Bericht aus Bulgarien (312) – “Buchvorstellung gestern – heute Kirmes”

Radostina Panjova singt ab 19 Uhr / rechts die Ankündigung der Buchvorstellung

Bei mir im Dorf ist einiges los dieses Wochenende. Gestern wurde ein Buch über die Geschichte unseres Dorfes vorgestellt. Ich komme auch vor in dem Buch, genauer gesagt meine Eselwanderung mit einer Eselin aus unserem Dorf quer durch Bulgarien. Und natürlich die beiden Bücher, die ich nach meiner Wanderung beim Wieser-Verlag herausgegeben habe. Die Autorin, sie kommt natürlich auch aus unserem Dorf, hat mich Ende letzten Jahres dafür interviewt. Ich bin der vorletzte, der im Buch erwähnt wird. Nach mir kommt nur noch ein Lehrer. Dafür firmieren wir unter der Überschrift “Bekannte Persönlichkeiten”. Die Buchvorstellung fand wieder in unserem Kino-Saal statt, der mit fast 100 Menschen gut gefüllt war. Am Ende hatte jeder mindestens ein Buch in der Hand, manche trugen sogar 10 unterm Arm nach hause. Der Preis ist 14 Lewa, was sieben Euro sind. Der Verleger war auch anwesend und hat unser Dorf, das eine eigene Mineralquelle hat, als eines der schönsten Dörfer Bulgariens bezeichnet. Was den Ausblick angeht, stimmt das auf jeden Fall. Unser Blick auf die Berge ist phänomenal. Dazu die klare Luft und die Ruhe. Diese wird heute unterbrochen von dem Auftritt von Radostina Panjova. Ab 19 Uhr singt sie Downtown, da wo der Brunnen mit dem Mineralwasser ist. Sie ist der Star unseres Dorf-Kirmes, der auf bulgarisch “Sbor” heißt. Der “Sbor” ist das wichtigste Fest im Jahr, und weil er letztes ausgefallen ist, sind dieses Jahr alle ganz heiß darauf, endlich mal wieder gemeinsam um den Brunnen zu tanzen. Die Polizei wird unser Dorf wieder weiträumig absperren, weil die Durchfahrt wegen den Tänzern nicht möglich ist. Die meisten Insassen der nicht weiter kommenden Fahrzeugen gesellen sich zu den Tanzenden dazu. So ist es Tradition. Einige Einwohner unseres Dorfes sind extra aus Sofia und manche sogar aus dem Ausland zum “Sbor” angereist. Dorthin sind sie gegangen, mussten sie gehen, um ein Auskommen zu haben, von dem sie leben können. Im Dorf selber leben vor allem alte Menschen. Sie können nicht weggehen, denn dazu fehlen ihnen die Mittel. Außerdem braucht sie niemand – nirgendwo. Und das, obwohl sie auf der Tanzfläche, was unsere Durchfahrtstraße ist, immer die ersten sind, allen voran die alten Frauen. Sie sind sozusagen die Eintänzer, zu denen sich sogleich die Jungen und die Kinder gesellen. Beim Tanzen fassen sich die Menschen an, so verlangt es der “Horo”, der klassische bulgarische Reigen. Wo hat man so etwas in Deutschland gesehen, dass alt und jung gemeinsam tanzt und sich dabei auch noch anfasst? Heute schon gar nicht mehr, aber vorm “Social Distancing” war es auch schon so. Vom bulgarischen Standpunkt aus gesehen, wäre “Social Distancing” für Menschen im Westen gar nicht nötig gewesen. Jetzt haben sie immerhin einen Begriff dafür und auch eine Theorie, die ihnen sagt, dass sie mal wieder alles richtig machen und vor allem die Guten sind – vielleicht das wichtigste überhaupt. Menschen in Bulgarien, das ist meine Beobachtung, brauchen eine solche Bestätigung nicht, schon gar nicht auf dem Dorf. Sie sind einfach, wie sie sind, und das ist auch gut so.

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Bericht aus Bulgarien (311) – “Unpolitischer Protest”

So vegetarisch wie ein Schwein

Nachdem neulich die bulgarischen Bauern auf die Straße gegangen sind, ist für den 19. Oktober der nächste landesweite Protest angemeldet. Er richtet sich diesmal gegen die hohen Strompreise im Land und ist unter anderem vom Verband Unabhängiger Gewerkschaften und der bulgarischen Industrie- und Handelskammer organisiert. In Bulgarien befürchtet man, dass viele Betriebe wegen der hohen Strompreise schließen müssen und noch mehr Menschen ihre Arbeit verlieren. Eine realistische Sorge, die auch viele Menschen in Deutschland umtreibt oder gar auf die Straße treibt, was sie dort allerdings automatisch zu Rechten macht, wenn ich es richtig verstanden habe. Eines von vielen Dingen, die es so in Bulgarien nicht gibt. Überhaupt ist die Unterscheidung zwischen links und rechts in den Schluchten des Balkans praktisch unbekannt. Als ich noch Taxi in Berlin gefahren bin, war links und rechts für mich nur der Hinweis darauf, dass ich demnächst abbiegen muss. Das liegt vor allem daran, dass die Linken in der Heimat die nützlichen Idioten des Neoliberalismus und der Postdemokratie sind, und die so genannte Antifa so antifaschistisch ist, wie der einstige antifaschistische Schutzwall es war. Um den Menschen kümmern sich die, die sich Linke oder Antifa nennen (die neulich noch alle Menschen zwangsimpfen wollte), dort schon lange nicht mehr (aktuelles Beispiel die Partei DIE LINKE), weswegen wohl Linke Linke die zutreffendere Bezeichnung ist. Eine Entwicklung, die nun auch in Bulgarien einzusetzen scheint. So deute ich den Hinweis der Veranstalter des Protestes am 19. Oktober vor dem Sitz der bulgarischen Regierung in Sofia, dass der Protest nicht politisch sei (Протестът не е политически!). Einen nicht politischen Protest kenne ich nicht. Im Gegenteil, ich bin damit groß geworden, dass im Leben immer alles auch politisch ist. Wenn ein Protest nicht politisch sein soll, dann kann ich auch gleich zuhause bleiben, was wohl auch viele Bulgaren machen werden. Ich vermute bereits bei der Wahl am 2. Oktober. – Wahrscheinlich das nächste, was nicht mehr politisch ist: Wahlen. Oder sind sie es gar schon? Jedenfalls muss eine Regierung, die bei einer Wahlbeteiligung von nur 40 Prozent, wie bei der letzten Wahl hier in Bulgarien im November vergangenen Jahres, von niemandem mehr delegitimiert werden. Sie hat es bereits selbst getan, indem sie die Wahl angenommen hat.

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“Uber, Uber, Uber alles” *

unheimlich

Meine Recherche zu dem Artikel Wir haben den Leuten eine Lüge verkauft, der heute auf Multipolar erschienen ist, begann bereits vor der Veröffentlichung der “Uber Files” durch den englischen Guardian. Als der englische Guardian diese Anfang Juli veröffentlichte, war mein Artikel fast fertig. Jetzt musste ich noch einmal ganz von vorne anfangen. Aber nicht nur deswegen hat der Artikel so lange gedauert. Es ist mir wahnsinnig schwer gefallen, ihn zu schreiben, den richtigen Ton zu treffen, weil ich wegen Uber meine Arbeit als Taxifahrer in Berlin verloren habe. Taxifahren war nicht einfach nur ein Job für mich. Taxifahren war mein Leben. 25 Jahre bin ich auf den Straßen und Plätzen der deutschen Hauptstadt unterwegs gewesen. Das war jetzt einfach mal futsch, von einem Tag auf den anderen. Corona war nur der Anlass. Uber war die Ursache. Es ist also keine Überraschung, dass ich mich schwer tat, an das Thema als professioneller Journalist heranzugehen. Ob es mir gelungen ist, darüber kann sich jeder sein eigenes Urteil bilden, indem er meinen Artikel liest. Auch was er damit macht, kann ich niemandem vorschreiben. Für mich steht fest, dass ich niemals für Uber fahren werde, so wie Bob Dylan nie wieder auf “Maggie’s Farm” gearbeitet hat. Ich bin auch noch nie mit einem Uber mitgefahren, aber das versteht sich von selbst. So wie es aussieht, werde ich auch nie wieder Taxi fahren. Der Grund dafür ist, dass nun auch nicht nur die Ortskunde für Taxifahrer weggefallen ist, also sich kein Taxifahrer mehr in seiner Stadt auskennen muss, sondern selbst ortskundige Taxifahrer – wie ich – laut Gesetz immer mit Navi fahren sollen, obwohl allgemein bekannt ist, dass Navigationsgeräte dumm und orientierungsblöd machen.

* Uber leitet sich vom deutschen Wort “über” ab.

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Bericht aus Bulgarien (310) – “Geldanlage”

getarnt

Oldtimer, das haben mir mehrere Quellen unabhängig voneinander bestätigt, sind gerade eine sichere Geldanlage in der Heimat. Allen voran der Trabant, das alte Plastik-Schwein (“plastic pig”), wie mein englischer Freund Jerry ihn nennt, der am liebsten Deutscher wäre. Ob obiger Moskwitsch auch zu den sicheren Geldanlagen gehört, lässt sich im Moment nicht eindeutig sagen, immerhin ist er in der Sowjetunion hergestellt. Das müsste man also noch herausfinden. Was dafür bereits herausgefunden wurde, ist, dass seit einiger Zeit besonders dicke Neuwagen mit ukrainischen Kennzeichen auf den Berliner Straßen unterwegs sind. Oft sind es Modelle, die kennt der deutsche Normalverbraucher gar nicht, weil sie für ihn unerschwinglich sind, wie die Frauen in ihnen. Das selbe Phänomen gibt es auch in Bulgarien. Auch hier fahren Modelle von Mercedes, BMW und Porsche herum, die mir völlig unbekannt sind, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Es gibt also auch kulturelle Unterschiede, was eine sichere Geldanlage ist. Als halber Deutscher halte ich’s wie der Schuster, der besser bei seinen Leisten bleibt. Ich empfehle jedem Deutschen dringend, bei seinen Oldtimern zu bleiben, und die Finger von Autos zu lassen, die ihm nicht bekannt sind, und noch mehr von Frauen, die er nicht kennt.

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Bericht aus Bulgarien (309) – “Krisenprofiteur”

 US-Dollar

Der US-Dollar ist jetzt nicht nur in Bulgarien praktisch genauso viel wert wie der Euro. Als ich nach Bulgarien gegangen bin, musste man für den Euro noch 1,25 US-Dollar hinlegen. Präsident Biden ist damit das gelungen, was Trump nur gefordert hatte: “Make America Great Again!” Trump hat Putin auch keinen “Mörder” genannt wie Biden, sondern er hat sich mit ihm getroffen. Einen Krieg hat Trump auch nicht angezettelt, wenn ich mich richtig erinnere. Für Biden kann der Krieg in Europa nicht lange genug dauern. Er ist weit weg und außerdem kann Amerika so viele Waffen verkaufen, wie es schon lange nicht verkauft hat. Am Ende wird keiner mehr seine Schulden bezahlen können bei den USA. Es ist immer dasselbe Spiel, bei jedem Krieg, so auch hier. Nicht unsere Freiheit wird in in der Ukraine verteidigt, genauso wenig wie sie am Hindukusch verteidigt wurde, sondern die Profite der Waffenindustrie, nachdem die Pharmaindustrie zuvor abkassiert hat und immer noch am Abkassieren ist. Auch hier ist es ein Krieg, von dem die Pharmaindustrie profitiert – der Krieg gegen Corona. (Wenn ich es richtig verstanden habe, hat Biden diesen neulich in Detroit kurzfristig für beendet erklärt. Vermutlich hatte ihn die Automobilindustrie darum gebeten, denn es war auf einer Automobilausstellung. Trotzdem dürfen weiterhin nur Geimpfte Nicht-Citizen in die USA einreisen, selbst wenn sie mit einer Amerikanerin verheiratet sind, so wie ich. Meine Familie im “Land Of The Free” und “Home Of The Brave” darf ich also immer noch nicht besuchen, was ich aber gewohnt bin. Als die Mauer noch stand in Berlin, konnte ich meine Verwandten in West-Berlin auch nicht besuchen.)

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Bericht aus Bulgarien (308) – “Heizsaison eröffnet”

Es fehlt die deutsche Ordnung – noch

Habe gerade die Heizsaison eröffnet. Dementsprechend herrscht noch etwas Unordnung vorm Ofen, die sich aber mit der Zeit gibt. Das sagt die Erfahrung. Im Wohnzimmer, wo der Ofen steht und wo ich gerade sitze und schreibe, waren heute morgen 13 Grad, was geht, wenn man bedenkt, dass draußen fast Null Grad waren die Nacht. Immerhin sind wir in 600 Meter Höhe. Jetzt sind wir bei 17 Grad Raumtemperatur, was natürlich besser ist. Ich werde auch nicht nochmal auflegen, denn wenn die Sonne rauskommt, heizt sie das Wohnzimmer den ganzen Tag von alleine auf. Das ist praktisch, denn dann muss ich erst am Abend wieder Feuer machen. So habe ich den Tag über Zeit zum Lesen und Schreiben, aber auch zum Holz machen. Am Montag habe ich dafür die Kette für meine Motorsäge in Montana schärfen lassen. Jerry, mein englischer Freund, der am liebsten Deutscher wäre, meinte gestern beim Kaffee trinken in Varshets, dass man das auch selber machen kann. Dann würde die Kette auch länger halten. Jerry hat sich übrigens sehr gefreut gestern, als ich ihm von meinem Schnäppchen bei Kaufland, dem vietnamesischen Bügelbrett erzählt habe. Er ist auch Fan von Vietnam. Es sei voller fleißiger Vietnamesen, sagt er. Jerry war, glaube ich, als Soldat der britischen Armee mal da gewesen. Ich muss dazu sagen, dass Jerry Musiker ist und nicht bei der kämpfenden Truppe war. Im vom Amerikaner mit falschen Behauptungen angezettelten “Desert Storm” war Jerry als Sanitäter im Einsatz. Jerry braucht nur wenig Holz im Winter. Das hängt glaube ich auch mit seiner Zeit bei der Army zusammen, aber nicht nur. Die Briten sind halt anders. Anders vor allem als die Bulgaren, die immer einen warmen Raum haben im Winter. Das ist in der Regel die Küche, die dann richtig gut geheizt ist, auch weil dort gekocht wird. Das weiß ich auch aus Erfahrung, und so handhabe ich es auch. Im Winter, der gerade begonnen hat, heize ich praktisch nur das Wohnzimmer, das genau genommen eine Wohnküche ist. Es gibt zwar noch einen zweiten Ofen im Flur, aber dort heize ich nur ausnahmsweise. Und das kann ich auch meinen Landsleuten in der Heimat empfehlen. Heizt den Raum, in dem ihr euch am meisten aufhaltet, richtig gut, damit ihr einen Ort habt, wo ihr euch aufwärmen könnte, dann müsst ihr nicht zu irgendwelchen Wärmestuben gehen. Bei Wärmestuben fällt mir ein Spruch ein, den ich kreiert habe, als ich noch Taxi gefahren bin und der geht so: Taxis sind zwar die teuersten Wärmestuben, dafür sind Taxifahrer aber die preiswerteren Therapeuten.

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Bericht aus Bulgarien (307) – “Winter Of Change”

Kurzzeit-Kredit – bis sechs Minuten

Ivailo (not his real name), who in late 1996 was at his first job after graduating from university, said: “I woke up one morning and my monthly salary was suddenly worth the equivalent of four dollars”. Maria (an alias), then a student, says: “my part-time job was, overnight, now paying me three dollars”.

So ein Zitat aus dem Artikel “Winter of change: Bulgaria and the crisis of 1996/97” in “The Sofia Globe” vom 27. Dezember 2018, also auch im Winter. In Deutschland ist bisher nur der “Wind Of Change” bekannt, und zwar als Song zur Wende ’89 in der DDR. Dass es auch einen “Winter Of Change” geben kann, diese Erkenntnis steht den Deutschen noch bevor. In Bulgarien hat man schon vorgesorgt, und zwar mir Kurzzeit-Krediten bis zu sechs Minuten. Auch hier dasselbe Spiel, im Osten ist man dem Westen mal wieder voraus. Dort kannte man bisher nur Mini-Kredite. Jetzt ist aber die Zeit für Kurzeit-Kredite – Rückzahlbar in sechs (6 – sic!) Minuten.

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Bericht aus Bulgarien (306) – “Charlys Bügelbrett”

von Kaufland

Seit Wochen, um genau zu sein seit Monaten, war ich auf der Suche nach einem Bügelbrett. Gestern bin ich nun endlich fündig geworden, und zwar bei Kaufland in Montana. Doch der Reihe nach. In Bulgarien gibt es, was die Kleidung angeht, eine strenge Ordnung, strenger als in Deutschland, zumindest in der Stadt. Auf dem Dorf, wo ich wohne, gibt es diese Ordnung auch, wird aber nicht so streng gehandhabt, weswegen ich lange Zeit der Meinung war, ich bräuchte kein Bügelbrett. Ich muss dazu sagen, dass ich mir vor Wochen schon ein Bügeleisen auf dem Flohmarkt gekauft hatte. Anfangs war ich der Meinung, dass es damit getan sei. Aber mein englischer Freund Jerry, der lange bei der britischen Armee war und am liebsten Deutscher wäre, wurde nicht müde mich darauf hinzuweisen, dass ich auch ein Bügelbrett brauchen würde. Denn Jerry setzt die bereits erwähnte bulgarische Ordnung so perfekt um, wie kein Bulgare, nicht mal eine Bulgarin, obwohl er auf dem Dorf wohnt wie ich. Jerry ist der best gekleidetste Mann in Bulgarien – das ist keine Übertreibung. So etwas besonderes, wie es sich anhört, ist es nun aber auch wieder nicht, denn die meisten bulgarischen Männer sind gekleidet wie die Männer in Neukölln. Die eingangs erwähnte Ordnung trifft vor allem auf die bulgarische Frau zu und meint die strenge Unterscheidung zwischen Klamotten für zuhause und für draußen, also “indoor” und “outdoor” sozusagen. Männer haben dafür hier auch verschiedene Klamotten, aber sie unterscheiden sich halt kaum. Es sind in gewisser Weise alles schlabbrige Jogginganzüge, nur dass der eine eben ein bisschen besser aussieht als der andere, oft aber auch nicht. Zurück zu Jerry, der wie gesagt “The Best Dressed Man In Bulgaria” ist, und der meine Leidenschaft für Klamotten wieder entfacht hat, die tief in mir schlummerte. Vor allem deswegen habe ich mir so viele phantastische Klamotten in den zahlreichen bulgarischen Second Hand Läden gekauft, zum Beispiel Wollhosen für den Winter, einen Kashmir-Mantel und auch einige Hemden und Pullover. Alles war so gut wie neu, manches war sogar neu, und alle Teile haben nur kleines Geld gekostet. Einige Hemden kosteten weniger als ein Lew, die Wollhosen “Made In Italy” gab’s für 10 Lewa das Stück und den Mantel aus Kashmir für 17. Erst einmal brauchte ich Klamotten, weil viele immer noch in Berlin sind. Es fand bei mir aber auch eine Suchtverlagerung statt, und zwar vom Alkohol, den ich nicht mehr trinke, hin zu Klamotten, die nicht unerwähnt bleiben soll. Vor allem macht es mir aber Spaß, auch in Ermangelung von guten Flohmärkten in Bulgarien, stundenlang in Second Hand Klamotten Läden zu stöbern. Einmal war ich sogar mit Jerry dort, und da habe ich mir neue Leder-Boots von Bugatti für 40 Lewa gekauft. Die Dinger sollten eigentlich 250 Euro kosten und sind praktisch die Waschmaschine, die andere sich gerade in den Keller stellen. Jerry meinte auch, dass ich zuschlagen soll, weil ich mir solche Teile wohl nie leisten kann als Autor. In dem Punkt bin ich mir nicht sicher, und Jerry auch nicht wirklich. Er plant nämlich schon ein Buch über mich zu schreiben, wie er mit dem berühmten halb-bulgarischen und halb-deutschen Schriftsteller durch die Second Hand Läden des Balkans gezogen ist. Der Arbeitstitel ist “Spaziergänge mit dem Desillusionisten”, mehr will ich aber nicht verraten. Was ich noch sagen will, ist, dass das Bügelbrett ein echtes Schnäppchen war, denn es hat nur 10 Lewa bei Kaufland gekostet, wohin ich nicht nur wegen der deutschen Ordnung immer wieder gehe. Das Bügelbrett ist übrigens “Made in Vietnam”, weswegen ich sogleich an “Apocalypse Now” denken musste, wo zwei amerikanische Soldaten während des Krieges in Vietnam gegeneinander surfen sollten. Beiden hatten sie Angst aufs Wasser zu gehen, weil ja Krieg war und der Vietnamese, den die Amerikaner “Charly” nannten, auf sie schießen könnte. Der Hauptmann, der auch einer Vaterfigur für die beiden war, hat sie mit dem Hinweis beruhigt, dass “Charly” nicht surfen würde. Und nun habe ich ein Bügelbrett vom Vietnamesen. Das fühlt sich richtig gut an. Am Ende möchte ich noch sagen, dass ich nicht die Absicht habe, Jerry vom ersten Platz des “Best Dressed Man In Bulgaria” zu verdrängen. Mir reicht der zweite Platz vollkommen aus. Ich bin schon froh, wenn ich demnächst Hemden tragen kann, die nicht völlig zerknittert sind. Vielleicht komme ich aber doch noch auf den Geschmack und versuche Jerry Paroli bieten. Jetzt wo ich darüber schreibe, kann ich mir das sogar absolut vorstellen. Wenn, dann aber erst im nächsten Jahr, und mit dem Spruch von Lieutenant Colonel Bill Kilgore aus “Apocalypse Now” auf den Lippen: “Es roch nach Sieg!”

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Bericht aus Bulgarien (305) – “Meinungsfreiheitsabsolutist”

Manche Schuhe sind nur schwer zu (er)tragen, genauso wie manche Meinungen
 – und doch sollen sie sein dürfen

Vor wenigen Tagen wurde ich auf dieses Interview mit Dr. Marin Guentchev, einen praktizierenden Neurochirurgen in Bulgarien, der in Wien studiert hat, hingewiesen, das Sibila Tasheva mit ihm geführt hat. Sibila Tasheva ist Bulgarin, die in Deutschland Jura studiert hat, darüber hinaus die wirklich empfehlenswerte Reiseagentur TACT betreibt und das absolut lesenswerte Buch “111 Gründe Bulgarien zu lieben” geschrieben hat. Auf Sibila wiederum hat mich mein Freund und Leser meines Blog Joachim aus Bremen aufmerksam gemacht, der schon zweimal mit von Sibila organisierten individuell zusammengestellten Touren in Bulgarien unterwegs und sehr zufrieden war. Ich habe mir seine von Sibila erarbeitete Reiseinformationen angesehen und war schwer beeindruckt, nicht nur von ihrer Sachkenntnis, sondern auch von ihrer Liebe zum Detail, beispielsweise bei der Auswahl der Familien-Hotels, was mit viel Arbeit verbunden ist. Das weiß ich aus persönlicher Erfahrung, spätestens seit meiner Eselwanderung quer durch Bulgarien. Um die wird es mit Sicherheit auch in dem Interview gehen, das Sibila irgendwann im November, Dezember mit mir führen will, und auf das ich mich schon jetzt freue. Mit Sicherheit werde wir auch über meine Zeit in Bulgarien sprechen, und meine Aussage hier auf meinem Blog, dass ein jeder in Bulgarien alles sagen darf, und dass ich das gut finde. Genauso wie Dr. Marin Guentchev in dem Interview mit Sibila, der aus seiner persönlichen Erfahrung der kommunistischen Zeit in Bulgarien zu einem “Meinungsfreitheitsabsolutist” geworden ist (ab 11:30). Dasselbe kann ich auch für mich sagen, denn auch für mich ist es wichtig, dass eine jede Meinung geäußert werden darf, denn auch ich bin der festen Überzeugung, dass das die einzige Garantie ist, dass es nicht zu einer Tyrannei kommt. Wortwörtlich sagt Dr. Marin Guentchev im Interview mit Sibila (ab 31:20) folgendes: 

Eine der großen Talente der Bulgaren ist, eine Tyrannei zu erkennen und sich dagegen zu wehren, passiv, aber trotzdem sich zu wehren. Das hängt vielleicht auch mit der türkischen, der osmanischen Okkupation von Bulgarien zusammen, ich weiß es nicht. Aber prinzipiell erkennt der Bulgare eine Tyrannei sehr schnell, vielleicht auch unterbewusst. Und deswegen sind wir Bulgaren eigentlich sehr freiheitsliebende Menschen, das gefällt mir. Das hat mir auch ein Österreicher gesagt: “Ich hab das Gefühl, wenn ich nach Bulgarien komme, ich kann ALLES sagen.” Das hat so geklungen, als könne er dort nicht alles sagen könnte, und das stimmt auch. Und das ist etwas, was man in Bulgarien lernen kann: diese Liebe zur Freiheit und zur Meinungsäußerung. Natürlich, wenn Sie kommen, hören Sie jeden möglichen Blödsinn, von Konspirationstheorien bis alles Mögliche, also alles Mögliche. Und manchmal hat man das Gefühl, diese Meinungsfreiheit, die es in Bulgarien gibt, die geht mir ein bisschen zu weit, die geht mir manchmal furchtbar auf den Wecker. Und dann denke ich mir: Ist besser so, als das Gegenteil. Alle haben die gleiche Meinung, keiner traut sich irgendwas zu sagen und alle marschieren in die Richtung, in der wir nicht sein wollen. Das ist auf jeden Fall etwas, was man in Bulgarien lernen kann.

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Bericht aus Bulgarien (304) “Eine Gans für gut”

Eine Gans als Geldanlage – das geht auch
(heute auf dem Flohmarkt in Montana)

Den Spiegel, das ehemalige Nachrichtenmagazin aus Hamburg, lese ich nur, um zu wissen, was ich denken soll. Meist ist das das Gegenteil von dem, was stimmt, oder was mir näher an der Wahrheit erscheint. Bei diesem Umdenken, also Informationen vom Kopf auf die Füße zu stellen, hilft mir der halbe Bulgare in mir. Beim Bulgaren, ich erwähnte das schon mal, ist nämlich Ja Nein und Nein Ja, genauso wie Oben Unten und Unten Oben ist. Ich möchte das mit dem bulgarischen Umdenken anhand eines aktuellen Spiegel-Artikels mit dem Titel “Jetzt trifft es auch die Mittelschicht – So knockt die Inflation die Sparer aus” beispielhaft vorführen, denn umdenken ist gar nicht schwer. Ein jeder kann es lernen, selbst jene Zeitgenossen, die mit dem Bulgaren nichts am Hut haben. Als erstes erfahre ich vom Spiegel, dass viele Deutsche ihre Sparkonten leer räumen, also etwas, was ich bereits am 10.09. an dieser Stelle geschrieben habe, weil es mir logisch erschien, nicht weil ich den Spiegel gelesen hatte. Der ist auch erst später drauf gekommen, um genau zu sein am 16.09. Der Spiegel könnte am Ende gar von mir abgeschrieben haben, und hat es vermutlich auch. Doch zurück zum Spiegel-Text. Wie viele sind nun viele? Das erfährt der Spiegel-Leser leider nicht. Da der Spiegel darüber schreibt, müssen es ziemlich viele sein. Dieser logische Gedanke soll für den Moment reichen. Dann soll ich denken, dass diese vielen Menschen ihr Geld abheben, anstelle es zurückzulegen. Was genau ist nun mit zurücklegen gemeint? Mein erster Gedanke ist “für gut”, wie wir früher in der DDR sagten, wenn wir etwas für besondere Anlässe zurücklegten, es mit anderen Worten schonten. Das ist, so denke ich, hier nicht gemeint. Oder vielleicht doch? Kann man sein Geld schonen oder “für gut” zurücklegen? Ich glaube eher nicht. Wenn ich den Spiegel richtig verstehe, meint er, typisch deutsch, die Menschen sollten ihr Geld doch auf dem Konto belassen, damit sie morgen noch ihre Rechnungen bezahlen können. Darauf deutet der Hinweis hin, dass die Endabrechnung doch erst noch kommt. Nur, wovon soll ich morgen meine Nebenkostenabrechnung noch bezahlen? Mit dem Geld auf dem Konto, das dann nichts mehr wert ist? (In Bulgarien ist genau dies Ende der Neunziger geschehen, da waren innerhalb weniger Monate 1.000 Lewa nur noch einen ganzen Lew wert.) Da stelle ich mir doch lieber heute noch fünf Kühlschränke und acht Waschmaschinen in den Keller, wofür ich wiederum mein Konto leer räumen muss, ohne dem geht es nicht (außer ich plündere den Laden, aber so weit sind wir noch nicht), als tatenlos zuzusehen, wie mein Geld auf dem Konto, wofür ich auch noch bezahlen muss, mit jedem Tag seinen Wert verliert. Und je jünger ich bin, desto aktiver bin ich mit dem leer räumen meines Kontos und dem selbständigen Anlegen meines Geldes, wobei es mit dem selbständigen Anlegen meist besser klappt als mit dem selbständigen Denken, scheint mir. Das liegt wohl in der Natur der Dinge und erklärt auch, warum laut Spiegel immer häufiger selbst Menschen um die 30 mit guten Gehältern “betroffen” sind. Auch hier muss man wieder umdenken. “Betroffen” sind die, die ihr Sparkonto jetzt nicht leer räumen, und zwar morgen, spätestens übermorgen. So wird mir ein Schuh aus der Geschichte, in der es vor allem um mangelndes Vertrauen geht, und zwar in den Staat, der gerade dabei ist, sich selbst zu delegitimieren, was man aber nicht sagen darf. Bei der Verschleierung seiner Delegitimierung hilft ihm der Spiegel – so gut er eben kann mit seinem Relotius-Personal. Bleibt noch die Frage, wie man sein Geld noch anlegen kann, wenn man keinen Keller für Waschmaschinen und Kühlschränke hat. Oldtimer beispielsweise sollen gerade eine gute Geldanlage sein, eine Garage vorausgesetzt. Richtig Reiche kaufen seit einiger Zeit ganz viel Land oder gleich die Bodenschätze eines ganzen Landes. Mit Gold muss man als kleine Kartoffel vorsichtig sein, der private Besitz könnte morgen verboten werden – wäre nicht das erste Mal. Silber ist da besser, aber auch weniger wert. Ich selbst habe vor meiner Abreise mein kleines Geld noch in einen neuen Laptop angelegt, der immer noch “für gut” unter meinem Bett liegt. Ich mache es so, wie ich es in der DDR gelernt habe, trage erst die alten Sachen auf, bis sie auseinanderfallen, bevor ich die “für gut” aus dem Schrank raus- oder eben unterm Bett vorhole. Und wenn demnächst hier nichts Neues von mir erscheint, dann liegt das nicht daran, dass mein Geld, was ich nicht habe, nichts mehr wert ist, sondern dass ich mich mit meinem neuen Laptop, den “für gut”, vertraut mache.

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