Bericht aus Bulgarien (420) – „Frierst du schon oder heizt du noch?“

Frieren gefährdet deine Gesundheit
Es mag auch in Bulgarien den ein oder anderen geben, der gerade für den Frieden friert. Ich kenne aber keinen persönlich. Die allermeisten, die gerade frieren in Bulgarien, tun dies, weil man ihnen die Heizung abgestellt hat, die sie nicht mehr bezahlen konnten, oder sie können sich kein Holz mehr leisten. Nur 11 Prozent der Bulgaren haben es geschafft, im letzten Jahr zu sparen. Das geht aus einer aktuellen Umfrage hervor. 39 Prozent haben „normal“ gelebt, also ohne zu sparen, 19 Prozent haben auf ihre Ersparnisse zurückgreifen müssen und 27 Prozent mussten Darlehen und Kredite aufnehmen. Der Umfrage zufolge ist die verschlechterte finanzielle Lage der Menschen in dem kleinen Land am Rand auf drei Hauptgründe zurückzuführen: die gestiegenen Lebensmittelkosten, die steigenden Energiepreise und die Inflation. Diese liegt „stabil“ bei 17 Prozent. In Wirklichkeit dürfte sie eher irgendwo zwischen 20 und 50 Prozent zu suchen sein. Viele Grundnahrungsmittel, wie zum Beispiel Brot, Butter und Eier, kosten heute oft sogar doppelt so viel wie noch vor einem Jahr. Woher ich das weiß? Aus dem staatlichen bulgarischen Nationalradio, und zwar genau von dieser und dieser Seite. Ich weiß es auch, weil ich mit offenen Augen und Ohren durchs Leben gehe. Vor allem weiß ich es, weil, wenn ich irgendetwas sehe oder höre, was nicht in mein Weltbild passt, dieses in Frage stelle, was ich auch nur jedem empfehlen kann. Genauso wie ich jedem auch in der Heimat nur empfehlen kann, nicht zu frieren (soweit er es sich noch leisten kann), auch wenn ihm das dumme Politiker einzureden versuchen, denn frieren gefährdet deine Gesundheit. Ich selbst habe einen warmen Raum in meiner Hütte – der Rest ist kalt. Der eine warme Raum ist dafür richtig warm. So kenne ich es auch von früher. Es gab immer mindestens einen warmen Raum in einem bulgarischen Haus, in aller Regel war das die Küche, die bei mir heute eine Wohnküche ist.
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Bericht aus Bulgarien (419) – „Der Systemwechsel“

Sonnenuntergang in den Schluchten des Balkans

In Bulgarien gibt es aktuell nicht nur eine Unterschriftensammlung für ein Referendum über die geplante Einführung des Euros zum 1. Januar 2024, sondern neuerdings auch eine von einem Initiativkomitee organisierte über die Einführung eines Präsidialsystem. Es gibt also Kräfte im Land, die einen Systemwechsel wollen, und zwar von einer parlamentarischen Demokratie wie in Deutschland zu einer Präsidialrepublik. Als ich gestern zum ersten Mal davon hörte, musste ich sogleich an den Cäsarismus denken, von dem ich kürzlich in Oswald Spenglers „Untergang des Abendlandes“ gelesen habe. Der Cäsarismus oder auch Cäsarenherrschaft geht auf Julius Cäsar zurück, besser auf den Diktator Julius Cäsar, dessen Name wiederum auf den Kaiserschnitt, die Sectio caesarea, zurückgeht. Auch Karl Marx, Alexander de Tocqueville, John Stuart Mills, Theodor Mommsen, Jacob Burckhardt, Friedrich Nietzsche, Antonio Gramsci und viele andere haben sich mit dem bekannten römischen Herrscher und seiner Herrschaft beschäftigt. Sieht man sie positiv, ist sie die Herrschaft einer charismatischen Einzelperson. Ist das Glas halbleer, dann ist es eine Diktatur, die zum Despotismus und zur Tyrannei führt. Geht es nach Oswald Spengler, kündigt der Cäsarismus den Verfall der Kultur und damit das zweite und letzte Stadium der Zivilisation an. Möglicherweise ist hier Bulgarien, wo in 2022 nur 39 Prozent „normal“ gelebt haben, das heißt ohne zu sparen, 19 Prozent bereits auf ihre Ersparnisse zurückgreifen und 27 Prozent sogar Darlehen beziehungsweise Kredite aufnehmen mussten, Deutschland der Zeit ein weiteres Mal voraus. Eine Zeit gesellschaftlicher Umbrüche und Verwerfungen, die die Demokratie ablöst. – Es bleibt also spannend, und ich sitze in der ersten Reihe.

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Bericht aus Bulgarien (418) – „Deine Sachen sind schon da“

Heute auf dem Flohmarkt in Montana

Nachdem Edward Snowden aufgedeckt hatte, dass Onkel Sam, unser große Bruder in Amerika, alles über uns weiß, warb ein Berliner Reisebüro mit dem Slogan: „Kommen Sie in die USA, Ihre Daten sind schon da.“ – Jetzt, wo sich immer weniger Deutschland leisten können, kommt aus Bulgarien die Einladung: „Komm in die Schluchten des Balkans, Deine Sachen sind schon da.“ – Das Foto entstand heute in Montana, der Hauptstadt der ärmsten Region des kleinen Landes am Rand. Auch in Sachen Flohmarkt ist in Bulgarien alles anders. Während in Berlin Flohmärkte in aller Regel am Sonntag stattfinden, einige wenige auch samstags, ist in Montana immer montags Flohmarkt. Dass es dort immer mehr Dinge auf Deutsch gibt, ist eine neue Entwicklung. Wie ich erfuhr, sind die Sachen aus Deutschland, wo sie auf der Straße herumliegen, auf der wohl bald auch immer Landsleute sitzen werden. – Das muss nicht sein. Komm einfach nach Bulgarien! Deine Sachen sind schon hier.

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Bericht aus Bulgarien (417) „Hilferuf aus der Heimat“

Worauf wartest du?

In den letzten Tagen erhielt ich mehrere Anrufe aus der Heimat, die eines gemeinsam hatten. Der Anrufer brach während des Telefonats in Tränen aus, wofür aktuelle Gründe die Ursache zu sein schienen. Materiell geht es den Anrufern gut, oder vielleicht sollte man besser „noch gut“ sagen. Keiner von ihnen hat bisher finanzielle Probleme. Das war also nicht der Grund für ihren Schmerz. Ich habe das getan, was ich auch in meinem Taxi getan habe. Ich habe einfach nur zugehört, Fragen gestellt, mich mit Kommentaren, Ratschlägen oder gar Urteilen zurückgehalten, denn ich wollte verstehen, wo der Schmerz bei meinen Anrufern herrührt. Auch sie sind erschöpft, keine Frage, wie es schon vor gut einer Woche in einer e-mail an mich stand. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr komme ich zu dem Schluss, dass sowohl die Anrufer, als auch der Verfasser der e-mail, unter einer so genannten posttraumatische Belastungsstörung leiden. Dabei handelt es sich um eine psychische Erkrankung, die als Folge auf ein traumatisches Erlebnis auftreten kann. Das traumatische Erlebnis ist in dem Fall Corona, eine als lebensbedrohlich dargestellte Erkrankung, die angeblich die eigene Sicherheit und die von anderen bedroht. Aber nicht nur das. Der sichere Tod wurde uns allen praktisch garantiert, und das fast drei Jahre lang. Ein Trauma ist da nur folgerichtig. Und wer heute in der Heimat nicht traumatisiert ist, der sollte sich fragen, was mit ihm nicht stimmt. Ich weiß, wovon ich rede, denn ich selbst habe mich vor diesem Trauma in den Schluchten des Balkans in Sicherheit gebracht. Spätestens nachdem mich aktuell die Hilferufe aus der Heimat erreicht haben, gehe ich nunmehr mit Sicherheit davon aus, dass demnächst weitere Landsleute diesen Weg auch gehen werden. Nämlich dann, wenn sie hungern oder frieren müssen (oder beides), weil die Kohle hinten und vorne nicht mehr reicht, denn die Inflation wird auch in Deutschland weiter voranschreiten. Habe ich mich anfangs gefragt, ob mein Gang nach Bulgarien eine Flucht war, komme ich nun immer mehr zu dem Schluss, dass ich damit nur erneut eine Vorhut darstelle. Früher war es der Gang nach Berlin, als sich noch keine Hipster und Party People dorthin trauten. Heute ist es der Umzug nach Bulgarien, was vielen demnächst bevorsteht. Und da kann ich alle beruhigen, die sich mit diesem Gedanken tragen oder gar schon auf gepackten Koffern sitzen. Es erwartet euch ein aufregendes Abenteuer in den Schluchten des Balkans, das euch gesund werden lässt und eure erlittenen Traumata heilen kann. Ihr braucht dazu nicht viel Geld, ihr müsste nur offen für Neues sein. Nur eines solltet ihr nicht tun. Noch länger in der Heimat warten, bis alle anderen sich auch auf den Weg machen, wie es mit Berlin passiert ist. Dann ist es zu spät. Deswegen möchte ich allen Unentschlossenen Mut machen. Fasst euch ein Herz. Habt keine Angst mehr. Und vergesst nicht: Das wichtigste im Leben sind die Veränderungen.

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Bericht aus Bulgarien (416) – „Hipster trifft Zigeuner“

Im Café „Berlin“

Mein Dorf Spa wird unter Insidern auch der Kurort vom Kurort genannt, womit das Nachbarstädtchen gemeint ist. Kurort ist auch in Bulgarien das Wort für Kurort, wobei hier wiederum nur Insider wissen, dass Kurort aus dem Deutschen kommt. Im Kurort nebenan gibt es neben vielen Hotels und Pensionen auch das Gästehaus „Berlin“, was sich über dem Café „Berlin“ befindet. Im Café „Berlin“ habe ich mir früher immer mein Frühstück gekauft, eine Banitsa mit Boza. Das ist jetzt einige Zeit her. Bevor auch dort vor einem Jahr alles teurer wurde, war zuvor schon die Qualität der angebotenen Speisen schlechter geworden. Einfach deswegen, weil sich gute Qualität kaum noch jemand leisten kann. Das ist wie mit dem mit Palmfett versetzten Schafkäse aus Kuhmilch, über den ich gestern geschrieben habe. Gleich geblieben ist, dass das Café „Berlin“ gerne und zahlreich von Zigeunern frequentiert wird. Für manch einen in Deutschland ist Zigeuner ein umstrittener Begriff, aber nicht für jeden. Beispielsweise nicht für Ralf Bauerdick, der vor jetzt genau zehn Jahren ein Buch mit dem Titel „Zigeuner“ geschrieben hat. Auch in Bulgarien ist der Begriff Zigeuner nicht umstritten, genauso wie Gypsy es im Englischen nicht ist. Eine Fremdbezeichnung ist das Wort Zigeuner auch nicht, zumindest nicht in meinem Nachbarort, wo es ein eigenes Zigeuner-Viertel gibt, das so genannte Machala, in dem ich mich vor Jahren nach einem Esel für meine Wanderung umgesehen habe. Ich kenne auch einige Zigeuner aus dem Machala, beispielsweise den Maistor Manol, einer der besten Verputzer in der Region. Maistor Manol hat auch schon für mich gearbeitet. Der Mann ist aber – zu Recht – nicht ganz billig. Ein anderer Zigeuner-Maistor hat mir damals den Gepäcksattel für meinen Esel gebaut, den ich am Ende in meinem Dorf gefunden habe. Auch er ist ein Meister seines Fachs. Maistor Manol habe ich neulich auf dem Basar getroffen. Wir haben kurz gesprochen, es geht ihm gut, er hat wie immer viel Arbeit. Unterhalten haben wir uns auf Bulgarisch, mit seinen Leuten spricht er Zigeunerisch. Auch im Café „Berlin“ wird viel Zigeunerisch gesprochen. Manchmal gehe ich genau deswegen noch hin, nur um diese für mich fremde Sprache zu hören. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich mir Berliner Hipster im Café „Berlin“ des Nachbarorts vorgestellt habe. Möglich wäre es ja, immerhin ist es ein Kurort und verfügt dementsprechend über Hotels, Pensionen und – last but not least – das Gästehaus „Berlin“. Auch wenn ich keine Werbung für den Nachbarort – und schon gar nicht für mein Dorf – und das dortige Café „Berlin“ unter Berliner Hipstern machen möchte, fände ich dieses Aufeinandertreffen – „Hipster trifft Zigeuner“ – schon wieder reizvoll. Wenn also irgendein Berliner Hipster nicht nur die Hose auf der Hüfte trägt, sondern in seiner Hose auch noch einen Arsch hat, den er in die Schluchten des Balkans bewegen möchte, so ist er hier auf jeden Fall willkommen.

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Bericht aus Bulgarien (415) – „Mit allem rechnen“

Bulgarische Weltkarte

In Bulgarien wird die Welt mit Äpfeln dargestellt, mit denen auch gerechnet wird. Bei mir im Dorf gibt es einen kleinen Laden, wo an der Kasse eine stabile Frau in typischer Lammfellweste noch mit einer Rechenmaschine aus Äpfeln rechnet. Für mich ist das nichts Neues. Schon in meinem Heimatort gab es ein so genanntes Russenmagazin, wo sich das gleiche Bild bot: Lammfellweste und Rechenmaschine an der Kasse. Neu ist, dass mir vom Kauf mancher Produkte abgeraten wird. Die Lammfellbewestete Frau in unserem kleinen Dorfladen meinte, dass der Schafkäse, den ich kaufen wollte, nichts für mich sei. Aber nicht, weil er nicht aus Schafmilch hergestellt war. Das sind die allerwenigsten, und nur wirklich Reiche können sich Schafkäse aus Schafmilch leisten. Der allermeiste so genannte Schafkäse ist aus Kuhmilch. Der Grund war, dass in ihm etwas drin ist, was da nicht reingehört, ähnlich wie bei der bulgarischen Butter – laut meiner Verkäuferin Palmfett. Und wer will das schon, Palmöl im Schafkäse, der gar kein Schafkäse ist. Die Alten in meinem Dorf haben aufgrund ihrer Immobilität keine Wahl, aber sie können sich auch nichts anderes leisten. Noch bin ich mobil, so dass ich das Geschäft ohne mit Palmfett angereicherten Schafkäse aus Kuhmilch verließ. Die Rechenmaschine kam also nicht zum Einsatz und die Äpfel liegen noch auf ihrem Platz auf der Weltkarte.

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Bericht aus Bulgarien (414) – „Easy Pay – Only Cash“

Eines von vielen „Easy Pay“ Büros in Bulgarien

Überall in Bulgarien gibt es kleine „Easy Pay“ Büros, in denen man alles bezahlen kann, zum Beispiel: Strom, Wasser, Telefon, sämtliche Versicherungen, Internet, Heizung und selbst Verkehrsstrafen. Darüber hinaus kann man Geld überweisen und meist auch tauschen. Früher habe ich meine Rechnungen immer in der Post bezahlt, aber das machen nur noch alte Leute. Obwohl ich nicht mehr der jüngste bin, bezahle auch ich jetzt seit einiger Zeit alles bei „Easy Pay“. Man muss mit der Zeit gehen. Bei mir sind das Strom (15-20 € im Monat), Wasser (40-50 € im Jahr), Autoversicherung (30 € im Vierteljahr), Internet (22 € im Monat, ich nutze den Vertrag eines befreundeten Paares, das im Winter in Berlin lebt), Telefon (Prepaid, ca. 5 € monatlich) und die Vignette fürs Auto (knapp 50 € im Jahr). Neulich habe ich auch eine Strafe von 10 € bei „Easy Pay“ bezahlt, weil ich am Tage ohne Licht gefahren bin. Der Polizist meinte, dass 10 € ein Sonderangebot seien. Mir kam es etwas viel vor, aber in Bulgarien muss man immer mit Licht fahren. Am Ende habe ich auch die Strafe bei „Easy Pay“ bezahlt. Praktisch gibt es nur eine Sache, die ich nicht bei „Easy Pay“ bezahle, und das sind die Steuern für meine Hütte (20 € im Jahr) und fürs Auto (auch 20 € im Jahr). Die Steuern muss man im Obshtina (община), also im Landratsamt bezahlen. Für dieses Jahr habe ich noch nicht bezahlt, aber das werde ich demnächst machen, denn wenn man bis April bezahlt, spart man ein paar Prozente. Der Grund, dass ich darüber schreibe, sind nicht die niedrigen Preise und auch nicht, dass ich mir Berlin nicht mehr leisten kann, weswegen ich in Bulgarien lebe, was demnächst möglicherweise auch immer mehr Landsleute müssen. Der Grund, dass ich darüber schreibe, ist, dass man sowohl auf dem Landratsamt, als auch bei „Easy Pay“ nur bar, also cash bezahlen kann. Viele Menschen in Bulgarien haben gar kein Bankkonto. Ich habe auch kein bulgarisches Bankkonto. Wie früher habe ich alles, was ich habe, immer in bar bei mir. Was ich nicht habe, ist die in Bulgarien dafür typische Tasche, die die meisten bulgarischen Männer über ihren Bauch hängen haben. – Man muss nicht jede Mode mitmachen.

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