Das Allerschlimmste, was einem passieren kann
Obwohl ich nur unregelmäßig Bücher auf dem Flohmarkt verkaufe, habe ich dort Stammkunden. Genau ist es ein Stammkunde – genauso wie beim Taxifahren. Gestern begann dieser das Gespräch damit, dass er behauptete, Jan Böhmermann wäre Journalist. Dem widersprach ich, worüber ich mich sogleich ärgerte. Ich ärgerte mich darüber, dass ich nicht einfach nur zugehört habe, was mir mein einziger Stammkunde sagen wollte. Erst einmal sagte er nichts, sondern sah sich meine Bücher an. So gesehen war mein Widerspruch richtig gewesen. Denn darum geht es mir ja, um meine Bücher und deren Verkauf. Noch bevor er das passende Buch gefunden hatte, kam mein Stammkunde plötzlich und unerwartet auf die RKI-Protokolle zu sprechen, und dass man uns wohl mit Corona und der Impfung ganz schön verarscht hätte. Jetzt sagte ich gar nichts, oder fast gar nichts. Meinem Mund entfuhr so etwas wie: “hehem”. Mein Mund blieb dabei geschlossen. Das ist glaube ich ganz wichtig, dass der Mund geschlossen ist. So war mein “hehem” nichts mehr als eine zur Kenntnisnahme. Ich habe gehört, was mein Stammkunde sagte. Das muss man machen. Sonst verliert der andere den Mut, weiter auszuführen. Als nächstes zeigte er mir sein Smartphone (Foto oben). Auch dazu sagte ich nur “hehem”. Was sollte ich auch sagen? Mein Stammkunde wollte natürlich was positiv Unterstützendes hören, aber den Gefallen tat ich ihm nicht. Damit wollte ich ihn aber nicht ärgern, sondern im Gegenteil unterstützen. Denn nur worauf man selber kommt, hat wirklich Bedeutung für einen selbst. Das ist eine Erkenntnis der letzten Jahre. Die andere ist, dass leider nur sehr wenige Menschen neue Erkenntnisse haben, haben wollen. Jetzt verstand ich auch den Gesprächseinstieg mit Jan Böhmermann. Das war nur ein Test, um zu wissen, wo der andere steht. Das ist heute viel schwieriger als früher. Auch weil viele Menschen gar nicht mehr wissen, wo sie stehen, was sie heute wieder glauben sollen. Jedenfalls scheine ich den Test bestanden zu haben, sonst hätte mein Stammkunde nicht die RKI-Protokolle angesprochen. Aber vielleicht war das auch nur ein Test. Viele kennen die RKI-Protokolle nämlich gar nicht. Es kann sogar sein, dass mein Stammkunde ein Spitzel ist. Das sagt mir meine DDR-Vergangenheit. Aber die ist hier definitiv fehl am Platz. Mein Stammkunde ist natürlich kein Spitzel, das möchte ich hier in aller Klarheit aussprechen. Mein Stammkunde ist nur einer von den “viel zu vielen”, wie Nietzsche sie nannte, die einfach nicht mehr wissen, was sie glauben sollen. Ein Mensch ohne Glauben ist aber verloren. Und das ist das Allerschlimmste, was einem passieren kann. Das sage ich auch aus eigener Erfahrung.