Die „Geschichten aus Balkanundeiner Nacht“ gibt es wirklich. Sie sind ein Teil der „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“, eine Sammlung von morgen- und abendländischer Erzählungen, die ein Klassiker der Weltliteratur sind. Die Erzählerin Scheherazade erzählt dort im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben. Um das wäre es nämlich geschehen, wenn ihre Geschichten nicht mehr gefallen. Das ging immerhin 1.000 Tage lang gut, was uns der Titel „Tausendundeine Nacht“ verrät, denn Scheherazade musste ihre Geschichten immer Nachts erzählen. Dazu muss man wissen, dass auf dem Balkan und im Orient immer spät zu Abend gegessen wird, also meist erst um 10 oder 11 Uhr. Danach, das ist heute immer noch so, beginnt dann das Kulturprogramm, was früher Geschichten waren, beispielsweise die von Scheherazade. – Scheherazade ging es ähnlich wie den Journalisten heute, die gute Geschichten erzählen müssen, um davon zu leben. Das sage nicht ich, sondern Balzac in seinem Roman „Verlorene Illusionen“, der genauso wie die „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“, von denen die „Geschichten aus Balkanundeiner Nacht“ ein Teil sind, zur Weltliteratur gehört. Balzac, dessen Roman gerade neu verfilmt wurde, wusste, wovon er sprach, denn er war selbst Journalist gewesen. An einer Stelle wundert sich ein alter Journalist darüber, dass der junge Kollege wirklich das glauben würde, was er geschrieben hatte, weswegen er ihn erst einmal aufklären muss: „Aber wir treiben doch mit unseren Phrasen Handel und leben von diesem Geschäft.“ – Was man auf jeden Fall sagen kann, ist, dass sowohl die Geschichten von Scheherazade, als auch die Geschichten von Journalisten gefallen müssen. Scheherazades „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“ müssen dem König gefallen, der sich bei Nichtgefallen ihrer entledigen würde, um es mal so zu formulieren. Die Geschichten von Journalisten müssen dem Chef gefallen, dessen Aufgabe es ist, die Aktionäre der Zeitung reich zu machen. Journalisten, die dazu nicht in der Lage sind, ergeht es ähnlich wie es Scheherazade ergehen würde, wenn ihre Geschichten nicht mehr dem König gefallen. – Mir geht es mit meinen „Geschichten aus Balkanundeiner Nacht“, die wie gesagt ein Teil der „Geschichten aus Tausendundeiner Nacht“ sind, ganz genauso. Meine redaktionelle Linie ist die von Balzacs Journalisten: Ich halte alles für wahr, was wahrscheinlich ist. Weiterhin versuche ich alles als ein Spiel zu betrachten. Meine Taufe im Namen des bösen Glaubens, des falschen Gerüchtes und der heiligen Werbeanzeigen zum Journalisten steht mir allerdings noch bevor.
Eine Sache ist aktuell doch passiert in Bulgarien, über die ich berichten möchte. Meine Nachbarn haben drei Hunde, die frei herumlaufen und die Leute terrorisieren, die auf unserem unbefestigten Weg zwischen ihrer und meiner Hütte vorbeilaufen oder auch nur vorbeifahren. Auch wenn es mich total nervt und mich beispielsweise beim Schreiben meiner Berichte stört, sage ich nichts dazu. Das ist in Bulgarien nicht üblich. Hier lässt man den anderen so sein, wie er ist, auch wenn er einem auf die Nerven geht. – Seit einiger Zeit gibt es einen Polizisten, der mit seiner Familie, Frau und Tochter, aus Sofia in unser Dorf zurückgekehrt ist. Das sind die, die am Anfang unseres Weges ihre Schafe haben. Da ihnen auch ein halbes Haus am Ende des Weges gehört, müssen sie regelmäßig bei uns vorbei, und werden dabei natürlich von den Hunden der Nachbarn angekläfft. – Obwohl das stabile Leute sind, insbesondere auch die Frau, geht ihnen das angekläfft werden, genauso wie mir, tierisch auf die Nerven. Neulich hat sich nun der Polizist bei meinem Nachbarn, der früher auch Polizist war, darüber beschwert. Die Argumentation meines Nachbarn ist, dass nicht er, sondern der andere Schuld ist, wenn dieser sich nicht gut mit seinen Hunden versteht. Man muss diese Argumentation nicht verstehen, nur so viel: in Bulgarien ist vieles umgedreht. – Trotzdem hat mein Nachbar seine Hunde für den Moment angeleint, als gute Geste dem Polizisten gegenüber. Fünf Minuten später liefen sie aber schon wieder frei herum, um die Wanderer, die auf ihrem Weg zum Kloster waren, aggressiv anzukläffen. Diese wussten nicht, was sie machen sollten. Sie überlegten umzudrehen, dann nahm der Mann aber einen Stein, mit dem er die Hunde in die Flucht schlug. – Nun kam der Nachbar erneut heraus, diesmal aber nicht um klein bei zu geben, sondern um die Wanderer wegen des Steinwurfs zusammenzuscheißen. Dabei erwähnte er auch den anderen Polizisten, der ihn gerade Maß genommen hatte, bei dem er sich beschweren würde. Die Wanderer waren ganz verdattert ob der Reaktion. Obwohl sie ihren Weg zum Kloster fortsetzen konnten, dürfte ihr Tag gelaufen sein. – Heute sieht es nun so aus, dass nicht nur mein Tag gelaufen ist, sondern vielleicht sogar meine Stunden gezählt sind. Meine Nachbarn sind letzte Nacht nicht nach hause gekommen. Ihre drei Hunde laufen jetzt nicht mehr auf unserem Weg hin und her, sondern haben sich mit fletschenden Zähnen vor meiner Hütte, und da direkt vor meiner Tür postiert. Die haben Hunger, das ist klar. Ich muss ihnen etwas geben, auch das ist klar, damit sie sich nicht über mich hermachen, auch wenn bei mir gar nichts dran ist. – Ich will ihnen auch gerne was zu fressen geben, ich habe noch etwas altes Brot da. Gerade überlege ich noch, ob ich dem alten Brot etwas frisches Strychnin untermische, das ich sonst für Ratten nehme. Hunden vergiften in Bulgarien ist mindestens so aufregend wie Tauben vergiften im Park, wenn nicht gar aufregender. Die Voraussetzungen sind gut: „Schatz, das Wetter ist wunderschön“, wie es Georg Kreisler oben besingt: „Schatz, ich hab‘ da eine Idee …“