Bericht aus Bulgarien (183) – “Statt Messe lesen”

Ruhe in Frieden, kleines Vögelein

Habe gerade die beiden Kamikaze-Vögel beerdigt Musste dabei an Michel Houellebecqs “Elementarteilchen” denken. Gleich am Anfang stirbt dort der Kanarienvogel von Michel Djerzinski, einer der Hauptcharaktere des Buches. Der andere ist sein Halbbruder Bruno. Michel Houellebecq beschreibt die Situation, in der sich sein Michel im Buch befindet, folgendermaßen: “Nach kurzem Zögern legte er den Vogelkadaver in eine Plastiktüte, die er mit einer Bierflasche beschwerte, und warf das Ganze in den Müllschlucker. Was sollte er sonst tun? Eine Messe lesen?” – Eine Messe habe auch ich nicht gelesen, aber immerhin das Gelassenheitsgebet leise vor mir her gesprochen: “Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann, den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann, und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“

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Bericht aus Bulgarien (182) – “Von lebensmüden Mensch- und Vögelein”

Vogelsterben in Bulgarien (Eins)

Pünktlich um 11 Uhr, wie es sich für Deutsche gehört, traf ich mich gestern mit meinem englischen Freund Jerry, der am liebsten Deutscher wäre, im Nachbarstädtchen in der Konditorei, die direkt neben dem Café “Vegas” ist, wo wir uns sonst immer treffen. Der Kaffee ist dort wirklich gut, die Torten dafür ungenießbar. Die kostenlose Toilette habe ich nicht genutzt, obwohl dies eigentlich so geplant war, was zum einen daran liegt, dass man Dinge, die man sich fest vornimmt, dann plötzlich nicht umsetzt. Zumindest ist das in Bulgarien so. Das krasseste Beispiel dafür ist, dass wir vor Jahren einmal ans Meer fahren wollten und dann im Gebirge gelandet sind, als wäre es das normalste von der Welt.

Der andere Grund, warum ich den Besuch der kostenlosen Konditorei-Toilette völlig aus den Augen verloren habe, war, dass mein Freund Jerry mir von der Polverschiebung erzählte. Auf den ersten Blick hört es sich wie diese Szene aus dem Woody Allen Film an, dessen Titel mir gerade nicht einfällt, wo der kleine Woody zu seinem Psychiater sagt: “Das Universum expandiert!”, und woraufhin dieser antwortet: “Ja, aber nicht in Brooklyn!” Dass Woody nicht alleine zum Psychiater gegangen sondern von seiner Mutter dorthin geschleppt wurde, lag daran, dass Woody lebensmüde, also “tired of life” war. Und das sind die Vögel in Bulgarien auch gerade. Überall liegen tote Vögel rum, so auch rings um meiner Hütte.

Warum überall tote Vögel rumliegen in Bulgarien, war mir bis gestern ein Rätsel. Denn da habe ich beobachten müssen, wie sie zu Tode kommen. Sie kommen dadurch zu Tode, indem sie mit hoher Geschwindigkeit gegen Gebäude fliegen, genauso wie am 11. September Flugzeuge in Gebäude geflogen sind. Und da sie mit dem Kopf zuerst und ohne Helm gegen diese Gebäude fliegen, gleicht dieser Flug einem Kamikaze-Flug. Die Vögel begehen also Selbstmord, sie sind genauso wie der kleine Woody in seinem Film lebensmüde oder “tired of life”, wie mein englischer Freund Jerry dazu sagen würde, der auch eine mögliche Ursache nennen konnte.

Vögel reagieren nicht nur früher als der Mensch auf Naturkatastrophe, sondern sie orientieren sich bei ihrem Flug am Magnetfeld der Erde, das ist bekannt. Dieses Magnetfeld verschiebt sich seit vielen Jahren, was auch noch so einige wissen. Befand sich beispielsweise der Arktische Magnetpol im Jahr 1830 noch über der kanadischen Arktis, so ist er seitdem fast 2.300 Kilometer weiter gewandert und nunmehr in der Nähe des geografischen Nordpols zu finden. Eigentlich gingen Forscher davon aus, dass er in den nächsten Jahren nur noch langsam vorankommt. Doch genau das Gegenteil ist der Fall: In den vergangenen Jahren hat sich die Bewegung sogar noch beschleunigt. Aber es wird noch besser:

Geophysiker erstellen seit dem Jahr 1965 alle fünf Jahre ein Referenzmodell, um die Verlagerung des Pols abzubilden. Diese Daten sind wichtig für Navis, Kompasse und magnetgestützte Anwendungen. Auch im Flugverkehr sind verlässliche Daten unabdingbar. Eigentlich wäre eine Aktualisierung des World Magnetic Model (WMM) erst im Jahr 2020 fällig gewesen, aufgrund der starken Änderungen wurde bereits Ende Januar 2019 ein aktualisiertes Modell erstellt. Seit Beginn des WMM ist dies das erste Mal, dass eine vorzeitige Anpassung nötig wurde.

Aber das allerbeste ist, dass der genaue Grund für diese rasante Beschleunigung der Polverschiebung noch völlig unklar ist. Forscher vermuten die Ursachen im äußeren Erdkern. Dort gibt es eine Art Jetstream im flüssigen Metall, der sich dreimal schneller um den Nordpol bewegt als das übrige Metall. Zudem wurde im Erdkern im Norden Südamerikas ein verstärkter Eisenfluss entdeckt. Die Kombination aus beidem könnte die Drift des Arktischen Magnetpol begünstigen. Denkt man all das zu Ende, könnte es nicht nur das aktuelle Vögelsterben in Bulgarien erklären, sondern möglicherweise auch den Klimawandel.

Das ist natürlich alles eine Theorie. Ob es auch eine Verschwörungstheorie ist, das muss jeder für sich entscheiden. Was ich weiß, ist, dass die Quelle der Information WetterOnline ist, was sich bisher nicht durch Verschwörungstheorien sondern durch Wetterinformationen hervorgetan hat. Was sich darüber hinaus mit absoluter Sicherheit sagen lässt, ist, dass die Geschichte das Potenzial hat, den Gang zu Toilette zu vergessen. Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Und dass sich daraus die Frage ergibt, wie mit den vielen Toten Vögeln zu verfahren ist.

Ich meinerseits werde jetzt los gehen und meine toten Vögel, es sind ihrer zwei, begraben. Der gemeine Bulgare ist diesbezüglich ein Barbar, denn er lässt sie in aller Regel da liegen, wo sie gerade liegen. Dementsprechend sieht es auch auf den bulgarischen Straßen aus, auf denen überall tote Tiere, an erste Stelle Hunde und Katzen und weniger Vögel herumliegen. In Bulgarien, auch im Radio, sagt man, dass auf den bulgarischen Straßen ein Krieg toben würde, und das schon seit Jahren. Optisch sieht es oft wirklich so aus, als würde Krieg, Straßen-Krieg, herrschen. Das kann ich bestätigen, aber das ist schon wieder ein anderes Thema.

Vogelsterben in Bulgarien (Zwei)
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Bericht aus Bulgarien (181) – “Kein Wasser im Haus, aber Regen vom Himmel”

Vier Pakete mit Zwiebeln und Knoblauch

Gestern der Basar war ganz OK, nur im Supermarkt gab es keine Joghurt-Angebote, was ich als schlechtes Zeichen ansehe, weil es sonst immer Joghurt-Angebote gibt. Worauf dieses Joghurt-Zeichen hinweist, wird sich zeigen. Zur Abwechslung habe ich einen größeren Joghurt genommen, der wegen seiner Größe günstiger ist, und der eine Haut oben auf dem Joghurt hat. Viele mögen so eine Haut nicht, auch nicht auf ihrer Milch, aber für mich ist das kein Problem. Ich kenne es nur so, zumindest in Bulgarien, wo bei dem selbst gemachten Schaf-Joghurt meiner Tante immer eine Haut oben drauf war.

Zurück im Dorf habe ich in der Dorfkneipe unsere vier Pakete abgeholt. Drei hatte ich wieder mit Hermes geschickt und eins mit der Post. Dass sie überhaupt angekommen sind in den Schluchten des Balkans, grenzt für mich an ein Wunder, das mich über die auch nur leichten Beschädigungen meiner Verpackung komplett hinwegsehen lässt. In den Hermes-Paketen sind wieder Bücher. Sie waren alle um die 23 Kilogramm schwer, was bei Hermes kein Problem ist. Dort kann man bis zu 25 Kilogramm versenden, es kostet 18,90 € und ist mit 500 Euro versichert. Das größere Paket, in dem Klamotten sind, habe ich mit der Post verschickt.

Mit der Post kann man nur 20 Kilogramm verschicken und es ist auch teurer. Für mein eines Paket habe 32,90 Euro bezahlt. Dafür ist es etwas größer als eine Bananen-Kiste. Es ist ein Umzugskarton. Fällt mir in dem Zusammenhang ein, dass ich sieben Bananen-Kisten mit Büchern verkauft habe, als ich in Berlin war. Für jede Kiste gab es 25 Euro, was eigentlich zu wenig ist. Aber wenn man unter Zeitdruck steht, nimmt man, was man kriegen kann. Ich erwähne das mit den 25 Euro, weil ich mit dem Verkauft der Bücher praktisch den Versand meiner Pakete nach Bulgarien bezahlt habe. Eins ist noch unterwegs, das hatte ich zum Schluss nochmal mit Hermes versendet.

Die Pakete hatte mein Bürgermeister in seiner Kneipe bei uns im Dorf für mich gelagert. Das große mit der Post verschickte hat er für mich sogar aus dem Nachbarstädtchen mitgebracht, wo er wohnt. Er selbst war nicht in der Kneipe in dem Moment, als ich die Pakete dort abgeholt habe, sondern seine Mitarbeiterin, die ich schon so lange kenne wie meinen Bürgermeister – 20 Jahre. Sie hatte beim Wiedersehen nach meiner Rückkehr gefragt, ob ich ihr “Bonboni”, also Bonbons aus Deutschland, mitgebracht hätte. Hatte ich nicht, aber die Frage war auch nicht ganz ernst gemeint.

Trotzdem habe ich ihr gestern deutsche “Bonboni”, und zwar “Toffifee”, aus dem Supermarkt mitgebracht. Jetzt war es ihr natürlich peinlich, und sie wollte sie gar nicht annehmen. Ich sagte ihr, dass es für mich auch ein Spaß gewesen wäre die deutschen “Bonboni” für sie zu kaufen, und dass sie auch ihren Kindern, ihren Enkelkindern und insbesondere ihrer Mutter ein deutsches “Bonboni” abgeben soll. Ihre Mutter ist nämlich meine Nachbarin Baba Bore, die gerade in ihrem Garten arbeitete, als ich auf meinem Heimweg rauf zu meiner Hütte bei ihr vorbeifuhr, weswegen ich anhielt, damit wir uns begrüßen, also drücken können.

Baba Bores Garten ist der perfekteste im ganzen Dorf. Sie kann damit mehrere Familien ernähren, und auch ich kriege immer etwas ab. Das ist der Grund, warum ich normalerweise nicht anhalte, denn das ist mir wiederum peinlich, dass ich nie mit leeren Hände von ihr weggehen darf. Und so war es auch gestern. Ich bekam von ihr neben frischen Gurken noch frische Zwiebeln und frischen Knoblauch. Knoblauch ist das bulgarische Antibiotikum. Möglicherweise hat es auch dazu beigetragen, dass das Virus an mir vorbeigegangen ist, dass ich bis heute weder genesen, noch geimpft oder gar tot bin.

Auf dem Heimweg traf ich dann noch meinen Bürgermeister, der mir mitteilte, dass es auf meinem Weg mal wieder eine Wasser-Havarie gibt, er sich aber schon darum gekümmert hätte. Später am Tag kamen auch Leute mit Bagger zu mir rauf, das geplatzte Rohr ist praktisch direkt vor meiner Hütte, die es reparierten. Wasser habe ich deswegen bis heute morgen nicht. Auf telefonische Nachfrage meinte mein Bürgermeister, dass das noch kommen würde. Wann, sagte er nicht. Vermutlich gibt es noch eine weitere Havarie im Dorf. Ich lasse mich überraschen. Wenn es schon kein Wasser aus der Leitung gibt, so fällt seit gestern Abend welches vom Himmel, was ich mehr schlecht als recht aufzufangen versuche.

Für Montag bin ich bei meinem Bürgermeister, einem im Sternzeichen Krebs geborenen, meinem Aszendent, zum Geburtstag eingeladen. Auch ihn kenne ich jetzt schon seit 20 Jahren, damals war er noch kein Bürgermeister, sondern derjenige, der mir die Hütte gezeigt hat, in der ich gerade sitze und diesen Beitrag schreibe, weil es hier jetzt auch Internet gibt, was ich wiederum Freunden zu verdanken habe, die mich nicht nur mit Informationen, sondern darüber hinaus mit der nötigen Hardware versorgt haben. Vielen Dank nochmal dafür!

Heute treffe ich mich um 11 Uhr mit meinem englischen Freund Jerry, der am liebsten Deutscher wäre, zum Kaffee im Nachbarstädtchen. Auch Jerry, der drei Dörfer weiter wohnt, hat seit Tagen kein Wasser. Treffen werden wir uns diesmal aber nicht im Café “Vegas”, wo wir uns sonst immer treffen, sondern in der Konditorei nebenan. Die Konditorei ist neu und hat wirklich Torten, die aber mit unseren Torten nichts zu tun haben, man kann sie praktisch nicht essen, weil sie nur aus Zucker bestehen. Der Kaffee ist aber gut und, vielleicht das wichtigste, die Toilette ist groß und sauber und vor allem umsonst. Im “Vegas” sollen neuerdings auch Gäste 50 Stotinki (25 Cent) für die Toilette bezahlen.

Auch wenn ich die Alte vom “Vegas” mag, vor allem aber ihre Tochter, die dralle Blonde, aber dass Gäste für die Toilette bezahlen sollen, das geht gar nicht. Die Toilette in der Konditorei ist geräumig wie eine Toilette in Amerika, was in Bulgarien nur schwer zu finden ist. Praktisch könnte ich mich dort auch Waschen oder zumindest Zähne putzen. Ich hoffe, dass es dort Wasser gibt. Gerade überlege ich, ob hinter dem abgestellten Wasser ein Plan steckt. Und zwar der, einen neuen Bürgermeister einzusetzen, weil die Leute mit dem alten unzufrieden sind.

Mein Bürgermeister hat jetzt doch das Material für unseren vom vielen Regen ausgewaschenen Weg besorgen können, irgendwelche Reste von Bitumen, die, so vermute ich, auf irgendeiner Baustelle nicht mehr gebraucht werden. Vielleicht ist das Material auch geklaut, ich will es nicht ausschließen. Im Gegenteil, und ich gehe sogar davon aus, dass auch in Deutschland bald im großen Stil geklaut werden wird, einfach weil die Menschen frieren und nichts mehr zu essen haben.

Das mit dem Klauen von dem Bitumen ist dagegen nur eine Vermutung. Dass Bürgermeister ersetzt werden sollen, ist eine Theorie, wegen mir auch eine Verschwörungstheorie. Seit einiger Zeit mag ich Verschwörungstheorien sehr, einfach deswegen, weil sich die allermeisten insbesondere in der jüngsten Vergangenheit als wahr herausgestellt haben, was für mich ein großer Spaß ist. Wäre es nicht so, gingen mir Verschwörungstheorien auch am Arsch vorbei. Apropos: Jetzt muss ich mal, wie um diese Zeit üblich, auf Toilette, und ich überlege, wie ich das ohne Wasser im Haus hinbekomme. Ich muss mal schauen, wie viel ich von dem vom Himmel fallenden Wasser auffangen konnte.

PS: Komme gerade von draußen rein. Dem Toilettengang steht nichts entgegen.

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Bericht aus Bulgarien (180) – “Grüner Balkan”

Die Motorsäge macht den Sound
Es hat viel geregnet in Bulgarien, während ich in Berlin war, ich erwähnte das bereits. Das ist einerseits gut, so mussten meine Tomatenpflanzen praktisch nicht gegossen werden und erfreuen sich trotzdem reichlichen Wachstums. Ein paar grüne Tomaten sind auch schon dran, und eine Gurke wurde nebenan an einer der beiden Gurkenpflanze auch schon gesichtet. Zu viel Regen hat aber auch seine Schattenseiten. In meinem Keller, es gibt dort keinen Estrich sondern nur Erdreich, wachsen jetzt kleine Pilze, der Bulgare würde sagen Pilzchen, denn er liebt die Verkleinerungsform. Im Nachbarstädtchen soll eine Brücke weggespült worden sein, weil das sonst eher kleine Flüsschen durch den vielen Regen stark angeschwollen war und die Brücke mitgerissen hat. Das will ich mir morgen ansehen. Heute geht es erstmal zum Basar, wo wir uns mit frischem Obst und Gemüse eindecken wollen. Nach dem Basar ist der Besuch des Supermarktes geplant, der hier “T-Market” heißt, eine litauische Kette. Obwohl ich “T-Market” nicht wirklich empfehlen kann, gehe ich hin, denn es ist der einzige im Örtchen und er hat regelmäßig Joghurt im Angebot. Also richtig guten bulgarischen Joghurt, man bekommt ihn in Deutschland gar nicht, der mit etwas Glück nur einen Lewa (50 Cent) anstelle von 1,50 Lewa (75 Cent) kostet. Wenn man zehn Joghurtchen nimmt, so wie es regelmäßig mache, spart man fünf Lewa, was immerhin 2,50 Euro sind. Im Wald (Foto oben) wird bereits wieder Holz gefällt, was sehr früh ist. Sonst wird dort erst im Herbst illegal Holz geschlagen. Dass es jetzt schon los geht, liegt daran, dass niemand weiß, wie teuer das Holz morgen sein wird. Es ist wie mit dem Gas in Deutschland. Da weiß auch niemand, wie teuer es morgen sein wird und wer es noch bezahlen kann. Der Preis für Holz hat sich in Bulgarien bereits jetzt verdoppelt. Alles wie gesagt illegal, also ohne Erlaubnis. Vielleicht ist das auch die Alternative fürs Gas in Deutschland. So wie im Berlin der Neunziger Strom illegal abgezweigt wurde, der ein oder andere erinnert sich. Strom illegal abzuzweigen ist ist einfacher als Gas illegal abzuzweigen, genauso wie illegal Bäume fällen. Das ist auch vergleichsweise einfach, man darf sich nur nicht erwischen lassen. Weil das mit dem Gas so schwierig ist, werden die Leute in der Heimat spätestens im Herbst auf die Straße gehen, einfach weil sie in ihren Wohnungen frieren, wenn sie nicht schon auf der Straße sitzen. Da es hier wie bereits erwähnt viel geregnet hat, sind auch meine Bäume weiter gewachsen. Für den nächsten Winter reichen sie zum Heizen auf jeden Fall, im Stall ist auch noch etwas Holz. Ich werde also eher hier in meinem einen warmen Raum den Winter verbringen, als dass ich in Berlin in meiner kalten Bude sitze. Es haben sich auch schon Menschen aus Deutschland bei mir gemeldet, die ähnliche Pläne haben. Jetzt weiß ich nicht, ob ich ihnen empfehlen soll, eine Motorsäge mitzubringen. Ganz ohne ist das auch nicht, so eine Motorsäge. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. So eine Motorsäge macht auch Lärm. Das ist, wenn man so will, gerade der Sound des ansonsten grünen Balkans.

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“Der falsche Mann am falschen Ort” – Endlich!

Der richtige Hut für den richtigen Kopf
(den eines Desillusionisten)

Jetzt ist es auch beim ehemaligen Nachrichtenmagazin angekommen, was ich bereits vor einer Woche an dieser Stelle schrieb. Und natürlich hat man es in Hamburg schon immer gewusst, die Ablösung des ukrainischen Botschafters war “überfällig”. Ich lach mich tot. Ein klassischer Wendehals. Nur eben zu langsam. Man muss noch am selben Tag genau das Gegenteil von dem behaupten können, wovon man nur Stunden zuvor noch felsenfest überzeugt war, und zwar ohne dass es jemand mitbekommt. Das ist die hohe Schule des Wendehalses, sozusagen seine Reifeprüfung. Davon ist man beim ehemaligen Nachrichtenmagazin in Hamburg noch weit entfernt. Aber man soll die Hoffnung nicht aufgeben. Der Moment wird kommen, wo aus Feinde plötzlich Freunde oder zumindest Verbündete werden. So wie in der DDR mit dem Klassenfeind. Wer es nicht glaubt, dem sei das gesagt, was man in Bulgarien in einem solchen Fall sagt: “Shte vidish! – Du wirst sehen!” – Natürlich wird sich Andrij Melnyk nicht “in das Außenamt in Kiew re-integrieren”, wie es vom ehemaligen Nachrichtenmagazin behauptet wird. Denn das würde Integrationsfähigkeit voraussetzen. Er wird die Treppe nach oben fallen und noch vor Jahresfrist Aussenminister der Ukraine sein. “Shte vidish! – Du wirst sehen!”

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Vom wahnsinnig gewordenen Wirtschaftsminister

Wohl dem, der eine “Mastercard” hat – ich habe keine

Der Wahnsinn in der Heimat ist nun auch beim deutschen Wirtschaftsminister angekommen. Vermutlich hat er sich beim Gesundheitsminister angesteckt. – Wahnsinn kann ansteckend sein. – Laut wahnsinnig gewordenem Wirtschaftsminister würden die Preiserhöhungen für Gas im Herbst und Winter 2022/2023 im vierstelligen Bereich liegen. Aber was heißt das genau? Kann das jemand sagen? Preiserhöhungen werden normalerweise in Prozent angegeben. Im vierstelligen Bereich würde ab 1.000 Prozent aufwärts bedeuten. Auch der Hinweis auf das Monatseinkommen einer Familie ist wenig hilfreich? Welche Familie ist gemeint? Eine mit 50.000 € im Monat im Prenzlauer Berg oder doch eher eine mit 2.500 € im Monat in Marzahn? Verbunden wird die Aussage des wahnsinnig gewordenen Wirtschaftsministers mit der Behauptung, Putin würde Gas als Waffe einsetzen. Für mich sieht es eher danach aus, dass die USA die Ukraine als Waffe gegen Russland einsetzt, weil man sich an China nicht herantraut. Jedenfalls muss ich angesichts des Krieges und dem, was davor in der Ukraine geschah, immer öfter an diese Zeilen von Bertolt Brecht denken: “Der reißende Strom wird gewalttätig genannt. Aber das Flussbett, das ihn einengt, nennt keiner gewalttätig.”

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Bericht aus Bulgarien (179) – “Angst zerstört Demokratie”

 

Bald auf Bulgarisch

Neben den drei großen Paketen mit Büchern warteten auch zwei kleine in der Kneipe von meinem Bürgermeister bei meiner Rückkehr aus Deutschland auf mich. Eines davon war vom Verlag Frank&Timme in der Wittelsbacher 27a in Berlin-Wilmersdorf, und auch in ihm war ein Buch. Aber nicht irgendein Buch, sondern das neue Buch “Angstgesellschaft” von Hans-Joachim Maaz, dem Therapeuten meines Vertrauens, der mir in Berlin auch schon mal im Taxi saß. Viel ließe sich zu dem Buch sagen, das ich gestern in einem Zug durchgelesen habe, und das ich nur jedem ans Herz legen kann, der verstehen möchte, was die letzten zweieinhalb Jahre mit unserer Psyche gemacht haben. Ich will es bei zwei Dingen belassen. Das ist zum einen die Würde als Mensch, die in dem Buch thematisiert wird, und wie wir sie trotz permanent geschürter Angst und daraus resultierenden immer diktatorischen Verhältnissen bewahren können. Zum anderen sei noch der Umstand erwähnt, dass das Buch gerade von meinem Freund, dem Übersetzer Martin Petrushev ins Bulgarische übersetzt wird. Martin habe ich vor ziemlich genau einem Jahr zufällig an dem letzten verbliebenen Buchstand in der bulgarischen Hauptstadt Sofia kennengelernt, seither sind wir befreundet. Damals wollte er noch nach Deutschland, um dort sein Studium fortzusetzen, wovon ich ihm vorsichtig abgeraten habe. Warum es am Ende nicht dazu kam, auch das ist in dem Buch von Hans-Joachim Maaz beschrieben. Im Januar hat Martin dieses Interview mit mir über die Proteste gegen die Regierung geführt, die neulich wie zu erwarten war durch ein Misstrauensvotum abgewählt wurden ist, und nun übersetzt er das von mir empfohlene Buch “Angstgesellschaft” von Hans-Joachim Maaz, das demnächst beim in Sofia ansässigen Ost-West-Verlag erscheinen wird. Das schöne daran, dass so viele insbesondere junge Bulgaren ihr Land verlassen haben, ist, dass man sich kennt und die Wege zwischen den wenigen im Land verbliebenen kurz sind. Alles hat eben immer seine zwei Seiten, selbst ein Exodus.

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Bericht aus Berlin (49) – “Drücken nochmal”

Drücken in Sofia / Bulgarien

Eine Sache ist mir noch zum “Drücken” eingefallen, die ich unbedingt loswerden möchte. Damit soll es dann aber wirklich zum Thema gewesen sein, zumindest für den Moment, und auch zu Berlin, wohin mich nichts zurückzieht. Anfang vergangenen Jahres habe ich eine achtwöchige Reha “Sucht” in der Stadt gemacht, bei der alle gängigen Corona-Maßnahmen galten, allen voran das Tragen der Maske und das Abstand halten. Die Reha-Gruppen waren nicht starr sondern fließend, es kamen ständig neue Leute und es wurden Leute verabschiedet. Die erste Verabschiedung, die ich in meiner Gruppe miterleben durfte, war genau an meinem ersten Tag in der Reha, und sie sah so aus: die zu verabschiedende Person wurde von allen anderen in den Arm genommen und gedrückt, auch von der Psychologin, die genaue Bezeichnung war Bezugstherapeutin, die unsere Gruppe betreute. Solche Verabschiedungen fanden in regelmäßigen Abständen statt, und es war immer dasselbe Ritual, so wie sich Menschen schon immer verabschiedet haben – man hat sich wie die beiden auf dem obigen Foto gedrückt und geherzt, und sich vor allem für die weitere Abstinenz alles Gute gewünscht. Von niemandem, allen voran nicht von unserer Bezugstherapeutin, ist dieses normal-menschliche Verabschiedungsritual jemals in Frage gestellt oder gar verweigert worden.

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Bericht aus Bulgarien (178) – “Schreiben in den Schluchten des Balkans”

Wer schreibt, der bleibt – hoffentlich!

Mein Bürgermeister hatte mich angerufen, um mir mitzuteilen, dass drei schwere Pakete für mich angekommen seien, da war ich gerade auf dem Weg zum Flughafen BER. Insgesamt habe ich sieben Bananen-Kisten voll mit Büchern von Berlin nach Bulgarien geschickt, das ganze mit Hermes. Die Pakete dürfen dort 25 kg schwer sein, sind mit 500 € versichert und kosten 18,90 €, was vergleichsweise billig ist. Die Pakete waren eine Woche unterwegs, was absolut OK ist. Die Verpackung war etwas beschädigt, die Leute sind neugierig, aber die Bücher sind alle da.

Mein Bürgermeister hatte die drei Pakete bei sich in der Kneipe abgestellt. Er war selbst da, als ich sie mir gestern dort abgeholt habe. Bei der Gelegenheit fragte ich ihn, ob er mir sagen könne, wo ich im Nachbarstädtchen den TÜV für mein Auto machen lassen könne, der war letzten Monat abgelaufen. Wenn ich eine halbe Stunde warten würde, würde er mich hinbringen, meinte er. Und so wartete ich auf ihn. Beim TÜV, der in Bulgarien jedes Jahr gemacht werden muss, wurden dann vor allem die Bremsen kontrolliert. Am Ende gab es eine neue Plakette, aus der hervorgeht, dass mein Benziner Euro 3 hat. In Berlin hatte er noch Euro 4. In Bulgarien ist eben doch alles anders. Gekostet hat der TÜV 45 Lewa (23 Euro).

Mein Bürgermeister meinte auf Nachfrage, dass der durch ein Misstrauensvotum abgewählte Ministerpräsident Petkow (auch) den bulgarischen Staat beklaut hätte. Er sprach von vier oder fünf Milliarden, was ich in der Schnelle nicht kontrollieren konnte. Mein Bürgermeister ist sich sicher, dass Petkow das Klauen bei seinem Studium in Harvard (und nicht in Bulgarien) gelernt hätte, was ich ebenfalls nicht kontrollieren konnte in dem Moment. Jedenfalls fehlt jetzt das Material, das der Bürgermeister letztes Jahr noch für unseren Weg besorgt hat, und das wir selbständig aufgebracht haben. In Bulgarien hat es sehr viel geregnet in meiner Abwesenheit, so dass alles sehr grün ist, aber unser Weg eben auch sehr ausgespült. Vielleicht komme ich ihn bald nicht mehr runter mit meinem Auto – trotz neuem TÜV. Dann habe ich zumindest genug zum Lesen, aber auch zum Schreiben. Meine kleinen Notizbücher, in denen ich immer alles aufschreibe, habe ich fast vergessen.

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Bericht aus Bulgarien (177): “Fuck physical Distancing!” – “Vergiss körperliche Distanz!”

In der Heimat hat man das sich in den Arm nehmen verlernt, wie ich bei meinem Aufenthalt am eigenen Leibe erfahren durfte. Bulgarien, das kleine Land am Rand, das uns in der Zeit voraus ist, ist auch was das Drücken lernen angeht eine gute Schule für den obrigkeitshörigen Deutschen. Denn die Schluchten des Balkans wären nicht die Schluchten des Balkans, würde man dem Westen bei seinem sozialen Distanzierungswahn folgen. Dem Bulgaren ist aber nicht nur nur die soziale Distanz fremd, sondern vor allem die körperliche. So wie man hier immer und überall lauter spricht, so kommt man sich auch immer und überall näher, und zwar physisch. Allen distanzphanatischen Deutschen kann deswegen vom Besuch des Balkans nur abgeraten werden, ebenso allen Maskenfetichisten. Folgende Aufnahmen entstanden auf dem am vergangenen Wochenende in Sofia stattgefundenen “A to Z Jazz-Festival”, bei dem an drei Abenden jeweils mehr als 10.000 Menschen auf engsten Raum zusammen kamen. Menschen mit Masken wurden dabei nicht gesichtet. Dafür Menschen, von denen der Deutsche die einfachsten menschlichen Dinge lernen kann, wie z.B. das sich in den Arm nehmen:
Es beginnt mit dem gegenseitigen Ausbreiten der Arme verbunden mit ein Aufeinanderzugehen beider Parteien. Menschen können dabei an einem vorbei gehen, das ist absolut möglich und in Bulgarien auch die Regel.

Die geöffneten Arme umschließen beiderseits den Körper des jeweils anderen vollständig. Auf beiden Gesichtern ist die Vorfreude auf den bevorstehenden Körperkontakt deutlich zu erkennen.
Dem Umschließen des jeweils anderen Menschen mit den eigenen Armen folgt ein heftiges aber vor allem herzliches Aufeinanderdrücken der Körper.

Dem Aufeinanderdrücken der beiden Körper sind keine zeitlichen Grenzen gesetzt, insbesondere nicht in Bulgarien, wo die Uhren anders ticken.

Demzufolge kann das Aneinanderpressen der Körper hier auch schon mal etwas länger dauern.
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