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Jetzt ist es auch beim ehemaligen Nachrichtenmagazin angekommen, was ich bereits vor einer Woche an dieser Stelle schrieb. Und natürlich hat man es in Hamburg schon immer gewusst, die Ablösung des ukrainischen Botschafters war „überfällig“. Ich lach mich tot. Ein klassischer Wendehals. Nur eben zu langsam. Man muss noch am selben Tag genau das Gegenteil von dem behaupten können, wovon man nur Stunden zuvor noch felsenfest überzeugt war, und zwar ohne dass es jemand mitbekommt. Das ist die hohe Schule des Wendehalses, sozusagen seine Reifeprüfung. Davon ist man beim ehemaligen Nachrichtenmagazin in Hamburg noch weit entfernt. Aber man soll die Hoffnung nicht aufgeben. Der Moment wird kommen, wo aus Feinde plötzlich Freunde oder zumindest Verbündete werden. So wie in der DDR mit dem Klassenfeind. Wer es nicht glaubt, dem sei das gesagt, was man in Bulgarien in einem solchen Fall sagt: „Shte vidish! – Du wirst sehen!“ – Natürlich wird sich Andrij Melnyk nicht „in das Außenamt in Kiew re-integrieren“, wie es vom ehemaligen Nachrichtenmagazin behauptet wird. Denn das würde Integrationsfähigkeit voraussetzen. Er wird die Treppe nach oben fallen und noch vor Jahresfrist Aussenminister der Ukraine sein. „Shte vidish! – Du wirst sehen!“
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Der Wahnsinn in der Heimat ist nun auch beim deutschen Wirtschaftsminister angekommen. Vermutlich hat er sich beim Gesundheitsminister angesteckt. – Wahnsinn kann ansteckend sein. – Laut wahnsinnig gewordenem Wirtschaftsminister würden die Preiserhöhungen für Gas im Herbst und Winter 2022/2023 im vierstelligen Bereich liegen. Aber was heißt das genau? Kann das jemand sagen? Preiserhöhungen werden normalerweise in Prozent angegeben. Im vierstelligen Bereich würde ab 1.000 Prozent aufwärts bedeuten. Auch der Hinweis auf das Monatseinkommen einer Familie ist wenig hilfreich? Welche Familie ist gemeint? Eine mit 50.000 € im Monat im Prenzlauer Berg oder doch eher eine mit 2.500 € im Monat in Marzahn? Verbunden wird die Aussage des wahnsinnig gewordenen Wirtschaftsministers mit der Behauptung, Putin würde Gas als Waffe einsetzen. Für mich sieht es eher danach aus, dass die USA die Ukraine als Waffe gegen Russland einsetzt, weil man sich an China nicht herantraut. Jedenfalls muss ich angesichts des Krieges und dem, was davor in der Ukraine geschah, immer öfter an diese Zeilen von Bertolt Brecht denken: „Der reißende Strom wird gewalttätig genannt. Aber das Flussbett, das ihn einengt, nennt keiner gewalttätig.“
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Neben den drei großen Paketen mit Büchern warteten auch zwei kleine in der Kneipe von meinem Bürgermeister bei meiner Rückkehr aus Deutschland auf mich. Eines davon war vom Verlag Frank&Timme in der Wittelsbacher 27a in Berlin-Wilmersdorf, und auch in ihm war ein Buch. Aber nicht irgendein Buch, sondern das neue Buch „Angstgesellschaft“ von Hans-Joachim Maaz, dem Therapeuten meines Vertrauens, der mir in Berlin auch schon mal im Taxi saß. Viel ließe sich zu dem Buch sagen, das ich gestern in einem Zug durchgelesen habe, und das ich nur jedem ans Herz legen kann, der verstehen möchte, was die letzten zweieinhalb Jahre mit unserer Psyche gemacht haben. Ich will es bei zwei Dingen belassen. Das ist zum einen die Würde als Mensch, die in dem Buch thematisiert wird, und wie wir sie trotz permanent geschürter Angst und daraus resultierenden immer diktatorischen Verhältnissen bewahren können. Zum anderen sei noch der Umstand erwähnt, dass das Buch gerade von meinem Freund, dem Übersetzer Martin Petrushev ins Bulgarische übersetzt wird. Martin habe ich vor ziemlich genau einem Jahr zufällig an dem letzten verbliebenen Buchstand in der bulgarischen Hauptstadt Sofia kennengelernt, seither sind wir befreundet. Damals wollte er noch nach Deutschland, um dort sein Studium fortzusetzen, wovon ich ihm vorsichtig abgeraten habe. Warum es am Ende nicht dazu kam, auch das ist in dem Buch von Hans-Joachim Maaz beschrieben. Im Januar hat Martin dieses Interview mit mir über die Proteste gegen die Regierung geführt, die neulich wie zu erwarten war durch ein Misstrauensvotum abgewählt wurden ist, und nun übersetzt er das von mir empfohlene Buch „Angstgesellschaft“ von Hans-Joachim Maaz, das demnächst beim in Sofia ansässigen Ost-West-Verlag erscheinen wird. Das schöne daran, dass so viele insbesondere junge Bulgaren ihr Land verlassen haben, ist, dass man sich kennt und die Wege zwischen den wenigen im Land verbliebenen kurz sind. Alles hat eben immer seine zwei Seiten, selbst ein Exodus.
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Mein Bürgermeister hatte mich angerufen, um mir mitzuteilen, dass drei schwere Pakete für mich angekommen seien, da war ich gerade auf dem Weg zum Flughafen BER. Insgesamt habe ich sieben Bananen-Kisten voll mit Büchern von Berlin nach Bulgarien geschickt, das ganze mit Hermes. Die Pakete dürfen dort 25 kg schwer sein, sind mit 500 € versichert und kosten 18,90 €, was vergleichsweise billig ist. Die Pakete waren eine Woche unterwegs, was absolut OK ist. Die Verpackung war etwas beschädigt, die Leute sind neugierig, aber die Bücher sind alle da.
Mein Bürgermeister hatte die drei Pakete bei sich in der Kneipe abgestellt. Er war selbst da, als ich sie mir gestern dort abgeholt habe. Bei der Gelegenheit fragte ich ihn, ob er mir sagen könne, wo ich im Nachbarstädtchen den TÜV für mein Auto machen lassen könne, der war letzten Monat abgelaufen. Wenn ich eine halbe Stunde warten würde, würde er mich hinbringen, meinte er. Und so wartete ich auf ihn. Beim TÜV, der in Bulgarien jedes Jahr gemacht werden muss, wurden dann vor allem die Bremsen kontrolliert. Am Ende gab es eine neue Plakette, aus der hervorgeht, dass mein Benziner Euro 3 hat. In Berlin hatte er noch Euro 4. In Bulgarien ist eben doch alles anders. Gekostet hat der TÜV 45 Lewa (23 Euro).
Mein Bürgermeister meinte auf Nachfrage, dass der durch ein Misstrauensvotum abgewählte Ministerpräsident Petkow (auch) den bulgarischen Staat beklaut hätte. Er sprach von vier oder fünf Milliarden, was ich in der Schnelle nicht kontrollieren konnte. Mein Bürgermeister ist sich sicher, dass Petkow das Klauen bei seinem Studium in Harvard (und nicht in Bulgarien) gelernt hätte, was ich ebenfalls nicht kontrollieren konnte in dem Moment. Jedenfalls fehlt jetzt das Material, das der Bürgermeister letztes Jahr noch für unseren Weg besorgt hat, und das wir selbständig aufgebracht haben. In Bulgarien hat es sehr viel geregnet in meiner Abwesenheit, so dass alles sehr grün ist, aber unser Weg eben auch sehr ausgespült. Vielleicht komme ich ihn bald nicht mehr runter mit meinem Auto – trotz neuem TÜV. Dann habe ich zumindest genug zum Lesen, aber auch zum Schreiben. Meine kleinen Notizbücher, in denen ich immer alles aufschreibe, habe ich fast vergessen.
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