Leaving Berlin (031)

Zum Feiertag gestern war ganz schön was los im verlassenen Nachbarstädtchen. Wer krauchen konnte und sich noch nicht ins Ausland oder zumindest nach Sofia abgesetzt hat, war auf den Beinen. Vor dem Kulturhaus gab es eine Bühne, wo Texte vorgelesen, Gedichte zitiert, gesungen und getanzt wurde. Es gab auch eine Blaskapelle, der Nordwesten Bulgariens ist für seine Blasmusik bekannt. Es gibt sie sonst in Serbien, aber nicht im Rest des Landes. Die bulgarische Trikolore – weiß, grün, rot – darf nicht fehlen. Im Gegensatz zu Deutschland. Dort ist man Rechts wenn nicht gar Nazi, wenn man sie, sieht man von Tagen ab, an denen “Die Mannschaft” spielt,  herausholt. Wenn ich es richtig verstanden habe, sind die Farben der deutschen Fussball-Nationalmannschaft selbst nicht mehr schwarz, rot, gold, sondern der Regenbogen. Doch zurück zu gestern in Bulgarien. Links und rechts der Bühne zwei Banner, auf die ich hinweisen möchte. Auf dem linken das von Kyrill und Method aus dem Griechischen entwickelte Glagolitische Alphabet, auf dem rechten das daraus von ihren Schülern geschaffene Kyrillische. Auf dem Sockel der Bühne finden sich noch die ersten drei Anfangsbuchstaben des kyrillischen Alphabets. Was bei uns das ABC ist, ist beim Bulgaren das ABW (АБВ).

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Meanwhile in Germany (015)

Friedensdemo im Berliner Tiergarten (23. November 2023)

Ausgerechnet die taz bestätigt das, was ich bereits auf Bildern von den Besetzern der Humboldt-Uni in Berlin gesehen hatte: “Fast alle tragen Atemschutzmasken …” – Nur: Warum? Das erfährt der Leser des ehemals linken Blattes nicht. Wollen die Besetzer unerkannt bleiben? In der Vergangenheit tat es ein Dreiecktuch, das man sich über die Nase zog. Im aktuellen Fall täte es auch das Palästinensertuch, das laut taz auch fast alle tragen. Meine Neugier war geweckt und so fragte ich einen Freund in der Heimat. Der hielt es – genauso wie ich – für möglich, dass die Besetzer den Schuss nicht gehört hätten. Studenten halt! Mich erinnern die jungen Menschen mit Masken an Provokateure, die sich im Berliner Tiergarten unter eine Demo von so genannten Querdenkern gemischt hatten. Das Problem war, dass sie dort die einzigen waren, die eine Maske trugen, weswegen sie von Polizisten von auswärts erkannt und verfolgt wurden. So, wie man es mit Provokateuren macht. Die Berliner Polizei sprach damals mit einzelnen Provokateuren. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass man sich abspricht. Nun spricht man sich nicht mehr ab, sondern räumt. – Das wichtigste hätte ich fast vergessen. Und zwar dass ich es für richtig halte, dass man gegen das Morden im Gaza demonstriert. Selbst wenn es Leute sein sollten, die den Schuss nicht gehört haben. Provokateure ausgenommen.

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Leaving Berlin (030)

In Bulgarien ist heute Feiertag, genauer: “Tag des bulgarischen Schrifttums, der bulgarischen Bildung und Kultur”. Am 24. Mai wird traditionell der beiden Brüder Kyrill und Method gedacht, nach denen die kyrillische Schrift benannt ist, auch wenn diese gar nicht von ihnen sondern von ihren Schülern erfunden wurde. Kyrill und Method haben “nur” die Vorstufe zu ihr geschaffen, das so genannte Glagolitische Alphabet, und zwar aus dem Griechischen, ihrer Muttersprache. Das Kyrillische ist also keine Erfindung der Russen, auch wenn das viele in der Heimat glauben. Wer kyrillisch nicht lesen kann, beispielsweise obiges Taxischild, und dem bösen Russen dafür die Schuld gibt, liegt definitiv verkehrt. Er ist besser beraten, sauer auf die Bulgaren zu sein. In Bulgarien wird der heutige Feiertag vor allem von Schülern und Studenten begangen. Es werden Texte vorgelesen, Gedichte vorgetragen, alte bulgarische Weisen gesungen und natürlich auch getanzt. Ohne zu tanzen läuft beim Bulgaren nichts. Und da gibt es einen komischen Zufall, der vielleicht gar kein Zufall ist. Heute hat Bob Dylan Geburtstag, der sich selbst auch als “Song and Dance Man” bezeichnet. Als solcher wäre er heute in Bulgarien gut aufgehoben. Gerade stelle ich mir vor, wie er einen seiner Songs hier auf bulgarisch vorträgt und keiner den Song erkennt, was nichts ungewöhnliches ist, weil man die Songs von Bob Dylan zumindest auf seinen Konzerten generell nicht erkennt, außer man ist Textsicher. Bob Dylan wird heute 83 Jahre alt. Seit 2021 ist er auf weltweiter Tour. Aktuell spielt er zusammen mit Willie Nelson in den USA. Die Brüder Kyrill und Method, die zusammen nur gut 100 Jahre alt wurden, sind schon einige Zeit tot. Ebenso Albert Grossman, der erste Manager von Bob Dylan. Auf ihn komme ich, weil Albert Grossman nachgesagt wird, dass er sich mit bulgarischer Volksmusik ausgekannt habe. Auch ein komischer Zufall. Wobei es Zufälle nicht geben soll. Jedenfalls passt es gut zum heutigen Feiertag, an dem wie gesagt nicht nur gelesen und rezitiert, sondern auch gesungen und getanzt wird in Bulgarien.
PS: Kyrill hieß eigentlich Konstantin, Kyrill war nur sein Spitzname. Wem es hilft, kann das Kyrillische Alphabet also auch gerne das Konstantinische nennen.
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Meanwhile in Germany (014)

Es kann teuer werden im Land der Dichter und Denker, eine Frau eine Frau und einen Mann einen Mann zu nennen. Praktisch so wie in dem Märchen “Des Kaisers neue Kleider”. Dort darf man auch nicht sagen, dass der Kaiser keine Kleider trägt, obwohl er doch nackt ist. In dem Märchen von Hans Christian Andersen ist es ein Kind, das die Wahrheit ausspricht. Die Wahrheit darüber, was man Kindern in den letzten vier Jahren angetan hat, kann man in diesem Interview nachlesen. Wer noch nie etwas vom neuen Selbstbestimmungsgesetz gehört hat, das das biologische Geschlecht abschafft, sollte diesen Artikel lesen. Oben, das ist übrigens eine Frau. Und unten, das ist ein Mann. (Im April dieses Jahres am Traunsee in Österreich.)

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Leaving Berlin (029)

Dieses Büchlein von Raymond Unger über Gunnar Kaiser habe ich mit nach Bulgarien genommen. Ich habe es bereits mehrfach gelesen, erst von vorne nach hinten, danach von hinten nach vorne, dann wieder von vorne nach hinten usw. – Ihr kennt das, wenn einem ein Buch gefällt. Da ich den Autor Raymond Unger persönlich kenne, tue ich mich schwer, über das Buch zu schreiben, aber jetzt muss es raus. Raymond hat schon mehrere Bücher geschrieben, die ich alle gelesen habe. Das Buch über seinen Freund Gunnar ist sein reifstes Werk. Und das, obwohl es gerade mal 190 Seiten hat. Gleich vorweg: Man muss Gunar Kaiser nicht kennen, um dieses Buch zu lesen. Ich habe Gunnar auch nicht gekannt, zumindest nicht persönlich. Fast hätte ich ihn kennengelernt, und zwar letztes Jahr in Kalifornien. Gunnar war in Bishop, damit beginnt praktisch das Buch von Raymond, und ich war in Grass Valley. Bishop und Grass Valley sind 265 Meilen entfernt. Vorher war Gunnar am Lake Tahoe, was gerade mal 70 Meilen sind. Wir hatten auch e-mail Kontakt in dem Moment. Zu einem persönlichen Kennenlernen ist es aber nicht gekommen. Doch zurück zum Buch von Raymond. Wie gesagt, man muss Gunnar nicht kennen. Raymond hat das Buch auch für diejenigen geschrieben, “die den Namen Gunnar Kaiser das erste Mal hören”. Denn in dem Buch wird der gesellschaftliche Abstieg in ein “neues Normal” beschrieben, den viele Zeitgenossen immer noch nicht wahrhaben wollen, allen voran diejenigen, die den “großen Aufklärer” Gunnar Kaiser nicht kennen. Raymond hat das Buch aber auch für Gunnars Fans geschrieben. Die dürften sich allerdings durch Raymonds Buch provoziert fühlen. Beispielsweise dadurch, dass ihr Held am Ende seines Lebens das Beten anfing. Mich hat das Buch an erster Stelle traurig gemacht. Traurig gemacht hat es mich deswegen, weil Raymond das über seinen Freund Gunnar bestätigt, was ich bereits geahnt hatte. Geahnt hatte ich es aufgrund der Frage: “Habe ich genug getan?”, Titel des Buches von Raymond und auch eines von Gunnars Podcasts. Meine traurige Vermutung hat Raymond durch diesen Satz bestätigt: “Gunnar konnte den Schlüssel zu einem lebendigen Leben nicht finden.” – Unabhängig davon, ob sie Gunnar kannten oder nicht, geht es vielen Menschen in der Heimat genauso wie Gunnar. Ich schreibe das auch aus eigener Erfahrung. Antriebslosigkeit, Erschöpfungszustände bis hin zu Depressionen sind auch mir nicht fremd – im Gegenteil. Da ich all dies seit fast sechs Jahren nicht mehr mit Alkohol oder anderen Drogen betäube, muss ich die damit verbundenen Gefühle alle aushalten. Und das Tag für Tag aufs Neue. Zu diesen Gefühlen gehört auch die Trauer um Gunnar, der bald nach seiner Rückkehr aus Amerika mit nur 47 Jahren an Krebs versterben sollte, auch wenn ich ihn nicht persönlich kennengelernt habe.

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Leaving Berlin (028)

Manche behaupten, dass sich Berge – im Gegensatz zum Meer – nicht verändern würden und damit langweilig wären. Ich kann das nicht bestätigen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Nachdem die Berge tagelang nicht zu sehen waren, und ich schon Zweifel hatte, ob sie sie überhaupt noch da sind, tauchten sie gestern Abend plötzlich auf, um nach nur wenigen Sekunden gleich wieder zu verschwinden:

Der Vorgang führte dazu, dass ich eine sehr unruhige Nacht hatte. Mehrmals wachte ich auf, ging zum Fenster und schaute raus – immerhin ist fast Vollmond. Der Mond war auch da, aber keine Berge. Von Panik zu reden, wäre sicherlich übertrieben, aber ich war schon in Sorge. Zum Glück tauchten die Berge heute morgen wieder auf. Es ist keine Übertreibung, es stimmt wirklich: We Are Lucky!

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Meanwhile in Germany (013)

Mein englischer Freund Jerry, der am liebsten Deutscher wäre, und ich sagen gerne: We Are Lucky! Und das, obwohl wir beide arme Schweine sind. Ich als nur halber Deutscher bin natürlich das ärmere, was vermutlich am halben Bulgaren liegt, oder auch nicht. Ich komme drauf, weil das letzte, was ich aus der Heimat gehört habe, war, dass Reiche, die richtig Geld haben, dieses im Ausland in Sicherheit bringen. Viele haben Deutschland schon abgeschrieben und täglich werden es mehr. Ein wenig merkwürdig ist es schon, dass man darüber offiziell so rein gar nichts hört. Aber gut, ist halt nur Geld. Geld mag zwar beruhigen, aber glücklich macht es bekanntlich nicht. Dann schon eher ein vierblättriges Kleeblatt.
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