Bericht aus Berlin (047) – “Zum heutigen Kindertag”

Mein Wunsch

War ich am Wochenende noch mit dem Fahrrad in Ostdeutschland unterwegs, geht es morgen mit dem Flieger nach Amerika. Noch nie bin ich so ungerne geflogen. Was sich anhört wie ein Luxusproblem, ist absolut ernst gemeint. Fliegen geht mir tierisch auf die Nerven. Und nun will ich nicht nur über den großen Teich, sondern auch gleich noch über einen ganzen Kontinent. Was hätte ich vor ’89 dafür gegeben, einmal nach San Francisco zu fliegen. Damals war fliegen noch etwas exklusives. Man hat interessante Menschen kennengelernt. Heute kommt man mit keinem mehr ins Gespräch, denn jeder ist nur noch mit seinem Smartphone beschäftigt. Man hat sich auch nichts mehr zu erzählen, denn man weiß immer schon alles. Steht ja im Internet. So gesehen ist es sogar besser, dass jeder für sich bleibt. Drei Jahre durfte ich als ungeimpfter Ausländer nicht ins “Promised Land”. Daran änderte auch nichts, dass meine Frau von dort ist. Meine Schwiegermutter durfte mich in Bulgarien besuchen, ich aber nicht sie in Kalifornien. Es war wie zu Mauerzeiten, wo mich meine Oma aus West-Berlin in Ostdeutschland besuchen konnte, ich aber nicht sie in Neukölln. Früher hätte ich mir im Flieger einen hinter die Binde gekippt. Das geht nun, da ich nicht mehr trinke, nicht mehr. Jetzt muss ich das alles aushalten, auf engstem Raum, von dem es kein entrinnen gibt. Ich hoffe, dass zumindest der Eintänzer am Flughafen in San Francisco nicht mehr am Start ist, der mich beim letzten Mal gleich nach der Ankunft mit “TO THE WALL!!!” angebrüllt hat. Es war ein kleiner Latino, so viel darf ich verraten. Latinos machen in Amerika die Drecksjobs, das ist kein Geheimnis. Zu seiner Verteidigung kann ich sagen, dass er nicht wissen konnte, dass ich aus Ostdeutschland komme und ein Mauer-Trauma habe. Dass er mir befahl, an der Mauer entlangzugehen, hatte den Hintergrund, dass ich nur “Visitor” war und der Platz in der Mitte des Gangs für “Citizen” freibleiben sollte. Klarer Fall von Klassengesellschaft. Erst kommt der Eingeborene, dann der Latino und danach irgendwann der Ostdeutsche. Der Einheimische war auch schon nach einer knappen Stunde durch die Pass-Kontrolle, bei mir hat es gut drei gedauert. OK, als Ostdeutscher bin ich Schlange stehen gewöhnt. Möglicherweise ist das sogar eine kulturelle Aneignung durch den Klassenfeind. Wie dem auch sei, man soll sich, kommt man nach San Francisco, Blumen ins Haar stecken. So besagt es ein bekanntes Lied von Scott McKenzie. Wenn mein Nervenkostüm es zulässt, werde ich den Hinweis berücksichtigen.

Foto&Text TaxiBerlin

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert