Bericht aus Bulgarien (246) – “Der tägliche Krieg auf den Straßen”
Ein Kriegsschauplatz eines unerklärten Krieges sind die bulgarischen Dörfer, in denen praktisch jedes zweite Haus verfällt. Ich habe mehrfach darüber geschrieben, dass Bulgarien das Land ist, in dem die Einwohnerzahl am schnellsten schrumpft, ohne dass offiziell ein Krieg erklärt worden wäre, und das weltweit. Ein anderer Kriegsschauplatz sind die Straßen, obwohl an ihnen einiges gemacht wurde in den vergangenen Jahren. Dass dort Autos wie im Film einfach mal in Flammen aufgehen, liegt oft nicht am Straßenzustand. In obigem Fall lag es wohl am Auto, das kein bulgarisches, sondern ungarischen Kennzeichen hatte. Die Insassen, eine Kleinfamilie – Mann, Frau und Kind, konnten sich vorher samt Gepäck in Sicherheit bringen. Möglicherweise spielte auch die Kurve eine Rolle, in der das Auto letztendlich komplett ausbrannte. Dies war aus den Ungarn, die unter Schock standen, nicht herauszubekommen. In Bulgarien passieren auch viele Unfälle auf gerader Strecke. Man merkt es daran, dass dort Grabsteine an der Straße stehen. Was genau passiert ist, ob Alkohol im Spiel war oder andere Drogen, oder das Smartphone Schuld war, an dem der Fahrer herumgespielt hat, das steht dort natürlich nicht. Mit dem Blick eines trockenen Alkoholikers und von außen würde ich sagen, dass in vielen Bulgaren ein geheimer Todeswunsch steckt, der vor allem der hoffnungslosen Lage im Land geschuldet ist. Dazu würde ich auch das weit verbreitete Rauchen zählen, das am Ende wie der Alkohol vor allem eines ist: tödlich. Dazu muss man wissen, dass in Bulgarien nicht nur mehr getrunken, sondern auch mehr geraucht wird als im Westen. An irgendetwas muss man schließlich sterben, so der weit verbreitete Glaubenssatz für die Selbstzerstörung. Zurück zur Straße, wo ich hier als trockener Taxifahrer immer auf der Hut und praktisch auf alles vorbereitet bin. Allen voran die nicht vorhandene Spurtreue. Wie auch, wenn es keine Fahrspuren gibt, weil die Markierung fehlt. Als Taxifahrer war ich offensives Fahren gewöhnt. In Bulgarien fahre ich wie ein Rentner, der ich ja auch fast bin. Meine defensive Fahrweise hängt auch mit meinem Automobil zusammen, das mit knapp zwanzig Jahren und über 200.000 Kilometer auf dem Buckel auch irgendwie ein Rentner ist. Hinzu kommt, dass ich Zeit habe, mich kein Fahrgast drängt, der zum Flieger will. Vor allem ist es aber der Wunsch, nicht auf der Straße in den Schluchten des Balkans zu sterben. Sollte auch in mir als halber Bulgare ein geheimer Todeswunsch schlummern, von dem ich bisher nichts weiß, so kann ich die bulgarischen Straßen als Wunschort dafür definitiv ausschließen.
Foto&Text TaxiBerlin