Leaving Berlin (041)

Das ist mein Gingko-Baum, den ich letztes Jahr so gut wie tot auf der Straße in Montana gefunden habe. Vorher muss er bei irgendwelchen wurzellosen Städtern in der Wohnung gestanden haben, die ihn rausgeschmissen hatten, weil ihm die Stadtluft nicht bekommen war. Ehrlich gesagt war ich mir nicht sicher, ob er nochmal was wird. Er war eigentlich schon “übern Jordan”, total ausgetrocknet und hatte kein einziges Blatt. Getreu dem Motto: Etwas besseres als den Tod findest du überall, habe ich den Kumpel eingeladen. Das war im November, kurz vor meiner Rückkehr nach Berlin. Dass der Gingko sich so gut macht, hätte ich mir nicht träumen lassen. Die Böden sind gut in Bulgarien – keine Frage. Aber es ist nicht nur der Boden. Es ist einfach die Natur. Städte tuen keinem gut – weder Pflanzen noch Tieren. Schau Dich um, wenn Du in der Stadt lebst. Von wieviel gesunden Menschen bist Du umgeben? Findest Du überhaupt einen? Mir ist das in Berlin immer schwerer gefallen. Gut, auf dem Land sind auch nicht alle gesund. Aber es gibt auf jeden Fall weniger Irre, nicht nur prozentual. Und man kann ihnen besser aus dem Weg gehen, den Verrückten und Wahnsinnigen. Auch wenn mein Gingko wegen seiner Immobilität das nicht kann, geht es ihm bei mir besser. In der Stadt war er in seinem Topf auf Rollen zwar Fall mobiler. Aber hat es ihm etwas genutzt?

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Leaving Berlin (040)

Mein Sauerteig

Ich habe eine neue Leidenschaft: das Brot backen. Der Grund dafür: man kann das einst hervorragende Weißbrot der Bulgaren nicht mehr essen. Mittlerweile bin ich bei der Königsdisziplin des Brotbackens angelangt: dem Sauerteig. Wer hätte das gedacht? Dass es so ist, wie es ist, habe ich auch meiner Abstinenz zu verdanken. Sie soll das Thema dieses Beitrags sein. Heute sind es sechs Jahre, dass ich keinen Alkohol mehr getrunken habe. Ich habe sozusagen Geburtstag – Trockenheits-Geburtstag. Ich möchte auch über meine Abstinenz schreiben, weil ich bei meinem Besuch in Berlin feststellen musste, dass sich die Menschen dort jetzt noch mehr betäuben als zuvor. Mit anderen Worten: die Süchte haben zugenommen. Nicht nur der Alkohol. Kiffen ist neuerdings sogar staatlich erwünscht, um es mal so zu formulieren. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es bei den “Genussmitteln” meist nicht ums Genießen geht. Dann könnte man ja einfach damit aufhören. Aber sag das mal einem Raucher. Was die Leute “Genießen” nennen, ist in den meisten Fällen ein Leiden. So war es auch bei mir. Dass ich lange nicht aufhören konnte mit dem Trinken, lag auch daran, dass ich mir ein Leben ohne Alkohol, vor allem ohne meine geliebtes Bier, nicht vorstellen konnte. Jetzt weiß ich, dass es möglich ist, ohne Alkohol zu leben. Und auch ohne Nikotin. Mit dem Rauchen habe ich schon vor über 20 Jahren aufgehört. Auch Du kannst damit aufhören. Sowohl mit dem Trinken, als auch mit dem Rauchen – vielleicht nicht mit beidem zur selben Zeit. Das schaffen die wenigsten. Aber vielleicht solltest Du jetzt zumindest mit einem aufhören, denn die Zeiten werden rauer. Am Ende gibt es nicht genug Alkohol, um Dich zu betäuben. Für einen Alkoholiker ist ein Glas zu viel und tausend nicht genug. Du zerstörst mit dem Alkohol nur Dich selbst. Auch ich war auf dem Weg, mich selbst zu zerstören. 2017 tauchten die ersten für Uber fahrenden Mietwagen auf den Berliner Straßen auf. Ich erwähne das, weil mir als Taxifahrer rasch klar war, dass da etwas auf mich zukommt, dass ich vielleicht sogar meinen Job verlieren werde, wie es dann auch kam. Bevor es so kam, habe ich mit dem Trinken aufgehört. Wie viele, so dachte auch ich, dass es damit getan sei. Die eigentliche Arbeit begann aber erst danach. Plötzlich kamen all die Gefühle hoch, die ich zuvor mit dem Alkohol betäubt hatte. Um mit ihnen klar zu kommen, bin ich zu den Meetings der Anonymen Alkoholiker gegangen, um über meine Gefühle zu sprechen. Jemand sagte mal, dass er am Anfang dachte, die hätten bei den Meetings alle einen drinne, womit er den Alkohol meinte, weil die alle so komisch sprechen würden, womit er gar nicht so unrecht hatte. Auf Außenstehende muss das genauso wirken. Wir haben nicht gelernt, über unsere Gefühle zu sprechen. Überhaupt reden wir meist nicht über uns, wie es uns geht, in dem Moment. Lieber sprechen wir über andere, über Corona und jetzt Krieg. Dass erwachsene Menschen wie kleine Kinder lernen müssen, über ihre Gefühle zu sprechen, ist bedauerlich, aber die Wahrheit. Viel habe ich von anderen auf den Meetings gelernt. Denn zu ihnen gehen auch Menschen, die seit vielen Jahren trocken sind. Manche sind bereits mehr als ihr halbes Leben trocken und gehen immer noch zu den Meetings. Ihre Erfahrungen mit und ohne Alkohol sind ein unbezahlbarer Erfahrungsschatz. Bis heute empfinde ich eine große Dankbarkeit für alles, was ich bei den Meetings hören durfte. Ich bin seither sehr demütig geworden. Diese Demut hilft mir auch beim Brot backen. Denn man muss dem Teig, insbesondere dem Sauerteig, zuhören, was er einem sagen will. Was er braucht, damit aus ihm ein geschmackvolles Brot wird. Das ist mein erstes Sauerteigbrot, ich habe es gestern Abend gebacken. Es ist nicht perfekt, aber für’s erste Mal bin ich sehr zufrieden.

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Leaving Berlin (039)

Bulgarische Trikolore mit dem Hinweis darauf, dass die eigene Währung, in dem Fall der bulgarische Lew, Identität und Souveränität bedeuten
Letzte Woche in Sofia auf dem Boulevard Vitosha in der Nähe des South Parks (Jushen Park)

Vor dem Hintergrund, dass die Ukraine jetzt auch Ziele auf russischem Territorium mit westlichen Waffen angreifen darf, hat der bulgarische Präsident Rumen Radev vorgestern einen bemerkenswerten Text auf seiner Internetseite veröffentlicht, den ich kurz vorstellen möchte. Bevor ich damit beginne, möchte ich erwähnen, dass meine Geschenke aus dem Westen immer Süßigkeiten waren, die ich meist ganz alleine gegessen habe. Was die bulgarische Währung, den Lew, angeht, so gibt es in der EU einige Länder, die bis heute ihre eigene Währung haben. Bulgarien steht da nicht alleine. Auch mit seinen Ansichten dürfte der bulgarische Präsident nicht alleine stehen, weder in seinem Land, noch in Europa. Bereits die Überschrift des präsidialen Statements hat es in sich. Radev spricht von selbsternannten “Euroatlantikern”, die er für Feiglinge und unfähig hält. Ich persönlich muss da an Typen wie Strack-Zimmermann und Hofreiter denken, aber bleiben wir in Bulgarien. Dort hat sich das Staatsoberhaupt in der Vergangenheit wiederholt für eine friedliche Beilegung des Konfliktes ausgesprochen, so auch beim Besuch seines ukrainischen Amtskollegen am 6. Juli 2023 in Sofia.  Radev hält die bulgarischen selbsternannten “Euroatlantiker” für feige, weil sie nicht den Mut haben, selbst die Entscheidung zu treffen, bulgarische Truppen in die Ukraine zu schicken, und zwar weil sie genau wissen, dass dies von einer Mehrheit abgelehnt wird. Das trifft auf jeden Fall auch auf Deutschland zu. Dass Leute wie Strack-Zimmermann und Hofreiter feige sind, sieht man schon daran, dass sie selbst nicht an die Ostfront wollen. Dass die NATO an diesem Krieg bereits jetzt beteiligt ist, hält Radev für ein offenes Geheimnis, das zunehmend an die Öffentlichkeit gelangt. Auch in Deutschland, erlaube ich mir hinzufügen. So blöde ist selbst der dumme Deutsche nicht, dass er das nicht weiß. Ich würde sogar so weit gehen und sagen, dass ihm auch klar ist, dass die Entscheidungen bezüglich des Krieges in der Ukraine eine unkontrollierte Eskalation darstellen, die in einem Atomkrieg enden können. Beim Bulgarische Nationalradio ist in dem Zusammenhang von einem nuklearen Armageddon die Rede. Wie sehr wünschte ich mir ein solches Radio auch für Deutschland. Auf die Deutsche Mark kann ich – vorerst – noch verzichten.

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Leaving Berlin (038)

Gestern auf dem Basar stand plötzlich dieser Mann mit diesem T-Shirt vor mir. In Bulgarien nichts ungewöhnliches. Das Land ist voll von Läden mit abgetragener Kleidung aus den reicheren Ländern der europäischen Union, vorzugsweise aber aus Deutschland. In den Schluchten des Balkans ist alles zweiter Hand und dritte Wahl. Auch deswegen gibt es keine Garantie. Natürlich weiß der Mann nicht, was da auf seinem T-Shirt steht, wie er auf Nachfrage bestätigte. Aber gut, wer wusste in der Heimat schon, wer “wir” ist, und was dieses “wir” gemeinsam “schaffen” soll. Noch nicht einmal der ewig schaffende Schwabe wusste das. Heute ist es ganz ähnlich mit “unserer Demokratie”. Wer gehört zu “unserer Demokratie” dazu? Wer nicht? Und warum? Ich dachte jedenfalls immer, dass in einer Demokratie alle mitmachen dürfen. Gemeinsam also. Auch wenn der Mann wie gesagt nicht weiß, was auf seinem T-Shirt steht, sehe ich bessere Chancen, dass die Bulgaren es schaffen – schließlich haben sie in der Vergangenheit immer alles geschafft. Jede Krise gemeistert, war sie auch noch so groß. Dazu brauchten sie niemanden, der ihnen das sagt. Schon gar keine Regierung. Sie haben es gemeinsam geschafft. Beim Deutschen bin ich mir da nicht so sicher. Selbst, wenn man ihnen sagt, dass sie es schaffen werden, schaffen sie es nicht. – Wie in der Vergangenheit, so auch heute.

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Meanwhile in Germany (019) – Guten Morgen Berlin!

Sprach man einst von Notleidenden Banken, muss man heute von Notleidenden “Fahrdienstleistern” sprechen. Wobei “Fahrdienstleister” nicht ganz korrekt ist. Denn die “Fahrdienstleister”, allen voran Uber, fahren nicht selbst. Sie lassen fahren, und zwar von kriminellen Mietwagenfirmen, und das im großen Stil. – Nun hat sich das bestätigt, was auch ich schon seit Jahren sage: Bei den Mietwagenfirmen kann es nicht mit rechten Dingen zugehen. Ihr Geschäftsmodell, eher “Geschäftsmodell”, kann nicht funktionieren, zumindest nicht legal. Wer Eins und Eins zusammenrechnen kann, weiß das. In Berlin, der Zentrale des deutschen Irrenhauses, kann nicht jeder Eins und Eins zusammenzählen. Selbst Journalisten, besser “Journalisten”, wurden nicht müde, Uber als das “Neue, Schöne & Gute” zu preisen. Jetzt, sieben Jahre später, hat man auch in der Bundeshauptstadt das Rechnen gelernt. Guten Morgen, Berlin! – Nein, es handelt sich nicht um irgendwelche Kleinkriminelle, sondern um organisiertes Verbrechen und mafiöse Strukturen. Plötzlich scheint einiges zu gehen in “The City That Never Works”. So soll beispielsweise eine KI die für Mietwagen geltende Rückkehrpflicht überprüfen. Bis gestern war eine solche Überprüfung angeblich nicht möglich gewesen. Woher ich das alles weiß? Aus der Zeitung, genauer aus der Berliner Zeitung, die gestern einen Beitrag mit dem Titel „Wir haben einen Sumpf entdeckt“: Berliner Senat geht gegen illegale Uber-Fahrer vor veröffentlicht hat. Eines hat man offensichtlich auch bei der Berliner noch nicht verstanden. Es geht nicht um die Fahrer, es geht um Uber. Der Fisch stinkt auch hier vom Kopf. – Bester Satz im Text: “Die Polizei kann nichts machen.” – Wenn das so ist, sei die Frage erlaubt: Wozu haben wir sie dann?

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Leaving Berlin (037)

Ist der Flohmarkt in Berlin traditionell am Sonntag, ist er im bulgarischen Montana immer Montags. Neben Ersatzteilen, Arbeitsschuhen, Geschirr, Werkzeug und Töpfen zum Schnaps brennen werden auf ihm auch Kartoffeln, Tomaten, Gurken und sogar Kinderschokolade (oben) für unschlagbare 50 Cent (1 Lew) angeboten. Dass keiner zuschlägt, liegt daran, dass das Mindesthaltbarkeitsdatum der Kinder-Schoko-Bons bereits 2022 abgelaufen ist. Im Supermarkt sind die Sonderangebots-Regale (unten) regelmäßig leer geräumt. Das Leben ist teuer geworden in Bulgaren. Die meisten Lebensmittel sind mittlerweile genauso teuer wie in Deutschland, manche sogar teurer. Um davon abzulenken, läuft in den Supermärkten neuerdings Musik, die bei jedem Besuch lauter und aggressiver wird. Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich funktioniert beim Bulgaren. Ein Versuch scheint es wert zu sein.

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Leaving Berlin (036)

Das Spiel ist aus

Bulgarien hat – mal wieder – keine Regierung. Die Macht liegt sozusagen auf der Straße. Ohne Regierung lebt es sich ganz angenehm. Auf keinen Fall schlechter als mit – eher besser. Selbst in Sofia, wo ich neulich für einen Tag war. Die Stadt geht mir zunehmend auf die Nerven. Sie wird immer mehr wie alle anderen Großstädte: langweilig. Die Leute dort kommen mit den einfachsten Dingen nicht mehr zurecht, zum Beispiel mit einem Regenschauer. Einerseits beklagen sie sich, dass es wegen dem Klimawandel zu wenig regnen würde. Wenn es dann mal regnet, fallen sie sprichwörtlich aus allen Wolken. Eine Freundin musste nochmal nach hause fahren, um sich umzuziehen. Wie ich mich fühlen würde in Sofia, fragte sie mich, als sie endlich auftauchte. Die Antwort fiel mir nicht schwer: Wie Crocodile Dundee! – In der verlinkten Szene geht es um ein Messer, was mich an Deutschland denken lässt, wo es – mal wieder – einen Messerangriff gab und ein Polizist weiterhin in Lebensgefahr schwebt. Und das, obwohl es dort eine Regierung gibt.

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