicht mehr davor, also in den dafür vorgesehenen Bahnsteigen, sondern hinter dem Gebäude. Gestern hatte jemand einen Stand dort mit allerlei Krims Krams aufgebaut, wo einst Verkehr war und heute Stille herrscht. Auch auf seinem Auto, das in einer Vorfahrt geparkt war, in dem einst Busse auf ihre Reisenden warteten, hatte er seine Sachen platziert. Ein weiteres Auto stand ganz und gar unter dem schattenspendenden, aber verfallenden Busbahnhof. Da hat jemand Mut, dachte ich, und auch zum Krims Krams anbieten. Vermutlich der Mut der Verzweiflung.

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Bericht aus Bulgarien (218) – “Die Gender-Klatsche”

Die Sendung von Öffentlich-Rechtlich erinnert mich an das Kinder-Fernsehen der DDR. Auch damals gab es durchaus Kinder, die ihre eigene Meinung hatten. Neu war für mich immerhin das Wort “Gender-Klatsche”. Kannte bisher nur “ein an der Klatsche haben”. In Bulgarien wird nicht gegendert, und dementsprechend gibt es auch keine “Gender-Klatsche”. “Einen an der Klatsche” haben auch hier Menschen, aber irgendwie anders. Schwer zu sagen, wo genau der Unterschied liegt. Spontan würde ich sagen, sie sind irgendwie netter, menschlicher und nicht so verbiestert, wie diese Maschinenmenschen, die in Deutschland “ein an der Klatsche haben”.
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Bericht aus Bulgarien (217) – “Zweiter Oktober”

Flohmarktfund

Gestern bin ich wieder nach Montana ausgeritten und habe auf dem Flohmarkt, der immer Montagvormittags in der Hauptstadt der ärmsten Region des Landes stattfindet, endlich das gefunden, wonach ich nun schon Monate suche: ein kleines Radio für die Küche. Ausgerechnet jetzt, wo die Nachrichten im Radio dröge geworden sind, weil das Land am Rand keine Regierung mehr hat, zumindest keine gewählte. Die gewählte wurde neulich mittels Misstrauensvotum abgewählt, ich habe unter anderem hier darüber berichtet. Eine Mehrheit hatte sie von Anfang an nicht. Wir auch? Bei 60 Prozent Nichtwähler! Am Samstag gab es die letzte Sitzung im Parlament. Eine geschäftsführende Regierung regiert derzeit das Land. Eine ähnliche Situation gab es nach der vorletzten Wahl auch in Deutschland. Da hatten wir auch über Monate, wenn ich mich richtig erinnere, keine gewählte Regierung. Mama Merkel hat einfach weiter regiert. Doch zurück zu Bulgarien, wo am zweiten Oktober, also heute in zwei Monaten, erneut gewählt wird. Zählt man die Wahl des Präsidenten mit, ist das die fünfte Wahl innerhalb von anderthalb Jahren. Auch hier ist Bulgarien Deutschland wieder einmal voraus. Über eine der Wahlen in Bulgarien im letzten Jahr hatte ich an dieser Stelle geschrieben. Möglicherweise gehe auch ich wieder wählen, auch wenn ich nicht daran glaube, dass Wahlen was ändern. Sonst wären sie bekanntlich verboten. Ich halte mich da an Alexis Sorbas, der in die Kirche ging, um nicht als Freimaurer zu gelten. Obwohl, warte mal, muss ich bei 60 Prozent Nichtwähler wirklich wählen gehen, um nicht als Freidenker, wenn nicht gar Querdenker zu gelten. Ich bin mir gerade nicht sicher, auch weil es den Querdenker mal wieder gar nicht gibt in Bulgarien. Was die Begrifflichkeiten angeht, andere Menschen kollektiv abzuwerten, da ist Deutschland auch heute wieder vorneweg. Fällt mir gerade ein: Bei dem Interview, das ich neulich im bulgarischen Parlament geführt habe, wurde ich von dem Politiker gefragt, ob es, wenn es den Über-Menschen gibt, nicht automatisch immer auch den Unter-Menschen geben muss. Eine Frage, die ich gerne an meine Leser weitergebe.

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Bericht aus Bulgarien (216) – “Party Toilet Paper”

Abtreten Austreten mit Stil

An Toilettenpapier herrschte nie Mangel in Bulgarien. Ich erwähne das, weil viele in Deutschland das nicht wissen, wie man in der Heimat überhaupt wenig weiß über den Balkan. Auch nicht, dass es sogar in der schlimmsten Panik-Plan-Dämie spezielles Party-Toiletten-Papier gibt in Bulgarien. Bei mir hat das farbige Quartett von “Luxica” gerade das geniale “Gran Finale” abgelöst, das ich lange Zeit für unschlagbar hielt. Auch ich muss mit der Zeit gehen, kann mich der Balkanisierung nicht auf Dauer entziehen. Dazu gehört, jeden neuen Tag wie ein Fest zu feiern, denn er könnte der letzte gewesen sein, weswegen man ihn besser stilvoll begeht.
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