Bericht aus Bulgarien (239) – “Bacillus Bugaricus”

Infizierter Schafjoghurt mit Blaubeeren

In den Schluchten des Balkans befällt regelmäßig der Bacillus Bulgaricus die Milch von der Kuh, der Ziege und auch die vom Schaf, macht aus ihr den berühmten bulgarischen Joghurt. Den besten mit dem Bacillus Bulgaricus infizierten Schafjoghurt in unserer Region im Nordwesten gibt es im “Komplex Stalin” bei mir um die Ecke. Der Bacillus Bulgaricus macht die Milch besonders sauer, aber nicht nur das. Auch Menschen können sich mit dem Bacillus Bulgaricus anstecken. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Wer sich einmal den Bulgaricus Bulgaricus eingefangen hat, der wird ihn sein Leben lang nicht mehr los. Als Betroffener kann ich vor dem Bacillus Bulgaricus nur warnen. Der Bacillus Bulgaricus macht den Menschen nicht nur spontan, sondern sprunghaft, regelrecht unberechenbar und oft auch unkontrollierbar.   –   Das Schlimmste, was einem heute passieren kann.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (238) – “Nach der Wahl”

Der Rebellen-Wasserfall

Nachdem ich meine Stimme abgegeben hatte, es gab diesmal keine Wahlautomaten bei uns im Dorf, hat mich Jerry, der gestern Geburtstag hatte, mit seinem Lada “Niva” russischer Bauart vom Wahllokal abgeholt und wir sind in die Natur gefahren. Stundenlang sind wir durch den Wald gelaufen, ohne dass wir auch nur einer Menschenseele begegnet wären. Am Ende kamen wir zu den Heiducken-Wasserfällen, was ich jetzt einfach mal mit Rebellen-Wasserfällen übersetze, auch wenn wir uns gar nicht wie Rebellen gefühlt haben, sondern eher wie die letzten Überlebenden oder so ähnlich. Weil wir Hunger hatten, und auch um doch noch unter Leute zu kommen, sind wir danach noch zum Genossen Stalin gefahren. Bevor Jerry für jeden von uns eine Forelle bestellt hat, für die der Genosse Stalin bekannt ist, hat sich Jerry bei Frau Stalinowa, das ist die Tochter vom alten Stalin, dafür entschuldigt, dass wir an einem Sonntag in ihrem Komplex, der früher einfach nur Grill hieß – “Grill Stalin”, aufgeschlagen waren, aber wir hatten einfach Hunger gehabt, wir zwei Überlebenden. Frau Stalinowa versteht auch Englisch, denn sie ist sehr serviceorientiert. Sie hat ihre Ausbildung bei den kalifornischen Genossen genossen. Dass sie mir irgendwann mal geraten hatte, nicht am Wochenende zu kommen, hatte den Hintergrund, dass man ihr am Wochenende die Forellen praktisch vom Kopf frisst. Das war zum Glück gestern nicht der Fall, obwohl der “Komplex Stalin”, wie der Grill jetzt heißt, sehr gut besucht war. Eine bestimmte Besucherzahl macht manche Küche noch besser, als sie eh schon ist. So weit meine gestrige Beobachtung als kleiner Gourmet. Zum Schluss gab’s Stalins berühmten Schafjoghurt mit von als Heiducken verkleideten Kommunisten gepflückten Blaubeeren vom Rebellen-Wasserfall, über den ich morgen berichte.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (237) – “Zu optimistisch”

Unser Brunnen mit Mineralwasser im Dorfzentrum

Erste Hochrechnungen haben ergeben, dass die Wahlbeteiligung bei der heutigen Parlamentswahl in den Schluchten des Balkans bei noch nicht einmal 35 Prozent gelegen haben soll. Dann wäre ich mit meinen 36,8 Prozent von heute Nachmittag also noch zu optimistisch gewesen. Meine andere Prognose dürfte aber stimmen, und zwar dass es keine neue Regierung geben wird in Bulgarien. Komischerweise nähert sich die Wahlbeteiligung immer mehr der Impfquote in Bulgarien an. Die liegt bei 30 Prozent. Vielleicht leben auch nur noch 35 Prozent der Bulgaren. Den Rest hat möglicherweise Corona dahingerafft – es hat nur noch niemand bemerkt.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (236) – “Wasser statt Wahlen”

Taxi mit Brunnen und Bürgermeisteramt
Die Wahllokale schließen in Bulgarien um 20 Uhr, also 19 Uhr deutscher Zeit. Das Wahllokal ist in unserem Dorf im Bürgermeisteramt. Das ist der Plattenbau rechts im Bild. In der ersten Etage, wo draußen die bulgarische Fahne hängt, ist das Büro von meinem Bürgermeister. Da ist heute das Wahllokal, wo man seine Stimme abgeben kann. Wahlautomaten gab es heute nicht in unserem Dorf. Es wurde wie früher mit Stimmzettel gewählt. Ein Chaos wie bei der letzten Wahl in Berlin gab es nicht. Es fand aber auch kein Marathon statt. Es gab nur den üblichen Run auf unseren Brunnen mit Mineralwasser. Täglich halten dort Menschen an und füllen sich Flaschen ab. Manche Autos sind voll mit Plastikflaschen, die abgefüllt werden werden wollen. Da der Andrang am Brunnen größer war als der im Wahllokal, sind meine persönlichen Prognosen 36,8 Prozent Wahlbeteiligung und keine Regierung nach der Wahl. Diese wurden von unserem Dorforakel Sarah bestätigt, und zwar durch dreimaliges Bellen. Sarah ist die Hündin, die den Brunnen bewacht, und die, wenn es das Geschehen am Brunnen zulässt, sich auch ihr Wasser von dort holt.

Unser Dorforakel Sarah am Brunnen

 Fotos&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (325) – “Wir sind im Krieg mit Russland”

Jetzt ist es nicht nur raus, sondern auch sicher, denn unser Gesundheitsminister hat es gesagt: “Wir sind im Krieg mit Putin.” – Auch du! Du brauchst dich nicht mehr für Waffenlieferungen in die Ukraine einzusetzen. Du kaufst dir besser selbst eine Knarre. Die kannst du auch auf deinem E-Roller benutzen. Lass dich durch die Fotos nicht irritieren. In Bulgarien kann man sich einen E-Roller nur nicht leisten.

Fotos&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (324) – “Das redundante Ich”

Ne glasuvam – (Ich) wähle nicht (früher)

Redundant bedeutet, dass etwas doppelt oder mehrfach vorhanden ist. Der Begriff leitet sich von dem lateinischen Wort redundare ab (re = „zurück“ und unda = „Welle“) und steht im übertragenen Sinne für „überreichlich“, „wiederholt“ oder „überzählig“. In der bulgarischen Sprache betrifft die Redundanz regelmäßig das Personalpronomen, das man demzufolge einfach weglässt, um sich nicht zu wiederholen, obwohl man sich eigentlich gar nicht wiederholt, denn welche Person gemeint ist, ergibt sich nur aus dem Verb. Folgendes, aktuelles Beispiel soll dies veranschaulichen: Ne glasuvam (не гласувам) heißt genau genommen nur “wähle nicht”, meint aber “ich wähle nicht” – das “ich” wird einfach weggelassen. Weitere Beispiele wären: du wählst nicht =  не гласуваш (ne glasuvash) und: wir wählen nicht = не гласуваме (ne glasuvame). Dass im Bulgarischen redundant sein soll und praktisch auch ist (im Deutschen ist es das nicht, ich kann nicht sagen “wähle nicht” anstelle von “ich wähle nicht”), wer wählen geht, ist merkwürdig und schreit förmlich nach einer Erklärung, die über das rein sprachliche hinausgeht. Eine Möglichkeit ist, dass die einzelne Person, um die es geht, einfach nicht wichtig ist, oder mit anderen Worten: die Person ist nichts wert. Angesichts des Lebens hier, von dem nicht wenige Bulgaren meinen, es sei keine fünf Stotinki (2,5 Cent) wert, erscheint dies sogar logisch. Man sollte allerdings nicht den Fehler machen, der im Westen gerne gemacht wird, zu denken, dass das, was nichts wert ist, automatisch dumm ist. Das ist auch nicht besonders intelligent, sondern einfach nur materialistisch gedacht. Meine Erfahrung hier in Bulgarien jedenfalls ist, dass es möglicherweise einfach nur “dumm gestellt”* ist, um eine schlimme Zeit zu überbrücken, so wie die Bulgaren die Zeit unter türkischer Herrschaft überlebt haben, indem sie aus Ja Nein und aus Nein Ja gemacht haben. Ob das stimmt, und ob es bei der heute stattfindenden vierten Wahl in eineinhalb Jahren erneut zutrifft, indem nochmals weniger als bei der letzten Wahl wählen gehen, da waren es bereits nur 40 Prozent gewesen, wird man sehen. Ich rechne fest mit einer Wahlbeteiligung unter 40 Prozent und denke deswegen, dass es an der Zeit ist, die Kompetenz und auch die Legitimation der sich zur Wahl stellenden ernsthaft in Frage zu stellen, aber vor allem zu fragen: Cui bono? – Wem zum Nutzen?

* Bei “dumm stellen” muss ich an folgendes Sprichwort denken: “Der aus dem Osten ist schlau und stellt sich dumm, bei dem aus dem Westen ist es anders rum.”
Ne glasuvam – (Ich) wähle nicht (heute)

Fotos&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (323) – “Politisch Inkorrekt im Staatlichen Bulgarischen Nationalradio”

Es ist wirklich so: Man kann in Bulgarien alles sagen – sogar im Staatlichen Bulgarischen Nationalradio “Christo Botew”. Hier ein Interview von dreien, was David Engels vor der abendlichen Veranstaltung im Konferenzsaal Nr. 1 im Zentrum von Sofia gegeben hat. Das Interview geführt hat Petir Volgin in seiner regelmäßigen Sendung “Politisch Inkorrekt”, übersetzt hat es Martin Petrushev, der auch die Bücher von David Engels ins Bulgarische übertragen hat. Da wir in besonderen Zeiten leben, in der Selbstverständliches nicht mehr selbstverständlich ist, erlaube ich mir folgendes hinzufügen: Es geht nicht darum, in allem mit David Engels übereinzustimmen. Wer dies meint zu müssen, hat Demokratie nicht verstanden. Es geht darum, dass er dies sagen darf, nicht nur im Staatlichen Bulgarischen Nationalradio, sondern beispielsweise auch bei Öffentlich/Rechtlich in Deutschland, was mir derzeit allerdings mehr als unwahrscheinlich erscheint.
Video RationalerWiderstand
Text TaxiBerlin