Auf den Tod „hinfiebern“ am Totensonntag

Es soll Menschen geben, die auf ihren Tod „hinfiebern“. Das meint zumindest die Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben in Berlin in einem Interview mit der Berliner Zeitung. Die Gesellschaft hatte am Montag den Kessler-Zwillingen Hilfe beim assistierten Suizid geleistet. Wer die Kessler-Zwillinge nicht kennt, muss sich keine Sorgen machen. Es geht hier nicht um sie, sondern um den assistierten Suizid, der Anfang 2020 auch in Deutschland legalisiert wurde. Diese Information sucht man in dem Beitrag der Berliner allerdings vergebens. Dafür erfährt man, dass oft Ärzte den Suizid begleiten, die nicht mehr praktizieren, und dass sie viel Dankbarkeit erfahren würden. Auf Nachfrage schreibt die Gesellschaft für Humanes Sterben, dass sich die Dankbarkeit in Worten und Briefen ausdrückt, und dass die Ärzte für die Sterbebegleitung ein festes Honorar erhalten. Es ist noch nicht so lange her, genau begann diese Zeit auch Anfang 2020, da wurde um jedes Menschenleben gekämpft, und dass völlig unabhängig vom Alter. Krankenschwestern und Krankenpflegern galten als systemrelevant, ihnen wurde applaudiert. Jetzt nicht am Bahnhof, aber immerhin vom Balkon aus. Heute frage ich mich, ob es sich dieselben Schwestern und Pflegern nicht zu leicht machen mit der Hilfestellung beim Suizid. Wie der Deutschlandfunk berichtet, fordert aktuell sogar der frühere Bundesgesundheitsminister Lauterbach gesetzliche Regelungen zur Sterbehilfe, die es – wie bereits erwähnt – schon seit Anfang 2020 gibt. Dass ich in diesem Leben noch einmal derselben Meinung sein würde wie Karl Lauterbach, hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Lauterbach begründet seine Forderung damit, dass die jetzige Situation eine Assistenz beim Suizid erlaube, die ethisch nicht vertretbar sei, was absolut richtig ist. Was bei Lauterbach fehlt, ist der Hinweis darauf, worüber auch wieder der Deutschlandfunk schon im August berichtet hatte, und zwar dass die Angehörige von den Sterbehilfeorganisationen meist allein gelassen werden. So auch von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben in Berlin, die den Kessler-Zwillingen Hilfe beim assistierten Suizid leistete. Auf Anfrage bestätigt die Sprecherin, dass ein systematisches Betreuungsangebot für Hinterbliebene aus Kapazitätsgründen nicht geleistet werden kann. Dies wäre aber wichtig, denn viele Angehörige erleben einen assistierten Suizid als traumatisierend. Ich schreibe das auch als Betroffener. Meinen Beitrag zum Thema hatte die Berliner Zeitung Ende Oktober noch abgelehnt. Am 19.11. berichtet sie nun selbst darüber. Eine Woche zuvor, am 11.11., war mein ganz persönlicher Erfahrungsbericht „Assistierter Suizid“ bereits als Kolumne bei der Freien Akademie für Medien & Journalismus von Michael Meyen erschienen. Aber Vorsicht! Es muss auch vor ihm gewarnt werden, denn er ist nichts für schwache Nerven.