Bericht aus Bulgarien (173) – “Ins Chaos stürzen”
Im Westen sorgt man sich, dass Bulgarien, das seit gestern keine Regierung mehr hat, was bereits im April im Bulgarischen Nationalradio “Christo Botew” von einem Politikpsychologen vorhergesagt worden war, “ins Chaos stürzen” könnte. Dass die jetzt durch ein Misstrauensvotum gestürzte Regierung keine Mehrheit im Land hatte – wie auch? bei 60 Prozent Nichtwähler! -, scheint für den Westen kein Problem zu sein, solange der Gewinner der richtige ist war. Der abgewählte Regierungschef Petkow hat in Harvard studiert, er war nicht nur pro europäisch, sondern vor allem pro amerikanisch. Deswegen kommt die Sorge wohl vor allem aus den USA. Dort sorgt man sich aber weniger um die Bulgaren, um die sorgt man sich Null, sondern um die im April beschlossene “militärtechnische Hilfe” für die Ukraine. In einem aktuellen Artikel der Neuen Zürcher Zeitung von dem Journalisten Volker Pabst in Istanbul, nicht in Sofia, kommt die Sorge der Amerikaner bereits im Untertitel vor: “Auch für die Militärhilfe an die Ukraine könnte es Folgen haben”. Ich persönlich hoffe sehr, dass es ausnahmsweise mal so ist, wie es in der Zeitung steht, denn ich gehöre zu den 80 Prozent der Bulgaren, die die “militärtechnische Hilfe” für die Ukraine ablehnen. Bis zum Schluss konnte keiner der Verantwortlichen sagen, was genau sich hinter ihr verbergen soll. An erster Stelle war sie wohl eine Hintertür für die Regierenden und der Eintritt Bulgariens in den Krieg. Das war und ist nicht nur meine Sorge, sondern die der übergroßen Mehrheit der Bulgaren. Wenn “ins Chaos stürzen” bedeutet, dass der Willen dieser Mehrheit nun endlich Gehör findet, bisher bin ich davon ausgegangen, dass dies ganz normal wäre in einer Demokratie, dann bin ich fürs “ins Chaos stürzen”.
PS: Die FAZ spricht von einem “Sturz” Petkows. Hätte sie bei Boris Johnson auch von einem “Sturz” gesprochen, hätte er das Misstrauensvotum nicht überstanden?
Foto&Text TaxiBerlin