Bericht aus Bulgarien (3)

 

Das “Grand Canyon” Bulgariens

Am Sonntag, es war der zweite Weihnachtsfeiertag, habe ich zusammen mit meinem Freund Jerry, The Englishman in Bulgaria, die Gegend erkundet. Jerry, der schon zehn Jahre permanent in der Region wohnt, habe ich im Sommer auf einer Ausstellung kennengelernt. Es gibt auch Ausstellungen in Bulgarien, selbst in der ärmsten Region, dem Nordwesten, des ärmsten Landes der Europäischen Union, wenn nicht gar Europas. Trotz Armut und Verfall ist Bulgarien ein zivilisiertes und kein barbarisches Land.

Jerry hat die Gegend jahrelang mit seinem Motorrad erkundet und kennt sie besser als ich, der immer nur seine zweimonatigen Auszeiten vom Taxifahren hier verbracht hat. Dafür weiß ich Dinge über Bulgarien, die Jerry nicht weiß. Wir ergänzen uns gut, sind sozusagen ein Team. Durch ihn frische ich auch mein englisch auf, denn Jerrys bulgarisch ist ungefähr so gut wie sein deutsch, obwohl er mit einer Deutschen, genauer: einer Ostdeutschen, verheiratet war. Jetzt ist er mit einer Bulgarin zusammen.

Ich will jetzt aber nicht über Jerry schreiben, der sich, obwohl er viele Jahre in der Armee Ihrer Majestät gedient hat, einen Lebensabend im Königreich nicht mehr leisten kann. Ein Phänomen, das demnächst auch für viele Deutsche selbst vor Eintritt ins Rentenalter zutreffen dürfte, weswegen auch für sie Bulgarien als ein Land, das sie sich noch leisten können, interessant werden wird. Das ist zumindest meine Prognose.

Zusammen mit Jerry habe ich mich auf den Weg in den nordwestlichen Zipfel gemacht, dem Dreiländereck Bulgarien, Serbien und Rumänien. Gekommen sind wir bis zur Stadt Belogradchik, die für ihre Felsformationen bekannt ist, die an das Grand Canyon in den USA erinnern, aber natürlich viel kleiner sind. Bis zur serbischen Grenze sind es von dort 20 Kilometer, bis zur rumänischen an der Donau etwa das doppelte, also 40 Kilometer.

Ich bin schon zweimal hier gewesen, habe aber immer nur die Felsen erkundet. Jerry kannte sich auch mit den Lokalitäten aus. Der serbische Grill würde erst am Abend öffnen, wofür es noch zu früh war. Das große Restaurant, vor dem wir parkten, hatte einen phantastischen Blick auf die Felsformation, nervte aber mit lauten Weihnachtsliedern für Kinder.

So entschieden wir uns für die Mehana, eine typisch bulgarische Kneipe, in einem naheliegenden Hinterhof, in der gerade eine Männerparty mit Heavy Metal im Gange war. Wir wurden trotzdem freundlich von den reichlich angetrunkenen Herren begrüßt. Für einen Frühschoppen war es wiederum reichlich spät, und das merkte man ihnen an. Ein Grünes Zertifikat wurde nicht verlangt, außer der Kellnerin trug auch niemand eine Maske.

Das Essen, eine Hühnersuppe, eine serbische Wurst vom Grill und eine panierte Paprika, war essbar, aber nicht der Rede Wert. Es ist schwer geworden, in Bulgarien gutes Essen zu finden. Viele Bulgaren gehen deswegen schon gar nicht mehr irgendwo essen. Nicht wenigen scheint das schlechte Essen aber nichts auszumachen. So, als würde ein ganzes Land seinen Geschmack verlieren.

Wir entschlossen uns, den Kaffee in dem Restaurant einzunehmen, vor dem unser Auto parkte. Anstelle der Weihnachtslieder war jetzt Tschalga-Musik zu hören. Die Kinder waren offensichtlich schon gegangen. Tschalga-Musik, wer sie nicht kennt, wird nachgesagt, dass mit ihr Bürgerkriege beginnen würden, was grundsätzlich stimmen mag, aber nicht in dieser Lautstärke. Für bulgarische Verhältnisse war es fast leise.

Der Kaffee war gut, die Creme Caramel und der Cheese Cake OK. Ein Grünes Zertifikat brauchten wir auch hier nicht, und die Kellnerin trug auch keine Maske. Alles ganz normal und zivilisiert, genau wie der Preis. Insgesamt hat jeder von uns 10 Lewa, also fünf Euro, ausgegeben – für Mittagessen und Kaffee zusammen wohlgemerkt.

Alles könnte so schön, wenn nicht auch viele Bulgaren sich diese Preise leisten könnten. Diese können sehr laut sein, und wenn es nicht ihre Musik ist, so sind sie es, die einem auf die Nerven gehen. Jerry und mir nicht mehr, wir sind bereits akklimatisiert, man könnte auch sagen abgestumpft. Ich schreibe das nur, um auch hier bei der Wahrheit zu bleiben.

Bulgaren mögen nicht nur den direkten, also den Körperkontakt zu anderen, weswegen das mit dem Mindestabstand hier auch nicht funktioniert – nicht funktionieren kann, sondern auch eine enorme Lautstärke. Es wird hier praktisch nie einfach nur gesprochen, gesagt oder geredet, sondern immer nur geschrien und gerufen.

Das ist von der Sache her OK, andere Länder – andere Sitten, aber eben auch gewöhnungsbedürftig. Deswegen erwähne ich es. Nicht damit es später Klagen gibt, etwa in der Form: Da sind wir nach Bulgarien ausgewandert, und dann wimmelt es dort nur von Bulgaren. Das eine ist ohne das andere nicht zu haben, so wie Amerika nicht ohne Amerikaner und die Krankenpflege nicht ohne Kranke.

Andererseits lassen sie einen in Ruhe, die ewig schreienden Bulgaren, zumindest was den Grünen Pass, die Maske und besagten Mindestabstand angeht. Alles Gute ist eben nie beieinander, auch in Bulgarien nicht, das sagt auch Jerry.

Über Jerry, mit dem ich gerade auf einer Esel-Farm bin, wo wir zusammen mit den Grautieren das neue Jahr erwarten, werde ich demnächst ausführlicher schreiben. Für heute will es ich hierbei belassen. Allen Lesern, egal ob Esel-Narren oder nicht, wünsche ich einen guten Rutsch und ein friedliches neues Jahr. Komm gut rein!

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (2)

Der Frühling ist zurück

Kurz vor Weihnachten habe ich überlegt, mir einen zweiten Ofen zuzulegen, um einen weiteren Raum beheizen zu können. Bereits im Sommer hatte ich einen „Prity“-Ofen bei „Praktiker“ gekauft, der damals im Angebot war. Im Moment ist es so, dass man nur mit „Grünem Zertifikat“ bei „Praktiker“ reinkommt. Neulich bin ich noch ohne drin gewesen, da habe ich den Security-Menschen am Eingang einfach ignoriert. Obwohl es einmal geklappt hat, wollte ich diesmal etwas anderes ausprobieren. Jemand hatte mir erzählt, dass es in Montana einen „Show-Room“ für Öfen geben würde. Also auf nach Montana.

Besagten „Show-Room“ gibt es schon seit Jahren nicht mehr, dafür eine Art Lager, wo jemand Öfen verkauft. Ich musste herumfahren und herumfragen, um dies in Erfahrung zu bringen. Es war schwierig, jemanden zu finden, der überhaupt mit mir sprechen wollte. Auch in Bulgarien hat der Weihnachts-Wahnsinn mit seinen Einkäufen und Vorbereitungen Einzug gehalten. Zum Schluss ist einfach jemand zu mir ins Auto gestiegen und hat mir den Ort gezeigt, den ich alleine nicht gefunden hätte. 

Die Auswahl dort war ganz ordentlich, um die dreißig Modelle verschiedener Hersteller. Der Verkäufer, der weder ein Zertifikat sehen wollte, noch auf der Maske bestand, er trug selbst auch keine, kannte sich sogar aus mit den Öfen, die er verkaufte. Trotzdem wollten ich es nicht übers Knie brechen, auch weil es keine Lagerverkaufspreise waren, sondern ganz normale. Ich hatte vorher schon geplant gehabt, auch beim lokalen Baumarkt vorbeizufahren. Zuvor musste ich noch meinen freundlichen Führer zurückbringen, für den die Öfen des Mannes auch von Interesse gewesen waren.

Bei „T-Maxx“ erwarteten mich zwei Mitarbeiter des Baumarktes, die das „Grüne Zertifikat“ sehen wollten. Da ich kein solches Zertifikat habe, musste der Baumarkt auf meinen Einkauf verzichten. Hätte ich mir vorher von irgendjemandem das „Grüne Zertifikat“ kopiert, wäre ich reingekommen. Nur die Polizei darf in Bulgarien den Personalausweis, also die „litshna karta“, kontrollieren – keine Security und auch keine Mitarbeiter.

Nachdem man mich bei „T-Maxx“ nicht hereingelassen hat, hätte ich jetzt gleich zurück zum Ofen-Lager fahren und mir dort einen Ofen aussuchen können. Und obwohl der Verkäufer dort wie gesagt weder auf irgendein Zertifikat noch auf die Maske Wert gelegt hat, habe ich mich dagegen entschieden – zumindest vorerst. Ich will erst noch im Internet nach Öfen schauen. Jetzt nicht so sehr wegen den Preisen, sondern wegen den Modellen, und da insbesondere nach denen der Marke „Prity“. Von „Prity – fireplaces and stoves“ ist der Ofen, den ich mir im Sommer bei „Praktiker“ gekauft habe. Es ist das 12kW Modell „FM“, mit dem ich auch Brot backen kann, und mit dem ich sehr zufrieden bin. Es geht nichts über selbstgebackenes Brot, am besten im Holzofen.

„Prity “ ist nicht nur „der Mercedes unter den Öfen“ hierzulande und hat dementsprechend seinen Preis, sondern stellt auch viele verschiedene Modelle her. Ich will sicher sein, dass es auch wirklich das passende und optimale Modell für den anderen Raum ist. Ziemlich deutsch – ich weiß. Aber da ich den ersten Ofen ohne groß nachzudenken gekauft habe, will ich es jetzt beim zweiten anders machen. Getreu meinem neuen Mantra: Das wichtigste im Leben ist die Veränderung.

Obwohl ich nur allzu oft will, dass alles beim Alten bleibt. So ist mir beispielsweise eingefallen, dass es früher in Bulgarien auch immer nur einen warmen Raum im Haus gab, und zwar die Küche, so wie bei mir. Ein zweiter warmer Raum wäre so gesehen eine ziemliche Veränderung, aber vor allem schon Luxus für mich, und den kann ich mir gerade nicht leisten. Außerdem ist für den Moment der Frühling zurückgekehrt. Ich will es nicht ausschließen, dass, wenn morgen der Winter wieder kommt, ich auch da eine Veränderung wünsche. Sobald ich einen zweiten warmen Raum nicht mehr für luxuriös halte, fahre ich auf jeden Fall zu dem Mann mit den Öfen in Montana. 

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (1)

75 Lewa = 75 Mark = 38,50 Euro

Angesichts der aktuellen Entwicklung in Deutschland ist das Interesse an Bulgarien und am Leben hier groß. Das beweisen auch die zahlreichen Anfragen, die mich seit einiger Zeit erreichen. So einige denken darüber nach, Deutschland zu verlassen und sich – so wie ich – in den Schluchten des Balkans in Sicherheit zu bringen. Auch um einem größeren Publikum die Antworten auf alle mir gestellten Fragen zugänglich zu machen, starte ich hiermit eine neue Serie, den „Bericht aus Bulgarien“. Zu Deutschland, das ich im Mai verlassen habe, werde ich mich nur noch gelegentlich und aus der Ferne äußern. Ich möchte lieber über den Alltag in Bulgarien berichten, auch über vermeintliche Kleinigkeiten.
Eine solche Kleinigkeit ist beispielsweise, dass der Bulgare selbst beim Bezahlen regelmäßig Fünfe gerade sein lässt. Während in Deutschland ein Einkauf mitunter daran scheitert, dass einem ein oder zwei Cent fehlen, wird darüber hier stillschweigend hinweggegangen. Es wird allerdings nicht nur ab-, sondern auch aufgerundet. Man solle sich also nicht wundern und schon gar nicht aufregen, wenn man beim Einkaufen mal den ein oder anderen Stotinki (1 Stotinki = 0,5 Cent) zu wenig herausbekommt.
Die Grundregel, dass in Bulgarien die Dinge halb so viel kosten wie in Deutschland, stimmt nicht immer, aber in den allermeisten Fällen schon. Braucht(e) man, so wie ich, in Deutschland 1.000 Euro im Monat, so reichen hier 500 Euro locker aus zum Leben, was 1.000 Lewa sind. Der bulgarische Lewa hat bis heute den Wert der D-Mark, weswegen der Gang nach Bulgarien auch immer eine Zeitreise ist. Der Wert eines Euros sind 1,95 Lewa, genauso wie einst der Wert der D-Mark: 1,95 D-Mark = 1 Euro.
Die Ärmsten der Armen sind auch in Bulgarien die Rentner. Aufgrund des Exodus’ der jungen Bulgaren, von den 20- bis 45-Jährigen hat sich jeder zweite ins Ausland „evakuiert“, ist Bulgarien nahezu ausschließlich von alten Menschen bevölkert. Die Minimalrente liegt bei etwa 150 Euro im Monat. Die neue Regierung zahlt ab sofort jedem Rentner einmalig 75 Lewa (38,50 Euro), wenn er sich impfen lässt. Eine Strategie, die aufgehen kann, aber nicht muss. Auch wenn es mir mitunter immer noch ein Rätsel ist, wie manch Rentner überlebt, glaube ich persönlich nicht daran, dass sich viele Alten von dem Angebot locken lassen, insbesondere nicht auf dem Land.
„Über Geld spricht man nicht – man hat es!“, war bisher meine Devise, an die ich mich nicht nur in meinem Taxi, sondern auch auf meiner Seite gehalten habe. Da ich seit gut einem Monat ohne Einkommen bin, muss nun auch ich über Geld sprechen. Ab sofort kann jeder meinen „Bericht aus Bulgarien“, die Recherche und Vorarbeit dazu, einmalig oder gerne auch regelmäßig finanziell unterstützen und damit mein Überleben in den Schluchten des Balkans sichern. Dafür habe ich gerade „Autofiktion unterstützen“ – oben rechts – ins Leben gerufen. Vielen Dank für deine Spende!
Foto&Text TaxiBerlin

 

Frohe Weihnachten

Besser als jedes Fernsehprogramm

Seit meinem Beitrag „Bulgarien – die große Freiheit“ auf Multipolar, erreichen mich viele e-mails, über die ich mich sehr freue, und für die ich mich auch auf diesem Weg bedanken möchte. Es schreiben mir Menschen, in der Regel Deutsche, die schon mal in Bulgarien waren, aber vor allem Menschen, die bereits im Ausland leben und solche, die dies in nächster Zeit beabsichtigen. Beispielsweise ein Paar aus Wien, das dem Wahnsinn in ihrer Heimat entkommen möchte. Eine e-mail kam sogar aus Paraguay, die meisten sind aus Bulgarien, Österreich, Ungarn und Deutschland.

Ich versuche alle e-mails und auch alle Fragen zu beantworten. Eine Frage, die mehrfach auftauchte, war die nach der Gründung von dörflichen Gemeinschaften in Bulgarien. Ich möchte die Gelegenheit nutzen und etwas darüber schreiben, weil es im erweiterten Sinne sowohl mein Anliegen als auch das von meinem Bürgermeister ist: Menschen, egal ob Ausländer oder Bulgaren, ins Land und insbesondere aufs Dorf zu holen. Und es gibt auch schon welche hier, beispielsweise einige Engländer, aber eben nicht viele.

Es können also durchaus noch weitere hinzukommen, Platz gibt es genug. Eigentlich gibt es auch genug leer stehende Häuser, die aber oftmals mehreren Erben gehören. Wenn diese sich nicht einig sind, was mit der Immobilie geschehen soll, kann es schwierig werden, diese zu erwerben. Da aber in Bulgarien nichts unmöglich ist, sollte man nicht zu früh aufgeben. Man muss auf jeden Fall Zeit mitbringen – und auch etwas Geld.

Mein Bürgermeister verkauft selbst gerade ein Haus mit etwas Land im Dorf, an dem aber viel gemacht werden muss. Er würde jedem Interessierten, auch wenn er nicht an seinem Haus interessiert ist, beim Finden einer passenden Immobilie helfen, so wie er vor vielen Jahren, er war damals noch kein Bürgermeister, auch mir geholfen hat. Aus Erfahrung weiß ich, dass viele Bürgermeister in Bulgarien ähnlich hilfsbereit sind. Das ist auch eine Frage der Gastfreundschaft, die es immer noch gibt, aber nicht nur. Jeder Bürgermeister hier freut sich über einen neuen Dorfbewohner. Natürlich kann man auch etwas über eine Agentur kaufen, diese gibt es zuhauf. Dann geht es meist schneller mit dem Kaufen, ist aber in jedem Fall teurer, teilweise um ein Vielfaches.

So viel für den Moment. Ihr könnt mir gerne weiterhin schreiben und auch Fragen stellen. Da ich selbst kein Internet habe, kann es mitunter einen Tag oder auch zwei dauern, bis ich mich melde. Um ins Netz des Bürgermeisteramtes zu gelangen, muss ich immer zwei Kilometer runter ins Dorf gehen. Dass ich kein Internet habe, liegt vor allem an dem phantastischen Ausblick, den ich von meinem Schreibtisch aus habe, und an dem ich mich nicht sattsehen kann. „Die bulgarischen Twin-Peaks“, wie ich die Todorini Kukli („Theodoras Puppen“ – 1785m) nenne, sind besser als jedes Fernsehprogramm (einen Fernseher habe ich auch nicht), und jedes Internet. Und wenn ich nicht aufs Gebirge blicke, schreibe ich, schaue mir eine DVD an oder lese ein Buch.

Danke nochmal für Euer Interesse an Bulgarien und die vielen e-mails an mich. Ich wünsche allen frohe und friedliche Weihnachten, dass wir auch im neuen Jahr noch „am Leben und gesund“ und dann vielleicht auch „zusammen“ (in Bulgarien?!) sind.

Foto&Text TaxiBerlin

Mein Mineralbad

So sieht es aus

Seit diesem Sommer habe ich mein eigenes Mineralbad in den Schluchten des Balkans. Dazu muss man wissen, dass mein Dorf eine eigene Mineralquelle hat. Diese befindet sich etwas außerhalb vom Dorfzentrum. Vor Jahren schon hat mein Bürgermeister eine Leitung von dort nach Downtown, genauer Uptown, also ins Dorfzentrum verlegt. Seitdem halten an dem hier installierten Brunnen täglich unzählige Durchreisende, um sich ihr eigenes Mineralwasser abzufüllen. Dieses Jahr nun hat mein Bürgermeister das alte Mineralbad, das es seit dem letzten großen Krieg gibt, wieder herrichten lassen. An den beiden Becken hat er eine neue Isolierung machen lassen, damit das Wasser nicht gleich wieder entweicht. Darüber hinaus ließ er zwei Sitzmöglichkeiten mit Tischen und Bänken sowie zwei Möglichkeiten zum Grillen errichten. Damit will er die jungen Leute aus der knapp 100 Kilometer entfernten Hauptstadt und auch aus dem Ausland bewegen, ins Dorf zurückzukehren. Bisher ist niemand gekommen, weswegen ich das Mineralbad bis heute für mich alleine habe. Die anderen Bewohner unseres Dorfes, meist alte und dementsprechend Menschen, haben keine Zeit zum Baden gehen. Sie sind zu sehr mit sich selbst und ihrem eigenen Überleben beschäftigt. Man soll aber die Hoffnung nicht aufgeben. Vielleicht kehren irgendwann die jungen Menschen, die sich „evakuiert“ haben, nicht nur in unser Dorf, sondern auch in andere Dörfer und somit ins Land zurück. Selbst wenn ich dann das Mineralbad nicht mehr für mich alleine hätte, wünsche auch ich mir dies. So wie mein Bürgermeister.

Foto&Text TaxiBerlin

Von Esel-Verrückten und Esel-Narren

„Eselflüsterer im Einsatz“

Gäbe es kein Corona, würde ich jetzt Eselwanderungen für Touristen im Gebirge begleiten. Freunde hatten mir dies angeboten, deswegen bin ich im Mai nach Bulgarien gekommen. Michele und Oksana, deren Seite HappyDonkeys ich kürzlich ins Deutsche übersetzt habe, hatten drei tolle Eseltouren für dieses Jahr geplant gehabt. Eine im Rilagebirge, eine zweite in den Schluchten des Balkans und eine dritte durch die Rhodopen ganz im Süden des Landes. Michele und Oksana sind nicht nur ineinander wie verrückt verliebt, sondern auch in ihre Esel. Esel-Leute sind verrückte Leute, allerdings  im positiven Sinne – versteht sich.

Bulgarien hat mich auf den Esel gebracht, und das schon vor vielen Jahren. Mein Onkel Marko hatte, wie fast alle früher im Dorf, einen Esel. Auch der hieß Marko – genauso wie mein Onkel. Nicht alle Esel in Bulgarien heißen Marko, aber so gut wie alle. Mein Onkel Marko hat seinen Esel Marko immer angespannt, wenn ich nach Bulgarien kam. Mit dem Eselwagen sind wir dann durchs Dorf gefahren und manchmal auch raus aufs Feld.

Es ist noch nicht so lange her, da hatte ich selbst einen Esel. Mit dem bin ich einmal quer durch Bulgarien gezogen, nur meine Eselin Raina Velitshka und ich, 750 Kilometer in 40 Tagen, vom Berg Kom nahe der serbischen Grenze zum Kap Emine am Schwarzen Meer. „Kom – Emine“ – Ein „Camino“ der besonderen Art und eines der letzten Abenteuer in Europa. Ein Teil dieser Strecke hatte auch HappyDonkey als Eselwanderung geplant.

Beim Dorf Banichan nahe der Stadt Goce Deltshev gibt es das „Tal der Esel“, vermutlich das einzige Esel-Asyl in Bulgarien, zumindest kenne ich kein anderes. Das Esel-Asyl wird von der Stiftung „Tierärzte im Einsatz“ in der Schweiz finanziert. Dort habe ich vor Jahren schon mal ein Praktikum gemacht, und ich kann jederzeit wiederkommen. „Die Türen stehen immer offen“, meinte der leitende Tierarzt, der auch mein Freund ist, beim Abschied. Auch er ein Esel-Verrückter, ein Esel-Narr.

Als ich diesen Sommer im „Tal der Esel“ war, sind wir mit einer Schulkasse und den Eseln losgezogen und haben gemeinsam mit ihnen Müll gesammelt. Dafür die beiden Körbe. Für die Kinder war das ein ganz besonderes Erlebnis, denn der Esel ist rar geworden in Bulgarien. Und selbst manch Altem kommen beim Anblick eines Esels Tränen in die Augen.

Auch in Deutschland gibt es Esel-Verrückte. Auch hier verrückt im positiven Sinne. Leute mit Esel sind in den allermeisten Fällen gute Leute. Das ist zumindest meine Erfahrung. Beispielsweise Claudia vom Eselwerk in Derenburg im Harz und auch die Eselfreunde im Havelland bei Paaren im Glien vor den Toren Berlins. Die Eselfreunde bieten regelmäßige „Grundlagenkurse Eselhaltung“, fürs Frühjahr ist ein spezieller Kurs „Esel-Hufpflege“ geplant, zu dem ich eingeladen bin. Ob ich hingehen kann? Ungewiss!

Im Moment warte ich auf einen Deutschen, der mit seinem Esel auf dem Weg nach China oder zumindest bis in die Türkei ist. So genau weiß man das nicht, wenn man mit einem Esel unterwegs ist. Den letzten Kontakt zu ihm hatte ich vor zwei Monaten. Da war er gerade in der Slowakei. Er sagte mir, dass er in 90 bis 100 Tagen bei mir sein würde. Das wäre Ende Januar. Auch er will mit seinem Esel „Kom – Emine“ machen. Ob das wirklich möglich ist zu dieser Jahreszeit? Wir werden sehen. Wenn nicht, müssen auch Michel und sein Esel Vailant hier in Bulgarien überwintern.

Auch wenn heute noch keiner weiß, was als nächstes passiert oder gar, was im nächsten Jahr sein wird, kann ich nur empfehlen, den Esel im Hinterkopf zu behalten. Denn der Esel ist nicht stur und schon gar nicht dumm. Ganz im Gegenteil. Nicht umsonst ist der Esel Benjamin in Orwells „Farm der Tiere“ neben Napoleon, dem „Ober-Schwein“, das klügste Tier, das sogar lesen kann. Wir können viel vom Esel lernen, davon bin ich überzeugt. Der Esel kann uns auch heilen, wenn wir es zulassen.

In Bulgarien, wo es einst 350.000 Tiere gab, ist der Esel nahezu ausgestorben. In meinem Dorf gibt es schon keinen mehr. Neulich habe ich die Bekanntschaft mit einem Esel-Verrückten in der Nähe gemacht. Er hat 18 Esel, darunter zwei junge, einer davon kein Jahr alt. Das ist so selten geworden, dass man einen so jungen Esel sieht. Darauf mussten mein neuer Freund und ich sogleich anstoßen, und zwar mit einem Glas Eselmilch. Zum Abschied meinte mein neuer Freund, dass ich auch zum ihm jederzeit kommen und mir einen Esel ausleihen könne.

Es stimmt wirklich! Esel-Leute sind Verrückte – im guten Sinne.

Foto Mira – auch eine Esel-Verrückte
Text TaxiBerlin

Mein Beitrag auf Multipolar

Ein bisschen Mut gehört dazu

Ich möchte noch etwas zu meinem Beitrag „Bulgarien – die große Freiheit“ nachtragen, weil mir sowohl mein Text als auch sein Erscheinen wichtig war und ist. Dass er auf Multipolar veröffentlicht wurde, ist für mich eine große Ehre. Das sind gute Leute dort, die neulich auch „Ich kann nicht mehr“ eines Mitarbeiters von Öffentlich/Rechtlich veröffentlicht haben. Ein mutiger Text mit vielen Details aus dem Alltag bei ARD, ZDF & Co von einem Insider, der daraufhin entlassen wurde und nun arbeitslos ist.

Ich hatte meinen Text auch der Berliner Zeitung und dem Berliner Tagesspiegel angeboten. Bei beiden Zeitungen habe ich eine Kontaktperson. Vor Jahren ist auch schon einmal ein Artikel von mir beim Tagesspiegel erschienen. Die Berliner Zeitung hat mehrfach über mich berichtet. Weder von der Berliner Zeitung, noch vom Berliner Zeitung habe ich eine Antwort auf mein Textangebot erhalten. Bis heute nicht.

Multipolar hat sich zwei Tage, nachdem ich sie kontaktiert hatte, bei mir gemeldet und mitgeteilt, dass sie den Text gerne veröffentlichen möchten, auch wenn er nicht die Art von Text ist, die sie normalerweise auf ihrer Seite veröffentlichen. Man bat mich um Ergänzungen, was auch in meinem Interesse war. Wann interessiert sich schon mal jemand für Bulgarien? Ansonsten ging es nur um Details, Kleinigkeiten. Es war eine gute und professionelle Zusammenarbeit. Am Ende durfte ich noch eigene Bilder beisteuern.

Das passiert so selten, dass man eine Antwort bekommt, geschweige denn dass man veröffentlicht wird, ohne dass man eine Kontaktperson hat, ohne dass man jemanden kennt. Und wenn dann darüber hinaus ein Text veröffentlicht wird, obwohl man eigentlich sonst andere Texte veröffentlicht – das ist wie ein Sechser im Lotto.

In der Vergangenheit habe ich hin und wieder Lotto gespielt, und ich glaube mich an einen Dreier zu erinnern. Jetzt glaube ich, brauche ich kein Lotto mehr spielen. Ich sollte mich hinsetzen und schreiben.

Foto&Text TaxiBerlin 

The Ministry Of Silly Signs

Am Freitag in Sofia

Im bulgarischen Gesundheitsministerium in Sofia hat man andere Sorgen als Corona. Wo einem in Deutschland vermutlich ein Schild mit der Aufschrift „Zutritt für Ungeimpfte untersagt“ erwartet, darf man hier nur nicht rauchen. Und das, obwohl die neue Regierung der Impfung gegen Corona nicht nur oberste Priorität einräumen wollte, sondern sogar den Grünen Pass für alle Parlamentarier und sämtliche Ministerien verpflichtend einzuführen beabsichtigte. Das scheint beim Gesundheitsministerium noch nicht angekommen zu sein, wenn es an der Eingangstür nur den Hinweis auf das Rauchverbot im Ministerium gibt. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass einige Parlamentarier bereits wissen ließen, dass sie Mittel und Wege finden werden, auch ohne Grünen Pass ins Parlament zu gelangen. Dafür wurden sie gewählt. Damit sie im Parlament sitzen und nicht vor der Tür stehen.

Foto&Text TaxiBerlin

Alles für den Erhalt der Volksgesundheit

Sperrmüll in Sofia
Am Freitag habe ich einem Freund in der bulgarischen Hauptstadt Sofia geholfen, der eigentlich jetzt in Deutschland studieren wollte. Er hatte vor Corona schon einmal in Deutschland studiert und wollte nun sein Studium dort fortsetzen. Da er wie fast alle in Bulgarien nicht geimpft ist und auch nicht die Absicht hat, sich impfen zu lassen, hat sich das mit dem Studieren im Land der Dichter und Denker, deren Sprache er perfekt beherrscht, zerschlagen. Demnächst dürfen in unserem schönen Land wohl nur noch Geimpfte studieren. Erste Universitätsrektoren haben ihre Studierenden schon darüber in Kenntnis gesetzt. Deswegen hat mein Freund aktuell alle seine Koffer zum Sperrmüll gebracht und sich von dem Geld, das eigentlich fürs Studieren in Deutschland gedacht war, eine neue Kloschüssel gekauft. Gemeinsam haben wir diese angeschlossen, was schwieriger war als erwartet. Der Freund richtet sich aber nicht darauf ein, den Winter über zu hause auf seiner Toilette zu verbringen. Im Gegenteil. Er geht davon aus, dass er die meiste Zeit auf der Straße sein wird, so wie er es bereits im letzten Jahr war. Damals gab es über Monate andauernde Proteste gegen die damalige Regierung in Bulgarien, der dies aber genauso wie das Impfen – immerhin – am Arsch vorbeiging.
Die neue Regierung, die erst seit wenigen Tagen im Amt ist, hat nun erklärt, dass das Große Impfen für sie oberste Priorität hat. Alles könnte so gut sein, allen voran das Verhältnis Bulgariens zur Europäischen Union, gäbe es da nicht die wenigen, noch im Land verbliebenen blöden Bulgaren. Eine aktuelle Umfrage des großen und bekannten Privatsenders „Nova“ hat ergeben, dass nur 18 Prozent der Bulgaren für die Einführung des Grünen Passes sind. Die übergroße Mehrheit, 82 Prozent, ist dagegen. Und trotzdem hält die neue Regierung an ihrem Plan fest, das „Grüne Zertifikat“ verpflichtend einzuführen. Ihre Argumentation wird dabei immer perfider, und zwar erklärt sie ihrem eigenen Volk, das sie gewählt hat, wenn auch nur eine Minderheit, dass es dumm sei. Wenn der Grüne Pass im Westen eingeführt wird, dann wird das wohl richtig sein, denn die Menschen dort sind schließlich klüger als die dummen Bulgaren. Ich glaube diesen Unsinn schon lange nicht mehr und mein Freund, dem ich geholfen habe, auch nicht. Es ist ein alter Hut, dass sich besonders intelligent und gut informiert wähnende, oftmals die schnellsten Mitläufer sind. Ich weiß, dass viele in Deutschland das anders sehen. In der Regel sind es die, die auch lange oder noch nie auf dem Balkan waren.
Auch für sie hat mein Freund nun seine alte europäische Sitztoilette herausgerissen. Gemeinsam haben wir ihm am Freitag eine neue orientalische Stehtoilette eingebaut. In der Berliner Ausländerbehörde, die mein Freund gut kennt, wenngleich er sie nicht in guter Erinnerung hat, hat man dies schon vor einiger Zeit getan hat. Dass er die Berliner Ausländerbehörde nicht in guter Erinnerung hat, liegt daran, dass man ihm dort das Leben nicht gerade leicht gemacht hat. Leichter wäre es für ihn gewesen, wenn er nicht so gut deutsch sprechen würde, und er darüber hinaus jemand wäre, der seine Rechte nicht kennt, am besten eine Person, die sich nicht zu helfen weiß. Das ist mein Freund aber nicht, weswegen der Einbau seiner neuen Toilette letztendlich von Erfolg gekrönt war. Dazu muss man wissen, dass eine orientalische Stehtoilette einen anderen Standard hat als eine europäische Toilette zum Sitzen. Das machte den Einbau nicht gerade einfach. Am Ende haben wir es aber geschafft. Die schöne neue Stehtoilette ist auch schon eingeweiht. Das Scheißen im Stehen ist zweifellos gewöhnungsbedürftig – keine Frage. Am Ende ist es aber nicht nur gesünder, sondern vor allem hygienischer.
Deswegen haben mein Freund und ich der neuen bulgarischen Regierung vorgeschlagen, nicht nur den Grünen Pass und den Euro – ausschließlich bargeldlos – versteht sich, sondern auch die orientalischen Stehtoiletten verpflichtend einzuführen. Alles natürlich nur der Hygiene wegen. Ein klein wenig haben wir auch an die Hersteller von orientalischen Stehtoiletten im Land und ihren unermüdlichen Einsatz bei der Überwindung der gegenwärtigen Krise gedacht. Zusammen mit ihnen fordern wir zum Erhalt der Volksgesundheit den Einbau der hygienischeren Stehtoiletten nicht nur in Bulgarien, sondern in der gesamten Europäischen Union. Die Berliner Ausländerbehörde ist bereits mit gutem Beispiel vorangegangen. Und nun auch wir.
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Mein “Bericht aus Bulgarien” auf Multipolar

Der “Eselflüsterer”

Seit Mai dieses Jahres bin ich nun in Bulgarien. Anfangs war ich auf „Arbeitssuche im Europäischen Ausland“. Von meiner „Leistungsmitnahme“ habe ich meine Miete in Berlin bezahlt. Arbeit gibt es auch in Bulgarien nicht. Das Angebot, Eselwanderungen für Touristen im Gebirge zu begleiten, hat sich wegen Corona zerschlagen. …  Mehr erfährst du auf Multipolar.

Foto&Text TaxiBerlin