Bericht aus Bulgarien (117)

In Bulgarien ist gerade Ostern, und da isst man traditionell Lamm. Solche Traditionen können mitunter auch ziemlich nerven, denn man bekommt Lamm oder überhaupt Schaffleisch praktisch nur jetzt, also zumindest frisch und nicht tiefgefroren. Schweinefleisch gibt es immer in Bulgarien, und obwohl einiges davon aus Deutschland rangekarrt wird, wie ich von einem LKW-Fahrer aus meinem Dorf weiß, ist Schweinefleisch mit sechs bis zehn Lewa (drei bis fünf Euro) das Kilogramm vergleichsweise preiswert. Lammfleisch kostet dagegen 23 Lewa (11,50 Euro) das Kilogramm, was möglicherweise auch am Krieg liegt. Bald werden wohl auch wir Sätze sagen, die mit: „Ja damals, vor dem Krieg …“ beginnen.

Lammfleisch ist nicht nur vergleichsweise teuer, sondern man muss auch immer gleich ein halbes Lamm oder zumindest eine Keule kaufen. Unter dem macht es der Bulgare nicht, feiert er kein Ostern. Auch weil ich ja nur halber Bulgare bin, hat es bei mir nur zu einem Lammkopf gereicht. Lammkopf gab es früher nicht nur auf dem Dorf, woher ich es kenne, sondern war eine Spezialität in ganz Bulgarien. Auch in den Städten hat man früher Lammkopf gegessen.

Heutzutage ist Lammkopf schwer zu bekommen in einem bulgarischen Restaurant. Die jungen Leute von heute kennen auch in Bulgarien nur noch Pizza, Burger und Döner (bulgarisch: Djuner). Auch das spricht für den Lammkopf, also die Erweiterung des kulinarischen Horizontes, und natürlich der Preis. Ein Lammkopf = ein Kilo = fünf Lewa (zwei Euro fünzig). Ich glaube, beim Türken in Berlin kostet der Lammkopf fünf Euro, also 1:1, wir sind ein Volk, die Bulgaren mit ihrem Lewa und der Deutsche mit seinem Euro. Aber vielleicht war fünf Euro auch der Vorkriegspreis, wer weiß …

Bei uns zu Hause gab es regelmäßig Kaninchenköpfe, auch deswegen habe ich mit einem Lammkopf kein Problem. Der Ehrlichkeit halber muss und aus aktuellem Anlass kann ich sagen, dass an so einem Lammkopf nicht viel dran ist – praktisch kaum mehr als an einem Kaninchenkopf. Der Unterschied zu früher, also zu den Kaninchenköpfen, ist, dass ich diesmal dass Hirn meines Lammkopfes verschmäht habe. Anfangs glaubte ich, es würde daran liegen, dass ich aus dem Lammkopf eine Suppe gemacht habe, und dass sich Hirn für eine Suppe nicht eignen würde, im Gegensatz zur Wurst (Bregenwurst). Aber mittlerweile glaube ich, dass es einen anderen Grund gibt.

Mir fiel nämlich ein, dass ich irgendwo gelesen hatte, dass Krieger das Hirn ihrer getöteten Feinde essen würden. Keine Ahnung, ob das heute noch der Fall ist. Wenn, dann kann so etwas nur der Russe machen, davon bin ich ganz fest überzeugt, also mein Unterbewusstsein. Und deswegen glaube ich, dass ich das Hirn von meinem Lammkopf verschmäht habe, um mich vom Russen abzugrenzen. Es geht heutzutage schneller als man denkt und, zack, ist man plötzlich prorussisch, gar ein Putin-Versteher und am Ende nicht einmal mehr ein Europäer. Und da ich als Halbslawischer Deutscher da sowieso schon vorbelastet bin, wollte ich auf Nummer sicher gehen. Damit niemand in der Heimat bei meiner Rückkehr sagen kann: „Seht her, da kommt er, der Untermensch!“

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (116)

 

Kein einziger bulgarischer Soldat und Unterstützer für die Ukraine

Seit dem Besuch meines Freundes in Bulgarien und dem Auftritt von Florence Gaub bei Markus Lanz habe ich eine genauere Vorstellung davon, wie weit der Wahnsinn jetzt auch in Sachen Krieg in den Köpfen der Menschen in der Heimat vorangeschritten ist. Nach mehr als zwei Jahren Krieg gegen Corona, einem winzig kleinen Mikroorganismus, sind die Deutschen offensichtlich so weichgekocht, dass sie erneut Krieg gegen das größte Land der Welt führen wollen. Wenn es wirklich so sein sollte, empfehle ich für den Kriegseintritt den 22. Juni zwischen 3:00 und 3:30 Uhr Morgens, der Tag und die Uhrzeit haben Tradition in Deutschland.
NATO raus
Tradition hat auch, dass Bulgarien bereits als Verbündeter Deutschlands die Dinge anders sah und sie auch jetzt als NATO- und EU-Mitglied anders sieht. Hier ein paar aktuelle Graffitis und Slogans aus der bulgarischen Hauptstadt Sofia, darunter zwei anarchistische. Bulgarische Anarchisten sind klar gegen den Krieg, anders vermutlich als deutsche Antifaschisten, die so antifaschistisch sind, wie der antifaschistische Schutzwall es einst war, wie ich bereits mehrfach festgestellt hatte. In dem Zusammenhang sei noch einmal das Bulgarische Orakel erwähnt, das besagt, dass das Land bzw. das Bündnis, mit dem Bulgarien sich verbündet, den Krieg sicher verlieren oder ganz und gar untergehen wird. Das letzte Bündnis, dem Bulgarien beigetreten ist, war die EU, das davor die NATO. Eine interessante Reihenfolge, wie ich finde.
Eure Kriege – Unsere Toten
Da ich die Folgsamkeit und Obrigkeitshörigkeit des Deutschen kenne, immerhin bin ich selber halber Deutscher, weiß ich, dass wenn es denn stimmt, dass der unterbelichtete deutsche Warmduscher jetzt nur noch kalt duscht, er wirklich zu allem bereit ist, sogar zum Krieg.
NATO raus
Als halber Bulgare erlaube ich mir dazu zumindest ein paar Fragen: Glaubt man in Deutschland wirklich, dass dieser Krieg erst am 24. Februar 2022 begann? Ist man sich sicher, diesmal einen Krieg gegen Russland gewinnen zu können? Denkt man im Ernst, dass ein langanhaltender Krieg, wie beispielsweise dem zwischen dem Irak und dem Iran, im Interesse Deutschlands und Europas ist? Und: Ist wirklich Putin an der Inflation schuld?
NATO raus
Zum Schluss erlaube ich mir an Clausewitz, den vielleicht größten Militärexperten, den wir hatten, zu erinnern. Carl von Clausewitz ging davon ausging, dass der Krieg nur ein Teil des politischen Verkehrs ist, also durchaus nichts Selbständiges. Er war davon überzeugt, dass ein Krieg niemals vom politischen Verkehr getrennt werden darf, und dass wenn dies geschieht, aus dem Krieg ein „sinn- und zweckloses Ding“ wird.
Kein Putin – Kein Asow – Keine NATO – Ohne Krieg
Genau dies scheint gerade mit dem Krieg in der Ukraine zu geschehen, weswegen wir weder Hasspredigerinnen in Talkshows, noch kalt duschende unterbelichtete Warmduscher brauchen, schon gar nicht an der Front, sondern klar denkende Köpfe. Wem zum klar Denken eine kalte Dusche hilft, solle sie durchaus nehmen.
NATO raus (und Kinder Kleidung)
Fotos&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (115)

Im Teuer-Angebot in Sofia/Bulgaria:
Fassbier „Weisser (Angst) Hase“ aus Germany

Ich freue mich sehr, heute den Bericht meines Berliner Freundes veröffentlichen zu können, der mich über Ostern für eine Woche in Bulgarien besucht hat. Seinen Eindrücken möchte ich ein paar erklärende Sätze voranstellen, damit der Leser meines Blogs erfährt, wie es zu dem Bericht kam, und was mein Freund für ein Mensch ist.

Meine ursprüngliche Idee war, ein Interview vor der Kamera mit ihm zu machen, was mein Freund mit dem Hinweis auf seine Familie und seine Arbeit ablehnte. Mein Freund hat sich impfen lassen, das möchte ich an dieser Stelle verraten, aber nicht, weil er an die Impfung glaubt, das tut er nicht, sondern ausschließlich weil er sonst als selbständiger Unternehmer keine Aufträge mehr bekommen würde und er dann seine Familie nicht mehr ernähren könnte. Vor allem deswegen wollte er nicht vor die Kamera.

Mein Freund, der nicht das erste Mal in Bulgarien war, hat bei seinem Aufenthalt wiederholt drauf hingewiesen, dass er aus einer Arbeiterfamilie stammt, und dass das Schreiben nicht sein Ding sei. Er ist aber ein sehr guter Beobachter, und darauf kommt es an. Bei seinem Beitrag habe ich aber nur den ein oder anderen Rechtschreib- bzw. Grammatikfehler korrigieren müssen, ansonsten ist der Text unverändert.

Das größte Problem für meinen Freund ist, dass er kaum noch Menschen in der Heimat findet, mit denen er sich austauschen kann. Viele Freundschaften sind in die Brüche gegangen, wie er mir erzählte, weswegen er auch zu Depressionen neige. Die wenigen Freunde, die er noch hat, sind meist aus dem Osten, also aus der ehemaligen DDR. Mein Freund selbst ist im Westen Deutschlands geboren und groß geworden.

Für meinen Freund ist das mitunter irritierend – für mich nicht. Irritierend ist für mich, dass die allermeisten im Westen des Landes aufgewachsenen Menschen wirklich an alles glauben, was man ihnen erzählt. Das war in der DDR nur auf den ersten Blick so. Die allermeisten Menschen wussten dort ziemlich genau, was richtig und was falsch ist (und was ich heute am meisten vermisse), auch wenn sie dies nicht jedem erzählten.

Mein Freund ist bereit, seine Geschichte zu erzählen. Er möchte aber, wie die meisten Menschen damals in der DDR, dabei unerkannt, also anonym bleiben. Ich kann damit gut leben (es ist ja auch nicht das erste Mal für mich), und ich hoffe meine Leser auch. Aber mögen sie sich ihr eigenes Urteil bilden, hier ist der Bericht meines Freundes:

Was mir zuerst aufgefallen ist, war die Frau, welche ich am Busbahnhof in Sofia getroffen habe, und welche, wie wir später feststellten, im gleichen Flugzeug von Berlin nach Sofia gesessen hatte. Sie sprach mich an, ob sie mir helfen könne, ich stand wohl etwas hilfesuchend vor den kyrillischen Schildern. Wie sich herausstellte, sprach sie exzellent Deutsch, sie arbeitet wie Millionen anderer Bulgaren in Deutschland, um ihre Familie über die Runden zu bringen. Sie fragte mich, warum die Deutschen denn soviel Angst haben und wann es anfing, dass die Deutschen so bequem geworden seien. Mir blieb die Spucke weg, denn in dieser Deutlichkeit habe ich so etwas selten vernommen.

Mir fiel auf, das äußerst wenige Menschen in Bulgarien, weder im Bus noch auf der Straße, Masken trugen, und wie schön es eigentlich ist, das Gesicht der Menschen unverstellt erblicken zu können. Obwohl die Maskenfreiheit auch in Berlin beispielsweise beim Einkaufen abgeschafft ist, hatte ich dort ohne Maske immer noch das Gefühl, gemieden zu werden, und dass die Menschen einen möglichst großen Bogen um mich machten. Ich war überglücklich über die neu zurückgewonnene Freiheit und wollte sie ausleben können. Auch jetzt tragen die meisten Menschen in D immer noch Masken beim Einkaufen. Irgendwie erinnert mich das an „Der Untertan“ von Heinrich Mann. Oder wie es die Frau am Busbahnhof beschrieb: die Angst. Vor was eigentlich …?

Es ist nahezu unmöglich momentan in Berlin einen Disput zu führen, ganz im Gegensatz zu Bulgarien. Die Menschen in Deutschland haben sich bequem eingerichtet in das Gut/Böse Schemata, das für und wieder unterschiedlicher Positionen ist abgeschafft. Selbst das Lauschen anderer Meinungen, das Abwägen, das Eingehen auf Positionen des anderen, was eine angeblich offene Gesellschaft ja auszeichnen sollte, ist weg. Bequem wird dem Narrativ der eingehegten Medien gefolgt und ohne nachzudenken nachgeplappert.

Nach meiner Rückkehr aus Bulgarien erwähnte ich beim Fußballspielen die unglaublichen Worte von Florence Gaub. Die weniger kritischen Geister beließen es bei “so ist das halt heute”, und die Sendung sei ja bekannt für ihren “Affront”. Damit war die Kuh vom Eis. Mit wenigen, „den üblichen Verdächtigen“, war dann doch noch ein Disput nach dem Kicken möglich, eine Erlösung. Und ein Zeichen der Hoffnung.

Doch zurück zum Balkan. Mir viel die Gelassenheit, das Unverbissene, die Freundlichkeit auf. Die allgemeine Stimmung in Sofia war gelöst, aber das mag auch ein wenig der Frühlingsluft geschuldet gewesen sein.

Die Demonstrationen, beispielsweise für die Neutralität Bulgariens und gegen die Corona-Maßnahmen, von denen ich die Fotos meines Freundes gesehen und seine Berichte gelesen habe, scheinen anders abzulaufen. Insbesondere das Vorgehen der Polizei scheint hier ein anderes zu sein als in Deutschland, was ich mir nach meinem Besuch gut vorstellen aber nicht bezeugen kann, denn ich war nicht vor Ort.

Was ich weiß, ist, dass in Deutschland selbst auf ehemalige Politiker, welche sich zumindest ein wenig kritisch äußern, sogleich eingeprügelt wird. Solch ein Artikel hat da schon fast Seltenheitswert.

Text EinFreund
FotoTaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (114)

Nicht nur meine Texte sind eine Art Notwehr, sondern auch meine Fotos. Denn ich musste nicht nur schlimme Berichte über Demonstrationen in Berlin lesen, auf denen ich selbst zugegen war, die mit dem, was ich dort gesehen habe, rein gar nichts zu tun hatten. Sie waren offensichtlich im Home-Office geschrieben, möglicherweise schon vor der Demonstration.

Unabhängigkeit & Neutralität für Bulgarien

USA und NATO raus!

Nein, meine Augen mussten auch schlimme Fotos sehen, mit denen es sich allerdings etwas anders verhielt. Sie stammten in den allermeisten Fällen wirklich von der Veranstaltung, waren aber vom Fotografen bewusst falsch ausgewählt worden.

Dass man mit Bildern Menschen manipulieren kann, das wusste ich schon vorher. Seitdem ich selbst von Demonstrationen hier in Bulgaren berichte und dazu auch Fotos beisteuere, weiß ich auch aus eigener Erfahrung, wie leicht ich dem Geschehen mit meinen Bildern eine ganz andere Richtung geben könnte, wenn ich es denn wollte.

Kein Alkohol sondern Wasser

Ich meine jetzt nicht die Holzhammermethode der taz- und Tagesspiegel-Fotografen, die sich darauf spezialisiert haben, hysterisch kreischende Frauen oder einen die USA-Flagge (der Präsident hieß damals noch Trump) schwenkenden möglicherweise bezahlten Alkoholiker, mit einem Wort: Freaks, auf dem Rosa-Luxemburgplatz zu fotografieren. Dass 99,9 Prozent der Teilnehmer ganz normale Menschen waren und bis heute vermutlich sind, auch wenn die Demonstrationen jetzt Spaziergänge heißen (Bulgaren glauben mir nicht, wenn ich davon erzähle, halten es für einen Witz), davon ist auf den Bildern nichts zu sehen gewesen. Der Fotograf hat aus der Demo eine Freak-Show gemacht, und zwar ganz bewusst.

Man kann, wenn man sein Handwerk versteht, viel feiner arbeiten. Ein Profi-Fotograf macht nicht nur ein Foto, sondern immer mehrere, meistens fünf bis zehn. Man hört das an dem Klicken der Kamera, die heute zwar alle digital, aber in der Regel noch Spiegelreflex sind. Jedes Hochklappen des Spiegels macht nicht nur ein Foto, sondern verursacht darüber hinaus das Klick-Geräusch. Will ich einen Person negativ erscheinen lassen, wähle ich das Foto, auf dem zum Beispiel seine Mundwinkel nach unten hängen oder noch besser: auf dem er böse blickt. So würde es ein richtiger Profi machen.

Auch ich stehe bei der Auswahl meiner Bilder ein jedes Mal aufs Neue vor dieser Wahl. Und ich frage mich selbst, wenngleich eher rhetorisch, immer wieder aufs Neue: Worum geht es eigentlich? Geht es darum, aus der Demo eine Freak-Show zu machen? Eine Freak-Show verkauft sich immer gut, und auf jeden Fall besser als normale Menschen. Außerdem passt es zur offiziellen Agenda, dass diese Menschen böse sind. – So dürften die Hobby-Fotografen in der Heimat ticken, die Fotos für die taz und den Tagesspiegel machen.

Neutralität & Frieden für Bulgarien und die Welt
Die Medien sind der Virus
Nein zu NATO-Basen in Bulgarien

Neutrales Bulgarien = Schweiz

Genug nationale Katastrophen

Stoppt die ungesetzliche Zensur

Ich habe keine Agenda. Ich kann das umsetzen, was ich viele Jahre lang in meinem Taxi praktizieren durfte, wofür ich dem Taxifahren und meinen Fahrgästen dankbar bin. In meinem Taxi konnte man zwar nicht telefonieren, dafür aber alles sagen – sogar die Wahrheit. Ich habe mir jeden angehört, aber vor allem habe ich nicht alles sogleich bewertet – die eigentliche Herausforderung, weil ich verstehen wollte, warum jemand so tickt, wie er eben tickt. DIE richtige Haltung, die es so wenig gibt wie DIE Wahrheit und DIE Wissenschaft, habe ich von keinem meiner Fahrgäste erwartet oder gar eingefordert. (Im bulgarischen Nationalradio „Christo Botew“ gibt es bis zum heutigen Tag eine Sendung mit dem Namen „Politisch Unkorrekt“ – in Deutschland ein Unding.)

Vor allem deswegen muss ich heute keine Freaks fotografieren, die es auf jeder Demo gibt, so wie es auf jeder Veranstaltung einen Idioten und in jeder Gruppe einen Spinner gibt, die aber nicht der Durchschnitt sind. Ich kann aber auch deswegen mit meinen Fotos zeigen, was meine Augen gesehen haben, weil keine Zeitung von mir die richtige Haltung erwartet oder gar einfordert. Ich habe also nicht das Problem der taz- und Tagesspiegel-Fotografen, eventuell keine Aufträge und damit auch kein Geld zu bekommen, um meine Miete zu bezahlen oder meine Kredite bedienen zu können. 

Da in Bulgarien hängende Mundwinkel und böse Blicke eher die Ausnahme sind, es scheint sich dabei erneut um ein deutsches Phänomen zu handeln, das in Berlin besondere Blüten treibt, weil dort alle ganz besonders cool und abgebrüht sein wollen, obwohl sie in Wirklichkeit nur einsam und verbittert sind, muss ich darauf praktisch gar nicht achten. Sollte jemand wirklich mal nicht so freundlich blicken wie beispielsweise der eine Polizist, so könnte ich tausend Fotos von ihm machen und er würde immer noch genauso böse blicken, auch wenn er in Wirklichkeit ein netter Typ ist.

Vor dem Parlament

Das bulgarische Staatsfernsehen interviewt eine Demonstrationsteilnehmerin

Auch Polizisten auf den Demonstrationen in Bulgarien zu fotografieren, war für mich sehr wichtig, weil sie so ganz anders sind als die Polizisten, die ich in der Heimat gesehen habe. Nicht nur, weil sie keine Kampfausrüstung tragen, sondern vor allem weil sie nicht wie ferngesteuerte Kampfmaschinen durch die Gegend laufen. Der Polizist in Deutschland ist mehr Maschine als Mensch, ganz im Gegensatz zu seinem bulgarischen Pendant aus Fleisch und Blut. Im Normalfall gehören die allermeisten Polizisten hier zur übergroßen Mehrheit, die die Forderungen der Demonstrierenden unterstützen.

Die bulgarischen Polizisten, die ich auf allen bisherigen Demonstrationen gesehen habe, machen Dienst nach Vorschrift – nicht mehr und nicht weniger. Also das, wofür sie vom Steuerzahler bezahlt werden. In Bulgarien stürzen keine Gruppen behelmter Polizisten in Kampfmontur aggressiv in friedlich demonstrierende Menschenmassen, um dort Angst und Schrecken zu verbreiten, wie ich es nur allzu oft in Berlin erlebt habe. Ich habe mich schon lange nicht mehr so frei und unbedroht auf einer Demonstration gefühlt wie hier in Bulgarien. Ich wünschte, jeder in Heimat könnte nur einmal auf einer hiesigen Demonstration dabei sein.

Blick vom Reiter-Denkmal nach links

Sämtliche Fotos stammen von der Demonstration am 6. April in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Aufgerufen hatte sowohl die Partei „Wiedergeburt“, als auch eine Initiative, die sich „Gesamtbulgarischer Marsch für Frieden und Neutralität“ nennt. Da beide Demonstrationen zur selben Zeit und am selben Ort genehmigt wurden, lässt sich nicht genau sagen, wer von den 5.000 Demonstranten vor dem bulgarischen Parlament welchem Aufruf zum Protest gefolgt ist. Alle vertraten sie dieselbe Forderung: Neutralität im Ukraine-Krieg. Eine Anfang April vom Fernsehsender bTV in Auftrag gegebenen Umfrage ergab, dass 67 Prozent der Bulgaren diese Forderung befürworten. Nur 16 Prozent sind der Meinung, dass ihr Land die Ukraine aktiv mit Waffen unterstützen sollte.

Blick vom Reiterdenkmal auf das Parlament

Ich kenne die aktuellen Zahlen dazu in der Heimat nicht. Deutschland ist für mich nach fast einem Jahr in Bulgarien weit weg. Was ich gehört habe, ist, dass die Mehrheit zu hause immer noch eine Maske trägt, obwohl dies auch dort schon seit einiger Zeit nicht mehr nötig ist. Dass eine Maske praktisch kaum einen Effekt hat, das ist schon lange bekannt. Dass Menschen sie in der Heimat immer noch tragen und denen, die sie nicht tragen, böse Blicke zuwerfen, weiß ich unter anderem von dem Freund, der mich neulich für eine Woche besucht hat, und der auch deswegen die Zeit hier genossen hat.

Blick nach rechts Richtung Universität

In Bulgarien tragen nur noch ganz wenige Menschen eine Maske, man kann sie praktisch an einer Hand abzählen, das ist auch auf den Fotos zu sehen. Maskenträger werden aber nicht komisch und schon gar nicht böse angesehen, sondern man lässt sie so sein, wie sie sind, so wie der Bulgare praktisch jeden so sein lässt, wie er eben ist. Das war etwas, was mein Freund sehr genossen hat hier. Ich habe ihn gebeten, darüber zu schreiben, was ihm darüber hinaus noch bei seinem Besuch in Bulgarien aufgefallen ist, weil ich mir vorstellen kann, dass das für Leser in Deutschland von Interesse ist. Er hat mir versprochen, es zu tun, mich aber um etwas Zeit gebeten, um seine Eindrücke sacken zu lassen, so wie der Leser meines Blog auch meine Fotos erst einmal sacken lassen sollte.

Hinter dem Parlament

Wäre er hier, hätte er dafür auch die Zeit, denn in Bulgarien ist erst diese Woche Ostern. Im Moment liegt im Gebirge über 600 Meter noch etwas Schnee, der Winter ist aber auch auf dem Balkan auf dem Rückzug. In meinem Dorf ist das Zentrum und die dortige Mineralquelle, an der jeden Tag viele Durchreisende ihr Wasser abfüllen, mit grünen Zweigen geschmückt, an denen bunte Ostereier hängen. Ich erwähne das auch, weil ich jetzt dorthin, also Downtown, gehen werde, um diesen Beitrag und die Bilder zu veröffentlichen, denn am Bürgermeisteramt gibt es kostenloses Internet.

Hinter dem Parlament

Danach würde ich normalerweise zu meinem Mineralbad in den Wald gehen, wie ich es auch mit meinem Freund getan habe, und dem das gemeinsame Baden in der Wildnis sehr gefallen hat. Obwohl auch hier Strom und Bäche vom Eise befreit sind, wird das Bad heute für mich ausfallen. Bei 5 Grad Außentemperatur im Freien zu baden, so abgehärtet bin ich selbst nach knapp einem Jahr in den Schluchten des Balkans noch nicht.

Fotos&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (113)

Auf dem Pass

In Bulgarien ist noch einmal der Winter zurückgekehrt, zumindest im Gebirge. Auf dem Balkan-Pass, über den ich immer muss, wenn ich von Sofia zurück komme, gab es gestern sogar so etwas wie einen Stau, besser eine Kolonne. Jetzt nicht die Fünfte Kolonne Putins, das nicht, aber immerhin eine Kolonne von Autos, die in die bulgarische Hauptstadt wollten. Auch in Bulgarien gibt es das Phänomen, dass Hauptstädter ihr Wochenende gerne außerhalb verbringen. Die wenigsten Sofioter orientieren sich dabei allerdings Richtung Norden. Das ist ihnen zu ärmlich. Dafür gibt es so einige, die in der ärmsten Region im Norden wohnen und in Sofia arbeiten. Es waren also eher Arbeitsnomaden als Ausflügler, die mir da entgegenkamen.

Werbung auf Hochhäusern in Sofia

Viele von ihnen fahren regelmäßig von Sofia in ihr Dorf, um dort nach dem rechten zu schauen. Die bulgarische Hauptstadt ist voll von Dörflern, so wie Berlin voll von Provinzlern ist. Die in der bulgarischen Hauptstadt lebenden Dörfler sind allerdings eher arm, haben also keine reichen Eltern, sondern meist nur einen Garten in ihrem Dorf, um den sie sich kümmern müssen – manchmal auch noch ihre Eltern. Meine Vorfahren auf dem Dorf sind schon vor vielen Jahren verstorben. Es war auch ein anderes Dorf, aber auch im Norden. Auf meinem Dorf habe ich jetzt immerhin zehn Tomatenpflanzen neben meiner Hütte, die gestern, als ich zurück kam, etwas eingeschneit waren. Da ich sie vorher mit alten Plastikflaschen abgedeckt hatte, hoffe ich, dass sie überleben.

Überleben ungewiss

Ansonsten muss auch ich mir im Sommer im Supermarkt Tomaten aus Polen kaufen. So wie regelmäßig Schweinehälften aus Deutschland rangekarrt werden, so gibt es regelmäßig Tomaten aus Polen in den Supermärkten des Agrarlands Bulgarien. Nach dem Schweine züchten hat man hier auch das Tomaten pflanzen verlernt. Wer nichts weiß, muss alles glauben, und wer nichts kann, muss alles kaufen – vorausgesetzt er hat das Geld dazu. Da mir meines langsam aber sicher ausgeht, und ich auch nicht sicher bin, ob meine Tomaten etwas werden, erlaube ich mir noch einmal, auf die Möglichkeit einer Spende für mich hinzuweisen. Mich nervt sie selbst, diese ewige Bettelei, das kannst du mir glauben. Andererseits weiß ich auch, dass möglicherweise auch du Gutes tun willst, und nicht weißt wie, oder dass du ganz und gar nicht weißt, wohin mit deinem ganzen Geld.

Das schönste im Leben ist umsonst

Mir geht es nicht nur ums Geld, auch das kannst du mir glauben. Geld ist für mich nur Mittel zum Zweck. Das ist die Wahrheit. Es ist für mich vor allem eine Übung. Eine Übung darin, Menschen um Hilfe zu bitten. Das fällt vielen Menschen schwer, und vielleicht gehörst auch du zu diesen Menschen, die nicht gerne um Hilfe bitten, die es sich verbieten, weil man ihnen eingetrichtert hat, immer alleine klarkommen zu müssen, oder weil sie Angst davor haben, dass ihnen niemand hilft. Die Erfahrung, andere Menschen um Hilfe zu bitten, die muss jeder selber machen. Das kann dir niemand abnehmen. Aber immerhin die Erfahrung, dass man Hilfe bekommt, wenn man darum bittet, die kannst du jetzt machen. Denn es stimmt wirklich: Es wird einem gegeben, man muss nur darum bitten.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (112)

Vorgestern in Sofia

Gestern habe ich meinen Freund aus der Heimat zum Flughafen gebracht. Er war eine Woche in Bulgarien und hat “Die Große Freiheit” genossen, was mich auf die Idee gebracht hat, ein Interview mit ihm zu machen. Ganz genau darüber, wie sich ein Deutscher derzeit in Bulgarien fühlt. Das hat mein Freund mit dem Hinweis auf seine Familie und seine Arbeit in Deutschland abgelehnt. Auch ein Bild kann ich nicht von ihm veröffentlichen, aber immerhin eins, das er von meinem Freund, den Dudelsackspieler, und mir vorgestern in Sofia gemacht hat. In den nächsten Tagen werde ich über Gedanken und Beobachtungen meines Freund hier in Bulgarien berichten. Und ich werde ihn darum bitten, vielleicht selbst etwas darüber zu schreiben.

Foto&Text TaxiBerlin

Bericht aus Bulgarien (111)

Gestern im Park
Im Park vor dem Nationalen Kulturplast (NDK) in Sofia traf ich gestern auf eine lesende Bulgarin. Auch in Bulgarien gibt es des Lesens und Schreibens kundige Menschen, nicht alle sind Barbaren respektive Barbarinnen oder gar Untermenschen, und manche von ihnen können sogar englisch. Preslawa, oben im Bild, las gerade ein Buch mit der Fragestellung, warum Frauen im Sozialismus besseren Sex hatten, das ganze auf englisch. Ich als alter Ossi weiß natürlich Bescheid, aber die jungen Leute von heute selbst in Bulgarien nicht unbedingt. Geschrieben hat das Buch die Historikerin und Ethnografin Kristen R. Ghodsee, und sie hat damit 2017 für ziemliche Furore in der New York Times gesorgt. Die Amerikaner und auch die Amerikanerinnen haben ja oft keine Ahnung. Die These der Autorin ist, dass vor allem Frauen unter der kapitalistischen Transformation gelitten haben, und da insbesondere beim Sex. Deswegen hätten Frauen, so die Autorin weiter, bei den bevorstehenden Veränderungen am meisten zu gewinnen. Nicht nur die Frauen, erlaube ich mir als Mensch von früher hinzufügen, denn Sex geht meist zu zweit besser. Das sage ich auch in Rückblick auf den Sozialismus in der DDR, dessen Kind ich bin.
Foto&Text TaxiBerlin