Zurück in Bulgarien (001) – “Dornröschenschloss”
in den Schluchten des Balkans
Während meiner viermonatigen Abwesenheit ist meine Hütte in den Schluchten des Balkans komplett zugewachsen. Jetzt brauche ich einen Monat, um den Ausgangszustand wiederherzustellen – für jeden Monat der Abwesenheit eine Woche. Dass ich so lange weg bleibe, war nicht geplant. Das lag auch an meiner Schwiegermutter, die Anfang Juli verstorben ist. Einige in meinem Dorf hier kannten meine Schwiegermutter, sie war letztes Jahr zu Ostern noch hier gewesen. Natürlich wollten die, die meine Schwiegermutter kannten, wissen wie es ihr geht. Sie können sich nicht vorstellen, dass diese vitale Frau gestorben sein soll. Und auch mir fällt es schwer, es zu akzeptieren. Im Oktober hatte sie sich boostern lassen. Meine Schwiegermutter gehörte zu den Amerikanern, die ihrer Regierung vertrauen. Im März ging es ihr plötzlich ohne ersichtlichen Grund von einem Tag auf den anderen schlechter. Es begann eine Odyssee von einem Arzt zum anderen und von einem Krankenhaus zum nächsten, bei der jemand anders das Kommando hatte, was meine Schwiegermutter gar nicht gewohnt war. Untersucht wurde immer nur das, wofür Geräte vorhanden waren und wofür es dementsprechend Geld gab. Das ist in Deutschland nicht anders. Gefunden wurde dies und das – wie das bei einer Person von 77 Jahren üblich ist. Die Nieren wurden bis zum Schluss nicht untersucht. Im Gegenteil, man gab ihr Medikamente, die den Nieren gar nicht gut taten. Ihre Niereninsuffizienz kann also auch Resultat der Behandlung gewesen sein, andererseits aber auch ein Impfschaden. Meine Schwiegermutter wäre nicht die erste mit dieser Impfnebenwirkung. Ob sie selbst an diese Möglichkeit gedacht hat, kann keiner sagen. Sie hat am Ende ihres Lebens viel nachgedacht. Worüber, darüber wollte sie nicht sprechen. Möglicherweise hat sie andere Erlebnisse ihres ereignisreichen Lebens Revue passieren lassen. Letztendlich kam sie zu dem Schluss, dass ein solches Leben in Abhängigkeit und mit ständigem Unwohlsein nicht lebenswert ist. Sie verlangte nach dem Schierlingsbecher, den sie, nachdem sie ihn zu sich nahm, zum großen Teil wieder auskotzte, so dass nicht sicher war, ob sie auch wirklich sterben würde. Der Pfleger vom Hospiz, das den Cocktail für sie bereitgestellt hatte, meinte, dass es wahrscheinlich nur länger dauern würde, ihr Sterben. Ausserdem sagte er, dass es mitunter hilft, wenn wir sie alleine lassen, da es Menschen gibt, die alleine sterben möchten. So geschah es dann auch. Im Nachhinein musste ich oft an die Aufforderung Nietzsches „Stirb zur rechten Zeit!“ denken. War es das, was er damit meinte? Ich weiß es nicht. Hätte Nietzsche sich impfen lassen?, um noch einmal auf die Frage zurückzukommen. Auch das weiß ich nicht. Meine Schwiegermutter dachte vermutlich: Was ich getan habe, habe ich getan. Sie wollte, dass sie verbrannt wird, was wir veranlassten. Ihre Asche konnten wir zehn Tage später abholen. Da meine Schwiegermutter keine Beerdigung und damit auch kein Grab wollte, ist ihre Asche bis jetzt bei uns. Noch haben wir sie nicht auf ihrem Grundstück verstreut, was ihr letzter Wunsch war. Manchmal frage ich mich, ob auch ich auf meinem Grundstück, das jetzt zugewachsen ist wie das Schloss von Dornröschen, verstreut werden möchte. Grundsätzlich kann ich es mir vorstellen, was auch an den bulgarischen Friedhöfen liegt, die einem Jungle gleichen. Dann kann ich auch in meinem eigenen Jungle liegen. Dass bulgarische Friedhöfe oft einem Jungle gleichen, liegt daran, dass viele Bulgaren ins Ausland gegangen sind. So wie die Häuser in Bulgarien verfallen, so verfallen auch die Friedhöfe. Es wird der Tag kommen, da werden Menschen nach Bulgarien kommen. Dessen bin ich mir, nachdem ich zehn Tage in Berlin war, sicherer denn je. Das Leben der meisten Menschen dort, viele von ihnen sind schon tot, ich hatte an dieser Stelle darüber geschrieben, ist unverbunden oder „völlig losgelöst“, wie David Bowie es in seinem „Major Tom“ besingt. Lange habe ich nach dem passenderen Wort neben „dekadent“ gesucht, das diese bedauernswerten Menschen ohne Wurzeln beschreibt. Jetzt habe ich es gefunden, es ist das Wort „degeneriert“.
Dass unser Flugzeug trotz 45-minütiger Verspätung praktisch pünktlich ankam, lag daran, dass der deutsche Kapitän den Turbo eingeschaltet hat. Das machte sich dadurch bemerkbar, dass das Flugzeug kurz in ein Loch fiel und es danach doppelt so schnell weiter ging, also wie mit Rückenwind und noch irgendwas, vermutlich die uns verfolgende Schallmauer. Hinzu kommt, dass er den Sofioter Flughafen gleich von der richtigen Seite, von Osten, angeflogen und damit Zeit gespart hat.
Foto&Text TaxiBerlin