Bericht aus Bremen (9) in Bulgarien (5)
Bevor ich gestern mit der vom Russen gebauten U-Bahn zum Flughafen von Sofia gefahren bin, habe ich mich noch einmal mit Joachim vorm Nationalen Kulturpalast auf einen Kaffee getroffen. Wir hatten das nicht geplant, Joachim hat mich spontan angerufen und da ich gerade in der Gegend war, hat es mit dem Wiedersehen geklappt. In Bulgarien geschehen die meisten Sachen spontan und ungeplant. Wenn der Bulgare plant, dann eigentlich nur, um den Plan dann übern Haufen zu werden. Ich glaube, das war Joachim auch schon aufgefallen. Wenn sein Plan hingehauen hat, dürfte er schon wieder in der Heimat sein, vermutlich auf dem Weg vom Flughafen Frankfurt nach Bremen. Über seine letzten Tage in Bulgarien, dem Land der ungeplanten Überraschungen, schreibt er folgendes:
Ich hatte ja schon gefragt, was wohl der Grund gewesen sein möge, uns auf unserer Route nach Bansko zu schicken. Nun glaube ich, hat sich des Rätsels Lösung gezeigt. Bansko hat etwas, was auch in Ochsenhausen/Deutschland zu finden ist. Mehr sogar. Aber der Reihe nach. Wir fuhren nach dem Frühstück, das wir in einem Café im Viertel Kapana genossen, in Richtung Berge. Genauer gesagt von den 160 m Höhe in Plovdiv hinauf auf 871 m in Bansko. Hierzu mussten wir durch einige Wälder und Täler und so manche enge Kurve den Berg hinauf. Bansko liegt am Fuße des Pirin-Gebirges, dieses eignet sich im Winter besonders gut zum Skifahren und im Sommer für Wanderungen. Der Ort selber wurde mittlerweile mit Hotelbauten verschandelt, doch gibt es eine historische Innenstadt mit einigen der Wiedergeburtshäusern, die beim Gang durch die verwinkelten Gassen zu bestaunen sind.
Auf dem weitläufigen Platz rund um die Kirche Sveta Troica können riesige Helden-Statuen bestaunt werden derer, die bei der Befreiung des Ortes vom „türkischen Joch“ mitgeholfen haben. Da wir deren Namen nicht entziffern konnten im verwitterten Gestein, müssen sie hier leider fehlen. Aber die Kirche hat eine interessante Geschichte. Die entnehme ich direkt dem Begleitheft für unsere Tour durch Bulgarien:
„Die Kirche war zum Zeitpunkt ihres Baus im Jahr 1835 die größte bulgarische Kirche im osmanischen Reich. Anfang des 19. Jahrhunderts war Pelz- und Holzherstellung die Haupteinnahmequelle der Region, diese wurden im Osmanischen Reich und Europa verkauft, so dass eine gewisse Schichte reiche bulgarische Händler entstand, die ihre Kinder ins Ausland zum Studieren schickten. Im Westen gereist und dort schon die Gotteshäuser gesehen, wollten viele von ihnen auch in Bansko eine große schöne Kirche bauen […]“. Die osmanischen Besatzer erlaubten nur in einzelnen Fällen den Bau von Kirchen und wenn, dann durften diese nur so hoch sein wie ein Reiter auf seinem Pferd. Hier in Bansko wollte man allerdings sich nicht zufrieden geben mit solch einer kleinen Bauweise und ersann einige Schliche, um doch noch die gewünschte Kirche zu bauen. Zuerst wurde der osmanische Herrscher vor Ort bestochen, dann baute man eine hohe Mauer, damit keiner sieht, wie groß und hoch die Kirche wirklich wird. Nachts wurde das Fundament Zentimeter für Zentimeter erweitert und sollten die Türken dennoch die List entdecken, bauten die Bulgaren neben dem Eingang nicht nur ein Kreuz sondern auch einen Halbmond. Dies hatte zur Folge, „dass sich die gläubigen Osmanen nicht trauten, die Kirche zu zerstören.“
So sind sie also, die Bulgaren. Mit Tricks und List täuschen sie ihre Besatzer, um letztlich doch noch zu bekommen, was sie sich wünschen. Nach diesem Ausflug in die bulgarische Geschichte und Mentalität, zurück in die Gegenwart. Wir liefen durch den Ort auf der Suche nach einem empfohlenen Restaurant. Dies hatte geschlossen, wie viele andere auch. Laut Wikipedia lebt der Ort vom Tourismus aber auch hier sind die Spuren der sogenannten Corona-Schutzmaßnahmen zu sehen. Geschlossene Restaurants, Geschäfte, Hotels. Zwei Jahre ohne Touristen ist das schönste Hotel wertlos. Übrigens findet man in den wenigen geöffneten Läden neben Flip Flops und Badehandtüchern auch Ski-Anoraks, Pudelmützen und Handschuhe. Das ist praktisch, da muss dann nicht wegen des Jahreszeitenwechsels ständig um- und ausgeräumt werden, was bei fehlendem Personal sowieso viel zu aufwändig wäre. Neben dem Tourismus gibt es auch digitale Nomaden, die sich hier niederlassen. Ein Deutscher stellt im Ort dafür einen Co-Working Space zur Verfügung und macht mächtig Reklame für das tolle Ambiente und das billige Leben in den bulgarischen Bergen.
Unser Hotel sah aus als wäre es aus einer idyllischen Voralpenlandschaft hierher gebeamt worden. Innen gab es einen Garten mit rundgeschorenen Buchsbaumhecken, exakt geschnittenen Rasenkanten, aufeinander abgestimmten Farb- und Formdekorationen und vor allem mehrere Stapel Brennholz, die mit der Schieblehre abgemessen an die Wände gestapelt wurden. Die Gastgeber waren sehr freundlich, an der Wand im Eingangsbereich grüßte jemand per Ansichtskarte aus der „Universitätsstadt Siegen“ und, wie wir später erfuhren, war dies die Schwester der Inhaberin, die seit sieben Jahren dort lebt wegen „Robotnik“. Eben, wie so viele Bulgarinnen und Bulgaren, wegen der Arbeitsmöglichkeiten im Ausland und des besseren Verdienstes.
Eigentlich war es schade, dass wir nur eine Nacht hier verbringen durften, die aufgeräumte Sauberkeit erinnerte doch sehr an zuhause. Allerdings wäre sie uns nach zwei Tagen auf den Wecker gefallen, da wir sowas selbst zuhause nicht ertragen würden.
Auf unserer Fahrt durch die Berge in Richtung Sofia machten wir noch einen Abstecher ins Rila-Kloster. Gegründet im 10. Jahrhundert ist es noch heute das größte und bedeutendste Kloster Bulgariens. Und es ist wirklich imposant. Das Innere der Kirche ist ein sakraler Comix. Für Menschen, die nicht lesen können, wird hier die biblische Geschichte in allerlei Bildern erklärt. Natürlich darf es an Prunk und Gold nicht fehlen. Fotografieren ist verboten, der Kauf von Ansichtskarten jedoch nicht.
Wir fuhren weiter und landeten schließlich in Sofia, wo wir unseren Mietwagen abgaben und unser Hotel aufsuchten. Am anderen Tag war eine weitere Stadtführung angesagt und diesmal holten wir uns zuerst einen Überblick über unsere Route im Gespräch mit der Stadtführerin bevor wir uns auf den Weg machten. Die vielen interessanten Informationen über die Stadt und ihre Geschichte wiederzugeben, würde hier zu weit führen, wer mag kann sich hier schlau machen. Danach waren wir erst mal wieder erschlagen und mussten alles Gehörte verdauen und einordnen. Wir werden den letzten Abend noch in einem ruhigen Lokal verbringen, früh zu Bett gehen, denn morgen werden wir früh schon abgeholt und zum Flughafen gebracht.
Die Erkundung dieses europäischen Landes mit wenig Bekanntheitsgrad hat uns wirklich sehr gut gefallen. Besonders die üppige Natur, die zum großen Teil ursprünglich geblieben ist. Auch das Nebeneinander von alten Kulturzeugnissen und neuzeitlichen Bauten lässt einen ehrlichen Umgang erkennen mit der Vergangenheit. Hier wird noch nichts dem „cancel culture“ geopfert, obgleich die Diskussionen zur Zeit stattfinden hinsichtlich kommunistischer Hinterlassenschaften, berichtete uns unsere Reiseführerin.
Bestimmt werden wir wiederkommen. Dann mit einem groben Vorwissen, den Erfahrungen unserer jetzigen Reise und mit einer Vorstellung, wo wir länger bleiben und detailliertere Erkundungen durchführen wollen. Übrigens ist die Reisezeit Mai-Juni sehr zu empfehlen, da ist es noch nicht so heiß und es sind noch nicht so viele andere Touristen unterwegs!
P.S.: Was Bansko mit Ochsenhausen/Deutschland gemeinsam hat, ist die Einwohnerzahl von ca. 8.000 und die Anbindung an die Außenwelt mit einer Schmalspurbahn. Die in Bulgarien hat eine Spurbreite von 760 cm, die in Ochsenhausen von 750 cm. Letztere verbindet den Ort mit der schwäbischen Stadt Bieberach und wird „Öchsle“ genannt. Bansko lässt sich von Sofia aus mit der Bahn (Rhodopenbahn) erreichen und es ist bestimmt ein Erlebnis, durch die Täler entlang der Flüsse in die Berge zu fahren.
Fotos&Text JoachimBremen