Foto&Text TaxiBerlin
Nachdem Edward Snowden aufgedeckt hatte, dass Onkel Sam, unser große Bruder in Amerika, alles über uns weiß, warb ein Berliner Reisebüro mit dem Slogan: “Kommen Sie in die USA, Ihre Daten sind schon da.” – Jetzt, wo sich immer weniger Deutschland leisten können, kommt aus Bulgarien die Einladung: “Komm in die Schluchten des Balkans, Deine Sachen sind schon da.” – Das Foto entstand heute in Montana, der Hauptstadt der ärmsten Region des kleinen Landes am Rand. Auch in Sachen Flohmarkt ist in Bulgarien alles anders. Während in Berlin Flohmärkte in aller Regel am Sonntag stattfinden, einige wenige auch samstags, ist in Montana immer montags Flohmarkt. Dass es dort immer mehr Dinge auf Deutsch gibt, ist eine neue Entwicklung. Wie ich erfuhr, sind die Sachen aus Deutschland, wo sie auf der Straße herumliegen, auf der wohl bald auch immer Landsleute sitzen werden. – Das muss nicht sein. Komm einfach nach Bulgarien! Deine Sachen sind schon hier.
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In den letzten Tagen erhielt ich mehrere Anrufe aus der Heimat, die eines gemeinsam hatten. Der Anrufer brach während des Telefonats in Tränen aus, wofür aktuelle Gründe die Ursache zu sein schienen. Materiell geht es den Anrufern gut, oder vielleicht sollte man besser “noch gut” sagen. Keiner von ihnen hat bisher finanzielle Probleme. Das war also nicht der Grund für ihren Schmerz. Ich habe das getan, was ich auch in meinem Taxi getan habe. Ich habe einfach nur zugehört, Fragen gestellt, mich mit Kommentaren, Ratschlägen oder gar Urteilen zurückgehalten, denn ich wollte verstehen, wo der Schmerz bei meinen Anrufern herrührt. Auch sie sind erschöpft, keine Frage, wie es schon vor gut einer Woche in einer e-mail an mich stand. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass sowohl die Anrufer, als auch der Verfasser der e-mail, unter einer so genannten posttraumatische Belastungsstörung leiden. Dabei handelt es sich um eine psychische Erkrankung, die als Folge auf ein traumatisches Erlebnis auftreten kann. Das traumatische Erlebnis ist in dem Fall Corona, eine als lebensbedrohlich dargestellte Erkrankung, die angeblich die eigene Sicherheit und die von anderen bedroht. Aber nicht nur das. Der sichere Tod wurde uns allen praktisch garantiert, und das fast drei Jahre lang. Ein Trauma ist da nur folgerichtig. Und wer heute in der Heimat nicht traumatisiert ist, der sollte sich fragen, was mit ihm nicht stimmt. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich selbst habe mich vor diesem Trauma in den Schluchten des Balkans in Sicherheit gebracht. Spätestens nachdem mich aktuell die Hilferufe aus der Heimat erreicht haben, gehe ich nunmehr mit Sicherheit davon aus, dass demnächst weitere Landsleute diesen Weg auch gehen werden. Nämlich dann, wenn sie hungern oder frieren müssen (oder beides), weil die Kohle hinten und vorne nicht mehr reicht, denn die Inflation wird auch in Deutschland weiter voranschreiten. Habe ich mich anfangs gefragt, ob mein Gang nach Bulgarien eine Flucht war, komme ich nun immer mehr zu dem Schluss, dass ich damit nur erneut eine Vorhut darstelle. Früher war es der Gang nach Berlin, als sich noch keine Hipster und Party People dorthin trauten. Heute ist es der Umzug nach Bulgarien, was vielen demnächst bevorsteht. Und da kann ich alle beruhigen, die sich mit diesem Gedanken tragen oder gar schon auf gepackten Koffern sitzen. Es erwartet euch ein aufregendes Abenteuer in den Schluchten des Balkans, das euch gesund werden lässt und eure erlittenen Traumata heilen kann. Ihr braucht dazu nicht viel Geld, ihr müsste nur offen für Neues sein. Nur eines solltet ihr nicht tun. Noch länger in der Heimat warten, bis alle anderen sich auch auf den Weg machen, wie es mit Berlin passiert ist. Dann ist es zu spät. Deswegen möchte ich allen Unentschlossenen Mut machen. Fasst euch ein Herz. Habt keine Angst mehr. Und vergesst nicht: Das wichtigste im Leben sind die Veränderungen.
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Mein Dorf Spa wird unter Insidern auch der Kurort vom Kurort genannt, womit das Nachbarstädtchen gemeint ist. Kurort ist auch in Bulgarien das Wort für Kurort, wobei hier wiederum nur Insider wissen, dass Kurort aus dem Deutschen kommt. Im Kurort nebenan gibt es neben vielen Hotels und Pensionen auch das Gästehaus “Berlin”, was sich über dem Café “Berlin” befindet. Im Café “Berlin” habe ich mir früher immer mein Frühstück gekauft, eine Banitsa mit Boza. Das ist jetzt einige Zeit her. Bevor auch dort vor einem Jahr alles teurer wurde, war zuvor schon die Qualität der angebotenen Speisen schlechter geworden. Einfach deswegen, weil sich gute Qualität kaum noch jemand leisten kann. Das ist wie mit dem mit Palmfett versetzten Schafkäse aus Kuhmilch, über den ich gestern geschrieben habe. Gleich geblieben ist, dass das Café “Berlin” gerne und zahlreich von Zigeunern frequentiert wird. Für manch einen in Deutschland ist Zigeuner ein umstrittener Begriff, aber nicht für jeden. Beispielsweise nicht für Ralf Bauerdick, der vor jetzt genau zehn Jahren ein Buch mit dem Titel “Zigeuner” geschrieben hat. Auch in Bulgarien ist der Begriff Zigeuner nicht umstritten, genauso wie Gypsy es im Englischen nicht ist. Eine Fremdbezeichnung ist das Wort Zigeuner auch nicht, zumindest nicht in meinem Nachbarort, wo es ein eigenes Zigeuner-Viertel gibt, das so genannte Machala, in dem ich mich vor Jahren nach einem Esel für meine Wanderung umgesehen habe. Ich kenne auch einige Zigeuner aus dem Machala, beispielsweise den Maistor Manol, einer der besten Verputzer in der Region. Maistor Manol hat auch schon für mich gearbeitet. Der Mann ist aber – zu Recht – nicht ganz billig. Ein anderer Zigeuner-Maistor hat mir damals den Gepäcksattel für meinen Esel gebaut, den ich am Ende in meinem Dorf gefunden habe. Auch er ist ein Meister seines Fachs. Maistor Manol habe ich neulich auf dem Basar getroffen. Wir haben kurz gesprochen, es geht ihm gut, er hat wie immer viel Arbeit. Unterhalten haben wir uns auf Bulgarisch, mit seinen Leuten spricht er Zigeunerisch. Auch im Café “Berlin” wird viel Zigeunerisch gesprochen. Manchmal gehe ich genau deswegen noch hin, nur um diese für mich fremde Sprache zu hören. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich mir Berliner Hipster im Café “Berlin” des Nachbarorts vorgestellt habe. Möglich wäre es ja, immerhin ist es ein Kurort und verfügt dementsprechend über Hotels, Pensionen und – last but not least – das Gästehaus “Berlin”. Auch wenn ich keine Werbung für den Nachbarort – und schon gar nicht für mein Dorf – und das dortige Café “Berlin” unter Berliner Hipstern machen möchte, fände ich dieses Aufeinandertreffen – “Hipster trifft Zigeuner” – schon wieder reizvoll. Wenn also irgendein Berliner Hipster nicht nur die Hose auf der Hüfte trägt, sondern in seiner Hose auch noch einen Arsch hat, den er in die Schluchten des Balkans bewegen möchte, so ist er hier auf jeden Fall willkommen.
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