Bericht aus Bulgarien (26)
Es ist sechs Uhr morgens. Die Kälte treibt mich aus dem Bett, aber nicht nur sie. Ich bin auch ausgeschlafen. In der Hütte sind acht Grad oder so. Ich mache erstmal Feuer. Dabei höre ich Nachrichten. Das übliche: Eine neuer Krieg steht vor der Tür, diesmal nicht gegen einen Virus, sondern gegen Russland. Ich mache Kaffee, um wach zu werden. Irgendwie geht mir der Song: „Meinst du, die Russen wollen Krieg?“ nicht aus dem Kopf. War glaube in den Achtzigern von Billy Joel, wenn ich mich recht erinnere.
Nachdem ich einige Seiten von Kafkas „Prozess“ gelesen und auch was geschrieben habe, fahre ich runter ins Dorf. Der unbefestigte Weg ist geräumt, so dass es sich auf ihm jetzt, wo der Schnee alle Löcher gefüllt hat, besser fährt als zuvor. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu schnell werde auf dieser Sprungschanze runter ins Dorf. Irgendetwas quietscht vorne unter der Motorhaube. Der Keilriemen ist es aber nicht. Vermutlich die Hydraulik von der Lenkung. Das muss jetzt warten. Zu kalt.
In der Dorfkneipe mache ich Internet und trinke einen „Dylgo“ dazu, einen „Verlängerten Kaffee“. Mein Bürgermeister, dem die Kneipe gehört, kommt und fragt, ob ich genug Holz zum Heizen habe, was ich bejahe. Er hat mich das schon tausendmal gefragt. Er kümmert sich um seine Leute und macht sich offensichtlich Sorgen um seinen Einwohner „Rumen Germanetz“. Vor allem will er nicht, dass ich was schlechtes über ihn und sein Dorf sage oder schreibe, weil es für ihn „Das Paradies auf Erden“ ist. Das sagt er wirklich – und ich auch. Bei einem solchen Bürgermeister.
Kaum ist der Kmet weg, so heißt Bürgermeister auf Bulgarisch, ist auch das Internet weg. Stromausfall. Ich kaufe noch zwei Liter frische Milch, die ich vor dem Verzehr abkochen muss, für drei Lewa (1,50 Euro) in der Kneipe vom Kmet und fahre ins fünf Kilometer entfernte Nachbarstädtchen, um weiter im Internet zu arbeiten. Ins Café „Vegas“, mein Stamm-Café, komme ich ohne auch Grünen Pass rein. Ich bestelle wieder einen „Dylgo“. Heute bedient nicht die dralle Blonde, sondern ihre Mutter. Ist auch OK.
Nach dem „Vegas“ muss ich zum „Bjuro po truda“, dem hiesigen Arbeitsamt, um mich abzumelden. Auf dem Weg dahin komme ich am Basar vorbei, wo es heute wegen der Kälte nur einen einzigen Stand gibt, und der hat jetzt einen Kunden: mich! Der Ledergürtel würde 100 Jahre halten, so der Verkäufer. Das ist mir zu lange. Die großen Glocken für die Schafe sind schön und hören sich auch toll an, sind aber nicht ganz billig: 60 bzw. 80 Lewa (30 bzw. 40 Euro). Für mich gäbe es Rabatt. Leide habe ich kein Schafe. Woher ich komme? Von hier! Der Mann versteht Spaß. Muss er auch.
Jetzt weiter zum Arbeitsamt, ohne Gürtel und ohne Glocken. Die Tür des Büros lässt sich nicht verschließen, weil die Tür kein Schloss hat. Tolles Arbeitsamt! Ich melde mich besser ab. Arbeit haben sie eh keine und Geld auch nicht. Ich hatte mich auch nur angemeldet, weil das Amt in Berlin das so wollte. Seit November bin ich da raus, also kann ich mich auch hier abmelden. Zweimal unterschreiben – fertig.
Zurück in meiner Hütte lege ich mich erstmal hin. Die Kälte draußen zerrt an den Kräften. Trotzdem mache ich kein Feuer, denn die Sonne scheint, und immer wenn die Sonne scheint, brauche ich kein Feuer machen, weil meine Hütte extra große Fenster für die Sonne hat. Ich liege im Bett und lese Kafka, der irgendwie nervt. Ich meine, der Mann ist gut, aber irgendwie nervt er mich auch. Vermutlich weil er so gut ist.
Nach einem kurzen Nickerchen und einem Telefonat mit der Heimat gehe ich nochmal runter ins Dorf, diesmal zu Fuß. Dazu nehme ich mein Sitzkissen und die Taschenlampe mit, weil es später, wenn ich zurück komme, dunkel ist. Das Sitzkissen brauche für den Fall, dass mein Bürgermeister nicht da ist, so wie jetzt, aber seine Kneipe ist trotzdem offen, so dass das Sitzkissen doch nicht zum Einsatz kommt. Die Frau, die nebenan ihren kleinen Laden hat, kümmert sich auch um die Lokalität vom Bürgermeister. Ich bin ganz alleine in seiner Kneipe, in der es schön warm ist, wo aber auch der Fernseher läuft, irgendeine nicht enden wollende türkische Familien-Soap, in der alle irgendwelche Luxusprobleme haben. Danach geht’s mit Nachrichten voller Nicht-Informationen weiter.
Ich bin nochmal im Internet, was ich sonst nicht mache, aber heute warte auf eine e-mail. Ich habe im Internet ein Buch gekauft, und während ich dieses online „in Echtzeit“ bezahle, kommt mein Bürgermeister und fragt, ob ich schon etwas gegessen habe, er hat „Sele“ (Kohl) übrig, den ihm eine Alte aus dem Dorf gebracht hat. Er hat schon gegessen, und so esse ich alleine den Rest „Sele“, der sehr lecker ist. So wie früher bei meiner Tante auf ihrem Dorf irgendwo in der Pampa. Die scharfe Paprika, die mein Bürgermeister dazugelegt hat zum „Sele“, ist so scharf, dass ich erstmal eine Cola von ihm trinken muss, und dann noch eine. Am Ende hilft nur das Brot aus Mais gegen das Brennen in der Magengrube. Was mich nicht umbringt, macht mich … weise – genau!
Ich sage meinem Bürgermeister, dass ich mich beim hiesigen Arbeitsamt abgemeldet habe. Er hatte mich damals, Ende Mai letzten Jahres, hinbegleitet und mich den Damen dort als „DEN jungen Mann“ aus seinem Dorf vorgestellt, mich regelrecht eingeführt. Arbeit hatten die aber trotzdem nicht für mich. Jetzt, nachdem ich mich offiziell bei den Damen abgemeldet habe, überlegt mein Bürgermeister, ob ich nicht eine Art Dorf-Taxi machen kann, was ich gerne machen würde. Aber die Alten im Dorf haben kaum Geld, ihre Arzneimittel zu bezahlen, geschweige denn ein Taxi. Immerhin, mein Bürgermeister sorgt sich um mich. Ich kann also nichts schlechtes über ihn sagen, im Gegenteil, und auch nicht über sein Dorf. Wie sollte ich auch? Ist ja jetzt auch mein Dorf!
PS: Mein Freund „Jerry, the German“ sagt immer: „Don’t trust the major!“ – Jerry wohnt aber in einem anderen Dorf.
PPS: Bisher bester Satz aus Kafka seinen „Prozeß“: „K. lebte doch in einem Rechtsstaat, überall herrschte Friede, alle Gesetze bestanden aufrecht, wer wagte ihn in seiner Wohnung zu überfallen?“
Foto&Text TaxiBerlin