Eine meiner Ideen Geld zu verdienen war, in Bulgarien Deutsch-Unterricht zu geben. Ich habe deswegen im Goethe-Institut in Sofia und im Deutsch-Gymnasium in Montana vorgesprochen. Die Direktorin des Gymnasiums hatte ich zuvor auf der Straße angesprochen gehabt, wo sie mit einer Mitarbeiterin, vermutlich der Deutsch-Lehrerin des Gymnasiums, Deutsch sprach. Dem Goethe-Institut hatte ich den von mir neu herausgegebenen Klassiker “Bai Ganju, der Rosenölhändler” zugeschickt, woraufhin man mich einlud, bei Gelegenheit einmal in der Bibliothek vorbeizuschauen. Bei dieser Gelegenheit habe ich dem Institut nicht nur das zweite von mir herausgegeben Werk Aleko Konstantinows “Nach Chicago und zurück” für seine Bibliothek geschenkt, sondern mich auch mit der Leiterin des Goethe-Instituts unterhalten, die meine Leidenschaft für den Klassiker Aleko Konstantinow teilt. Eine Arbeit hat sich in beiden Fällen nicht für mich ergeben, dafür braucht man auch in Bulgarien mittlerweile Nachweise, ganz genauso wie in Deutschland.
Neulich kam es nun umgedreht, so wie in Bulgarien am Ende alles immer umgedreht kommt. Und zwar habe ich den beiden Kindern des Bruders eines Freundes ihren ersten Unterricht in Bulgarisch erteilt. Beide Brüder sind Tierärzte, der ältere ist seit einiger Zeit mit einer Deutschen aus der ehemaligen DDR verheiratet, wo sie geboren ist, und wo sie auch leben, also im Osten des jetzt wiedervereinigten Deutschlands. Zusammen haben sie zwei Kinder, der Sohn ist glaube ich zehn und die Tochter acht oder neun, wenn ich mich richtig erinnere. Mit ihnen teile ich das Schicksal, dass der Vater Bulgare ist, der seinen Kindern aber kein Bulgarisch lehrt, denen damit auch das Land fremd bleibt, fremd bleiben muss. Nicht umsonst heißt es Mutter- und nicht Vatersprache. Hinzu kommt, dass die erste Generation, die selbst aktiv ausgewandert ist, mit der alten Heimat möglichst wenig zu tun haben möchte. Einerseits verständlich, weil man hatte schließlich seine Gründe, sein altes zu hause zu verlassen. Andererseits bleiben die Kinder damit immer irgendwie wurzellos, auf dem einen Auge blind sozusagen.
Meinen Unterricht angefangen habe ich mit dem Alphabet, erst das Deutsche, dann das Bulgarische. Das Bulgarische, das auch das Kyrillische genannt wird, und dessen sich auch die Russen und die Ukrainer bedienen, um nur zwei Beispiele zu nennen, haben die Bulgaren erfunden, und es hat ein paar mehr Buchstaben als das deutsche Alphabet. Wer genau wissen will, wie viel oder gar wie viel mehr, schaut einfach auf obigen “Bulgarisch Decoder”. So haben die beiden Kinder des Bruders meines Freundes ihre Aufzeichnungen nach der ersten Unterrichtsstunde, die ihnen zugegeben alles andere als leicht gefallen ist, die ihnen im selben Moment aber auch Spaß gemacht hat, liebevoll genannt. Um den beiden ihre Vatersprache schmackhafter zu machen, habe ich versucht, sie ihnen als Geheimsprache zu verkaufen, die nur sie verstehen, außer jemand hat auch eine solche selbstgebaute stromlose Enigma wie sie jetzt, um sie verstehen zu können. Der Erfolg meiner Überzeugungsarbeit war zugegeben nur mäßig. Das ist leider auch wahr.
Trotzdem bleibe ich dabei, dass Menschen ihre Wurzeln kennen sollten, auch und gerade in Zeiten der Globalisierung. Menschen ohne Wurzeln sind im wahrsten Sinne des Wortes wurzellos, haltlos, wie ein Fähnchen im Wind, dass ständig seine Richtung wechselt, wechseln muss, so wie die meisten wurzellosen Groß-Städter, auch und gerade in Berlin. Das Alphabet zu lernen, ist ein Anfang. Dann kann man die Sprache immerhin lesen. Verstehen tut man sie deswegen noch nicht. Um eine andere Sprache wirklich zu verstehen, bedarf es Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Mark Twain meinte, dass man für die deutsche Sprache mehr als 30 Jahre braucht, was ich aufgrund der Erfahrung mit meinem Vater und meiner ersten, bulgarischen Frau bestätigen kann. Beim Bulgarischen scheint es mir ähnlich lange zu sein. Zumindest ist es so, dass ich immer noch am Lernen bin, dass ich täglich dazulerne. Trotzdem, oder vielleicht besser gerade deswegen, war es gut, dass ich den beiden Kindern des Bruders meines Freundes ihren ersten Bulgarisch-Unterricht erteilt habe. Ab jetzt ist, bei allem Verständnis für seinen Widerstand, ihr Vater dran. Alles andere ist egoistisch, so denke ich, denn es geht nun nicht mehr nur um ihn.
Foto&Text TaxiBerlin