Ein von Gott verlassenes Land
Bulgarien ist nicht nur „The Land Of The Freaks“, also ein ganz eigener Menschenschlag, sondern auch „Ein von Gott verlassenes Land“. Ich bin hier nicht nur allzeit und überall von ausschließlich alten Menschen umgeben, ich hatte an dieser Stelle darüber geschrieben, sondern darüber hinaus von Verfall und Tod. Praktisch jedes zweite Haus verfällt oder ist schon in sich zusammen gefallen. Darüber hinaus sehe ich in einem Monat den Leichenwagen öfters als in Berlin in einem ganzen Jahr, wahrscheinlich sogar Jahrzehnt. Das ist alles sehr deprimierend, und ich muss permanent aufpassen, dass sie mich nicht zu sehr herunterzieht, diese nun schon seit Jahrzehnte anhaltende Dauer-Depression. Nach vielen Auszeiten in den Schluchten des Balkans gelingt mir das immer besser und in letzter Zeit kommt es sogar vor, dass ich dem Verfall und der Depression auch etwas Positives abgewinnen kann. Und zwar in dem Sinne, dass es in Bulgarien um etwas geht. In Bulgarien geht es, im Gegensatz zu Deutschland, wirklich um Leben und Tod, auch wenn das den wenigsten, die da gerade ums Überleben kämpfen, klar ist. Auch deswegen muss es einmal ganz klar gesagt sein: Für nicht wenige hier geht es ums nackte Überleben. Das ist keine Übertreibung. Nicht ohne Grund hat jeder dritte Bulgare seine Heimat verlassen, unter den bis vierzig Jahre alten sogar jeder zweite. Selbst Gott, dessen Häuser ebenfalls verfallen, hat Bulgarien bereits vor vielen Jahren verlassen. Und trotzdem gelingt es den allermeisten im Lande Verbliebenen zu überleben – irgendwie. Warum dies so ist, darüber habe ich lange nachgedacht. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass es nur daran liegen kann, dass Bulgarien zwar von Gott und auch von vielen Landsleuten verlassen ist, aber nicht von allen guten Geistern, wie Deutschland gerade – mal wieder.
Foto&Text TaxiBerlin