Bericht aus einem gebrochenen Land (079)
In meiner Straße im Friedrichshain
Neulich war ich im Kino. Links von mir saß eine Frau, die an ihrem rechten Arm eine Apple Watch trug, die alle paar Minuten aufleuchtete, weswegen ich die Frau ansprach. Ich fragte sie, ob sie ihre Apple Watch ausschalten könne. Daraufhin fragte sie mich, ob mich das Aufleuchten ihrer Apple Watch stören würde, was ich bejahte, und dass ich sie sonst nicht angesprochen hätte. Die Frau sagte nun, dass sie gar nicht mitbekommen würde, dass ihre Apple Watch aufleuchtet. Das war insoweit nachvollziehbar, dass die Apple Watch an ihrem rechten Arm zu mir zeigte. Dass sie selbst nicht mitbekommen würde, wenn ihre Apple Watch aufleuchtet, war noch nicht der Höhepunkt unserer Konversation. Der Höhepunkt kam jetzt, und zwar als die Frau meinte, dass sie das Aufleuchten nicht abstellen könne. Sie wisse gar nicht, ob das überhaupt geht. Mich erinnert diese kleine Begebenheit in der Zentrale des deutschen Irrenhauses daran, dass viele Menschen hier noch nicht mitbekommen, dass sie sich seit einiger Zeit im Krieg mit Russland befinden und ein Weltkrieg möglicherweise schon begonnen hat. (In Bulgarien ist auch das ganz anders, von “Schon wieder Ostfront” haben dort alle schon mal gehört.) Wie auch, sie selber leben ja (noch) im Frieden. Geschossen wird (bisher) nur woanders, auch wenn die Waffen aus Deutschland kommen. Das Aufleuchten stört schließlich auch nicht die Trägerin der Apple Watch, sondern ihren Nachbarn. Dass viele nun darüber hinaus nicht mehr wissen, wie sie aus diesem Krieg herauskommen, genauso wie die Frau im Kino neben mir nicht weiß, wie sie das Aufleuchten ihrer Apple Watch ausschaltet, ist nicht schön, aber leider folgerichtig.
Foto&Text TaxiBerlin