Like a Complete Unknown

“A Complete Unknown”, auf Bulgarisch “напълно непознат” (napŭlno nepoznat), heißt der neue Film, ein “biographical motion picture” (kurz: “Biopic”), über Bob Dylan. Der Filmtitel ist dem bekannten Dylan Song “Like a Rolling Stone” entnommen. Der komplette Refrain heißt: “How does it feel, how does it feel? To be on your own, with no direction home – Like a complete unknown, like a rolling stone.” Der Film lief am 7. Februar in Bulgarien an, war aber nur wenige Wochen im Programm. Gestern lief er noch einmal im “Haus des Kinos”, auf Bulgarisch “Дом на киното” (Dom na kinoto), weswegen ich mich extra in die bulgarische Hauptstadt begeben habe, immerhin 100 Kilometer hin und auch wieder zurück, und ich muss sagen: Die Reise hat sich gelohnt!

Das Kino dürfte aus der sozialistische Zeit Bulgariens stammen. Dass seither viel gemacht wurde, konnte ich nicht erkennen, was mir das “Haus des Kinos” gleich sympathisch gemacht hat. Ein wenig lag es auch an der jungen Frau, die mir die Eintrittskarte für 14 Lewa (sieben Euro) verkaufte. Ihre Bemerkung auf “freie Platzwahl” nahm ich als Hinweis darauf, dass ich möglicherweise der einzige Besucher sein könnte. Dem war nicht so, am Ende waren knapp 50 Zuschauer im Saal. Ganz anders in Berlin, wie mir ein Berliner Freund und Filmemacher schrieb. Er hat den Film vor zwei Wochen im Delphi gesehen zusammen mit knapp 1.000 Leuten. Sein Fazit war dieses: “Es fasziniert mich immer wieder aufs Neue, wie die Menschen im Kino die Widerständler lieben, während sie im wirklichen Leben selber immer versuchen mit dem Arsch an die Wand zu kommen. Und das ihnen dieser Widerspruch nie in den Sinn kommt.” – Solche Überlegungen hatte ich im Kino in Sofia nicht. Im Gegenteil, ich habe an die anderen Zuschauer im Saal keinen Gedanken verschwendet. Ich war fasziniert von der Gradlinigkeit Bob Dylans, insbesondere am Anfang seiner Karriere, also in den Jahren von 1961 bis 65, um die es in dem Film geht. Er hat sich nicht beeindrucken lassen von anderen bekannten Musikern, beispielsweise von Joan Baez. Im Gegenteil, er hat ihre Eitelkeit und Selbstverliebheit bloßgestellt. Vermutlich auch in dem Song, der dem Film seinen Namen gibt, und den ich wörtlich nehme. Wie fühlt es sich an, plötzlich ganz alleine zu sein, ohne Rückfahrkarte in die Heimat, ein völlig Unbekannter? Die Antworten habe ich nicht bei Bob Dylan sondern bei Friedrich Nietzsche gefunden: “Schreien wirst du einst ‘Ich bin allein!’ und ‘Alles ist falsch!’“ – Vermutlich hat der Film wegen dieser Bloßstellung keinen einzigen Oscar gewonnen. Sehenswert ist er trotzdem. Ich würde sogar sagen, dass er ein Muss ist!