Zurück in Bulgarien (082) – “Noch ist Bulgarien nicht verloren – oder doch?”

Gestern, ich war gerade auf dem Weg zum Basar, ist plötzlich eine ältere Frau vor mir zusammengebrochen. Ich hatte sie zuvor angesprochen gehabt, wie es ihr geht, weil sie sich an einem Lichtmast festgehalten hatte. “Schlecht” sagte sie, und dann sackte sie auch schon zusammen. Aufgrund der enormen Abwanderung im Nordwesten Bulgariens, der ärmsten Region des Landes und vermutlich auch der EU, sind praktisch nur noch Alte hier verblieben. Trotzdem stand plötzlich ein junger Mann neben mir und auch eine Frau, die in meinem Alter oder etwas älter gewesen sein dürfte. Wir erfuhren, dass die Frau den ganzen Morgen noch nichts gegessen hatte. Der Grund dafür war nach eigenen Angaben ein Unwohlsein der älteren Dame gewesen, die sich für den Basar chic gemacht hatte. Das ist üblich so, dass man seine besten Sachen anzieht, wenn man zum Markt geht. Auch wenn man sich oft nur sehr langsam, gebeugt und mit einem Stock in der Hand dorthin bewegt. Der Basar ist der Höhepunkt der Woche. Denkt man sich den Basar weg, könnte man die Veranstaltung auch für eine Rentner-Messe halten. Jetzt lag eine Rentnerin mit ihren besten Sachen auf der Straße. Die Frau, die den Kopf der Alten in der einen Hand hielt, versuchte mit der anderen ihre Kleidung zu ordnen. Die Alte sah jetzt etwas besser aus, ihre Gesichtsfarbe war aber immer noch ungesund. Der junge Mann, der im Vorbeifahren die Frau zusammenbrechen gesehen und daraufhin sogleich angehalten hatte, bot sich an, sie nach hause zu fahren. Die Alte nahm das Angebot dankend an, sie würde auch nicht weit weg wohnen. Ihr beim Aufstehen zu helfen, damit sollten wir noch einen Moment warten. Die Uhren ticken wirklich anders auf dem Balkan. Irgendwann saß sie beim dem Mann im Auto, die andere nahm noch ihren Rock aus der Tür, bevor sie diese von außen schloss. Bulgarien ist noch nicht verloren. Es gibt noch junge Männer, die anhalten, wenn alte Frauen auf der Straße zusammenbrechen. Bei den Krankenschwestern sieht es weniger gut aus. Bulgarien gehört zu den Ländern in der EU mit der geringsten Anzahl von Krankenschwestern pro Einwohner. Während im Durchschnitt etwa 900 Krankenschwestern auf 100.000 Menschen kommen, sind es in dem Balkanland nur 421. Hinzu kommt, dass das Durchschnittsalter einer bulgarischen Krankenschwester bei 58 Jahren liegt. Angesichts dieser aktuellen Zahlen bin ich mir nicht mehr ganz so sicher, ob Bulgarien noch nicht verloren ist.

 

Foto&Text TaxiBerlin

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