Bericht aus Bulgarien (77)
Den Gevrek gab es früher warm an jeder Straßenecke Sofias zu kaufen. Der Geruch der bulgarischen Brezel, die aussieht wie ein türkischer Simit, geschmacklich aber ganz klar ein amerikanischer Donat ist, und auf den Geschmack kommt es bekanntlich an, war das Parfum der Stadt. Angeboten wurde er vorzugsweise von alten Omas, die auf einem Hocker sitzend den Gevrek aus einem großen dicken Papiersack heraus verkauften, wo er aus unerfindlichen Gründen immer warm blieb. Seit langem ist das bulgarische Traditionsgebäck im Aussterben gegriffen. Jedenfalls ist er nur noch schwer zu finden, was nicht nur an den alten Omas liegt, die schon alle weggestorben sind. In ganz Sofia gibt es noch einen winzig kleinen Pavillon, wo der Gevrek von früher verkauft wird. Es gibt auch Gevreks von heute, aber die sind soft wie die Sünde. Ein richtiger bulgarischer Gevrek ist bissfest, eben so wie ein amerikanischer Donat. Dass der Gevrek von heute eher weich ist, hängt mit der Bevölkerungsstruktur und mit der Krankenversicherung in Bulgarien zusammen. Die meisten Menschen sind alt hier, die jungen sind alle im Ausland, und selbst wenn sie eine Krankenversicherung haben, müssen sie, gehen sie zum Arzt, erstmal Geld auf den Tisch legen. Geld, das sie nicht haben, vor allem nicht für den Zahnarzt. Das ist der Grund, dass kaum einer der im Land verbliebenen noch einen Zahn im Mund hat, und deswegen gibt es auch keinen Gevrek von früher mehr, weil keiner kann ihn essen. Ich lasse mir gerade die Zähne machen in Bulgarien, um auch in Zukunft noch einen Gevrek essen zu können, wenn es ihn dann noch gibt, was ich natürlich hoffe. Jeder Besuch beim Zahnarzt endet mit dem Bezahlen meines Zahnarztes, der auch mein Freund ist, und den ich aktuell zu mir aufs Dorf eingeladen habe. Bin gespannt, ob er kommt. Das mit dem Bezahlen nach jedem Termin, war auch für mich neu. Aber was macht man nicht alles für den Geschmack eines Gevreks. Der erwähnte einzig verbliebene Pavillon, wo noch der Gevrek von früher verkauft wird, befindet sich praktisch genau an der Ecke Königin Maria Luisa und Ekzarh Yosif Straße, ganz genau ist es die Ekzarh Yosif Straße 21, im Schatten der alten Markthalle von Sofia.
Foto&Text TaxiBerlin