Bericht aus Bulgarien (180) – „Grüner Balkan“

Die Motorsäge macht den Sound
Es hat viel geregnet in Bulgarien, während ich in Berlin war, ich erwähnte das bereits. Das ist einerseits gut, so mussten meine Tomatenpflanzen praktisch nicht gegossen werden und erfreuen sich trotzdem reichlichen Wachstums. Ein paar grüne Tomaten sind auch schon dran, und eine Gurke wurde nebenan an einer der beiden Gurkenpflanze auch schon gesichtet. Zu viel Regen hat aber auch seine Schattenseiten. In meinem Keller, es gibt dort keinen Estrich sondern nur Erdreich, wachsen jetzt kleine Pilze, der Bulgare würde sagen Pilzchen, denn er liebt die Verkleinerungsform. Im Nachbarstädtchen soll eine Brücke weggespült worden sein, weil das sonst eher kleine Flüsschen durch den vielen Regen stark angeschwollen war und die Brücke mitgerissen hat. Das will ich mir morgen ansehen. Heute geht es erstmal zum Basar, wo wir uns mit frischem Obst und Gemüse eindecken wollen. Nach dem Basar ist der Besuch des Supermarktes geplant, der hier „T-Market“ heißt, eine litauische Kette. Obwohl ich „T-Market“ nicht wirklich empfehlen kann, gehe ich hin, denn es ist der einzige im Örtchen und er hat regelmäßig Joghurt im Angebot. Also richtig guten bulgarischen Joghurt, man bekommt ihn in Deutschland gar nicht, der mit etwas Glück nur einen Lewa (50 Cent) anstelle von 1,50 Lewa (75 Cent) kostet. Wenn man zehn Joghurtchen nimmt, so wie es regelmäßig mache, spart man fünf Lewa, was immerhin 2,50 Euro sind. Im Wald (Foto oben) wird bereits wieder Holz gefällt, was sehr früh ist. Sonst wird dort erst im Herbst illegal Holz geschlagen. Dass es jetzt schon los geht, liegt daran, dass niemand weiß, wie teuer das Holz morgen sein wird. Es ist wie mit dem Gas in Deutschland. Da weiß auch niemand, wie teuer es morgen sein wird und wer es noch bezahlen kann. Der Preis für Holz hat sich in Bulgarien bereits jetzt verdoppelt. Alles wie gesagt illegal, also ohne Erlaubnis. Vielleicht ist das auch die Alternative fürs Gas in Deutschland. So wie im Berlin der Neunziger Strom illegal abgezweigt wurde, der ein oder andere erinnert sich. Strom illegal abzuzweigen ist ist einfacher als Gas illegal abzuzweigen, genauso wie illegal Bäume fällen. Das ist auch vergleichsweise einfach, man darf sich nur nicht erwischen lassen. Weil das mit dem Gas so schwierig ist, werden die Leute in der Heimat spätestens im Herbst auf die Straße gehen, einfach weil sie in ihren Wohnungen frieren, wenn sie nicht schon auf der Straße sitzen. Da es hier wie bereits erwähnt viel geregnet hat, sind auch meine Bäume weiter gewachsen. Für den nächsten Winter reichen sie zum Heizen auf jeden Fall, im Stall ist auch noch etwas Holz. Ich werde also eher hier in meinem einen warmen Raum den Winter verbringen, als dass ich in Berlin in meiner kalten Bude sitze. Es haben sich auch schon Menschen aus Deutschland bei mir gemeldet, die ähnliche Pläne haben. Jetzt weiß ich nicht, ob ich ihnen empfehlen soll, eine Motorsäge mitzubringen. Ganz ohne ist das auch nicht, so eine Motorsäge. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. So eine Motorsäge macht auch Lärm. Das ist, wenn man so will, gerade der Sound des ansonsten grünen Balkans.

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„Der falsche Mann am falschen Ort“ – Endlich!

Der richtige Hut für den richtigen Kopf
(den eines Desillusionisten)

Jetzt ist es auch beim ehemaligen Nachrichtenmagazin angekommen, was ich bereits vor einer Woche an dieser Stelle schrieb. Und natürlich hat man es in Hamburg schon immer gewusst, die Ablösung des ukrainischen Botschafters war „überfällig“. Ich lach mich tot. Ein klassischer Wendehals. Nur eben zu langsam. Man muss noch am selben Tag genau das Gegenteil von dem behaupten können, wovon man nur Stunden zuvor noch felsenfest überzeugt war, und zwar ohne dass es jemand mitbekommt. Das ist die hohe Schule des Wendehalses, sozusagen seine Reifeprüfung. Davon ist man beim ehemaligen Nachrichtenmagazin in Hamburg noch weit entfernt. Aber man soll die Hoffnung nicht aufgeben. Der Moment wird kommen, wo aus Feinde plötzlich Freunde oder zumindest Verbündete werden. So wie in der DDR mit dem Klassenfeind. Wer es nicht glaubt, dem sei das gesagt, was man in Bulgarien in einem solchen Fall sagt: „Shte vidish! – Du wirst sehen!“ – Natürlich wird sich Andrij Melnyk nicht „in das Außenamt in Kiew re-integrieren“, wie es vom ehemaligen Nachrichtenmagazin behauptet wird. Denn das würde Integrationsfähigkeit voraussetzen. Er wird die Treppe nach oben fallen und noch vor Jahresfrist Aussenminister der Ukraine sein. „Shte vidish! – Du wirst sehen!“

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Vom wahnsinnig gewordenen Wirtschaftsminister

Wohl dem, der eine „Mastercard“ hat – ich habe keine

Der Wahnsinn in der Heimat ist nun auch beim deutschen Wirtschaftsminister angekommen. Vermutlich hat er sich beim Gesundheitsminister angesteckt. – Wahnsinn kann ansteckend sein. – Laut wahnsinnig gewordenem Wirtschaftsminister würden die Preiserhöhungen für Gas im Herbst und Winter 2022/2023 im vierstelligen Bereich liegen. Aber was heißt das genau? Kann das jemand sagen? Preiserhöhungen werden normalerweise in Prozent angegeben. Im vierstelligen Bereich würde ab 1.000 Prozent aufwärts bedeuten. Auch der Hinweis auf das Monatseinkommen einer Familie ist wenig hilfreich? Welche Familie ist gemeint? Eine mit 50.000 € im Monat im Prenzlauer Berg oder doch eher eine mit 2.500 € im Monat in Marzahn? Verbunden wird die Aussage des wahnsinnig gewordenen Wirtschaftsministers mit der Behauptung, Putin würde Gas als Waffe einsetzen. Für mich sieht es eher danach aus, dass die USA die Ukraine als Waffe gegen Russland einsetzt, weil man sich an China nicht herantraut. Jedenfalls muss ich angesichts des Krieges und dem, was davor in der Ukraine geschah, immer öfter an diese Zeilen von Bertolt Brecht denken: „Der reißende Strom wird gewalttätig genannt. Aber das Flussbett, das ihn einengt, nennt keiner gewalttätig.“

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Bericht aus Bulgarien (179) – „Angst zerstört Demokratie“

 

Bald auf Bulgarisch

Neben den drei großen Paketen mit Büchern warteten auch zwei kleine in der Kneipe von meinem Bürgermeister bei meiner Rückkehr aus Deutschland auf mich. Eines davon war vom Verlag Frank&Timme in der Wittelsbacher 27a in Berlin-Wilmersdorf, und auch in ihm war ein Buch. Aber nicht irgendein Buch, sondern das neue Buch „Angstgesellschaft“ von Hans-Joachim Maaz, dem Therapeuten meines Vertrauens, der mir in Berlin auch schon mal im Taxi saß. Viel ließe sich zu dem Buch sagen, das ich gestern in einem Zug durchgelesen habe, und das ich nur jedem ans Herz legen kann, der verstehen möchte, was die letzten zweieinhalb Jahre mit unserer Psyche gemacht haben. Ich will es bei zwei Dingen belassen. Das ist zum einen die Würde als Mensch, die in dem Buch thematisiert wird, und wie wir sie trotz permanent geschürter Angst und daraus resultierenden immer diktatorischen Verhältnissen bewahren können. Zum anderen sei noch der Umstand erwähnt, dass das Buch gerade von meinem Freund, dem Übersetzer Martin Petrushev ins Bulgarische übersetzt wird. Martin habe ich vor ziemlich genau einem Jahr zufällig an dem letzten verbliebenen Buchstand in der bulgarischen Hauptstadt Sofia kennengelernt, seither sind wir befreundet. Damals wollte er noch nach Deutschland, um dort sein Studium fortzusetzen, wovon ich ihm vorsichtig abgeraten habe. Warum es am Ende nicht dazu kam, auch das ist in dem Buch von Hans-Joachim Maaz beschrieben. Im Januar hat Martin dieses Interview mit mir über die Proteste gegen die Regierung geführt, die neulich wie zu erwarten war durch ein Misstrauensvotum abgewählt wurden ist, und nun übersetzt er das von mir empfohlene Buch „Angstgesellschaft“ von Hans-Joachim Maaz, das demnächst beim in Sofia ansässigen Ost-West-Verlag erscheinen wird. Das schöne daran, dass so viele insbesondere junge Bulgaren ihr Land verlassen haben, ist, dass man sich kennt und die Wege zwischen den wenigen im Land verbliebenen kurz sind. Alles hat eben immer seine zwei Seiten, selbst ein Exodus.

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Bericht aus Berlin (49) – „Drücken nochmal“

Drücken in Sofia / Bulgarien

Eine Sache ist mir noch zum „Drücken“ eingefallen, die ich unbedingt loswerden möchte. Damit soll es dann aber wirklich zum Thema gewesen sein, zumindest für den Moment, und auch zu Berlin, wohin mich nichts zurückzieht. Anfang vergangenen Jahres habe ich eine achtwöchige Reha „Sucht“ in der Stadt gemacht, bei der alle gängigen Corona-Maßnahmen galten, allen voran das Tragen der Maske und das Abstand halten. Die Reha-Gruppen waren nicht starr sondern fließend, es kamen ständig neue Leute und es wurden Leute verabschiedet. Die erste Verabschiedung, die ich in meiner Gruppe miterleben durfte, war genau an meinem ersten Tag in der Reha, und sie sah so aus: die zu verabschiedende Person wurde von allen anderen in den Arm genommen und gedrückt, auch von der Psychologin, die genaue Bezeichnung war Bezugstherapeutin, die unsere Gruppe betreute. Solche Verabschiedungen fanden in regelmäßigen Abständen statt, und es war immer dasselbe Ritual, so wie sich Menschen schon immer verabschiedet haben – man hat sich wie die beiden auf dem obigen Foto gedrückt und geherzt, und sich vor allem für die weitere Abstinenz alles Gute gewünscht. Von niemandem, allen voran nicht von unserer Bezugstherapeutin, ist dieses normal-menschliche Verabschiedungsritual jemals in Frage gestellt oder gar verweigert worden.

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Bericht aus Bulgarien (178) – „Schreiben in den Schluchten des Balkans“

Wer schreibt, der bleibt – hoffentlich!

Mein Bürgermeister hatte mich angerufen, um mir mitzuteilen, dass drei schwere Pakete für mich angekommen seien, da war ich gerade auf dem Weg zum Flughafen BER. Insgesamt habe ich sieben Bananen-Kisten voll mit Büchern von Berlin nach Bulgarien geschickt, das ganze mit Hermes. Die Pakete dürfen dort 25 kg schwer sein, sind mit 500 € versichert und kosten 18,90 €, was vergleichsweise billig ist. Die Pakete waren eine Woche unterwegs, was absolut OK ist. Die Verpackung war etwas beschädigt, die Leute sind neugierig, aber die Bücher sind alle da.

Mein Bürgermeister hatte die drei Pakete bei sich in der Kneipe abgestellt. Er war selbst da, als ich sie mir gestern dort abgeholt habe. Bei der Gelegenheit fragte ich ihn, ob er mir sagen könne, wo ich im Nachbarstädtchen den TÜV für mein Auto machen lassen könne, der war letzten Monat abgelaufen. Wenn ich eine halbe Stunde warten würde, würde er mich hinbringen, meinte er. Und so wartete ich auf ihn. Beim TÜV, der in Bulgarien jedes Jahr gemacht werden muss, wurden dann vor allem die Bremsen kontrolliert. Am Ende gab es eine neue Plakette, aus der hervorgeht, dass mein Benziner Euro 3 hat. In Berlin hatte er noch Euro 4. In Bulgarien ist eben doch alles anders. Gekostet hat der TÜV 45 Lewa (23 Euro).

Mein Bürgermeister meinte auf Nachfrage, dass der durch ein Misstrauensvotum abgewählte Ministerpräsident Petkow (auch) den bulgarischen Staat beklaut hätte. Er sprach von vier oder fünf Milliarden, was ich in der Schnelle nicht kontrollieren konnte. Mein Bürgermeister ist sich sicher, dass Petkow das Klauen bei seinem Studium in Harvard (und nicht in Bulgarien) gelernt hätte, was ich ebenfalls nicht kontrollieren konnte in dem Moment. Jedenfalls fehlt jetzt das Material, das der Bürgermeister letztes Jahr noch für unseren Weg besorgt hat, und das wir selbständig aufgebracht haben. In Bulgarien hat es sehr viel geregnet in meiner Abwesenheit, so dass alles sehr grün ist, aber unser Weg eben auch sehr ausgespült. Vielleicht komme ich ihn bald nicht mehr runter mit meinem Auto – trotz neuem TÜV. Dann habe ich zumindest genug zum Lesen, aber auch zum Schreiben. Meine kleinen Notizbücher, in denen ich immer alles aufschreibe, habe ich fast vergessen.

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Bericht aus Bulgarien (177): „Fuck physical Distancing!“ – „Vergiss körperliche Distanz!“

In der Heimat hat man das sich in den Arm nehmen verlernt, wie ich bei meinem Aufenthalt am eigenen Leibe erfahren durfte. Bulgarien, das kleine Land am Rand, das uns in der Zeit voraus ist, ist auch was das Drücken lernen angeht eine gute Schule für den obrigkeitshörigen Deutschen. Denn die Schluchten des Balkans wären nicht die Schluchten des Balkans, würde man dem Westen bei seinem sozialen Distanzierungswahn folgen. Dem Bulgaren ist aber nicht nur nur die soziale Distanz fremd, sondern vor allem die körperliche. So wie man hier immer und überall lauter spricht, so kommt man sich auch immer und überall näher, und zwar physisch. Allen distanzphanatischen Deutschen kann deswegen vom Besuch des Balkans nur abgeraten werden, ebenso allen Maskenfetichisten. Folgende Aufnahmen entstanden auf dem am vergangenen Wochenende in Sofia stattgefundenen „A to Z Jazz-Festival“, bei dem an drei Abenden jeweils mehr als 10.000 Menschen auf engsten Raum zusammen kamen. Menschen mit Masken wurden dabei nicht gesichtet. Dafür Menschen, von denen der Deutsche die einfachsten menschlichen Dinge lernen kann, wie z.B. das sich in den Arm nehmen:
Es beginnt mit dem gegenseitigen Ausbreiten der Arme verbunden mit ein Aufeinanderzugehen beider Parteien. Menschen können dabei an einem vorbei gehen, das ist absolut möglich und in Bulgarien auch die Regel.

Die geöffneten Arme umschließen beiderseits den Körper des jeweils anderen vollständig. Auf beiden Gesichtern ist die Vorfreude auf den bevorstehenden Körperkontakt deutlich zu erkennen.
Dem Umschließen des jeweils anderen Menschen mit den eigenen Armen folgt ein heftiges aber vor allem herzliches Aufeinanderdrücken der Körper.

Dem Aufeinanderdrücken der beiden Körper sind keine zeitlichen Grenzen gesetzt, insbesondere nicht in Bulgarien, wo die Uhren anders ticken.

Demzufolge kann das Aneinanderpressen der Körper hier auch schon mal etwas länger dauern.
Fotos&Text TaxiBerlin