Bericht aus Bulgarien (288) – “Zweckoptimismus”

“Der Überblicker”
(Denkmal in Bulgarien)

In der DDR sagten wir scherzhaft auf die Frage, warum der Westen uns, vor allem was den Konsum angeht, voraus ist, obwohl wir es ja eigentlich sein wollten, die ihn überholen, dass es abwärts immer schneller geht. Die Frage, die ich mir heute stelle, ist, ob es mit dem Westen und insbesondere mit dem Konsum dort nicht demnächst rasant bergab gehen könnte. Die Talfahrt soll sogar schon begonnen haben, auch wenn Menschen in der Heimat dies noch nicht wahrhaben wollen. Es kommen dann immer Argumente wie, dass andere auch die Nase voll hätten sowohl vom Impfen als auch vom Maske tragen. Letzteres wurde nun per Gesetz ein weiteres Mal unsinnigerweise verlängert, aber einen Aufschrei habe ich deswegen nicht vernommen. Und das macht mich stutzig. Dass die Bulgaren deswegen nicht auf die Straße gehen, kann ich nachvollziehen. Denn das Leben der Bulgaren ist eher ein Überleben, und das schon seit mehr als 30 Jahren. Mit ihnen kann es nicht weiter abwärts gehen. Auf sie trifft jetzt bereits zu, dass wenn du nichts hast, du auch nichts mehr verlieren kannst. Beim Deutschen sieht das anders aus. Der hat beispielsweise sein Wärmekissen zu verlieren, um nur ein Beispiel zu machen. Im Winter ein solches Strombetriebenes Wärmekissen zu haben, ist sicherlich schön. Aber was mache ich mit dem Wärmekissen, wenn es im Winter keinen Strom mehr gibt? Der Blackout, der bisher “nur” unsere Politiker betrifft, könnte sich morgen auch auf Strom und Gas ausweiten, was mit ihm auch eigentlich gemeint ist. Nicht nur ich halte das für mehr als wahrscheinlich. Deswegen bauen sich Milliardäre nicht nur Bunker, sondern stellen sich umweltbewegte Grüne auch schmutzige Dieselgeneratoren in den Keller. Und das würde ich auch jedem anstelle eines Wärmekissens empfehlen. Darüber hinaus Geld ausgeben. Den Keller mit Kühlschränken, Waschmaschinen und Ölradiatoren vollstellen. Jetzt nicht nur wegen dem zu erwartenden Blackout, sondern auch wegen der vor der Tür stehenden Inflation. In Bulgarien gab es die Hyperinflation bereits Ende der Neunziger. Da waren es knapp 1.000 Prozent innerhalb eines Jahres. Danach waren 1.000 Lewa noch genau einen ganzen Lewa wert. Mit dem konnte man dann zwar noch auf Toilette gehen, aber keine Dieselgeneratoren, Kühlschränke oder Waschmaschinen mehr kaufen, was man zuvor noch gekonnt hätte. Wer wenig Geld hat, so wie ich, sollte sich zumindest mit Konserven und Toilettenpapier eindecken. Von meinem englischen Freund Jerry weiß ich, dass im Internet Survival-Kits gerade durch die Decke gehen. Wenn Jerry mir das erzählt, lacht er sich immer wieder aufs Neue kaputt darüber. Dass er sich darüber kaputt lacht, liegt daran, dass er viele Jahre in der Armee ihrer verschiedenen Majestät gedient hat, und er deswegen weiß, dass man sich mit solchem Survival-Zeugs auskennen muss, um es überhaupt benutzen zu können. Denn wenn man sich nicht auskennt damit, wovon bei den allermeisten, die es im Internet bestellen, auszugehen ist, dann überlebe man auch nicht, so Jerry. Wie gesagt, ich spreche nicht nur mit meinem englischen Freund Jerry, sondern auch mit Menschen in Deutschland. Auch wenn es Menschen sind, die ich gut kenne und deren Urteil ich vertraue, erschließt sich mir nicht ganz, woher sie ihren Optimismus nehmen. Es kann sich dabei meiner Meinung nach nur um Zweckoptimismus handeln. Dass ich ihnen dies nicht sage, sondern hiermit erstmals formuliere, liegt vor allem daran, dass ich nicht in Deutschland lebe. Das kann auch von Vorteil sein, denn ich habe dadurch einen gewissen Abstand zu den Dingen. Ob ich auch den Überblick habe wie obiger Bulgare auf seinem Denkmal, wird sich zeigen. Etwas anderes, was ich neben eingangs erwähntem “abwärts geht es schneller” von früher in Erinnerung habe, ist, dass Prognosen schwierig sind, insbesondere wenn die die Zukunft betreffen.

Foto&Text TaxiBerlin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert