Bericht aus Bulgarien (283) – “Kommst du nach Spa”
Gestern hatte mein Nachbar Geburtstag, und wir waren eingeladen, auch mein Besuch aus Deutschland: Joachim aus Bremen (sein Spitzname ist Achim), gerade unser Gast. Seit meinem ersten Artikel “Bulgarien – die große Freiheit” auf “Multipolar” ist er nicht nur ein Unterstützer meiner Arbeit, sondern sind wir auch Freunde. Mein Bürgermeister Emil (sein Spitzname ist Emu) war auch eingeladen und ein Paar aus Sofia, das auch englisch sprach. Natürlich wollte man wissen, was Joachim macht. Joachim ist Professor, der andere Professoren ausbildet. Zumindest habe ich das so erzählt. Das mit dem Professor macht man so in Bulgarien. Jeder, der lehrt, ist Professor hier, so wie jeder, der einem Handwerk nachgeht, ein Maistor ist. Der Unterschied zu Deutschland ist, dass Joachim nicht lehrt, sondern lernen lässt. Das ist sozusagen die höhere Schule des Lehrens, und das probierte er auch gleich bei meinem Bürgermeister aus. Er erzählte ihm, dass es irgendwo in Italien einen Ort gibt, in den wurzellose Städter kommen und für ein halbes Jahr zum Nulltarif Leben und Arbeiten können, mit dem Ziel, dass sie vielleicht dort bleiben und Wurzeln schlagen. Meinem Bürgermeister hat die Idee sogleich sehr gut gefallen. Auch er fände es gut, wenn mehr Menschen in unser Dorf kämen. Er tut auch schon viel, beispielsweise ein Fussballfeld anlegen oder einen Malnachmittag mit hiesigen Künstlern organisieren, damit insbesondere die Kinder sich nicht langweilen, wenn sie für ein paar Tage aus Sofia oder gar aus dem Ausland in das Dorf zurückkehren, in dem ihre Eltern einst geboren und groß geworden sind. Die kommen auch, weil sie noch Häuser im Dorf haben, um die sie sich kümmern müssen, wenn nicht auch sie verfallen sollen wie viele Häuser im Land. Bei unserem gemeinsamen Rundgang später durchs Dorf haben Joachim und ich beispielsweise ein leer stehendes Haus mit nagelneuen Fenstern gesehen, von dem jetzt das Dach in Auflösung begriffen ist. Bei vielen Häusern liegt Brennholz vor der Tür, dessen Preis sich im Vergleich zum letzten Jahr verdoppelt hat, und das klein gemacht werden muss, will man damit im bevorstehenden Winter sein Haus beheizen. Leer stehende Häuser ohne Holz vor der Tür gibt es auch genug in unserem Dorf. Die meisten von ihnen verfallen oder sind bereits in sich zusammengefallen. Und das ist genau das Problem meines Bürgermeisters, der sich wie erwähnt freuen würde, wenn mehr Leute in unser Dorf kämen, denen er auch freie Kost und Logie anbieten würde, zumindest für die ersten sechs Monate, wenn er es könnte. Im Moment hat er einfach nicht die Möglichkeit dafür. Aber vielleicht findet er sie, nachdem mein deutscher Freund und Professor Joachim gestern angefangen hat, auch ihn lernen zu lassen. Eine Idee hat mein Bürgermeister von mir gratis bekommen, die er heute schon umsetzen will. Und zwar ist mir als Comercial-Guy aufgefallen, dass unser Dorf mit Spa beginnt. Wenn man diese drei Buchstaben groß, also S P A, beispielsweise auf ein T-Shirt schreibt und darunter klein chevtsi, dann ist das nicht nur eine tolle Reklame für unser Dorf, sondern auch eine geniale Geschäftsidee. Mein Bürgermeister wollte sich wie gesagt gleich um die T-Shirts kümmern, und vielleicht kann er von den Einnahmen auch bald Leute für ein halbes Jahr zu uns aufs Dorf einladen. Das war zumindest sein Plan nach der ersten “Lernen lassen Lektion” meines Freundes und Professors aus Bremen auf der gestrigen Geburtstagsparty meiner Nachbarn. Dass mit dem SPA-Dorf ist auch nicht übertrieben, sondern im Gegenteil. Unser Dorf Spanchevtsi mit seiner eigenen Mineralquelle, an der täglich viele Menschen halt machen und ihre oft unzähligen mitgebrachten Flaschen mit Mineralwasser aus Spancevtsi auffüllen, ist landesweit bekannt, unter Insidern auch als Kurort vom offiziell anerkannten Kurort Varshets mit seiner über 170-jährigen Tradition nicht nur zu Füßen des Balkangebirges, sondern auch zu Füßen unseres Dorfes. Da ich meinen Bürgermeister jetzt viele Jahre kenne, halte ich es sogar für sehr wahrscheinlich, dass er sich noch heute um die die SPA-T-Shirts kümmert. Wer Interesse an dem Angebot hat, für sechs Monate in unser Dorf zu kommen, auch weil die Situation in der Heimat sich immer mehr zuspitzt, sollte nicht lange überlegen und mich möglichst umgehend kontaktieren, bevor alle Plätze gleich wieder vergeben sind.
Foto&Text TaxiBerlin