Leben in Zeiten von Corona – Heute: “In diesem Taxi dürfen Sie zwar nicht telefonieren, dafür aber alles sagen – sogar die Wahrheit.”

 

In meinem Taxi (Fahrgastperspektive)

Als ich noch Taxi fuhr, meine letzte Schicht war vor fast einem Jahr, galt in meinem Taxi, dass man dort zwar nicht telefonieren darf, dafür alles sagen – sogar die Wahrheit. Bei den allermeisten Fahrgästen kam diese klare Ansage sehr gut an, wir waren sofort im Kontakt miteinander. Die wenigen, die sich durch meine Direktheit in ihrem Individualismus bedroht fühlten, waren die ganz ganz wenigen Ausnahmen, die die Regel bestätigen. Dazu muss man wissen, dass ich mir in meinem Taxi auch alles und jeden angehört habe, ohne dies sogleich zu bewerten und in irgendeine Schublade zu tun, aus den man ihn, also den Fahrgast, dann nicht mehr heraus bekommt. Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich hatte in meinem Taxi keinen Holocaust-Leugner, keinen Antisemiten, keinen Reichsbürger und auch keinen Verschwörungstheoretiker, wobei man dazu sagen muss, dass jeder Journalist, der diesen Namen verdient, immer auch ein Verschwörungstheoretiker sein muss, denn ohne dass Journalisten auch Verschwörungstheoretiker sind, hätte es zum Beispiel keinen Watergate-Skandal gegeben. Das mit den Holocaust-Leugnern, Antisemiten und Reichsbürgern schreibe ich, weil wir praktisch von ihnen umstellt sein sollen, zumindest wenn man den Journalisten glaubt, was ich für mich und mein Taxi nicht bestätigen kann, im Gegenteil. Dass meine Fahrgäste in meinem Taxi alles sagen durften, damit wollte ich nicht nur, dass diese sich besser fühlen, weil sie endlich mal so reden durften, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist. Das war gar nicht mein vordergründiges Ziel, auch wenn dies regelmäßig eintrat, nachdem sich meine Fahrgästen in meinem Taxi erleichtert hatten. Für mich war es an erster Stelle eine Übung, anderen Menschen zuzuhören, ohne das Gesagte gleich zu bewerten. Hört sich einfach an, ist aber das Einfache, was so schwer zu machen ist, einfach weil wir so konditioniert sind, alles und jeden sogleich bewerten zu müssen. Was mir geholfen hat beim nicht-bewerten, war, dass mich immer schon mehr interessiert hat, warum tickt jemand so, wie er tickt, und nicht so sehr, wie er tickt. Und  so passierte es regelmäßig, dass ich von vermeintlich dummen Menschen noch viel lernen konnte, was ich nicht getan hätte, wenn ich ihn zuvor in die Schublade “dumm” gesteckt hätte, denn der Nachteil bei Schubladen ist, dass sie zwar beweglich sind, aber die meisten Menschen zu faul dazu sind, weswegen man, wenn man einmal in eine bestimmte Schublade gesteckt wurde, da praktisch gar nicht mehr heraus kommt. Was noch wichtig ist zu wissen, ist, dass wir so gut wie keinen Einfluss darauf haben, in welche Schublade wir vom anderen gesteckt werden, weswegen es eigentlich auch egal ist, was wir sagen, und dann kann man auch gleich die Wahrheit sagen. Ein Fahrgast brachte es so auf den Punkt: “Sei so, wie du bist, aber lass es dir nicht anmerken.” Was nun meine Person im Taxi betraf, so versuchte ich mich mit Kommentaren zurückzuhalten. Auch das ist ganz schwer, vielleicht sogar noch schwerer als nicht zu bewerten. Versuch es selbst einmal, dann wirst du es merken. Es ist deswegen so schwer, weil da etwas raus will aus uns. Genau dies nicht zu tun, den andern aber nicht nur ausreden zu lassen, sondern seine Meinung auch wirklich nur zu sagen, wenn man explizit danach gefragt wird, ist ganz ganz schwer. Was hilft, ist, bevor man antwortet, das von dem anderen Gesagte mit seinen eigenen Worten zu wiederholen ohne den Sinn des Gesagten zu entstellen. Das ist eigentlich schon Kunst. Und diese Kunst habe ich in meinem Taxi immer besser beherrscht. Ob man deswegen schon von einem Gesamt-Kunstwerk TaxiBerlin reden kann, das weiß ich nicht, aber möglicherweise wurde ich unter anderem deswegen aus dem Verkehr gezogen. Wie dem auch sei, die höchste Auszeichnung, die ich in dieser Sache einmal in meinem Taxi bekam, war die von einem Fahrgast, von wem auch sonst, denn nicht nur die Straßen, sondern auch meine Fahrgäste waren meine Universität, und dieser Fahrgast nannte mich Den Großen Desillusionisten, als ich ihm meine Meinung zu dem zuvor von ihm Gesagten mitgeteilt habe, nachdem er mich davor darum gebeten hatte, das ist klar. Und diese Auszeichnung Der Große Desillusionist bringt mich nun als Trockenen Taxifahrer, dem die Fahrgäste abhanden gekommen sind, auf die Idee, ob nicht Der Große Erleichterer etwas für mich ist. Darüber mehr im nächsten Beitrag, dranbleinen lohnt sich. Also sprach TaxiBerlin, kannste glauben.

Foto&Text TaxiBerlin

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